Es ist jetzt schon wieder ein paar Jahre her, dass ich über einen langen Zeitraum gestreckt die so genannte Nordroute des Jakobsweges durch Ostbrandenburg von Frankfurt (Oder) nach Bernau gelaufen bin. Jetzt, Ende Mai / Anfang Juni 2021, will ich die sogenannte Südroute von Frankfurt (Oder) über Fürstenwalde/Spree und Erkner nach Teltow laufen. Eigentlich wäre Zeit, das mal „am Stück“ zu machen, aber wegen der Corona-Pandemie sind Zwischen­übernachtungen praktisch nicht möglich. Die Etappen müssen also so gewählt werden, dass man abends mit der Bahn nach Hause und am nächsten Morgen wieder dahin kommt, wo man abgebrochen hat.
Egal, wie man die Strecke in Etappen teilt, Startpunkt ist in jedem Fall die St. Marien-Kirche in Frankfurt (Oder), wenn man diesseits der Grenze mit der Tour beginnen will.
Da kommt man prima mit dem RE1 hin, der seit ein paar Jahren auch in Ostkreuz hält und tagsüber zwischen Berlin und Frankfurt (Oder) halbstündlich verkehrt.
In Frankfurt angekommen, fällt einem eine schmucke Dampflok auf, die dort auf einem ungenutzten Gleis steht. Es ist eine Lok der Baureihe 64 mit der Nummer 64 317, die dem Verein „Eisenbahnfreunde Frankfurt (Oder)“ gehört.
Auf der Webseite des Vereins kann man ganz detailliert die Geschichte dieser 1934 erbauten Lok nach­lesen, die 1976 versehentlich nicht verschrottet wurde und zwei Jahre später in Frankfurt den Platz für ihren Lebensabend fand.
Das Bahnhofsgebäude von Frankfurt (Oder) ist 1923 von Reichsbahnrat Wilhelm Beringer errichtet worden.
Dieser lieferte auch die Entwürfe für die Siedlung Kiliansberg auf der Ostseite des Bahnhofsvorplatzes, die zwischen 1922 und 1924 von der Siedlungsgesellschaft Ostmark für die Eisenbahner geschaffen wurde, die nach der Auflösung der Eisenbahndirektionen Danzig, Posen und Bromberg zur Reichsbahndirektion Frankfurt kamen.
Inmitten der Siedlung Kiliansberg, die an einem steilen Hang über Odertal liegt, steht ein ebenfalls von Beringer entworfenes Denkmal für die im Ersten Weltkrieg und in den nachfolgenden Grenzkonflikten gefallenen Eisenbahner.
Vom Kiliansberg aus geht es auf einer abschüssigen Straße hinunter zur Lindenstraße, die sich in Nord-Süd-Richtung durch Frankfurt zieht. Eine untrügliche Markierung für des durchaus überschaubare Stadtzentrum ist der Oderturm, ein 1976 fertiggestelltes 25-stöckiges Bürohochhaus, das in den obersten Stockwerken auch ein Jugendhotel mit 160 Betten und ein Panorama-Café enthielt.
Heute ist der zeitlos schöne Turm von einer Einkaufspassage in ähnlichem Baustil umgeben, die nach der Wende hinzu kam und einen großen Teil des Stadtzentrums überdeckt.
Noch ist aber weder der Oderturm, noch das Stadtzentrum überhaupt mein Ziel, sondern die Gertraudenkirche, genauer die Sankt-Gertraud-Kirche in der Gubener Vorstadt. Die Kirche wurde 1873-78 im neogotischen Stil an der Stelle einer 1368 erstmals erwähnten Kapelle errichtet.
In dieser Kirche sind viele Kunstgegenstände der im Krieg noch viel stärker zerstörten Marienkirche gelandet, die ich mir gern angesehen hätte.
Aber ein Schreiben vom Januar des Jahres verkündet, dass die Kirche zwecks Eindämmung der Corona-Pandemie verschlossen bleibt. Wie groß muss der Ansturm auf diese Kirche gewesen sein, dass man zu solch harten Maßnahmen greifen musste ...
