Unterwegs auf dem Camino del Norte
Von Deva (Gijon) nach Avilés

Tag 18 (Donnerstag, 23.3.2023) von Deva (Gijon) nach Avilés

In der Herberge des großen, recht noblen Campingplatzes in Deva ist es bei der 4er-Belegung von 26 Betten geblieben (2 Spanier, Antoine und ich). Zum Glück, denn es gab hier nur ein Klo mit integrierter Dusche. Wenn da einer gern unterm warmen Wasserstrahl lange Arien trällert, müssen sich alle anderen ein eventuell schon dringend gewordenes Geschäft verkneifen oder die öffentlichen Sanitäranlagen des Zeltplatzes aufsuchen. Aber früher Vogel fängt den Wurm. Als ich um halb sieben aufgestanden bin, war ich der Erste in der Notdurft­schlange. Kurz nach sieben bin ich bereits los. Ich hatte mir auf einem freien Bett alles bereitgelegt, damit es morgens schnell und ohne Lärm abgeht.

Nach Gijon hinein war dann doch ein ziemlich langer Weg, mehr als 8 km. Es ging vorbei an allen möglichen privaten und öffentlichen Parkanlagen, leider teilweise an stark befahrenen Straßen ohne Gehweg. Über allem Grün thronte ein riesiger Gebäudekomplex mit einem Kirchturm an der Spitze, gefolgt von einer großen Kuppel. Auf den ersten Blick hätte man das für ein großes Kloster halten können, aber vom Baustil her würde ich auf Mitte des vorigen Jahrhunderts tippen und da hat man nicht mehr solche riesigen Klöster gebaut. Der Blick auf die Karte belehrt, dass es sich um die Universität handelt. Eine der vielen Windungen des Weges führt dann auch noch um moderne Universitätsgebäude herum. Irgendwann ist man dann auf einer der langen Einfallstraßen nach Gijon. Die ist beidseitig mit einzeln stehenden Wohnhochhäusern versehen, die alle unterschiedliche Formen und Fassaden, mitunter sogar aus Naturstein, haben und dadurch weder langweilig noch abstoßend aussehen. Je näher man dem Zentrum kommt, desto lebendiger wird es auf den Straßen. Die Hochhäuser weichen einer geschlossenen, etwa fünfgeschossigen Bebauung, deren Erdgeschosse fast lückenlos mit Geschäften und Gaststätten bestückt sind. Diese Bebauung zieht sich die ganze Uferpromenade hin und begleitet einen auch auf dem Weg aus der Stadt hinaus.

Die Stadt hat im Norden zwei große Strände, die durch eine Landzunge und einen angrenzenden Spaß-Hafen voneinander getrennt sind. Am Übergang auf die Landzunge befindet sich eine Kirche, die sogar mal offen stand. Innen nicht übermäßig schön, aber bei den wenigen offenen Kirchen muss man sich über jede freuen, in die man rein kann. Gleich neben der Kirche kann man im Untergrund die Reste römischer Thermen bewundern. Alles schön hergerichtet, stimmungsvoll beleuchtet und durch Ausstellungsstücke und Texte ergänzt. Eintritt umsonst. Wie ich erst bei dieser Gelegenheit gelernt habe, ist Gijon nämlich der Endpunkt der „Via de la Plata“, der noch aus der Römerzeit stammenden „Silberstraße“ aus dem Süden des Landes. Wer auf dieser Straße, die jetzt als einer der Jakobswege gilt, von Sevilla nach Santiago will, biegt auf der Höhe von Santiago auf den Camino Francés oder einen anderen Weg ab. Kaum einer wird bis Gijon durchlaufen.

Die Stadt habe ich in vielerlei Hinsicht unterschätzt, angefangen bei ihrer Größe: Gijon hat über 270.000 Einwohner. Erfreulich fand ich hier, dass in den Häusern entlang der breiten, schön hergerichteten und mit vielen Bänken versehenen Standpromenade alle Wohnungen „richtig“ bewohnt sind und nicht wie anderswo nur als Ferienwohnung dienen. Dadurch waren jetzt, außerhalb der Saison, die Straßen nicht ausgestorben. Ein paar schöne, alte Gebäude konnte man zwischen den Neubauten entdecken. Und da, wo sich der Weg wieder von Strand verabschiedet, kommt man an einem ehemaligen Bahnhof vorbei, den man zum Eisenbahnmuseum umgebaut hat. In der Bahnhofshalle, auf den dahinter liegenden Gleis­anlagen und in einem Lokschuppen sind alle möglichen Lokomotiven und Waggons der hier gebräuchlichen Profile zu sehen: 1000, 1435, 1676 mm. Aber auch Grubenbahnen mit 600 oder 750 mm standen herum. Angrenzend gab es noch einige Ausstellungsräume, nicht nur zur Eisenbahn, sondern allgemein zur Industrialisierung Asturiens. Hier hätte man Stunden zubringen können, aber ich habe nur eine kleine Runde durch das (kostenfreie) Museum gedreht und bin dann weiter.

