Unterwegs auf dem Camino Francés / Finisterre
Von Cardeñuela Riopico nach Burgos

Tag 12 (Mo, 9.5.2022) – Von Cardeñuela Riopico nach Burgos

Es ist 15.30 Uhr. Ich sitze in Burgos auf einer Bank im Schatten. Ich muss mal eine Pause machen, weil mir vom Stadtbummel die Füße mehr wehtun, als von einer Kammwanderung. Ich habe mich entschlossen, doch hier zu bleiben und heute nicht mehr weiterzulaufen, wie ich es ursprünglich geplant hatte. Die Altstadt von Burgos ist einfach zu schön - und es sind knapp 24 Grad. Aber der Reihe nach.

Ich habe gestern noch mit Octavio gegessen. Er meinte, ich müsse unbedingt spanisches Omelett essen. Was kam, war eine Tortilla, wie ich sie schon zum Mittag hatte, aber ganz lecker. Serviert von der Köchin persönlich. Die hat zwar nicht viele Zähne im Mund, kann aber prima kochen und das Gekochte sogar auf Deutsch anpreisen. Octavio ist übrigens Polizist auf Tenneriffa. Der hat heute zum Frühsport Übungen im Zimmer gemacht, die ich bisher nur bei Trapezkünstlern gesehen habe.

In der Nacht habe ich sehr schlecht geschlafen. Hatte das obere Stockwerk des Bettes, wo man sich anstandshalber nicht so viel bewegt. Die Matratze war ziemlich durchgelegen und ich lag laufend in einer Kuhle, was dem Kreuz nicht gut bekam. Aber ansonsten war die 10-Euro-Herberge ok. Die hatte ein bisschen Rasen ringsum, wo sich gestern Abend noch die Herren aus meinem Zimmer gegenseitig die Füße pflegten und mit Tapes beklebten.

Ich bin halb sieben los, da waren noch vier Grad. Hinter dem Dorf ging es nur noch wenige Kilometer auf der Landstraße und schon stand ich vor einem großen eingezäunten Gelände, das zu umrunden war: der Flughafen von Burgos, der erst als solcher zu erkennen war, als die Lampen am Ende der Start-/Landebahn sichtbar wurden. Das war ein guter Platz für Planespotter und ich habe gleich mal bei Flightradar24 nachgeschaut, wann da was ankommt oder abfliegt. Die Auskunft war „no departures/arrivals scheduled“. Also nix los!

Bald danach landete ich auf der langen Straße, die sich schnurgerade durch alle Vororte von Burgos und die ganze Stadt zieht. Gleich der erste Vorort war eigentlich nur ein Komplex von gleichförmigen, aber sehr ordentlichen Reihenhäusern. Da waren interessanterweise die Eingangstüren mit einem verglasten Vorbau versehen. Es hat Spaß gemacht zu schauen, wie die Leute solch ein Gemach nutzen. Viele hatten da praktischerweise einen Schuh­schrank, andere einen riesigen Blumentopf oder viele kleine. Manche hatten da schräg hochkant ihr Fahrrad reingezwängt. Der absolute Renner war aber eine fast lückenlose Gartenzwerg-Sammlung.

Am Anfang waren an der Straße ein paar einfache Gaststätten und Restaurants sowie ein „Club“, unter dem man sich Verschiedenes vorstellen kann. Ich habe in einer „Cantina“ einen Kaffee genommen und mich dann auf den Weg durch das endlos lange Gewerbegebiet gemacht. Gleich links waren verschiedene Logistikunternehmen, darunter Dachser, vermut­lich weil hinter dem Areal ein Containerbahnhof ist. Dann wieder riesige Flächen mit lauter kleinen Händlern und Werkstätten, wobei mich bei einem Baumaschinenhändler faszinierte, dass der einen Radlader im Schaufenster hatte. Auch wenn es ein wüstes Durch­einander war, machte das gesamte Gebiet doch einen sehr sauberen und aufgeräumten Eindruck.

An einer Straßenecke traf ich auf zwei Pilgerinnen, die mühsam versuchten, die Karte im Reiseführer einzunorden. Sie konnten sich nicht so richtig vorstellen, dass dies der Pilgerweg ist. Es waren Vanessa und Viola (mit Strohhut) aus Südafrika. In Burgos wollten sie sich erstmal Handschuhe kaufen, weil es morgens so kalt ist.