Auf dem Weg zur Marienkirche kommt man an der Ecke Linden-/Logenstraße am Haupt­postamt vorbei, das von 1899 bis 1902 als Kaiserliche Oberpostdirektion errichtet wurde und mit seiner zweifarbigen Klinkerfassade ein echter Hingucker ist. (oben links)
In der Logenstraße trifft man auf ein Haus mit einer sehr hellen klassizistischen Fassade, bei dem vor allem die Tafel rechts neben dem Eingang interessant ist. Auf dieser erfährt man, dass das Haus 1846 von Freimaurern errichtet wurde und bis zur 1934 erzwungenen Selbstauflösung Sitz der Freimaurerloge „Zum aufrichtigen Herzen“ war, was auch den Straßennamen erklärt. Seit der Wiedervereinigung ist das nunmehr der „Weltkugel Stiftung“ gehörende Haus u.a. wieder eine Heimstatt der Freimaurer. (oben in der Mitte)
Schräg gegenüber mit dem Haupteingang in der Großen Scharnstraße befindet sich das Hauptgebäude der Europa-Universität Viadrina, die 1991 neu gegründet wurde. Sie ist Nachfolgerin der 1506 von Kurfürst Joachim I. gegründeten und 1811 nach Breslau verlegten Brandenburgischen Universität Frankfurt (Alma Mater Viadrina).
Hinter dem Universitätsgebäude ist längst der Turm der St.-Marien-Kirche aufgetaucht. Sie ist eine der größten Kirchen der norddeutschen Backsteingotik. Mit ihrem Bau wurde unmittelbar nach der Stadtgründung 1253 begonnen, aber erst etwa 250 Jahre später waren die Bauarbeiten abgeschlossen - 1521/22 fanden im Zusammenhang mit der Gründung der Viadrina die letzten bedeutenden Erweiterungen statt. Ursprünglich hatte die Kirche zwei Türme, aber der südliche Turm stürzte 1826 ein und wurde nicht wieder aufgebaut.
Im Zweiten Weltkrieg nahm die Kirche erheblichen Schaden. Zusammen mit der ganzen Frankfurter Innenstadt im April 1945 wurde auch die St.-Marien-Kirche zerstört. Da die Kirchengemeinde nicht genug Mittel besaß, um die Kirche vollständig zu restaurieren, hat sie diese 1974 für 99 Jahre an die Stadt verpachtet. Die von der Stadt begonnene Restaurierung konnte nach der Wiedervereinigung beschleunigt werden und fand 2009 mit dem Einbau der aus Moskau zurückgekehrten Fensterbilder ihren Abschluss. Jetzt wird die Kirche für kulturelle Veranstaltungen genutzt.
Unter den vielen Figuren rings um das Nordportal der Kirche findet sich auch eine des Apostels Jakobus, zu dessen vermeintlichen Grab im spanischen Santiago de Compostela letztlich alle als „Jakobsweg“ bezeichneten Pilgerwege in Europa führen.
Hier, auf dem Oberkirchplatz neben der St.-Marien-Kirche, beginnen die beiden ostbrandenburgischen Jakobswege: Die Nordroute über Müncheberg nach Bernau und die Südroute über Fürstenwalde und Erkner nach Teltow, die ich in den nächsten Tagen laufen will.
Gern hätte ich vor dem Abmarsch einen Blick hineingeworfen und so, wie es sich eigentlich gehört, die Pilgertour in einer Kirche und nicht irgendwo unter einem Straßenschild begonnen. Aber ich war einen Tag zu früh. Ein Schild an der Tür verkündete, dass die Kirche erst ab 1. Juni geöffnet ist.
Vom Oberkirchplatz geht es zunächst zurück zur Ecke mit dem Postamt, wobei man entweder den Oderturm umkurven oder durch die Oderturm-Passage unterqueren kann.
An der Kreuzung führt der Weg über die Karl-Marx-Straße und dann vorbei an der nach dem Gartenbaumeister Peter Joseph Lenné (1789 bis 1866) benannten Einkaufspassage.
Die Südroute des Jakobsweges, die recht großzügig beschildert ist, verläuft zunächst entlang der Heilbronner Straße genau gen Westen. Rechts wird die Straße unter anderem von einer langweiligen Kaufland-Fassade gesäumt, auf der anderen Seite kann man eine noble Villa mit Anwaltskanzlei, das heruntergekommene „Lichtspieltheater der Jugend“ und eine altmodische Schrankwand auf dem Dach eines Möbelhauses entdecken.
Die Schilder, die den Gehweg markieren, verkörpern leider noch alte Geschlechterrollen und diskriminieren Väter und Großväter, die hier gern mit ihren Kindern oder Enkeln spazieren gehen würden.
Ich trau mich trotzdem, den Weg zu benutzen und gelange an eine Straßengabelung, die wunderschöne alte Häuser und grauenhafte Ruinen zu bieten hat.
Im Straßendreieck thront ein zweigeschossiges Gebäude mit leeren Fensterhöhlen, das sehr nach einer militärischen Hinterlassenschaft aussieht.
Auf der rechten Seite hingegen kann man in der Rudolf-Breitscheid-Straße aufwändig restaurierte alte Wohn- und Geschäftshäuser mit meist schneeweißer Fassade erkennen.
