Es ist Donnerstag, der 30. September 2021. Heute steht die letzte Etappe der dreitägigen Wanderung auf dem Jakobsweg entlang der Via Imperii von Stettin nach Angermünde an.
Ich habe im „Wassertouristischen Zentrum“ von Schwedt wunderbar genächtigt und bin schon im Morgengrauen auf den Beinen. Wie ich jetzt feststelle, haben in meiner Unterkunft alle Zimmer einen Namen und an der Wand ein entsprechendes Bildchen. Ich habe beim Biber geschlafen.
Der ausgeschilderte Jakobsweg führt an meinem Quartier vorbei, am Wasser entlang, durch die Altstadt und vorbei an Rathaus und Sportplatz gen Westen aus der Stadt hinaus.
Ich nutze gern die Gelegenheit, mir bei der Abreise das anzuschauen, was ich am Abend im Dunkeln übersehen oder nur halb wahrgenommen habe.
Da stehen z.B. Bronzefiguren wie der „Goldene Reiter“ am ehemaligen Bollwerk und Marmorstatuen im Schloss­park, der zur Erinnerung an die hier angesiedelten Glaubensflüchtlinge seit 2005 „Hugenottenpark“ heißt.
Gut gemacht ist auch die aus Edelstahl gefertigte Zeitachse wichtiger Ereignisse.
Am Bollwerk sind auf einer Infotafel alte Ansichten dieser Hafenanlage zu sehen.
Nicht weit davon entfernt kann man die Skulptur „Seejungfrau mit schwimmendem Kind“ von Axel Schulz aus den 1970er Jahren bewundern.
Fast schon eine Sensation ist der attraktive Juliusturm am Bollwerk. Es handelt sich um eine Abwasserbehandlungs­anlage, die 1909 errichtet wurde und das seinerzeit modernste Reinigungsverfahren (Emscher Brunnen) nutzte.
Ein Stück weiter kann man Kanus ausleihen, mit denen man sich alles vom Wasser aus anschauen kann.
Der Weg vom Wasser weg in die Altstadt führt durch den Kietz, eine zur Zeit der Gründung von Schwedt angelegte slawische Vorstadt.
Der Tabakspeicher am Wege wurde 1872/73 erbaut und bis 1980 als solcher genutzt.
Es geht vorbei an der Katharinenkirche, durch die Vierradener Straße zum Vierradener Platz zu Füßen der katholischen Kirche.
Dort steht der Tabakbrunnen: ein Bauer mit zum Trocknen aufgehängten Tabakblättern. Der Teufel sitzt mit einer Pfeife im Mund und mit dem Rücken zur Kirche am Brunnenrand.
Im Stadtpark (oben links) stehen so viele sehenswerte Plastiken, dass man einige Zeit bräuchte, um sich alle anzusehen. Der stets gut ausgeschilderte Weg führt vorbei am Rathaus der Stadt und an Sportanlagen zur Karl-Teichmann-Straße am Westrand der Innenstadt.
Jenseits der Straße ist das 1911 errichtete und bis 1965 genutzte Wasserwerk mit dem markanten Wasserturm zu erkennen. Seit 1995 dient es als Hotel und Restaurant.
Am Wasserwerk biegt der Weg links ab und führt nun entlang einer Kleingartenanlage und vorbei an Feldern, auf denen in diesem Jahr Mais angebaut wurde. Das ist ein Teil des Schwedter Rundweges.
Dort, wo der Jakobsweg abzweigt, steht ein Schild, das für Ernüchterung sorgt. Obwohl ich schon eine Weile unterwegs bin, sind es noch über 33 Kilometer nach Angermünde. Kein Wunder, dass dafür eigentlich zwei Etappen vorgesehen sind.
Der Weg führt auf der Kastanienallee und der Berkholzer Straße durch Meyenburg und weiter entlang des Meyenburger Grabens. Dann biegt er nach links und gleich wieder nach rechts ab und verläuft an der Ostkante eines ausgedehnten Waldgebietes. Der Blick fällt hier gen Osten auf eine vermeintliche Binnendüne, die parallel zur Oder verläuft.
