Unterwegs auf dem Camino Francés / Finisterre
Von San Xiao do Camino nach Ribadiso de Abaixo

Tag 29 (Do, 26.5.2022) – Von San Xiao do Camino nach Ribadiso de Abaixo (vor Arzúa)

Von den sechs Leuten in unserem Schlafsaal sind zwei Mädels um halb sechs weg, der Rest hat noch bis nach sechs Ruhe gehalten, dann gepackt und (zumindest ich) aus dem vom Vortag mitgeschleppten Vorrat ein Frühstück bereitet und kurz vor sieben, als die Wirtsleute die Bar eröffneten, noch einen Kaffee getrunken. Henry ist losgerannt, der will bis Arzúa, das Wochenende in Santiago verbringen und am Montag nach Hause fliegen. Tina hat zwar viel Zeit, ist aber deutlich schneller als ich und war bald verschwunden. Ich bin wie üblich meinen Weg getrottet.

Ein paar Bekannte habe ich getroffen und mal ein paar Worte gewechselt, aber ansonsten bin ich allein gegangen, was auch ganz schön ist. Die üblicherweise damit gegebene Ruhe findet man hier aber selten, weil jetzt so viele Gruppen unterwegs sind, die sich natürlich unterhalten und damit viel Lärm verbreiten. Bei einer einheimischen Truppe war ein Sonnenstudio-gebräuntes Mädel dabei, das bei jeder Brücke im Vordergrund stehen musste, vor der Aufnahme ihre unverkennbaren Speckringe unter dem Bund der hautengen Leggins verschwinden ließ und die Luft anhielt, damit der Busen richtig zur Geltung kommt. Die ist mit einem kleinen Beutelchen auf dem Rücken, in dem wahrscheinlich das Schminkzeug war, durch die Gegend gezogen und hat den Rest ihrer Truppe lautstark unterhalten. Die hat so schnell und lückenlos geredet, dass sie bei „Wetten dass …“ in 30 Minuten ein Telefonbuch vorlesen könnte und zwar ohne Mikrofon auf einem Bahnhofsvorplatz.

Zum Glück sind die Pseudopilger fast alle an den kleinen Kapellen vorbeigezogen, von denen diesmal einige offen standen. Oder sie haben es nur bis zur Tür geschafft, wo jemand saß, um die Stempel zu verteilen.

Heute ging es lange Zeit durch Wälder, manche ordentlich kultiviert, andere naturbelassen mit knorrigen, von Flechten bedeckten Bäumen, die sich über den Weg rankten und diesen zum Tunnel machten. Es standen auch zunehmend Eukalyptus-Bäume am Wegesrand, leicht erkennbar an der abgelöstes Rinde und der erst in großer Höhe vorhandenen Blättern. Da, wo nur junge Bäume standen, hat man gar nichts gerochen, da, wo schon älterer Bestand war, roch es schon etwas nach Hustensaft. Zur richtigen Jahreszeit muss der Waldspaziergang wie ein Einkaufsbummel in der Apotheke sein.

Ich wollte heute eigentlich bis Arzúa oder sogar weiter laufen, um morgen möglichst dicht an Santiago heranzukommen. Aber irgendwann meldete sich Tina, dass sie 2…3 km vor Arzúa eine tolle Herberge direkt am Fluss gefunden hat und dass sie dort schon mal ein Bett für mich beschlagnahmt hat. Ich müsse mich an der Rezeption nur mit „Benedikt aus Deutschland“ melden. Das habe ich dann auch getan, als ich endlich ankam und habe dort für 8 € ein recht bequemes Unterdeck-Bett in einem 30-Betten-Saal bekommen. Das Gebäude ist uralt, aber mit einen neuen Dach und ordentlichen Sanitäreinrichtungen versehen. Auf der Wiese stehen noch einige Bungalows mit weiteren Betten und Sanitäreinrichtungen. Wirklich schön und neben der Brücke kann man die Beine im Wasser baumeln lassen oder sogar schwimmen gehen.

Nach dem Bettbeziehen habe ich mich nur mal kurz zur Probe hingelegt und habe prompt eineinhalb Stunden geschlafen. Ein Zeichen dafür, dass es für heute vielleicht doch genug war - es sind ca. 25 Grad und die Sonne brennt vom wolkenlosen Himmel. Weil Vatertag ist, bin ich ausnahmsweise in die nahe Bar, um ein Bier zu trinken. Davon werde ich mich gleich im Tiefschlaf erholen.

Camino Francés / Finisterre - Tag 29