Sächsischer Jakobsweg von Bautzen über Dresden, Freiberg, Chemnitz, Zwickau nach Hof
Anreise nach Bautzen

Tag 0 (Di, 11.6.2024) Anreise nach Bautzen

Mir juckt es im wahrsten Sinne des Wortes wieder in den Füßen, da muss ich mir mal die Beine vertreten. Da nicht genug Zeit ist, um sich auf lange Touren im Ausland zu begeben, habe ich mir den Sächsischen Jakobsweg ausgesucht, der von Bautzen über Dresden, Chemnitz und Zwickau nach Hof führt. Der ist etwa 300 km lang und sollte in 12 Tagen zu schaffen sein. Ich will doch zurück sein, wenn unser Jüngster Geburtstag hat.

Was den Weg betrifft, muss ich mich überraschen lassen. Ich habe mir nur eine Ortsliste mit Entfernungsangaben sowie ein Unterkunftsverzeichnis ausgedruckt und nachgeschaut, ob der Weg bei „Mapy“ eingezeichnet ist. Der Rest wird sich ergeben, Überraschungen inklusive. Nicht überraschend ist das Wetter - das ist wie immer schlecht. Es ist windig und lausig kalt, aber zum Glück noch trocken. Schade, die letzten Tage waren so schön.

Und auch die Bahn hatte keine Überraschungen zu bieten - es ging gleich mit Verspätungen los. Staatsbesuch. „Behördliche Maßnahmen im Großraum Berlin - es kann kurzfristig zu Sperrungen, Verspätungen und Umleitungen im Zugverkehr kommen.“ Wären die Politiker doch in Bonn geblieben, statt hier ihre Volksverbundenheit zu zeigen. Allein in Ostkreuz standen Hunderte auf den Bahnsteigen und verfolgten, wie ihre Züge angezeigt wurden, um dann einem anderen Zug auf der Anzeige den Vorrang zu geben und schließlich als Ausfall gemeldet zu werden. Die Bahn-App „DB Navigator“ weiß von all dem nichts. Die VBB-Fahrinfo wusste wenigstens nach Verstreichen der regulären Abfahrtszeit zu verkünden, dass der RE 2 nach Cottbus 32 Minuten Verspätung hat. Der Anschluss nach Görlitz ist dann natürlich längst weg. Einen Zug Puffer habe ich zum Glück - halb sechs muss ich in Bautzen sein, weil um 18 Uhr der Bäcker schließt, bei dem man den Herbergsschlüssel bekommt.

Nachdem auf Gleis 1 alle möglichen Züge angezeigt wurden und keiner kam, hat man 20 Minuten nach der regulären Abfahrtzeit durchgesagt, dass mein Zug 35 Minuten Verspätung hat. „Grund dafür ist eine behördliche Maßnahme.“ Soviel Stress bei so vielen Fahrgästen wegen irgendeinem Politiker, der sich hier hofieren lässt! Kann man das nicht in die Uckermark oder auf einen Flugzeugträger verlegen? Die Regierung tut tatsächlich alles, um des Volkes Zorn auf die Spitze zu treiben. Irgendjemand wollte ja mal ein paar Leute von der Straße auf die Schiene bringen. Aber jetzt sollen sie wohl ganz zuhause bleiben und die teure Wärmepumpe genießen. Ein Solarium am Balkonkraftwerk kann durchaus den Urlaub in sonnigen Gefilden ersetzen.

Da ich in Ahrensfelde zwei S-Bahnen früher als geplant gefahren bin und entsprechend zeitig hier war, habe ich jetzt schon über eine Stunde Wartezeit in Ostkreuz hinter mir. Man sollte den Spruch „Der Weg beginnt vor der Haustür“ doch ernster nehmen und zuhause loslaufen, statt die Pilgertour mit einer Bahnfahrt zu beginnen! Nachdem Züge nach Frankfurt (Oder), zum BER und nach Eisenhüttenstadt angekündigt waren und ausblieben, kam mit 45 Minuten Verspätung endlich mein Zug nach Cottbus. Nun zu glauben, dass die Fahrt endlich losgeht, war aber verfrüht.

