Montag, 7. Juni 2021. In der vorigen Woche bin ich auf der Südroute des Jakobsweges bis Adlershof gelaufen, dort will ich heute fortsetzen. Als nächstes Etappenziel ist Lichtenrade ausgewiesen, aber vielleicht komme ich ein Stück weiter.
Die S-Bahn bringt mich nach Adlershof, wo ich gleich den Ausgang nehme, der zu den Fernsehstudios führt. In dem seinerzeit modernsten habe ich in den 70er Jahren als Lehrling Kabel verlegt, jetzt finde ich es kaum wieder.
Inzwischen gibt es hier einige Produktionsfirmen, die vorhandene Studios nutzen. In einem großen Gebäude ist der „Adlershofer Fundus“ untergebracht. Dieser Kostüm- und Requisitenverleih existiert hier schon seit 1952 und ist aus Beständen der 1920 gegründeten Johannisthaler Filmanstalt (JOFA) und des Deutschen Fernsehfunks hervorgegangen.
Die Hauptstraße des Quartiers heißt „Am Studio“, einige Seitenstraßen sind nach Filmschaffenden benannt.
Am Ende der Straße fällt ein großes Gebäude mit einem geschwungenen, dicht begrünten Dach auf. Hier ist ein IT-Unternehmen ansässig, das unter anderem die Digitalisierung in Krankenhäusern voranbringen will. Für eine deutsche Webseite hat es aber nicht gereicht ...
Vor mir liegen die Alte und die Neue Altglienicker Brücke.
Die Alte wurde 1904/06 zusammen mit dem Teltowkanal gebaut, im April 1945 von der Wehrmacht gesprengt, 1949/50 gehoben und rekonstruiert, jedoch 1993 wegen Mängeln teilweise gesperrt. Die Neue wurde 1995 gebaut, war aber zu tief und musste 2003 für 750.000 € angehoben werden.
Auf der anderen Seite des Teltowkanals bin ich schon auf dem Jakobsweg, welcher durch die Kleingartenanlage „Lunapark“ zum Korkedamm führt, der direkt am Ufer verläuft. Später geht es im Zickzack zur Semmelweisstraße. Der „offizielle“ Weg biegt links in die Wegedornstraße und führt dort, wo die Straße abbiegt, weiter geradeaus unter der Autobahn hindurch.
Man kann aber auch die Semmelweisstraße bis zum Park hinter der Straße „Am Glinigk“ weiterlaufen, auf einem schmalen Weg direkt am Kanalufer die Autobahn unterqueren und sich dahinter auf dem Weg parallel zur Autobahn gen Süden laufen.
Am Fuße der (mit 70 m fast als Berg zu bezeichnenden) Rudower Höhe treffen beide Wege wieder aufeinander. Ab hier geht es parallel zur Autobahn auf dem „Berliner Mauerweg“.
Wählt man die zweite Variante, bekommt man sogar noch etwas von der Berliner Mauer zu sehen, die in etwa auf der jetzigen Autobahntrasse verlief. Nördlich der Rudower Höhe ist nämlich noch ein Stück Hinterlandmauer erhalten.
In diese hat man Durchgänge zu einem aus Rudow kommenden Wanderweg geschlagen. Um so genannten Mauerspechten die Arbeit zu erschweren, ist die Betonmauer mit einem Metallzaun umgeben, was ziemlich makaber wirkt.
Viele kleine Fußgängerbrücken über die Autobahn und im späteren Verlauf auch mehrere Tunnel sorgen dafür, dass die A 113 kein Hindernis für die Begegnung von Menschen aus dem Osten (Altglienicke) und aus dem Westen (Rudow) ist.
Man spaziert, wandert (bzw. pilgert), joggt oder radelt gemeinsam auf dem asphaltierten Mauerweg und kann dabei schnell vergessen, dass hier einst zwei Welten aufeinander trafen und Begegnungen nahezu unmöglich waren.
Damit die Mauer und das mit ihr verbundene Unrecht nicht ganz in Vergessenheit geraten, gibt es entlang des Weges mehrere Stelen, die der Maueropfer gedenken und Tafeln, die den exakten Verlauf von Grenze und Mauer ausweisen.
Da auch die Mauerbauer nicht uneingeschränkt über Beton verfügten, ist die Mauer nicht jedem Zipfel der Grenze gefolgt.