An der Gabelung ist der rechte Abzweig zu nehmen, der nach Überqueren der B 112 zur Fürstenwalder Straße wird. Die führt am Kleistpark vorbei und wird nach einer langen S-Kurve unter der Bahnlinie hindurch zur August-Bebel-Straße.
Hier kann man noch die guten alten Tatra-Bahnen bestaunen, die bei uns inzwischen fast restlos verbannt sind.
Auf der linken Seite erscheint bald ein interessantes Gebäude-Ensemble:
Zwei geschwungene Gebäude mit einer Tordurchfahrt dazwischen, die einen Vierteilkreis bilden und einen begrünten Platz nach Westen hin begrenzen. Das ist der Kießling-Platz, benannt nach dem Architekten Martin Kießling (1879 bis 1944), der in den 1920er Jahren die Entwürfe für die hier beginnende Gartenstadt lieferte.
Die Straße, die durch das mit Putten besetzte Tor führt, ist die Mittelachse der Wohnsiedlung Paulinenhof, die seinerzeit für etwa 300 Mitarbeiter der nach Frankfurt verlegten Reichsbahndirektion Ost geschaffen wurde. Die Siedlung hat einen sehr originellen Grundriss mit mehreren bogenförmigen Häusern und steht seit 1993 unter Denkmalschutz.
500 Meter weiter trifft man rechts auf die 1880 errichtete Kaserne des preußischen Grenadier-Regiments Prinz Karl von Preußen Nr. 12.
Sie ist Teil einer derzeit von Privatinvestoren ent­wickelten „Wohnanlage West“.
Die Häuser auf beiden Seiten der August-Bebel-Straße sind fast ausnahmslos „in Schuss“. Die Fassaden sind farbenfroh gestaltet und durch attraktive Erker und Balkons aufgelockert. Und auch am Fahnenschmuck der Häuser ist nichts auszusetzen!
Auf der linken Seite verweist ein Schriftzug an der Fassade auf die Baugenossenschaft der Mietervereine.
Die roten Klinker haben dem Haus auf der rechten Seite den Namen „Rote Kaserne“ eingebracht.
Dort, wo die August-Bebel-Straße in die Fürstenwalder Poststraße übergeht, führt der Jakobsweg nach links (Süden) in die Nuhnenstraße.
Die Jakobswegschilder zeigen an, dass es so über Lichten­berg nach Pillgram geht.
Schon vor dem Abzweig ist „Polizei“ ausgeschildert, wofür es gleich mehrere Gründe gibt, da sich auf der rechten Seite der Nuhnenstraße sowohl die Polizeidirektion Ost, als auch das Polizeirevier Frankfurt (Oder) befindet.
Die Polizeidirektion Ost ist die flächenmäßig größte der vier Polizeidirektionen des Landes Brandenburg und umfasst die Landkreise Uckermark, Barnim, Märkisch-Oderland, Oder-Spree und die kreisfreie Stadt Frankfurt (Oder). Ihr unterstehen die Polizeiinspektionen in Prenzlau, Bernau, Strausberg und Fürstenwalde sowie zehn Polizeireviere, darunter das gleich nebenan befindliche Polizeirevier Frankfurt (Oder).
Das übergeordnete Polizeipräsidium befindet sich zwar in Potsdam in der Kaiser-Friedrich-Straße, hat hier aber einen Parkplatz ...
Interessanter als der Fakt, dass sich die Polizeidirektion mit dem Titel „Polizeipräsidium Ffo.“ schmückt, ist die Geschichte des von ihr und dem Polizeirevier genutzten Geländes.
Es handelt sich um die ehemalige „Hornkaserne“, die nach dem Zweiten Weltkrieg als zentrales Aufnahmelager für die aus dem Osten heimkehrenden Kriegsgefangenen eingerichtet wurde. Im Lager Hornkaserne (Kriegsgefangenenlager 69 Frankfurt Oder) wurden die Ankommenden erfasst und entlaust und dann in das drei Kilometer entfernte Lager Gronenfelde gebracht, von wo aus sie später in ihre Heimat-Regionen transportiert wurden. Insgesamt sind von 1946 bis 1950 1,2 Millionen Kriegsgefangene und Zivilinternierte durch das Heimkehrerlager Gronenfelde geschleust worden!
Ein vom „Verband der Heimkehrer, Kriegsgefangenen und Vermisstenangehörigen Deutsch­lands e. V.“ errichtetes Denkmal vor der Hornkaserne mahnt mit den Worten „Völker entsagt dem Hass - versöhnt Euch! Dient dem Frieden in Freiheit - baut Brücken zueinander!“
Am nächsten Kreisverkehr steht der Wegweiser zu einer Kriegsgräberstätte. Folgt man ihm, so landet man am Tor des Gutshofes Nuhnen, wo verschiedene Firmen ihren Sitz haben. An der Wechselsprechanlage steht, wo Besucher der Kriegsgräber klingeln sollen - und gleich daneben verkündet ein Schild, dass ausgerechnet diese Klingel defekt ist.
