Sächsischer Jakobsweg von Bautzen über Dresden, Freiberg, Chemnitz, Zwickau nach Hof
Von Arnsdorf nach Pesterwitz |
Tag 2 (Do, 13.6.2024) Von Arnsdorf nach Pesterwitz / 36,0 km
Heute früh war ich erst um halb acht in der Spur, obwohl ich wieder vor fünf wach war. Eigentlich hatte ich geplant, wieder früh morgens aufzubrechen, weil man dann ja ordentlich was schafft. Aber meinen lieben Herbergseltern, Jürgen und Florentine, haben fast gebettelt, dass ich zum Frühstück bleibe, und sogar angeboten, schon zu sechs Uhr den Tisch zu decken. Das wollte ich denen aber nicht zumuten und so haben wir uns auf halb sieben geeinigt. Das Frühstücksangebot anzunehmen, war letztlich eine sehr weise Entscheidung, denn der Tisch war fürstlich gedeckt mit frisch aufgebackenem, dunklem Baguette, Frühstücksei, Wurst, Käseplatte, Wurstsalat usw. Sich da durchzukämpfen hat eine gute Kondition erfordert. Dazu gab es sehr anregende, interessante Gespräche. Die Beiden sind viel rumgekommen und wussten spannendes von ihren Reisen zu erzählen. Jürgen war zudem oft dienstlich unterwegs, denn in ihrer kleinen Firma haben die Schwarzmeiers schon zu DDR-Zeiten Spezialanfertigungen von Sofas, Sitzecken etc. produziert. Eine Dienstreise hat ihn sogar nach Ahrensfelde geführt, wo er in dem offiziell als „Dynamo-Lager“ deklarierten Warenlager der Stasi (wo jetzt „Schwörer-Haus“ sitzt) ein Sofa für einen Häuptling der Mielke-Truppen abliefern musste. Im Gästebuch, das voller wohl verdienter Lobeshymnen ist, habe ich gelesen, dass andere Pilger noch eine Führung durch die Firma oder eine Kirchenbesichtigung bekommen haben. Aber dafür war es gestern zu spät und heute wollte ich endlich los, nachdem ich mir den Wanst so vollgeschlagen hatte. Ab Arnsdorf gibt es zwei Wegvarianten: eine nördliche über Wallroda, die sicher nicht zufällig an der mit EU-Förderung errichteten Pilgerherberge am dortigen Pfarrhaus vorbeiführt, und eine etwas kürzere durch den Karswald. An letzterer sind in der Karte lauter Ausgrabungsstätten verzeichnet und tatsächlich führt im Wald ein Wegweiser zum wüsten Dorf Reinhardswalde, das vor hunderten Jahren zu beiden Seiten eines noch vorhandenen Baches lag. Dieser Bach speiste eine Mühle, in der bis ins 16. Jahrhundert gemahlen wurde. Ein lokaler Künstler hat versucht, diese Mühle auf einem Gemälde an einer der überdachten Raststätten im Wald zu veranschaulichen. Sonst ist, zumindest vom Weg aus, nichts von dem wüsten Dorf zu sehen. Den Umweg hätte ich mir also sparen können. Sowohl der Weg durch den Wald, als auch die kaum befahrene Straße nach Kleinerkmannsdorf, auf der ich gerade laufe, heißen „Bischhofsweg“. Warum und weshalb welcher Bischof wann von wo nach wo gelaufen ist, muss ich noch ergründen. Links von mir schaut schon der Dresdner Fernsehturm über einen Hügel und was da Helles am Horizont zu sehen ist, ist vermutlich schon die sächsische Landeshauptstadt. In Ullersdorf, das zu dem einige Zeit rechter Hand sichtbaren Radeberg gehört, fällt vor der Pilgerherberge in einem Privathaus eine Tafel mit der Aufschrift „Jakobsweg / Stempelstelle“ auf. Eine große Bronzemuschel lässt sich da herunterklappen und dahinter stößt man auf Stempel und Stempelkissen. Unmittelbar hinter dem Ort taucht der Weg ein in die Dresdner Heide, die einen dann drei Stunden umgibt. So richtig bin ich allerdings nicht vorangekommen, weil dort überall Walderdbeeren am Wegesrand stehen. Um an die leckeren Winzlinge zu kommen, muss man sich leider sehr tief bücken. Bevor man da eine Hand voll hat, schmerzt einem der Rücken. Um diesen zu schonen, habe ich mich bald wieder den Himbeeren zugewandt. Wenn man aus dem Wald tritt, steht man vor einer breiten, gepflasterten Straße, die eigentlich nur eine Sackgasse ist. Sie führt vorbei am eindrucksvollen, gut gepflegten