Hin und wieder haben Erich und Konsorten einst auch mal ein paar Quadratmeter dem Klassenfeind überlassen, um Beton zu sparen und das Schussfeld zu optimieren.
Eine Infotafel erinnert übrigens an den Spionagetunnel, den die Amerikaner 1955 von Rudow aus gebaut haben, um die entlang der Schönefelder Chaussee im Osten verlaufenden Telefonleitungen der Sowjets anzuzapfen. Ein Stück dieses Tunnels kann man jetzt im Alliierten-Museum bestaunen.
Die Autobahn, die vorbei am Berliner Flughafen BER und dahinter vereint mit der A 117 zum Schönefelder Kreuz führt, verläuft meist in einem Trog oder ist von hohen Schallschutz­wänden flankiert, so dass man auf dem Mauerweg fast nichts von ihr mitbekommt.
Da, wo sie durch einen Tunnel läuft, befinden sich großzügige Parkanlagen oder auch mal Baumpflanzungen mit ganz strenger Geometrie. Dazwischen immer wieder Bänke.
Wo Osten ist, erkennt man nicht nur an den „Eisern Union“-Graffitis, sondern auch an den Hochhäusern. Die gehören zum 1987 bis 1991 errichteten Altglienicker „Kosmosviertel“ mit Venus-, Sirius-, Uranusstraße und dem Pegasuseck.
In der dahinter liegenden Eigenheimsiedlung heißen die Straßen weniger spektakulär Apfel-, Birnen-, Pfirsich- oder Quittenweg. Auch Froschsteg, Krötengang, Molchstraße und ein Blindschleichengang sind da zu finden.
Auf der Westseite der Autobahn sind vorwiegend Klein­gärten, dahinter höchstens mal ein mittelprächtiges Wohnhaus.
Hinter den Baumschulen Ewald Fischer, die den Weg eine Weile begleitet haben, entfernt sich dieser allmählich von der Autobahn und führt nun durch den „Landschaftspark Rudow-Altglienicke“, der durch Wasserbüffel beweidet wird.
Dort, wo die Autobahn aus ihrem zweiten Tunnel kommt und die Ausfahrt Schönefeld-Nord angekündigt wird, knickt der Jakobsweg nach rechts ab. Er verläuft weiter auf dem Mauerweg, jetzt ist es aber der Grenzweg zwischen Westberlin und dem Brandenburger Umland.
Das erste Bauwerk, auf das man auf Westberliner Gebiet trifft, ist die Imbiss-Bude „Am Ziel“ (unten links), die auf der Ecke eines Privatgrundstücks steht, aber leider zu ist.
Nach wenigen Metern stößt man auf die Waltersdorfer Chaussee, an der sich einst ein Grenzübergang für jene Westberliner befand, die vom „Ostberliner“ Flughafen Schönefeld billig in den Urlaub fliegen wollten.
Heute zeigt nur ein Ortsausgangsschild an, dass hier die (West-) Berliner Stadtgrenze ist, früher war es die Mauer.
Auf den nächsten Metern liegt rechts vom Mauerweg der Südpark, der aber nur Gras und Bäume zu bieten hat.
Dahinter zeigt sich ein modernes Wohngebiet mit teilweise ausgefallenen Viergeschossern.
Dem Südpark schließt sich ein kleines Birkenwäldchen mit einem schön anzusehenden Baumhaus als Attraktion an.
Ab der Schönefelder Straße nimmt der Mauerweg aus unerfindlichen Gründen eine „vorübergehende“ Umleitung.
Der Jakobsweg schwenkt indes nach links und gleich wieder nach rechts und verläuft weiter auf einem Postenweg im ehemaligen Mauerstreifen. Auf der linken Seite sind Pferdekoppeln und dahinter Schönefelder Neubauten, auf der rechten Seite Weiden für Schafe, Ziegen und Hochlandrinder. Überall kann man jetzt, Anfang Juni, Jungtiere in den Herden entdecken.
Es geht nun vorbei am 86 m hohen „Dörferblick“, der den südwestlichsten Zipfel von Rudow belegt. Der schon 1958 entstandene Trümmerberg wurde nach dem Mauerbau auch als Westberliner Müllkippe benutzt, dann aber in den 1970er Jahren zum Naherholungsgebiet gemacht. Den Berg zu erklimmen lohnt sich, da man von dort einen guten Blick auf den Flughafen und die umliegenden Dörfer - und natürlich nach Berlin hinein hat.