Da kommt aber schon freundlicher Herr daher und schließt das Tor und gleich noch ein zweites auf.
Das zweite Tor führt schon wieder aus dem gewerblich genutzten Gutshof hinaus in den angrenzenden Gutspark, durch den sich ein Bächlein schlängelt, das einen kleinen Teich speist. Eine Brücke übers Wasser führt zu einer Wiese, auf der zunächst nur ein paar kräftige Bäume auffallen.
Beim genaueren Hinsehen entdeckt man aber unter diesen Bäumen mehrere Dreiergruppen steinerner Kreuze, wie man sie auf einigen Soldatenfriedhöfen zu sehen bekommt.
Auf der Infotafel zur Kriegsgräberstätte (wo sogar von fast 2 Millionen Heimkehrern aus der Sowjetunion die Rede ist) erfährt man, dass die im Lager Verstorbenen unter anderem auch hier auf dem ehemaligen Gutshof bestattet wurden.
Knapp 1900 davon wurden 1973/74 auf den Hauptfriedhof in Frankfurt (Oder) umgebettet. Aber viele konnten nicht gefunden werden, weshalb man hier diese Kriegsgräberstätte für eine unbekannte Opferzahl eingerichtet wurde.
Nach diesem Abstecher geht es auf der Kopernikusstraße in Richtung Süden über die Bahnlinie Berlin-Frankfurt (Oder). Von der Brücke hat man einen guten Blick auf die Stadt, deren Zentrum nun schon ein ganzes Stück weg ist.
500 Meter hinter der Brücke ist schon wieder Polizei, dieses Mal die Bundespolizeiinspektion Frankfurt (Oder). Aber kurz vorher geht es rechts ab in die Alte Nuhnenstraße.
Das ist ein gut asphaltierter Weg, von dem man gut das Gelände der Bundespolizei überschauen kann. Da erinnert einen nichts an Kasernen, die man selber mal erlebt hat.
Rechts taucht plötzlich ein Abzweig zum Friedensturm auf. Was sich dahinter verbirgt, weiß ich nicht, aber vielleicht bekommt man das raus, wenn man einfach dem Schild folgt.
Es geht auf Kopfsteinpflaster ziemlich steil bergauf und dann auf einem Plateau weiter am Feldrain. Zunächst sind nur Antennenanlagen zu sehen, aber dann taucht daneben ein hoher zylinderförmiger Turm mit 4 Fensterreihen auf.
Ein Schild am Zaun verrät, dass es sich um eine Wasserversorgungsanlage handelt - also ein Wasserturm.
Was der Turm zum Frieden beigetragen hat, wird vor Ort nicht erklärt. Bei Wikipedia ist nichts zu finden, aber auf der Web­seite der Frankfurter Wasser- und Abwassergesellschaft mbH (FWA) erfährt man wenigstens, dass der Turm 1951 erbaut werden musste, weil die Wehrmacht den Nuhnenturm als Vorgängerbau gesprengt hat und seitdem eine im Freien stehende Dampfmaschine die Stadt mit Wasser versorgte.
Wer was von da oben funkt, ist auch nicht rauszubekommen. Aber es sieht nach Amateurfunkern aus. Den privaten Funk­verkehr über Ländergrenzen hinweg könnte man durchaus als Frieden stiftende Maßnahme durchgehen lassen.
Ein bisschen verwirrt geht es zurück zur Alten Nuhnenstraße, die ebenso wie die ganze Nuhnenvorstadt nach einem ehemaligen Gutshof „Nuhnen“ benannt ist. Man muss also nicht versuchen, das zu übersetzen.
Der Weg ist über viele Kilometer hervorragend asphaltiert. Zunächst führt er durch Schatten spendenden Wald, dann zwischen Feldern mit wenigen Bäumen am Wegesrand.
Der Wanderer/Pilger ist nicht unbedingt glücklich ob der vielen Sonne, aber der Wein, der auf Hügeln am rechten Wegesrand wächst, freut sich bestimmt. Ob das die Rebsorte ist, bei der man sich nach dem Genuss mehrmals im Bett drehen muss, damit sie kein Loch in die Magenwand frisst?
Der Weg führt ziemlich genau geradeaus gen Süd-Westen. Er kreuzt die Chint Allee, die zur Müllroser Chaussee führt, und unterquert wenig später die A 112 nahe der Abfahrt 8 (Frankfurt (Oder) West).
