Sächsischer Jakobsweg von Bautzen über Dresden, Freiberg, Chemnitz, Zwickau nach Hof
Von Bautzen nach Arnsdorf

Tag 1 (Mi, 12.6.2024) Von Bautzen nach Arnsdorf / 45,2 km

Nachdem ich meine Sachen im Zimmer verteilt, mein Bett bezogen und im Gästebuch geblättert habe, bin ich gestern abends um halb acht nochmal zu einem Stadtbummel los. Viele Leute waren nicht unterwegs, aber die Terrassen einiger Gaststätten waren ganz gut besucht. Die Bautzener Altstadt ist sehr schön und die vom Schloss und diversen Kirchen überragten Wehranlagen entlang der Spree sind beeindruckend. Da macht es Spaß, zu bummeln und sich das Ganze nochmal aus einem anderen Winkel, vom anderen Ufer aus oder einfach noch mal bei anderem Licht anzuschauen.

Um halb zehn war ich wieder in der Pilgerwohnung, hab‘ mir ein Süppchen gekocht, meine morgens geschmierten Stullen gegessen und mir ein gutes „Landskron“ (oder waren es zwei?) gegönnt. Dann bin ich gut gelaunt, voller Eindrücke und erfreut über den doch nach ganz glücklich verlaufenen Tag ins Bett gekrochen und sofort eingeschlafen.

Da sich das Zimmer nicht so richtig verdunkeln ließ, war ich heute früh schon um halb fünf wach. Ich habe mich dann noch eine halbe Stunde im Bett gewälzt, Kaffee gekocht, was gegessen und bin um halb sechs aufgebrochen. Da war es noch ziemlich bewölkt, aber jetzt, um acht in Göda hat sich die Sonne durchgekämpft und vor mir ist der Himmel blau. Ich werde wohl gleich mal eine Pause machen müssen, um Sonnencreme und -hut aus dem Rucksack zu holen.

Mein Ziel für heute war eigentlich das 25 km entfernte Bischofswerda, aber da ich so zeitig losgelaufen bin, war ich schon mittags dort. Und nach dem Rundgang durchs Stadtzentrum war mir klar, dass ich dort nicht den ganzen Nachmittag vertrödeln will. Also habe ich da nur eine etwas längere Pause gemacht und bin dann weiter gezogen.

Zwei Dinge haben mich in Bischofswerda besonders geärgert. Da ist einerseits das Döner-Kartell, das in allen drei Dönerbuden am Markt einheitlich 7€ für den Standard-Döner verlangt und andererseits die Kirchengemeinde, die es nicht auf die Reihe bekommt, den Pilgern einen Stempel zu bieten. Die große Christus-Kirche stand zwar erfreulicherweise offen, aber weder dort, noch im gegenüber liegenden Pfarrhaus gab es einen Pilgerstempel. Stattdessen hing im Fenster des Pfarrhauses ein Zettel, dass man sich den Pilgerpass in einer bestimmten Pension in der Stadt abstempeln lassen kann. Diese zu suchen und mir dann in einer Unterkunft, die ich gar nicht genutzt habe, einen Stempel geben zu lassen, fand ich zu blöd. Mir geht es auch nicht um den einen Stempel, den eh niemand sehen will, sondern darum, dass hier in jedem Kaff in oder an der Kirche ein Stempel hängt, aber in der einzigen größeren Stadt, die dazu noch mit ihrem Namen auf einen hohen kirchlichen Würdenträger verweist, kriegt das keiner gebacken. Außer dem besagten Zettel fand sich in Kirchennähe auch nirgendwo ein Hinweis auf den Jakobsweg. In kleinen Dörfern am Weg hat man hingegen Schautafeln platziert, die von der Pilgertradition und vom Sächsischen Jakobsweg erzählen. Da hat man echt das Gefühl, dass sich die Leute damit identifizieren. Kurz vor dem Ziel, in Seeligstadt, standen sogar mitten im Ort neben einer Pilgerbank ein kunstvoll geschnitzter Wegweiser und darunter ein Kasten mit einem Stempel drin sowie Postkarten vom Ort, die man sich hätte mitnehmen können.