Ich war schon mal oben, darum lasse ich den Berg aus - und verlaufe mich stattdessen.
Dort, wo die Stadtgrenze nach Norden abknickt, hätte ich einen Weg nehmen sollen, der direkt nach Großziethen führt.
Den Abzweig habe ich nicht wahrgenommen, obwohl ich vermutlich dort einen „Meilenstein“ mit Wappen und Richtungsangaben fotografiert habe. Diese Steine findet man überall im Gemeindegebiet von Schönefeld.
Ich laufe also weiter entlang der Stadtgrenze, zunächst durch die „Parkanlage am Dörferblick“ und dann durch ein kleines Wäldchen. Der Weg führt auf die Gropiusstadt zu, eine 1962 bis 1975 im Westberliner Stadtbezirk Neukölln entstandene Großraumsiedlung mit rund 18.500 Wohnungen.
Der Blick erinnert einen daran, dass man ganz dicht an der Großstadt ist, von der man auf dem Weg an der Grenze gar nichts mitbekommt. Ringsum ist eigentlich nur Natur.
An der Groß-Ziethener Chaussee / Rudower Allee angelangt, biege ich nun endlich nach Großziethen ab. Der Weg verläuft jetzt auf Asphalt unter Bäumen parallel zur Straße, die nur mäßig befahren ist und eine Geschwindigkeitsbegrenzung hat. Der Straßenlärm hält sich damit in Grenzen.
Die Sonne steht inzwischen hoch und macht ordentlich Hitze. Da bin ich froh, hier unter Bäumen zu laufen, statt auf dem verpassten Weg zwischen den Feldern.
Der Blick fällt immer wieder auf die Silhouette der Gropiusstadt. Der Architekt Walter Gropius (1883-1969), der sie entworfen hat, wollte eigentlich maximal Fünfgeschosser bauen und diese locker anordnen. Der Mauerbau brachte aber die Notwendigkeit, hier dichter und höher zu bauen, da eine Abwanderung der Westberliner ins Umland nicht mehr möglich war.
Das in der Mitte herausstechende Wohnhochhaus Ideal in der Fritz-Erler-Allee zählt mit 30 Wohnetagen und 89 Metern Höhe zu den höchsten Wohngebäuden Deutschlands.
Ins Blickfeld gerät bald die Müllkippe zwischen Großziethen und der Gropiusstadt. Wegen der guten Aussicht von der Spitze wird sie auch „Skypoint“ genannt oder wegen der dort installierten Solaranlagen ganz einfach „Solarberg“.
Der politisch im Osten liegende Berg ist Anfang der 1970er Jahre entstanden und zwar aus Westberliner Hausmüll, der über einen eigenen Grenzübergang angefahren und hier abgekippt wurde. Insgesamt etwa 4,5 Millionen Tonnen, was sich die DDR gut bezahlen ließ.
Großziethen wurde um 1300 durch Jacobus de Cziten gegründet, was gut zum Jakobsweg passt. Seit 1608 gab es hier ein Rittergut der Familie Bardeleben, die schon 80 Jahre zuvor Anteile am Dorf erworben hatte. 2003 wurde Großziethen zwangsweise nach Schönefeld eingemeindet.
Großziethen ist auf drei Seiten von Westberliner Ortsteilen umgeben: im Osten Rudow, im Norden Buckow und im Westen Lichtenrade. Im Süden liegt Kleinziethen.
Die Straße, die sich durch das Angerdorf zieht, kommt aus dem Westen und führt in den Westen. Zu Mauerzeiten wird deshalb nicht viel Verkehr gewesen sein. Jetzt ist das anders, weshalb an beiden Enden des Dorfes solche Blitzer stehen.
In den 1970er Jahren lag die Einwohnerzahl knapp über 1700, 2018 waren es zusammen mit Kleinziethen fast 8300.
In der Straße „Alt Großziethen“, die den Anger umspannt, kommt man an einem alten Schulgebäude vorbei, in dem sich jetzt der Hort der nahen Paul-Maar-Grundschule befindet.
Benannt ist die Schule nach dem in Bamberg lebenden Kinderbuchautor Paul Maar (geb. 1937), der durch das Buch „Eine Woche voller Samstage“ von 1973 bekannt wurde.
Nebenan befindet sich das moderne evangelische Gemeinde­zentrum und gegenüber auf dem Anger die alte Dorfkirche, umgeben von einem verwunschen aussehenden Friedhof.