Es läuft sich gut, aber auf dem Boden liegen viele Maikäfer, einige in Rückenlage, woraus sie sich nicht allein befreien können, andere hingegen „auf allen Sechsen“, aber regungs­los. Der Storch auf dem Acker hat sie noch nicht entdeckt.
Der Weg führt dann vorbei an einem großen Autobahn­rastplatz, der gerade erheblich erweitert wird.
Auf der rechten Seite sind jetzt Gräben ausgehoben, in welche Trink­wasserleitungen versenkt werden.
Ein Stück weiter, kurz vor Lichtenberg sind zusätzlich Gruben ausgehoben, aus denen Glasfaserkabel ragen.
Die dicken Bündel bunter Kunststoffrohre, in welche später die Glasfasern eingezogen werden, sehen lustig aus. Die könnte man sich durchaus bis ins Wohnzimmer legen lassen.
Gleich am Dorfeingang trifft man auf eine Hecke, die man bald nur noch vom Hubwagen aus schneiden kann. Bei weitem nicht so hoch ist die Jubiläumstanne im Dorfkern.
Lichtenberg und seine Dorfkirche wurden 1323 erstmals urkundlich erwähnt. In den Hussitenkriegen und während des Dreißigjährigen Krieges haben Dorf und Kirche sehr gelitten. Die Kirche wurde zerstört und das Dorf lag lange wüst.
Im April 1945 wurden Dorf und Kirche erneut stark zerstört, bei der Bodenreform wurde der letzte Gutsbesitzer enteignet.
Von der Rosengartener Straße aus ist von der Kirche nur der stark ausgebesserte Turm mit neuer Haube und großen Fenstern sichtbar, ein Kirchenschiff ist nicht auszumachen.
Beim Näherkommen, was von dieser Seite nur auf einem etwas verwilderten Pfad möglich ist, sieht man, dass der Rest der Kirche nur noch eine Ruine ist, die aber gesichert und nutzbar gemacht wurde. Die Seiten­wände des Kirchenschiffs sind bis auf die ursprüngliche Höhe hochgemauert und mit einer Metallabdeckung versehen worden, die Sakristei hat eine neue Eindeckung bekommen und durch die Fensteröffnungen ist ein textiles Dach im Altarraum zu sehen. Diese Sicherungs­maßnahmen sowie die Wiederherrichtung des Turms sind nach 2000 erfolgt, davor war die im Krieg zerstörte Kirche dem Verfall preisgegeben und als Baustofflieferant genutzt worden.
Wider Erwarten öffnet sich beim Betätigen der Klinke die Gittertür im Turm und man steht in einem „Treppenhaus“ mit einer soliden umlaufenden Holz-/Metalltreppe, die bis in den obersten Stock führt. Auf halber Höhe gibt ein vergittertes Turmfenster den Blick frei in das Kirchenschiff. Durch die innere Turmtür kann man aber auch ungehindert reingehen.
Im ordentlich gepflasterten Altarraum steht ein vermutlich neuer, auf Feld- und Mauersteinen errichteter und mit einer Granitplatte abgedeckter Altar sowie ein altes Taufbecken. Beides ist mit einer dreieckigen Plane überspannt, die durch Stahlseile gehalten wird und eine Nutzung der Ruine für Gottesdienste und andere Veranstaltungen zulässt.
Die vielen Sitzgelegenheiten, die im Erdgeschoss des Turms aufgestapelt sind, lassen vermuten, dass die Ruine tatsächlich immer mal benutzt wird.
Steigt man die Treppe im Turm bis ganz nach oben, dann steht man plötzlich in einem kleinen Museum. Unter anderem sind hier Reste der ehemaligen Kirchenausstattung zu sehen: eine Tür, Teile der Empore, ein paar Figuren und Verzierungen von Altar oder Kanzel und diverse Totenbretter, auf denen die Daten verstorbener Gemeindemitglieder vermerkt sind.
An einer Wand geben Texte und Bilder die Geschichte von Dorf und Kirche wieder, erzählen vom Dorf- und Gemeinde­leben und von den vielfältigen Initiativen zur Rettung der Kirche. In Bilderrahmen zwischen den Fenstern finden sich zudem viele Zeitungsberichte dazu. Ein Modell zeigt den vorherigen Zustand und macht deutlich, was geleistet wurde.
Auf der gegenüber liegenden (Süd-) Seite macht die Kirche einen anderen Eindruck. Hier sind am Turm zwei Fenster und eine Tür vermauert, aber am Kirchenschiff und an einem Anbau sind die Fensterhöhlen offen. Neben der Kirche steht ein Gedenkstein für die im Kriege 1914-18 gebliebenen Lichtenberger, umringt von Feldsteinen mit deren Namen.