Wenn die ersten Häuser von Zützen ins Blickfeld kommen, taucht der Weg nach rechts in den Wand und führt auf eine Anhöhe mit Funkmast, von dessen Fuß aus man weit in das hügelige Land blicken kann. Auf der Rückseite des Wäld­chens läuft man ein Stück durch einen Hohlweg und dann auf einem mit Betonsteinen gepflasterten Weg hinunter zur L284.
An der Straße angekommen, wird man nach rechts gewiesen. Aber an der Straße ist kein Fußweg und auf der anderen Seite ist kein Weg wieder hinein in den Wald zu sehen.
Als ich neben der Straße durchs Gras stampfend nach knapp 200 m an einer Brücke ankomme, sehe ich, dass dort ein Weg die Straße unterquert, der mit blau-gelben Zeichen an den Bäumen gekennzeichnet ist. Offenbar habe ich kurz vor dem Schild einen Waldweg parallel zur Straße übersehen.
Aber an der Brücke gibt es einen Dienstweg in Form einer Treppe, die hinunter zum Weg durch den Tunnel führt.
Ob ich diesen verbotenen Dienstweg benutzt habe, oder bis zum Wegweiser zurück­gelaufen bin, verrate ich nicht.
Der Jakobsweg führt durch den Tunnel unter der Landstraße hindurch und dann auf offenbar kaum begangenen Schneisen durch einen dichten Laubwald, erst 500 Meter nach Osten und dann weiter nach Süden. Dann läuft man wieder am Waldrand und auf Feldwegen, die schöne Blicke ins Land erlauben. Nördlich von Criewen taucht der Weg erneut in den Wald ein, um dann am Criewener Sportplatz erstmals wieder auf eine Straße zu stoßen.
Wer Zeit hat, sollte mal kurz nach Criewen hinein laufen. Ich habe leider keine Zeit.
Vom Sportplatz aus verläuft der Weg ein kurzes Stück entlang der Straße und stößt direkt auf einen einladenden Rastplatz am Straßenrand.
Auf der anderen Straßenseite verkündet ein großes hölzernes Schild, dass man hier den Nationalpark betritt.
Genau das mache ich jetzt und folge dem Jakobsweg, der neben dem Nationalpark-Schild in den Wald eintaucht.
Jetzt reißt erstmals der Wolkenhimmel auf und fortan macht es mindestens doppelt so viel Spaß, durch die schöne, abwechslungsreiche Landschaft zu laufen.
Der teils durch lange Obstbaumalleen führende Weg ist offen­bar beliebt, denn alle möglichen Wanderwege verlaufen hier. Die Baumstämme können kaum alle Wegzeichen aufnehmen.
Lange Zeit verläuft der Weg dicht am Waldrand parallel zur Alten Oder. Hier sind alle möglichen Erlebnispfade ausgeschildert, was sehr löblich ist. Nur sind leider einige dieser Pfade, wie der Quellerlebnispfad, nach Sturmschäden einfach abgesperrt, statt beräumt und wieder hergerichtet worden. Dafür gibt es vermutlich keine Fördermittel.
Dort, wo der Weg den Densengraben überquert, verläuft er ein Stück auf Holzstegen über ein kleines Moorgebiet.
Kurz vor Stützkow wird plötz­lich der Blick nach rechts auf hügelige Wiesen unter blauem Himmel freigegeben, dann geht es erneut auf einem Trampelpfad durch den Wald.
Dieser Pfad landet an einer sehr einladenden Bank.
Leider sind hier am Ortsein­gang von Stützkow die Bäume und Sträucher zu hoch, um viel von der Oder zu sehen, aber ein kurzer Weg führt zu einer Aussicht, von der man alles überblicken kann.
Nach einer Rast geht's weiter.
Der Weg führt durch das 50-Einwohner-Dorf Stützkow hinunter zur Brücke über die Alte Oder und direkt auf den Oder-Neiße-Radweg, der auf der Deichkrone verläuft.
Hier bieten sich nach alles Seiten hin betörende Blicke: auf den Fluss, das kleine Dorf auf der anderen Seite, die Wiesen beidseits des Deiches und die vielen ehrwürdigen Bäume, die den Deich begleiten. Am schönsten ist im Moment der Blick gen Norden, wo der Himmel schon fast wolkenfrei ist.