Früher hätte man gesagt „da muss mal gemäht werden“, heute gilt man dann als Umweltfrevler und macht sich keine Freunde, denn sicher sieht es den Bienen zuliebe hier so aus.
Die Feldsteinkirche stammt aus dem 13. Jahrhundert, was man ihr nicht ansieht, da der 1877 angebaute neugotische Turm aus roten Ziegelsteinen das Bauwerk dominiert.
Gleich nebenan steht „Küsters Scheune“, in der vermutlich einst der Küster sein Getreide untergebracht hat und wo sich jetzt Veranstaltungsräume der Kirchengemeinde befinden.
Ebenfalls auf dem Anger befindet sich ein Gebäude, das erst 2013 eröffnet wurde, aber den Namen „Alte Wache“ trägt.
Früher war das ein Feuerwehrdepot, heute sind hier die Traditionsfahrzeuge der Gemeinde Schönefeld und andere historische Geräte untergestellt. Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr wollen hier ein kleines Museum einrichten.
Ein Stück weiter westlich trifft man auf ein im 19. Jahrhundert errichtetes Tagelöhnerhaus, in dem sich ein Trauzimmer, ein Sitzungsraum der Gemeinde und momentan auch ein Corona-Testzentrum befinden. In diesem Haus hat der Ortsbeirat von Großziethen seinen Sitz.
Auf der Tafel an der Tür erfährt man, dass dieses Haus in einer im 12./13. Jahrhundert für Kirchen und Klöster üblichen Bauweise (außen Feldsteine, innen Ziegel) errichtet wurde, die eine gute Wärmeisolierung bietet.
Hinter dem Kreisverkehr, wo die aus Buckow kommende Karl-Marx-Straße den Jakobsweg kreuzt, trifft man in der Lichtenrader Straße auf die Evangelische Schule Schönefeld, ein Gymnasium, das im September 2011 eröffnet wurde.
Den Segen bekommt die Schule vom fernen „St. Walter“, dem Berliner Fernsehturm mit dem Kreuz auf der Kugel.
Großziethen grenzt unmittelbar an den Berliner Ortsteil Lichtenrade. Vor der Grenze kommt man noch am „Ponyhof“ und am Restaurant „Zur märkischen Landfrau“ vorbei.
Die Hochhäuser gleich hinter der Grenze gehören zur 1973 bis 1977 entstandenen Wohnsiedlung in der Nahariya- und Skarbinastraße, in der 5000 Menschen leben.
Der Jakobsweg schwenkt an der Stadtgrenze wieder nach links auf den Mauerweg, der um Lichtenrade herum führt, aber ich entschließe mich, quer durch den Ort zu laufen.
Ein kleines bisschen fehlt mir der Glaube daran, dass die Jakobspilger im Mittelalter dort gelaufen, wo hunderte Jahre später eine Mauer gebaut wurde. Die werden wohl eher durch die Dörfer gezogen sein, wo sie Essen, Herberge und eine Kirche gefunden haben. Aber die Idee, den „neuen“ Jakobsweg auf den geschichtsträchtigen, am Trubel der Stadt vorbei im Grünen verlaufenden und überwiegend beschatteten Mauerweg zu legen, ist zweifellos gut.
Hinter der Nahariyastraße, die nach der israelischen Partnerstadt von Tempelhof benannt ist, überquert man den gerade wasserlosen Lichtenrader Graben und kommt an einer kleinen Parkanlage vorbei. Gegenüber steht ein Neubaublock mit großen, halb verglasten Balkons.
An der Straße „Alt-Lichtenrade“ geht es dann nach links in Ortskern des alten Angerdorfes Lichtenrade. Hier stehen schöne alte Häuser und noch mehr, was des Pilgers Herz erfreut: Ein Gartenrestaurant in der alten Feuerwache (zusammen mit der Kita), eine sehenswerte Dorfkirche mit Resten eines Friedhofs und einen Dorfteich mit einer Parkanlage.
Lichtenrade wurde vermutlich um 1230 gegründet, aber erst 1375 erstmals im „Landbuch“ erwähnt. Unter den früheren Besitzern werden auch „die von Krummensee“ erwähnt, die bekanntlich in Altlandsberg ansässig waren.
1920 wurde Lichtenrade nach Groß-Berlin eingemeindet und dem Stadtbezirk Tempelhof zugeordnet.
