Unterwegs auf dem Camino Francés / Finisterre
Von Hospital nach Fisterra

Tag 35 (Mi, 1.6.2022) – Von Hospital nach Fisterra

Wie schon den Bildern zu entnehmen war, bin ich am Kap Finisterre angekommen, am Ende der Welt. Früher, als die Erde noch eine Scheibe war, war hier Schluss. Da kam noch ein bisschen Wasser und am Horizont ging’s ab in die Tiefe. Darum sind so viele Seefahrer nicht zurückgekommen.

Die zugehörige Stadt heißt Fisterra und ist etwa 3 km entfernt. Da habe ich Quartier in der städtischen 8-Euro-Herberge. Hier gibt es bestimmt schönere, aber das Franzosenpaar aus Perros-Guerec hat mich da reingelockt, weil sie auch dort untergekommen sind. Um 17 Uhr, als ich hier ankam, waren natürlich alle Betten im Unterdeck längst belegt, aber wir (ich und mein noch unbekannter Untermieter) werden die Nacht schon durchstehen. Gleich beim Einchecken gab es übrigens nach Prüfung des Pilgerpasses die „Fisterra“, eine Urkunde, die bezeugt, dass man hier war.

Da in der Herberge der Aufenthaltsraum schon um 19.30 Uhr geschlossen wird, sitze ich mit ein paar Leckereien aus dem Supermarkt auf einer Bank direkt am Hafenbecken. Für mich als Landratte ist es faszinierend, die Schiffchen da auf ihren Liegeplätzen schaukeln zu sehen. Allerdings wird mir jetzt doch etwas kalt, vor 5 Minuten (22.09 Uhr) war hier Sonnen-untergang. Von meinem Platz aus war der leider nicht zu sehen, aber am Kap soll das immer ein tolles Schauspiel sein. Aber danach im Dunkeln eine knappe Stunde bis in die Stadt zu laufen war mir dann doch nichts.

Dass es auf den Bildern aussieht, als wäre hier purer Sonnenschein, geht an der Realität vorbei. Ich bin morgens im strömenden Regen los. Die Wetter-App hat 100% Regen versprochen und es war mindestens so viel. Erst nach knapp 3 Stunden war es damit vorbei. Alles, was nicht vom Poncho bedeckt war, war klitschnass, trocknete dann aber erstaunlich schnell. Sogar die Schuhe, in die das Wasser hemmungslos eingedrungen war, quietschten bald nicht mehr vor Nässe.

Meine Sorge im Wald galt aber nicht nur dem Regen, sondern vor allem den Schüssen, die links von mir fielen und der Lautstärke nach ganz in der Nähe abgegeben wurden. Was da gejagt wurde, weiß ich nicht - hoffentlich nicht der kleine Hase, der gerade vor mir über den Weg gehoppelt ist. Wohl eher Schwarzkittel, wie man bei uns die Wildschweine nennt. Bei dem Gedanken durchzuckte es mich. Ist mein anthrazitfarbener Poncho nicht auch ein Schwarzkittel? Wenn ich den übergestülpt habe, unterscheide ich mich vermutlich nur durch den aufrechten Gang von den echten Schwarzkitteln. Jetzt nur nicht stürzen! Wenn Du in der Verkleidung liegen bleibst oder auf allen Vieren krauchst, bist Du erledigt!

Bezeichnend für diese Gegend ist, dass es hier nicht nur irre grün ist, sondern auch, dass es kaum Ortschaften gibt. Heute gab es auf den ersten 14 km von Hospital bis Cee keine Gaststätte, keinen Kaufmannsladen und eh kaum richtige Dörfer. Zwei kleine Kapellen standen am Weg, natürlich beide verschlossen. Die erste hatte aber einen überdachten Außenaltar. Da habe ich mich einen Moment untergestellt, die auf dem Altar verteilten Zettelchen und Bilder studiert und im Gästebuch geblättert. Während dessen kam ein kleines Vögelchen angeflattert, setzte sich erst auf das verwitterte Altarkreuz und dann dicht neben mir auf den Altartisch. Auf die Hand wollte es nicht, ist aber auch nicht weggeflogen, wenn man sich bewegt hat. Es sah immer aus, als wollte er mir was erzählen. Unwillkürlich musste ich an Tabea denken, die vermutlich immer noch mit großen Schmerzen in der Herberge liegt. Ich konnte mich gar nicht von ihr verabschieden, denn die Italiener, die bei ihr im Zimmer waren, sagten mir am Morgen, dass sie gerade erst eingeschlafen sei. Ich hoffe sehr, dass sie bald wieder auf die Beine kommt. Vielleicht bringt das Vögelchen ihr meine Grüße und Genesungswünsche.

Kaum hatte der Regen aufgehört, kam Nebel über die Bergkuppen gezogen und nahm nicht nur die Sicht, sondern bald auch den Atem. Einziger Trost waren das üppige Grün und die vielen Blumen am Wegesrand. Ohne die „Suppe“ die mich umgibt, gäbe es das nicht. Erst kurz vor Cee, wo der Weg sehr steil bergab führt, war plötzlich der Nebel weg und man konnte das Meer sehen. Ich liebe es, von oben auf Küstenorte zu schauen und das Leben am Hafen zu beobachten. Im Cee bot sich dann die erste Gelegenheit zum Frühstücken. Ich habe nicht gleich die erste Bar genommen, sondern eine, von der aus man auf den Hafen schauen konnte. Da habe ich mir ein schönes Bocadillo machen lassen.

Der Ort Cee hat sich schön rausgeputzt. Rings um die sehenswerte Kirche findet man kleine Parkanlagen, allerdings mit mehr Stein als Grün. Es gibt ein Einkaufszentrum mit einem großen Supermarkt, eine Markthalle und sogar ein kleines Stadtmuseum. Von Cee nach Fisterra sind es nochmal mehr als zehn Kilometer - nicht etwa unten am Wasser entlang, sondert über die beiden Landzungen, die zwischen den Orten liegen.

Hinter der ersten Landzunge habe ich in einer kleinen Gaststätte dicht am Strand die von mir geliebten Piementos (gegrillte Paprikaschoten) gegessen. Über die zweite Landzunge habe ich ausnahmsweise die Landstraße statt den etwas seitwärts liegenden, ausgeschilderten Weg durch den Wald genommen. Wenn jemand so gern stolpert wie ich, dann lebt er an der geteerten Landstraße länger als auf einem holprigen Waldweg.

Und prompt erwies sich meine Wahl als richtig, denn plötzlich bremst ein Auto ab, biegt in eine Querstraße und mir kommt winkend jemand entgegen gelaufen. Es war Romana, die in Santiago von ihrem Mann erwartet wurde. Jetzt fahren sie noch eine Woche rum, um sich Galizien anzuschauen. Ihre häufige Weggefährtin Inge habe ich dann übrigens am Kap getroffen.

In Fisterra landet man zunächst an einem schönen Badestrand. Der Weg führt gut gepflastert durch die Dünen. Hölzerne Wege zweigen ab und führen bis zum Strand.

Ich sitze mittlerweile im Treppenhaus der Herberge, das von den Straßenlaternen ganz gut erhellt wird. Nun mache ich aber langsam Schluss. Ich bin doch ziemlich müde. Morgen will ich mal ausschlafen. Ich bin gespannt, ob das klappt.

Camino Francés / Finisterre - Tag 35