Ich kann mich hier gar nicht satt sehen und träume schon wieder von einer Radtour auf dem Oder-Neiße-Radweg von Zittau bis kurz vor Stettin, die schon mal geplant war, aber wegen Corona ins Wasser gefallen ist. Irgendwann muss ich das mal nachholen.
Inzwischen ist der „Grützpott“, das Wahrzeichen von Stolpe in das Blickfeld (oben links im Bild) gerückt. An der nächsten Brücke führt der Weg wieder über die Alte Oder aufs Festland.
In Alt-Galow wird man von einem ausgedienten und zum Glück nicht abgerissenen Trafoturm begrüßt.
Ab hier geht es dicht an der Oder bzw. an den Fischteichen, die hier den Fluss begleiten, nach Stolpe. Es ist ein schöner breiter Weg, bestückt mit Rastplätzen und mit interessanten Blicken auf die Teiche und ein kleines Sumpfgebiet.
In Stolpe angekommen, läuft man direkt auf die Rückseite eines gerade restaurierten, großen Herrenhauses zu.
Dieses wurde Mitte des 16. Jahrhunderts errichtet und beherbergt jetzt ein Kinder- und Jugendheim.
Die Burg, zu welcher der Grützpott gehörte, für dessen Besichtigung leider keine Zeit ist, wurde bereits 1170 erbaut, der Ort Stolpe zu Füßen der Burg wurde 1251 erstmals erwähnt. Seit 2003 ist Stolpe ein Ortsteil von Angermünde. Das erklärt auch, weshalb man hier im Ortszentrum eine ähnliche Steinmetzarbeit vorfindet wie in anderen Stadtteilen: einen großen, polierter Findling, in den der Name und die Silhouette des Ortes eingemeißelt sind.
Der ausgeschilderte Jakobsweg von Stolpe nach Crussow führt zunächst 3,3 km nach Norden bis kurz vor Schöneberg und von dort gen Westen mach Crussow. Der größtenteils durch den Wald führende Weg ist sicher schön, aber ich werde hier mal abkürzen, denn ich muss in Angermünde einen bestimmten Zug schaffen, wenn ich die gebotene Mitfahrgelegenheit von Bernau nach Mehrow nutzen will.
Ich nehme deshalb die wenig befahrene Landstraße nach Crussow, das spart mindestens 3 km / eine dreiviertel Stunde.
Crussow ist ein ganz netter Ort, der auf den ersten Blick außer dem Vereinshaus an der Straßenecke nichts Auffälliges zu bieten hat.
Dann kommt aber auf die auf dem Friedhof hinter Bäumen versteckte Kirche ins Blickfeld.
Es ist die evangelische Sankt-Annen-Kirche, die in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts erbaut wurde. Um 1966 wurde wegen Baufälligkeit ein nachträglich errichteter Kirchturm abgetragen und die Kirche selbst gesperrt. Einiges Inventar wurde daraufhin weggegeben. Erst 1988 konnte die Kirche nach vorangegangener fünfjähriger Restaurierung neu geweiht werden.
Der Weg aus Crussow heraus führt ziemlich geradeaus über ein Feld und entlang einer Waldkante in Richtung Westen.
Der Weg verschwindet dann mal kurz in einem Privatwald, um anschließend leicht nach Norden schwenkend auf Angermünde zuzulaufen. Wieder geht es auf Feldwegen durch endlos erscheinende Felder.
Mangels Bäumen müssen jetzt oft Feldsteine zur Aufnahme der Wegzeichen herhalten.
In sengender Hitze würde ich hier nur ungern laufen, aber das Wetter ist der Jahreszeit entsprechend eher herbstlich.
Ganz in der Ferne war Angermünde schon immer mal zu sehen, aber jetzt rückt die Stadt merklich näher und ich kann deutlich das große Dach der turmlosen Franziskaner Klosterkirche und den Turm der St.-Marien-Kirche erkennen.
Etwa so habe ich es mir vorgestellt, wenn die Kinder in Ehm Welks „Heiden von Kummerow“ vom Anblick der „großen Stadt“ (Angermünde) in der Ferne geschwärmt haben.