Die schlichte Feldsteinkirche auf dem Anger wurde Anfang des 14. Jahrhunderts erbaut. Ein um 1660 angebauter Turm, musste 1810 wegen Baufälligkeit abgetragen werden.
1902 wurde der jetzige quadratische Turm erbaut. Sein steiler Schieferhelm wurde nach dem Brand der Kirche infolge eines Bombenangriffs durch ein schlichtes Satteldach ersetzt.
Auf dem Kirchhof, der längst nicht mehr für Bestattungen benutzt wird, stehen zwischen hohem Gras und Efeu noch einige alte Grabsteine. Zum Beispiel die der Familie Hoppe (oben links), die je einen Land- und Gastwirt hier bestattet hat.
Gleich hinter der Kirche befindet sich der Dorfteich, der auf einer Seite dicht mit Schilf bestanden und auf der anderen Seite von einer kleinen Parkanlage eingerahmt ist.
Obwohl viele Leute in der Parkanlage spazieren oder auf den Bänken sitzen, liegen und stehen dort Blässhühner, Enten, Wildgänse usw. herum, als wäre niemand in der Nähe.
Am Südende des Angers stößt man auf die B 96, die als Lichtenrader Damm aus dem Norden kommt und als Kirch­hainer Damm nach Süden in Richtung Mahlow verschwindet.
Hat man diese Straße an der Ampel überquert, steht man in der Goltz-Allee, von der ein Stück weiter die Bahnhofstraße abzweigt, die direkt auf den S-Bahnhof Lichtenrade zu läuft.
Kurz vor dem Bahnhof ist die Straße komplett gesperrt, weil dort eine Bahnunterführung gebaut wird.
In der Bahnhofstraße und insbesondere an deren Ende sind zwar einige Geschäfte, Gaststätten und Imbisse, aber nichts, weshalb man einen Tagesausflug hierher machen müsste.
Allerdings weckt eine Kirche im Stil der Neuen Sachlichkeit auf der linken Seite des Bahnhofs­vorplatzes mein Interesse. Es ist die unter Denkmalschutz stehende katholische Salvator-Kirche, die 1930-1933 nach einem älteren Entwurf erbaut und 1954-1956 umgebaut und erweitert wurde.
Eine Besonderheit dieser Kirche ist schon mal die offene Tür.
Ein leichter Druck auf die Klinke mit der Form eines Fisches öffnet die schwere, kupferbeschlagene Tür. Man gelangt so in einem Raum, der zum Kirchenschiff hin verglast ist und den Blick frei gibt auf den im süddeutschen Barock gehaltenen Innenraum und den von einem Christusbild dominierten Altar.
Bemerkenswert ist, dass hier Sonntags drei Heilige Messen und außerdem am Samstag­abend eine Vorabend-Messe gehalten werden. Und vermutlich nicht vor leeren Bankreihen.
Die Bezeichnung der auf dem Kirchengrundstück befindlichen Kita „Mini-Kids Salvator“ ist eine echte Alternative zum „Potsdamer Postkutscher“: Elterninitiativkindertagesstätte.
Am Bahnhof Lichtenrade wird gegenwärtig der beschrankte Bahnübergang durch eine Unter­führung ersetzt, die abgetrennt von den Auto-Fahrspuren auch Fußgängerwege haben wird. Über der Unterführung wird dann ein neuer S-Bahnsteig gebaut, der von unten über Treppen und Fahrstühle zu erreichen sein wird. Bis es soweit ist, wird es noch eine Weile dauern.
Für Autos gibt es momentan keine Möglichkeit die Bahn zu überqueren. Für Fußgänger es möglich, wobei das Passieren der Baustelle durch einen gezimmerten Gang zu erfolgen hat.
Wer das überstanden hat, ist in der Prinzessinnenstraße, die anders als die Bahnhofsstraße keinerlei Kommerz zu bieten hat, sondern wie eine Dorfstraße durch eine Eigen­heim­siedlung führt. Am Ende der Straße stehen ein paar Steine als Sperre, vor ein paar Jahren war hier noch die Mauer.
Nach ein paar Schritten durch das Wäldchen am Ende der Prinzessinnenstraße ist man schon wieder auf dem Berliner Mauerweg, auf dem auch der Jakobsweg verläuft.
Ich biege also rechts in den Mauerweg ein und verfolge ihn wie ausgeschildert bis zur Marienfelder Allee (B 101), wobei die Marienfelder Neubauten immer näher rücken.
