Unterwegs auf dem Camino Francés / Finisterre
Von Villadangos del Páramo nach Astorga

Tag 20 (Di, 17.5.2022) – Von Villadangos del Páramo nach Astorga

Nun bin ich mir sicher, dass nicht ich zu blöd bin, sondern dass die App eine Macke hat. Wieder ist vor dem Abschicken alles gelöscht. Also das Wichtigste nochmal, diesmal in kleineren Häppchen.

Zum Frühstück gab es Kaffee, warmes Toastbrot, Butter und Marmelade, die ich durch tags zuvor gekaufte Chorizo (Salami) ersetzt habe. Ann ist gleich nach dem Frühstück los, ich musste erst meine Sachen packen und meinen 7-Tage-Bart entfernen, dann bin ich hinterher.

Wie zu erwarten führte der Weg immer an der Straße entlang. An einem Abzweig bin ich versehentlich auf einen Weg geraten, der sich zunehmend von der Straße entfernte. Als ich die nächste Gelegenheit nutzen wollte, zur Straße zurück zu kommen, stand ich plötzlich vor einem knietiefen, zwei Meter breiten Graben. Den zu überwinden schien mir zu riskant, darum bin ich auf einem frisch gepflügten Acker entlang des Grabens gelaufen, allerdings ohne eine Brücke zu finden. Stattdessen tauchte plötzlich vor mir ein quer verlaufender Graben auf. In die Enge getrieben sah ich plötzlich Ann jenseits des Grabens laufen. Ich habe sie gerufen, aber außer ein paar tröstenden Worten konnte sie mir auch keine Hilfe geben. Wir haben uns auf einen Kaffee im übernächsten Dorf (Hospital de Orbiego) verabredet, wo ich sie dann nach waghalsiger Überquerung des Quergrabens auf einer wackligen Brücke und Zick-Zack-Lauf durch die Felder tatsächlich mit einem Kaffee in der Hand antraf. Wir haben noch eine ganze Weile über Pilgerwege in Europa geredet und ich war erstaunt, wie gut ich mich trotz meines miserablen Englisch mit ihr unterhalten konnte. Die Lösung hat sie selbst präsentiert: Sie hat drei Jahre an einer chinesischen Universität englische Konversation unterrichtet, also den Studenten beigebracht, wie man sich mit wenigen Worten und klaren Sätzen unterhalten kann. Das hatte diese kleine, liebenswerte Frau selbst prima drauf und es tat mir leid, Abschied zu nehmen. Sie wollte wegen ihrer kaputten Knie im Ort bleiben oder höchstens noch ein kleines Stück laufen, ich wollte hingegen noch bis ins etwa 20 km entfernte Astorga.

In Hospital de Órbigo führt eine sehr lange mittelalterliche Steinbogenbrücke über den Fluss Órbigo und ein sich anschließendes ehemaliges Überflutungsgebiet. Das ist ein herrlicher Anblick, der abends bestimmt noch schöner ist, weil sich unter allen Brückenbögen Schein­werfer befinden.

Hinter dem Ort gabelt sich der Weg wieder einmal: geradeaus führt der traditionelle Weg, nach rechts eine Alternative. Wohl wissend, dass er entlang der Straße führen wird, habe ich meinen Grundsätzen folgend den Weg geradeaus gewählt. Nach ein paar Kilometern, die teilweise auf eine zum Trampelpfad hinter der Leitplanke, dann aber auf einer parallel zur N120 verlaufenden staubigen Straße verliefen, zeigte ein Wegweiser nach rechts zum 500 Meter entfernten „historischen“ Camino, während die übliche Beschilderung mit Muschel und Pfeil weiter geradeaus zeigte. Obwohl ich den Unterschied zwischen „traditionell“ und „historisch“ nicht kenne, bin ich abgebogen, zumal auch auf meiner heruntergeladenen Karte hier ein Knick im Jakobsweg war. Im nächsten Dorf traf ich dann auf die Alternativrouten, die sich auf einem breiten Schotter- bzw. Geröllweg durch die Hügellandschaft zieht.