Auf dieser Seite nimmt man auch erst wahr, dass die Kirche auf einem kleinen Hügels steht, an dessen Fuß der Dorfteich liegt. Zwischen Kirche und Teich laden ein Spielplatz und urige Bänke zum Verweilen ein. Hier findet sich auch ein ordentlicher Zugang zur Kirche. Alles macht einen sehr gepflegten Eindruck.
In der großen, 10-torigen Feuerwehrhalle standen zu DDR-Zeiten Röntgenzüge der Feuerwehr, jetzt teilen sich die Freiwillige Feuerwehr Lichten­berg und der Feuerwehr-Traditionsverein Frankfurt (Oder) die Räumlichkeiten.
Von Lichtenberg (seit 1947 in Frankfurt eingemeindet) führt ein nur spärlich beschatteter Weg nach Pillgram.
Die großen Lücken zwischen den Sträuchern geben den Blick frei auf Felder, die gerade bestellt werden.
Es geht wieder über die Autobahn A 12, die an diesem Montagvormittag fast ausschließlich von LKW's und scheinbar nur von Polen in Richtung Berlin befahren wird.
Auf der Gegenfahrbahn ist kaum jemand unterwegs.
An der Gabelung hinter der Autobahn ist mangels Schildern Ortskenntnis oder Intuition gefragt. Der Abzweig nach links (Nord-West) ist richtig.
Hier geht es bald durch ein kleines Wäldchen und vorbei am 93 Meter hohen Schinderberg. Als „Schinder“ wurde früher der Abdecker bezeichnet, der oft auch die Funktion des Henkers innehatte. Die Schirmmütze tief ins Gesicht gezogen komme ich mit schnellen leisen Schritten gut vorbei.
Hinter dem Wald weitet sich wieder der Blick: kein Baum, kein Strauch, kein Traktor und kein Storch - aber Windräder, die sich gerade mit Hilfe riesiger Kräne vermehren.
Angeblich sollen sich Windräder mit Störchen & Co. nicht gut vertragen. Man muss sich aber als Vogel schon ziemlich doof anstellen, um von einem Windrad zerhäckselt zu werden.
Pillgram, seit Ende 2002 ein Ortsteil der Gemeinde Jacobsdorf, rückt nun ins Blickfeld des Wanderers/Pilgers, der sich fragt, ob es sich bei diesem schmächtigen, scheinbar fenster­losen, verbretterten Turm mit flacher Haube um den Kirchturm oder um den Schlauchturm der Feuerwehr (oder um eine verkleidete Telefonzelle) handelt.
Um die Spannung nicht auf den Höhepunkt zu treiben: es ist der Kirchturm!
Aber - ehe die Kirche erreicht ist, bekommt man den lang­gestreckten, sehr ordentlichen Friedhof zu sehen. Außerdem ein Gehöft, auf dem nicht das Haupthaus (verputzt und beige gestrichen) die Attraktion ist, sondern der Schuppen (unverputzte Feld- und Mauersteine). Und man kommt an einem recht modernen evangelischen Pflegeheim vorbei.
Was man hier nicht unbedingt vermutet hätte: Ein Weingut mit Hofladen und Onlinehandel von Brandenburger Wein. Das Grundstück sieht sehr ordentlich und wird von einer großen hölzernen Weinpresse dominiert. Normalerweise finden hier auch mehrmals jährlich größere Veranstaltungen wie das Osterfeuer oder Weinproben statt, aber in diesem Jahr musste vieles davon ausfallen. Wünschen wir den Leuten, dass wieder bessere Zeiten kommen.
Schräg gegenüber dem Weingut schaut der Kirchturm über die Häuser. Es sind nur ein paar Schritte, bis man vor der (verschlossenen) Tür steht. Es ist schade, dass man an der gesamten Pilgerstrecke keine offene Dorfkirche findet.
Hier gibt es aber wenigstens vor der Tür viel über die Kirche, den Jakobsweg und das Pilgern im Allgemeinen zu erfahren.
Man ist sich nicht einig, ob der schon 1319 erwähnte Ort nach dem Orts­gründer Heinrich Pilgrim und/oder nach den hier auf der „via peregrinalis“ vorbei ziehenden Pilgern benannt ist.
Im 15./16. Jahrhundert und nach dem 30jährigen Krieg war eine Familie von Burgsdorff Gutsbesitzer in Pillgram - eine Name, der auch in der Blumberger Geschichte auftaucht.