Nach ein paar Knicken ist dann der Blick freigegeben auf die drei Blöcke des Heizkraftwerks Lichterfelde der Vattenfall Wärme Berlin AG (oben links) mit ihren 158 Meter hohen Kaminen. Das Gaskraftwerk versorgt nach dem Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung 100.000 Haushalte mit Fernwärme. Die thermische Leistung beträgt 650 MW, die elektrische Leistung 432 MW.
Weit hinten am Horizont ist auch der 212 Meter hohe Fernmeldeturm Schäferberg zu sehen, der hinter Wannsee im Düppeler Forst steht. Er wurde 1954 in Betrieb genommen.
Die Hochhäuser (oben rechts) gehören zur Lichterfelder „Thermometersiedlung“, die so genannt wird, weil es hier die Celsius-, Fahrenheit- und Réaumurstraße gibt.
Auf der Hälfte des Weges entlang der Marienfelder Grenze führt der Mauer- und damit auch der Jakobsweg über die B 101, die von Berlin bis nach Aue im Erzgebirge führt.
Der nächste Ort an der B 101 ist Großbeeren, bekannt durch die Schlacht im August 1813, in der General Bülow mit seinen preußisch-russischen Truppen die Franzosen und ihre sächsischen Verbündeten geschlagen hat. Das hat Berlin vor einem erneuten Einzug Napoleons bewahrt. 100 Jahre später ist zur Erinnerung daran in Großbeeren ein Gedenk­turm errichtet worden, der ein kleines Museum und eine Aussichtsplattform beherbergt.
Die Sachsen werden sich auch ohne Gedenkturm daran erinnern, denn Ihr Zusammengehen mit Napoleon hat ihnen beim Wiener Kongress die Lausitz gekostet.
Die Napoleon-Kriege liegen lange zurück und auch der Kalte Krieg (oder besser: die erste Runde des Kalten Krieges) ist schon eine Weile her. Außer dem Mauerweg erinnern nur noch die vereinzelten Info-Stelen an die Mauer rings um Westberlin. Hier erzählen sie nicht von Einzelschicksalen, sondern vom Notaufnahmelager Marienfelde, in dem seit 1953 geflüchtete DDR-Bürger untergebracht wurden - bis 1990 waren es insgesamt 1,35 Millionen.
An der Grenze zu Lichterfelde biegt der Jakobsweg links ab und führt auf dem ehemaligen Mauerstreifen um Lichterfelde herum. Ich will hier aber für heute Feierabend machen und deshalb den nächstgelegenen S-Bahnhof ansteuern.
Darum nutze ich einen Trampelpfad zum Grenzübertritt und gelange auf den Jenbacher Weg und im Zickzack durch das angrenzende Wohngebiet auf den Lichterfelder Ring.
Der Lichterfelder Ring führt vorbei an einer Grünanlage, die nach dem ehemaligen „Bundesminister für Vertriebene“ (1965), Dr. Johann Baptist Gradl (1904-1988), benannt ist, und an einer Kleingartenanlage, die ihren Namen von einer Rodelbahn in der Grünanlage hat.
Ab der Osdorfer Straße geht es auf dem ziemlich vermüllten „Landweg“ vorbei an einer Sportanlage hinein in die „Thermosiedlung“, wie die 1968-1974 errichtete Plattenbau-Großsiedlung mit ihren 60 Häusern auch kurz genannt wird.
Der Landweg mündet in die Réaumurstraße, die direkt zum S-Bahnhof Lichterfelde-Süd führt. Dort wimmelt es an Halte­stellen, weil am Bahnhof mehrere Buslinien der BVG ihre Endstation haben. Eine Rampe führt einer Unterführung der Bahngleise, von der aus der Bahnsteig erreicht werden kann.
Mit der S 25, die zwischen Teltow-Stadt und Hennigsdorf verkehrt, komme ich zum S-Bahnhof Friedrichstraße und von dort mit der S 7 nach Hause.
Teltow ist das offizielle Ende der Südroute des Jakobsweges.
Bis dort (und weiter bis Saarmund) bin ich am nächsten Tag gelaufen - und ein weiteres Mal auf der Etappe Berlin-Teltow des Weges von Stettin nach Leipzig entlang der „via imperii“, dann wie ausgeschildert, von Marienfelde kommend um Lichterfelde herum. Davon erzähle ich später.