Beim Weg aus der Stadt hinaus fiel mein Blick nach rechts durch die Seitenstraßen auf Hafenanlagen mit großen Kränen. Und dann befand ich mich plötzlich in einem Wirrwarr an Fernstraßen, die sich am Stadtrand kreuzen und wo man sich zwischen den Fahrspuren ziemlich verloren und nicht gerade sicher vorkam. Hier gab es auch nichts mehr, was das Auge erfreuen konnte, nur noch heruntergekommene Häuser und riesige Industrieanlagen. Der weitere Weg führte allmählich einen Berg hinauf. Rechts ein paar Häuser und links eine riesige Metallhütte mit großen Lagerflächen von vermutlich aufbereitetem Erz. Diesen Komplex konnte man sich aus allen Winkeln anschauen, zuletzt von oben. Ein Freund der Schwerindustrie wäre begeistert gewesen, viele andere würden sich das wegwünschen, aber dann wären auch die Arbeitsplätze weg und Gijon tot.

Oben auf dem Berg angekommen, ging es auf etwa 200 Meter Höhe endlos lang durch einen Eukalyptuswald. Ein Geheimtipp für alle mit Atemwegsproblemen, denn etwas riecht es dort schon nach Hustenbonbon. Dann führte der Weg mal wieder durch freie Landschaft, geprägt durch Weiden und viele vereinzelt liegende Häuser. Kein Dorf, keine Kneipe, keine Einkaufs­möglichkeit. Irgendwann ging der Weg dann ziemlich steil bergab und endet auf einer Straße, die zu einem riesigen Stahlwerk von ArcelorMittal führt. Praktischerweise sind an der Straße allerlei kleine Metallverarbeitungsbetriebe. Und da die dort Beschäftigten und die vorm Stahlwerkstor wartenden Kraftfahrer sich ja irgendwie verpflegen müssen, hat sich dort eine Kneipe angesiedelt, in der man neben einschlägigen Getränken auch Snacks und komplette Gerichte bekommt. Hier habe ich mir neben meinem geliebten „Estrella Galicia“ wieder ein dreistöckiges Sandwich kommen lassen, zusammen 3,80 €.

Ab hier ging es über viele Kilometer auf der Landstraße vorbei an hintereinander gereihten Stahl- und Walzwerken bis nach Avilés hinein. Das war einerseits eindrucksvoll, da ich so viele Industrieanlagen auf einem Haufen noch nicht gesehen habe, andererseits machte das Laufen am Straßenrand keinen Spaß. Nur das letzte Stück war schön. Da ging es durch einen entlang eines Kanals angelegten Park, den ArcelorMittal gesponsert hat.

Von Avilés habe ich bisher bis auf die Industrieanlagen und nicht besonders schöne Wohnblocks noch nicht viel zu sehen bekommen, da die Herberge gleich am Ortseingang liegt. Zur Straße hin gibt es nur ein Mäuerchen mit Pforte, das Gebäude befindet sich auf einem Hof und würde mit Gittern vor den Fenstern auch gut als Knast durchgehen. Hier sitze ich nun bei flackerndem Neonlicht in der Küche, nachdem ich das eiligst im nahen Supermarkt Erstandene teilweise verzehrt habe. Natürlich habe ich wieder viel zu viel gekauft und werde morgen erneut Sardinenbüchsen durch die Gegend schleppen, die ich unterwegs ohne Gabel eh nicht essen kann.

Im 56-Betten-Schlafsaal, der aber mit max. 10 Leuten belegt ist, herrscht schon Ruhe. Noch dringt kein Schnarchen an mein Ohr.Ich werde mich nun auch bald zu den Schlafenden gesellen, denn nach 37 Kilometern stellt sich doch etwas Ruhebedürfnis ein.

Da wär aber noch was. Es kam die Frage auf, was es mit den auf Stelzen stehenden Häuschen auf sich hat, die auf manchen Bildern zu sehen waren. Es sind die im vorigen Jahr in Galicien schon massenhaft gesehenen und genauso oft fotografierten Hórreos. Das sind Mais- bzw. Getreidespeicher, die man auf Stelzen mit einem großen runden Stein obendrauf gesetzt hat, damit keine Mäuse an das Gelagerte kommen. In Galicien sind sie langgestreckt und meist nur 1…1,5 Meter breit. Diese kann man kaum zweckentfremdet nutzen und wenn sie nicht nur Zierde sind, dann werden darin Maiskolben aufgeschichtet. Schlitze oder Löcher in den Wänden sorgen für die richtige Belüftung, damit sie nicht vergammeln.

In Asturien sind die Hórreos hingegen quadratisch mit etwa 6 Meter Kantenlänge und oft auch mit einem Umlauf. Damit kann man schon viel mehr anfangen. Im einfachsten Fall kann man sie als Rumpelkammer nutzen, aber auch als Baumhausersatz für die Kinder oder als Gartenlaube bzw. Ferienwohnung. Ich habe schon völlig neu errichtete gesehenen, die vermutlich genau diesem Zweck dienen sollen. Fast allen Hórreos hier ist gemein, dass der Platz darunter als Carport benutzt wird. Neben der klapprigen Limousine hat darunter auch noch der Lamborghini (Traktor) Platz.

Camino del Norte - Tag 18