Auf einer Bergkuppe war neben einem Kreuz eine Sitzbank mit Tisch davor. Da saß ein Paar mit den Rucksäcken zwischen sich und die Beiden machten keine Anstalten, die Rucksäcke runterzunehmen und mir damit Platz zu machen. Dabei hätte ich da so gern mit den Resten meines Abendbrots, Toastbrot und Büchsenfisch, Picknick gemacht. Verärgert bin ich weitergezogen, aber dann fiel mir ein, „warum hast Du nicht gefragt?“ Sicher hätten sie mir dann ein Stück Bank abgeben. Man muss sich auch mal trauen, um etwas zu bitten, als zu stolz dazu zu sein. Ab hier habe ich mich über mich selbst geärgert.

Ein Stück weiter bot sich am leicht ansteigenden, bemoosten Wegrand ein schöner Platz zum Rasten. Zwar nicht zum Fischbüchsen-Essen, aber für ein Nickerchen geeignet. Ich habe mich da langgestreckt, den Kopf auf den Rucksack gelegt und die Augen zugemacht. Aber nach dem Dritten, der mich für einen medizinischen Notfall gehalten und mich mit seinem Hilfsangebot geweckt hat, bin ich hoch und weiter.

Nach einer Weile kam ich zu einem eingefriedeten Garten, in dem jemand unter einem Dach ein Zelt aufgeschlagen hat: David, den man vielleicht als Aussteiger bezeichnen kann, der aber einen sehr ordentlichen Eindruck machte. Der hatte an der Straßenseite des Gartens einen großen runden Tisch aufgebaut und darauf alle möglichen Obstsorten, Nüsse, Toastbrot, hartgekochte Eier etc. und in einem Stand daneben Kaffee und andere Getränke platziert. Da konnte man sich bedienen und dafür nach Belieben etwas auf den Tisch legen. Es gab auch einige schattige Plätze und sogar Matratzen, auf denen man sich ausruhen konnte. David selbst war die ganze Zeit damit beschäftigt, Limonade (mit Eis, wo immer er das herhatte) zu bereiten und Melone in Scheiben zu schneiden. Und er hat sich über jeden gefreut, der ein Gespräch mit ihm gesucht hat oder ein Foto machen wollte. Ein tolles Engagement.

Irgendwann kam endlich Astorga mit seiner Kathedrale in Sicht. Ab einem großen steinernen Kreuz ging es auf einer betonierten bzw. gepflasterten Straße steil bergab nach San Justo de la Vega. Dort fand sich eine interessante, aber leider geschlossene moderne Kirche, die sich an einen typischen, eigentlich nur aus einem Giebel bestehenden Kirchturm anlehnte.

Nun waren es nur noch 2…3 km über eine Steinbogenbrücke, durch einen Park und ein Gewerbegebiet sowie auf einer Fußgängerbrücke mit langen Rampen über die Bahn. Dann stand ich vor dem scheinbar hoch aufragenden Berg mit Astorga oben drauf. Auf dem Plateau angekommen, fand sich rechts ein vermutlich sündhaft teures Hotel und links zwischen Häusern eine Herberge mit angeblich über hundert Betten. Da habe ich für 7 € ein Bett im 4er-Zimmer bekommen, wieder mal oben, dafür aber mit Aussicht auf die Vororte der Stadt. Leider ohne Bewirtschaftung, aber ein paar Meter weiter fing ja schon die Kneipen- und Geschäfte-Meile an. Ich habe nur mein Gepäck abgestellt, kurz mit Johann aus Wülfrath, einen wegen Unpässlichkeit gestrandeten Radfahrer in meinem Zimmer, geplaudert und bin dann los in die Stadt, zunächst in die prächtige Kathedrale und das sich anschließende Museum. Der Audioguide hat bei der Besichtigung das Tempo vorgegeben. Es waren fast zwei Stunden, die ich dort zugebracht habe. Dann habe ich die paar Straßen und Plätze nach Bekannten abgesucht und prompt Juan wiedergetroffen, der mit ein paar Italienern und Amerikanern zusammen saß. Ich habe mich zu einem Bier dazugesetzt und mich, da alle anderen das zum Bier gereichte Schnittchen nicht wollten, bei der Gelegenheit satt gegessen.

Hinterher noch ein Guinness in einer irischen Kneipe und dann in die Herberge, wo ich eigentlich nur noch das zwischendurch Geschriebene abschicken wollte …

Camino Francés / Finisterre - Tag 20