Es ist aber noch ein ganzes Stück zu laufen, bis die ersten Häuser von Angermünde auftauchen - und die gehören zu einem Vorort südlich der Schwedter Straße, in dem übrigens gerade massenhaft Glasfaserkabel gelegt werden.
Um in die eigentliche Stadt zu kommen, muss man noch eine Kleingartenanlage und ein großes Maisfeld passieren.
An dieser Stelle sei gelobt, dass die Markierung des Jakobs­weges mit der gelben Muschel auf blauem Grund auf dieser Etappe durchweg sehr gut ist. Für Uneingeweihte sei erwähnt, dass das Herz der Muschel immer in Laufrichtung zeigt und dass der Weg grundsätzlich nur in Richtung Santiago de Compostela markiert ist, aber nicht rückwärts.
In Angermünde stößt der Jakobsweg auf die Schwedter Straße, die von Osten her aufs Stadtzentrum zuläuft und überwiegend mit gutbürgerlichen mehrstöckigen Häusern, aber auch einer italienischen anmutenden Villa und auch dem Domizil eines eingefleischten Deep-Purple-Fans flankiert ist.
Das passt gut, denn abgesehen von den letzten Stunden sah das Wetter an den zurückliegenden Tagen fast immer wie „Smoke On The Water“ aus.
Es geht nach links und dort, wo die Straße in die Kloster­straße übergeht und rechts ein schönes altes Fachwerkhaus steht, auf den Weg entlang der Stadtmauer. Der führt auf den Klosterplatz an der Südseite der Franziskaner Klosterkirche.
Der Weg wird begleitet von steinernen Skulpturen, darunter ein polierter Findling mit einer plastischen Abbildung der früheren Stadtmauer. Einige Skulpturen auf dem Klosterplatz sind hingegen nicht selbsterklärend. Ist halt Kunst.
Der Stadtmauerweg wechselt dann in einer Lücke auf die andere Seite der Mauer und führt durch den Friedenspark vorbei am Pulverturm. Die Heilig-Geist-Kapelle aus dem 15. Jahrhundert reckt ihre 1775 aufgesetzte barocke Fachwerk­haube über die Hecke entlang der Ringstraße.
Vom Kreisverkehr, auf den unser Weg trifft, fällt der Blick noch mal rechts in die Berliner Straße, deren Häuser vom Turm der St.-Marien-Kirche überragt werden.
Der Jakobsweg führt aber nach links und (wenn man gleich weiterlaufen möchte) durch die Bahnunterführung. Ich habe hier aber mein Tagesziel erreicht und biege hinter dem Kreisverkehr rechts auf den Bahnhofsplatz. Der Bahnhof selbst ist kein Schmuckstück, aber die Häuser und der ausgebaute Wasserturm auf der anderen Seite des Platzes.
Es ist jetzt doch noch etwas Zeit bis zur Abfahrt des Zuges. Im Bahnhofs-Shop könnte man sich mit einem Getränk eindecken, aber die Preise dafür liegen sogar über denen am Flughafen. Da setzt man sich doch lieber zu Hasan in den Imbiss, wo das Bier deutlich preiswerter ist und wo man neben ein paar aufmunternden Worten bei Bedarf auch einen Döner oder Fritten bekommt.
Um 17.33 Uhr bringt mich dann der RE3, der in die ebenfalls an der Via Imperii gelegene Lutherstadt Wittenberg fährt, nach Bernau, wo ich kurz nach sechs ankomme und in den privaten Pilger-Shuttle nach Mehrow umsteigen kann.
Es waren drei sehr schöne, abwechslungsreiche Etappen von Stettin nach Angermünde, die noch viel schöner gewesen wären, wenn sich hin und wieder die Sonne gezeigt hätte.
Es ist alles besser gelaufen, als erwartet und der Kopf ist voll mit Eindrücken, die erstmal verarbeitet werden müssen. Von den Fotos sind viele leider düster und farblos - ein richtiger Fotoapparat hätte bei miesem Wetter vermutlich mehr herausgeholt als das Smartphone, hätte aber auch deutlich zum Gesamtgewicht der Ausrüstung beigetragen.

Via Imperii - Schwedt-Angermünde