Eine weitere Sehenswürdigkeit in Pillgram ist ein (leider verschlossenes) Giebellaubenhaus vom Ende des 16. Jahrhunderts. Von der Bauweise her ähnelt es den Häusern, die um 1938 in Mehrow bei der Aufsiedlung des ehemaligen Rittergutes gebaut wurden. Bei uns heißen sie Vorlauben-, Mittelgang-, oder Wohn-Stall-Scheune-Häuser.
An der alten Frankfurter Poststraße gelegen, war das Giebellaubenhaus 250 Jahre lang als Dorfkrug und Poststation der Mittelpunkt des dörflichen Lebens. Das 1991 restaurierte Haus beherbergt heute eine Sammlung alter Haus- und Wirtschaftsgeräte und wird gern für Feiern und Veranstaltungen genutzt.
Weiter geht es auf einem asphaltierten Rad-/Fußweg entlang der wenig befahrenen Landstraße nach Jacobsdorf, wobei wieder die Bahnlinie Berlin-Frankfurt gekreuzt wird.
Zweisprachige Schilder an den Laternen machen auf die Afrikanische Schweinepest aufmerksam, die gerade durch Wildschweine aus Polen zu uns gekommen ist.
An einem Gehöft auf halber Strecke grüßen ein alter Mühlstein im Zaun und ein Gartenzwerg den Wanderer.
Kurz vor dem Ort zweigt der Jakobsweg von der Straße ab und führt am Feldrain entlang im Bogen direkt zum Anger.
Ein Pfahl mit Jakobsmuschel zeigt, dass man richtig ist. Das bestätigt auch der Wegweiser am Abzweig nach Sieversdorf.
Beäugt von neugierigen Kühen betritt man Jacobsdorf. Der Ortsname wird auf einen Lokator Jacob zurückgeführt, der 1280 das Dorf gegründet hat. Der Pilger glaubt aber auch gern, dass der Jakobsweg Namensgeber war.
Das Gebäude an der Kreuzung von Dorf- und Hauptstraße sieht zwar wie eine kleine Kirche aus, ist aber das frühere Spritzenhaus, das (vermutlich zum Trocknen der Schläuche) mit einem kleinen Türmchen versehen wurde.
Um zur Dorfkirche zu kommen, muss man links in die Haupt­straße abbiegen. Hinter der Schulgasse versteckt sich auf einem mit großen alten Bäumen bestandenen Kirchhof eine sehr schöne Feldsteinkirche aus dem 13./14. Jahrhundert.
Die Kirche wurde 1860 nach Westen verlängert und ein ver­bretterter Turm aufgesetzt. Die Verlängerung kann man daran erkennen, dass sie in Ziegeln ausgeführt ist, während der Rest aus überwiegend geschichteten Feldsteinen besteht.
Unregelmäßigkeiten im Sockel und Verzierungen des Ost­giebels lassen erkennen, dass dieser mal erneuert wurde.
Die Wetterfahne auf dem Kirchturm zeigt das Jahr 2009, die letzte Restaurierung liegt also noch nicht lange zurück. Etwa zur gleichen Zeit ist der Jakobsweg durch das Dorf neu entdeckt worden. Ein Pfahl mit der Jakobsmuschel und dem Gesicht eines Pilgers an der Kirche trägt die Jahreszahl 2008.
Der gleich neben der Kirche gelegene Gasthof „Zum Erbkrug“ lässt das Herz des Wanderers höher schlagen - aber leider ist Montag und der alternativlose Gasthof hat geschlossen.
Da bleibt etwas Zeit, sich auf dem Anger umzuschauen. Neben der Kirche steht das Denkmal für die „... im großen Weltkriege [1914-18] nach heldenmütigem Ringen für das Vaterland gefallenen Krieger.“ An der Kirche steht die am Jakobsweg erfreulicherweise oft zu sehende Tafel mit Erklärungen zum Verlauf der brandenburgischen Jakobswege und zur Kirche des jeweiligen Dorfes. Das Pfarrhaus auf der anderen Straßenseite wird von einem geschnitzten Jakobspilger geziert. Hier wird man sicher als Pilger gern aufgenommen, wenn nicht gerade wegen Corona Beherbergungsverbot besteht.
Hinter der Gaststätte ist ein kleiner Spielplatz jüngeren Datums. Die in einen Baum eingewachsenen Eisenstangen lassen aber vermuten, dass hier schon vor den Bäumen Klettergerüste standen.
Hinter der Dorfstraße, die den Anger durchschneidet, trifft man auf den Dorfteich, der dicht mit Schilf umstanden ist.
Auf der Dorfstraße, die später zur Pflaumenallee wird, geht es aus Jakobsdorf hinaus. Eine farbenfroh mit einer Postkutsche in idyllischer Landschaft bemalte Trafostation teilt mit, dass es sich um den „Alten Post Cours“ Berlin - Frankfurt handelt.