Bevor es nach Burgos hineingeht, ist linkerhand ein großes, sehr ordentliches Reifenwerk von Bridgestone. Da war sogar ein Teil der Halle verglast, so dass man da auf große Turbinen oder Ähnliches schauen konnte. Dann war plötzlich die Straße auf beiden Seiten von monotonen Elfgeschossern flankiert, bei denen die Untergeschosse oft vermauert waren oder als Garagen genutzt wurden. So wie wir es aus den ersten Jahren der Berliner Neubaugebiete kannten. Bei uns fehlten die Kapazitäten und hier offenbar der Bedarf an Handelsflächen.

Hinter der Stadtgrenze ging es zunächst mit solchen Häusern weiter, aber jetzt waren in den Erdgeschossen Läden, Frisöre, Kneipen, Agenturen usw., und das Ganze sah schon mal großstädtisch aus. Irgendwann zweigte der ausgeschilderte Jakobsweg ab und ging durch ein schönes Neubaugebiet mit nur noch halb so hohen Häusern und bald stand man vor den ersten alten Gebäuden, darunter auch eine Kirche, von der nur noch Mauerreste existieren, die man mit einem freitragenden Dach überdeckt hat, das vermutlich die früheren Dimensionen des Baus zeigen sollen. Dann ging es über einen Platz mit einer sehr modern auf­gepeppten Bibliothek, einer sehenswerten alten Kirche und schon stand ich an einem kleinen Kanal, hinter dem die Altstadt beginnt. Fast alles Fußgängerzone mit etwa viergeschossiger Bebauung. Jedes Haus individuell mit eigener Farbe. Aber meistens mit Loggien, die den südländischen Flair ausmachen. Und dazwischen jede Menge imposanter alter Gebäude.

Ich habe da übrigens nochmal Vanessa und Viola getroffen, die erzählten, dass sie Bargeld abheben wollten, aber die Karte stecken blieb. Ein Horror! Aber zum Glück war die Bank offen und jemand konnte die Karte rausholen. Ich komme hoffentlich nicht so schnell in die Not, Geld abheben zu müssen. Ich habe bisher kaum mehr als 100 € bar ausgegeben, vor allem für die kommunalen Herbergen, die meist keine Lesegeräte haben. Ansonsten kann man fast überall selbst den Kaffee zu 1,50 € mit der Karte bezahlen. Ich habe immer eine zusammen mit einem kleinen Geldschein in der Oberschenkeltasche. Da muss man nicht immer die in der Gürteltasche verstaute und sicher im Rucksack vergrabene Brieftasche rausholen.

In Burgos bin ich auf halbwegs direkten Weg zur Kathedrale, hab mir da ein Pilgerticket zum halben Preis geholt und die grandiose Kathedrale angeschaut (für eine detaillierte Beschreibung verweise ich auf die Fachliteratur). Eher aus Neugier habe ich gefragt, wo denn die nächste Pilgerherberge wäre und habe erfahren, dass die gleich hinter der Kathedrale ein paar Stufen hoch zu finden ist. Ich habe meinen Rucksack im Schließfach der Kathedrale gelassen und bin da mal hin. Und prompt war da was frei, für die fast obligatorischen 10 €. Da habe ich eingecheckt und den Gedanken sausen lassen, heute noch weiter zu laufen. Die Stadt ist zu schön und außerdem ist es mit inzwischen vermutlich über 24 Grad ziemlich warm. Zudem habe ich in der Herberge schon wieder alle möglichen Bekannte getroffen, das spanische, unentwegt in Spanisch auf mich einredende Paar, das damals im Palacio den Pförtner geweckt hat, Christian aus Parma, der mir einen Euro gab, weil ich münzenlos vorm Automaten stand, und zwei kernige Typen, die immer mit einem kleinen Lautsprecher auf dem Rucksack rumlaufen. Vor der Tür traf ich Tina aus Köpenick und Ralf aus dem Allgäu, der aber eigentlich aus Dresden stammt. Mit denen habe ich mich heute zum Abendessen verabredet. Ich freue mich schon darauf, mal einen Abend nicht nur Englisch reden zu müssen.

Inzwischen bin ich auf die Zitadelle dicht am Stadtzentrum umgezogen. Von hier aus hat man einen tollen Blick. An einer amtlichen Höhenmarke habe ich vorhin abgelesen, dass Burgos 855 Meter hoch liegt! Auf der Terrasse unterhalb der Zitadelle waren es 929 m, da wird hier nicht viel an 1000 m fehlen. So, nun muss ich los und meinen Rucksack an der Kathedrale holen und in die Herberge (ca. 120 Betten auf mindestens 3 Etagen, sehr ordentlich) bringen.

Camino Francés / Finisterre - Tag 12