Erfreulicherweise habe ich heute einige Kirchen offen gefunden, sei es auch nur, weil gerade die Orgel gereinigt wird, was in Göda der Fall war. Da lagen überall demontierte Orgelpfeifen herum, was ganz witzig aussah. Mittendrin übrigens auf dem Büchertisch ein Stempel und ein Stempelkissen …

In Goldbach, dem ersten Dorf hinter Bischofswerda, bin ich in der Kirche in die Vor­bereitungen für ein kleines Gemeindefest geraten. Da waren im hinteren Teil der sehens­werten Kirche Kaffeetafeln gedeckt und ein Kuchen-Buffet aufgebaut. Als ich das gesehen habe und mich verdrücken wollte, hat mich eine Frau rein gewinkt und mir angeboten, mich am Buffet zu bedienen. Den leckeren Kuchen habe ich aus bekannten Gründen verschmäht, aber da gab es zum Glück auch frisches Brot mit selbstgemachter Kräuterbutter, in der sich ein ganzer Kräutergarten wiederfand. Da konnte ich nicht „Nein“ sagen. Außerdem habe ich da noch eine richtige Kirchenführung bekommen. Der Stempel hing hier übrigens draußen in einem Kasten neben der Kirchentür.

Um halb sieben war ich dann nach 42 km (ein Umweg wegen Verlaufen nicht mitgerechnet) an meinem neuen Ziel: Arnsdorf. Hier bin ich bei einem älteren Ehepaar untergekommen, das selbst pilgert und unterm Dach ein nettes kleines Pilgerzimmer eingerichtet hat. Früher haben sie eine Firma für Wohnungseinrichtungen betrieben. Das hat jetzt die Tochter übernommen, die ich nebst ihren beiden Töchtern (Hermine und Olivia) beim Abendbrot auf der Terrasse kennen gelernt habe. Die Kleine, die gerade vier geworden ist und heute kunstvoll als Einhorn geschminkt war, hat sich schnell mit mir angefreundet und den ganzen Glitzerkram ihrer Gesichtsdeko auf meinem Pullover verteilt. Jetzt flimmert es silbrig und golden, wenn ich im Abendlicht daher schreite.

Zum Weg wäre noch nachzutragen, dass der gestern sehr schön und abwechslungsreich war. In Bautzen ging es durch die Mühltorgasse runter zur Spree und dann an deren Ufer entlang nach Süden und hinter der Bahnüberführung ans andere Ufer und dem Fluss folgend nach Westen. Das war wildromantisch, denn der Weg geht größtenteils durch den Wald, der mit großen Felsbrocken durchsetzt ist, und neben einem fließt die Spree, die hier ein breiterer Bach ist und sich durch die felsige Landschaft schlängeln muss.

Nach etwa einer Stunde führte der Weg raus aus dem Tal nach Grubschütz und weiter auf einem mit Gras bewachsenen Feldweg, der erstmal für nasse Schuhe sorgte, aber schöne Blicke über die mit fast erntereifem Getreide bestandenen Feldern bot. Die Landschaft westlich von Bautzen ist angenehm wellig, aber ohne bemerkenswerte Berge. Da kam ich gut voran. Dann ging es mal ein kurzes Stück entlang der morgens stark befahrenen Straße. Später immer abwechselnd durch lang gestreckte Dörfer, durch Wälder und Felder. Alles immer nur für wenige Kilometer, so dass es nie langweilig wurde. Ein längeres Stück führte durch den Wald parallel zur Bahnlinie - da sorgten die ersten reifen Himbeeren am Wegesrand für Abwechslung. Die Dörfer mit so klangvollen Namen wie „Oberförstchen“ oder „Kleinförstchen“ sind gut gepflegt und schön anzusehen. Hinter Göda ging es durch Semmichau, Birkau, Spittwitz und Medewitz nach Demitz-Thumitz, wo sich alles um Granit­abbau und Steinmetzerei dreht. Da hätte man auch in der Steinmetzschule übernachten können. Dann kam das Stück entlang der Bahn und weiter durch den Wald nach Bischofs­werda. Dahinter dann Goldbach, Großharthau, Seeligstadt und Arnsdorf.

Hinter Goldbach bin ich an der „Bunte“ mal einen Kilometer falsch gelaufen. Da zweigte der Weg rechts ab in den Wald, aber den kleinen Pfad habe ich gar nicht als Weg wahr­genommen. Der Wegweiser lag umgerissen im Gras und die ersatzweise an den Bäumen angebrachten Muscheln waren im dichten Laub nicht zu erkennen. Hinter der nächsten Kurve kam mir zwar die Richtung merkwürdig vor, aber da mich mein Smartphone wegen vermeintlich falscher PIN-Eingabe in der Hosentasche wieder mal für 10 Minuten aus­gesperrt hatte, konnte ich nicht gleich nachschauen. Als die 10 Minuten rum waren, hat sich sofort geklärt, dass ich falsch bin und zurück muss. Die Technik!

Wie zuletzt in Spanien kommt es immer dann zu solchen unfreiwilligen Umwegen, wenn man auf einer ohnehin schon langen Etappe unterwegs ist. Aber im richtigen Leben kommt ja auch das Unbill stets zur falschen Zeit.


Sachsen - Tag 1, von Bautzen nach Arnsdorf