An den 45 Minuten war ja mal nicht die Bahn selbst schuld. Deren Part stand noch aus und wurde nun in Form einer Türstörung nachgeholt. Um 13.37 Uhr, das heißt mit 58 Minuten Verspätung ging es dann los. Nun sollte man eigentlich meinen, dass das Gleis frei ist, wenn über eine Stunde kein Zug gefahren ist. Aber das ist zu kurz gedacht. Bis Rummelsburg ging es im Schritttempo. Nun ist der Zug im Plan - des nächsten Zuges. Der Puffer ist also aufgebraucht. Das kann ja noch spannend werden. Ich weiß gar nicht, ob es in Cottbus, Görlitz oder Bautzen eine Bahnhofsmission gibt. Zum Glück habe ich erstmals eine Iso-Matte dabei - eigentlich für den Fall, dass ich mal wieder im Pfarrsaal übernachten muss, aber die funktioniert vielleicht auch auf dem Bahnsteig.

14.00 Uhr. Wir haben es bis kurz vor Königs Wusterhausen geschafft. Jetzt steht der Zug. Heute ist Dienstag - wahrscheinlich eine Signalstörung. Die defekte Weiche ist erst morgen dran und der Stellwerksausfall am Donnerstag.

15.00 Uhr. Da der Zug aus Berlin mit genau 60 Minuten Verspätung in Cottbus angekommen ist und der Zug nach Görlitz stündlich verkehrt, hat es problemlos mit dem Anschluss geklappt. Die ODEG hat sich nicht lumpen lassen und einen ganzen, zweiteiligen Trieb­wagen zur Verfügung gestellt. So kann man die Fahrt in vollen Zügen genießen. Ich habe aber dank meiner Ellenbogen sogar noch einen Sitzplatz bekommen. Allerdings ist der Versuch, den Rucksack in die Gepäckablage zu bekommen, missglückt. Das ist ein guter Vorgeschmack auf das, was mir im September bei meinem Vueling-Flug von Paris nach Oviedo bevorsteht. Da wollte ich die Freude über ein 29€-Ticket nicht dadurch schmälern, dass ich für 40€ ein großes Handgepäckstück dazu buche. Da darf nur das in den Rucksack, was auf dem Leib keinen Platz findet, damit das Gepäck unter den Sitzplatz passt. Wenn‘s hart auf hart kommt, muss ich beim Boarding das Regencape überstülpen oder im Schlafsack hüpfen.

Hier im Zug gibt es zum Glück Abstellmöglichkeiten zwischen den Sitzen. Jene direkt hinter mir kann ich leider nicht nehmen, da dort schon ein stattlicher Schäferhund liegt. Also die gegenüber. Ich hoffe nur, dass der Wauwau nicht riecht, dass ich Wurststullen dabei habe, sonst muss ich heute Abend hungrig ins Bett bzw. auf die Iso-Matte.

Mir gegenüber sitzt eine Frau, die vermutlich im Baumarkt arbeitet. Zumindest sieht sie aus, als wäre sie mit dem Gesicht in eine Kiste mit Schlüsselringen gestürzt. Die Dame wäre beim Wandern auf GPS angewiesen, denn bei so viel Metall im Gesicht würde jeder Kompass verrücktspielen. Die Tätowierungen auf Stirn und Hals sehen wie Landkarten aus. Hoffentlich denkt sie beim Navigieren daran, dass diese im Spiegel betrachtet seitenverkehrt sind. Bei so viel Freude am Tätowieren sollte man sich den QR-Code des Deutschlandtickets auf die Stirn oder den Oberarm tätowieren lassen. Dann müsste einen der Schaffner bei der Fahrscheinkontrolle nicht extra wecken. Blöd ist nur, dass es jeden Monat einen neuen QR-Code gibt und deshalb auch bei einer stattlichen Figur schnell der Platz knapp wird.