Dass Pilger auf diesem halbwegs gesicherten Weg gen Westen gezogen sind, ist glaubhaft.
Bei Wikipedia heißt es: „Die unmittelbare Umgebung des Ortes ist landwirtschaftlich geprägt und nahezu waldfrei.“ So stellt sich das auch dar. Nach dem Abzweig der Straße „Thomasaue“ läuft man wieder durch endlos weit erscheinende Felder. Da freut man sich über jeden Strauch am Weg, der ein bisschen Schatten spendet.
Eine mächtige 380-kV-Freileitung zieht über die Felder hin und am Horizont sieht man dicht gedrängt die Windräder stehen, die über Umwege den Strom dafür liefern. Was wird denn mal mit den Windrädern passieren, wenn die altersschwach werden oder ausgedient haben, weil man eine angenehmere Art der Energieversorgung gefunden hat? Gleich nebenan hat man eine „Lösung“ dafür zu bieten.
Dort, wo ein großer Findling mit eingemeißelter Schrift verkündet, dass man am „Vorwerk Briesen“ steht, liegen rings um eine große Kuhkoppel aufgereiht etliche ausgediente Windradflügel als Umzäunung.
Hier hat offenbar ein Windradbetreiber kostengünstig seinen Sondermüll entsorgen können, weil sich jemand gefunden hat, der freiwillig solchen Müll auf seinem Grundstück platziert, um ein paar Meter Weidezaun zu sparen.
„Die Kuh im Propeller“ bekommt hier eine ganz neue Bedeutung!
Es ist ja nicht nur so, dass dieser Müll den Anblick der ansonsten beschaulichen Landschaft trübt. Irgendwann gibt der Bauer oder einer seiner Nachfolger die Landwirtschaft auf und dann liegen die Propeller völlig nutzlos in der schönen Gegend herum. Dann findet sich ganz sicher keiner mehr (außer vielleicht der Steuerzahler), der diese Zivilisationsreste entsorgt.
Bald trifft der Weg, den man sich jetzt mitunter mit großen Landmaschinen teilen muß, doch auf ein kleines Wäldchen.
Hier sollte man der vorgeschlagenen Route folgen und rechts abbiegen. Läuft man stattdessen geradeaus, ist man zwar schneller am Bahnhof, muss aber über ein staubiges, altes LPG-Gelände, das heute eine Recycling-Anlage beherbergt.
In Briesen (Mark) angekommen, staunt man über die große Schule westlich der Frankfurter Straße, die sehr ordentlich saniert und von tadellos geschnittenem Rasen umgeben ist. Eine Tafel am Schulgelände gibt Auskunft über die Geschichte des Gebäudes.
Die 1953-56 errichtete und nach dem dänischen Dichter Martin-Andersen-Nexö benannte Schule war die größte Landschule im Kreis Fürstenwalde und fungierte als Zentralschule für Briesen und acht umliegende Dörfer.
Von der Schule sind es nur noch ein paar Meter bis zum Bahnhof, von dem ich mit dem RE 1 nach Hause fahren und am nächsten Tag meine Wanderung fortsetzen will.
Dann werde ich mir auch den Rest des Ortes ansehen.
Jetzt bleibt bis zum nächsten Zug gerade noch Zeit, sich im nahen Supermarkt für die Bahnfahrt einzudecken - die Kaiserstuben im 1842 erbauten Bahnhofsgebäude sind leider geschlossen. Während „Corona“ wird nur für Gruppen nach Vorbestellung geöffnet.
Bei der späteren Recherche zum Ort erfahre ich, dass der Bahnhof am 1. November 1918 Schauplatz eines großen Eisenbahnunglücks war. Hier fuhr (kurz vor Kriegsende) ein Zug mit Militärurlaubern auf Güterwagen auf, die sich un­bemerkt von einem vorausfahrenden Güterzug gelöst hatten.
19 Menschen starben, darunter auch der Bremser, der im letzten Wagen eingeschlafen war. Dem Weichenwärter in Briesen fiel leider nicht auf, dass der halbe Güterzug fehlte ...
Da ich von der Gefahr, die dieser Bahnhof birgt, noch nichts weiß, steige ich ganz entspannt in den RE 1 nach Ostkreuz, von wo es mit der S-Bahn nach Hause geht.
Es war ein sehr abwechslungsreicher Tag, der in einer größeren Stadt begann und zwischen weiten Feldern endete. Einige interessante Orte lagen an der Strecke, nur leider zwischen­durch keine Möglichkeit einzukehren oder wenigstens die Vorräte im Rucksack zu ergänzen.
Aber das geht Wanderern bei uns am Berliner Stadtrand kaum anders.