sowjetischen Garnisonsfriedhof mit über zweitausend Einzelgräbern, die alle mit einer Stele versehen sind, auf der unter einem Abzeichen Dienstgrad, Name und Lebensdaten notiert sind. Auf manchen findet sich auch ein Bild, das vermutlich erst in jüngster Zeit angebracht wurde. In den stattlichen, gut restaurierten Kasernenbauten von 1902/3, in denen einst die sowjetische Garnison stationiert war, befindet sich jetzt das Landeskommando Sachsen der Bundeswehr, dessen Pförtner streng darauf achtet, dass man nicht zu viel fotografiert. Über die Bautzener Straße geht es dann runter zur Elbe und auf dem asphaltierten Fußweg entlang des Flusses bis zur Augustusbrücke, über die der Jakobsweg in die Dresdner Altstadt führt. In Dresden bin ich als Erstes in die Hofkirche, in der ich schon lange nicht mehr war. Laut einem Aushang im Schaukasten soll es da auch einen Pilgerstempel geben, aber ein solcher war drinnen nicht zu finden. Da habe ich im Pfarramt angerufen, wo man mir sagte, dass die Küsterin den Stempel hat und gerade auf dem Weg zur Kirche sei - eine Frau mit roter Jacke. Ich hatte noch nicht aufgelegt, da zeigt neben mir eine Frau in roter Jacke auf sich selbst. Sie hatte vor der Tür noch schnell eine Zigarette geraucht und dabei mein Telefonat mitgehört. Sie hat mich dann bis in die Sakristei hinter dem Hochaltar geführt und mir dort einen Riesenstempel in meinen Pilgerausweis gedrückt. Am Altmarkt habe ich noch McDonald und am Postplatz einen REWE besucht, dann habe ich mich auf den Weg gemacht, nachdem ich in Pesterwitz telefonisch angefragt habe, ob ich dort abends übernachten kann. Ja, ich kann! Da es inzwischen fast halb vier war und noch gut 10 Kilometer vor mir lagen, habe ich mich vorsichtshalber für um sieben angekündigt. Es ging dann in Zick-Zack durch Dresdener Wohngebiete, in denen ich noch nie war, unter anderem vorbei an der St. Annen-Kirche, in der laut einer Tafel neben der Tür 1000 Menschen die Bombennacht im Februar 1945 überlebten. Weiter ging es durch die Wilsdruffer Vorstadt, durch einen zugewachsenen Park zwischen der Weißeritz und der Bahn beim Bahnhof Dresden-Plauen und vorbei an der ehemaligen Felsenkeller-Brauerei nach Dölzschen. Dort biegt der Jakobsweg rechts ab und führt zwischen Gartenzäunen steil nach oben, teils auf Schrägen, teils auf Treppen. Oben angekommen, liegt plötzlich die Autobahn, die gerade noch hoch über der Straße verlief, tief unter einem. Nun waren es noch etwa zwei Kilometer entlang der Wurgwitzer Straße bis nach Pesterwitz. Das ist ein Ortsteil von Frei„tal“, was in Anbetracht der Berglage des Ortes etwas komisch anmutet. Ich bin dort noch schnell in den Edeka, um mir was fürs Abendbrot zu holen und stand um halb sieben vor der St. Jakobuskirche. Ich habe die mir mitgeteilte Nummer angerufen und ein paar Minuten später kam eine Dame mit dem Schlüssel für mein Quartier. Das ist mal etwas außergewöhnlich - die Pilgerherberge befindet sich in der Friedhofskapelle, umgeben von lauter Gräbern! In die ehemalige Kapelle hat man ein ganz nobles Bad eingebaut, das auch von den Friedhofsbesuchern benutzt werden kann. Als Herberge sind zwei kleine Räume eingerichtet, in denen je ein Dreifach-Bett steht. Dazu ein kleiner Tisch, ein Wasserkocher und ein paar Tassen. Die Räume haben eine gut funktionierende Heizung und zum Schlafen gibt es sehr ordentliche Steppbetten und komplette Bettwäsche. Mehr braucht kein Mensch für eine Nacht und 10€ sind dafür wirklich nicht zu viel. In der Erwartung, dass auf dem Friedhof nachts nicht viel Krach ist, werde ich mich jetzt gleich lang ausstrecken. Im Gästebuch steht auf der ersten Seite, dass man sich hier „am Abend auf dem Friedhof zur Ruhe begeben und am Morgen eine fröhliche Auferstehung feiern kann.“ |
Sachsen - Tag 2, von Arnsdorf nach Pesterwitz |