In Görlitz wurde es nochmal spannend. Der Zug kam pünktlich an und auf dem Nachbarbahnsteig wartete schon eine Menschentraube auf den Zug nach Bautzen. Ich habe mich nochmal auf der Abfahrttafel vergewissert, dass dies der richtige Bahnsteig ist. Die Anzeige lautete auch wie erwartet „16.24 Uhr RB 60 nach Bischofswerda über Bautzen“. Es kam auch bald der Zug und kaum hatten sich alle reingezwängt, fuhr er auch schon los - 16.22 Uhr. Merkwürdig. Dass ein Zug zu früh ist, kommt bei der Bahn nicht oft vor. Der Schreck war dann erstmal groß, als ich auf dem Display im Zug gesehen habe, dass ich im RE 1 nach Dresden sitze. Fährt der über Bautzen? Mit solchen Nebensächlichkeiten wird der Fahrgast nicht belästigt. Mein Gegenüber hat mich dann beruhigt, dass dies der verspätete Regionalexpress ist, der auch über Bautzen und Bischofswerda fährt, aber nicht überall hält. Also alles gut, dieses Mal haben nur die Leute das Nachsehen, die auf irgendein Kuhkaff wollen, wo dieser Zug jetzt durchrauscht. Ich kann mich freuen, dass ich nun vielleicht ein paar Minuten vor fünf in Bautzen bin.

Die Landschaft, die draußen am Fenster vorbei geschoben wird, ist recht schön und da ein paar Sonnenstrahlen den Weg durch die Wolken gefunden haben, wächst die Vorfreude aufs Laufen.

Mit dem „falschen“ Zug war ich tatsächlich 10 Minuten vor fünf in Bautzen und zwanzig Minuten später vor der Bäckerei in der Töpfergasse nahe dem Kornmarkt, wo man sich den Herbergsschlüssel holen muss. Und da ereilte mich das, was ich als worst case vor meinem inneren Auge hatte: die Bäckerei hat Urlaub und es war kein Hinweis zu finden, wo man den Herbergsschlüssel bekommt. Ich habe die im Pilgerführer vermerkte Nummer des Pfarr­amtes angerufen, wo natürlich keiner mehr zu erreichen war. Aber ganz unerwartet ging bei der Nummer der geschlossenen Bäckerei jemand ran und sagte mir, dass ich mir den Schlüssel im Dom St. Petri holen kann, der aber nur bis 17.30 Uhr offen hat. Ich bin schnell hin und war zehn vor halb sechs da. Das junge Mädel, das da Aufsicht hatte, war gerade in Begriff, einzupacken. Aber sie hatte nicht nur einen Schlüssel und einen Stempel für mich, sondern ließ mich auch noch eine Runde durch die hervorragend restaurierte Kirche drehen, bevor sie das Licht ausschaltete. Viel später hätte ich aber nicht kommen dürfen. Mit dem regulären Zug ab Görlitz wäre das sehr knapp geworden!

Mit dem Schlüssel in der Tasche hatte ich keine Eile mehr. Bevor ich in die Herberge bin, habe ich mir noch das Viertel hinter dem Dom angeschaut und einen Abstecher zur Hammer­mühle gemacht, wo sich ein Pilgerbüro befinden soll. Tatsächlich gibt es da einen kleinen Laden, in dem man neben Mühlenprodukten und Kunstgewerbe auch einen Pilgerstempel und bestimmt auch Informationen bekommt. Aber der ist nur vormittags geöffnet. Auf dem Weg zum Quartier habe ich mir im Edeka noch was für den Ausgleich des Flüssigkeits­haushaltes besorgt. Die Pilgerwohnung im Gemeindehaus der ev.-luth. Domgemeinde habe ich so vorgefunden, wie ich sie vom vorigen Jahr in Erinnerung hatte, nur dieses Mal ganz leer. Im vorigen Jahr war ich mit meinem Paten„kind“ Markus hier. Er hatte sich zu seinem 50. Geburtstag gewünscht, mit mir ein Stück auf der Via Regia zu laufen, was uns beiden viel Spaß gemacht hat.


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