Unterwegs auf der Via de la Plata und dem Camino Sanabrés von Sevilla nach Santiago de Compostela |
Tag 7 (So, 3.3.2024) Monesterio - Calzadilla de los Barros / 27,3 km
Zum Glück habe ich auf diese Tour nicht meinen Sommerschlafsack, sondern die 10-Grad-Variante mitgenommen. Der hat in der letzten Nacht genau zur Temperatur in der Herberge gepasst. Heute früh zeigte das Thermometer drinnen 12 Grad an, draußen waren es 2 bis 3 Grad. Den Stapel Decken habe ich leider erst heute früh entdeckt. Mit einer solchen hätte ich mir vielleicht den Pullover im Schlafsack sparen können.
Nachdem ich aus dem Haus raus war, ging es noch ein Stück durch den Ort und dann nur noch durch Korkeichenhaine, die dieses Mal aber alle mit Mäuerchen fein säuberlich parzelliert waren. Auf halber Strecke des Weges weitete sich der Blick - die Steinmauern hörten plötzlich auf und die Korkeichen wurden immer weniger. Bald standen nur noch vereinzelt Sträucher auf den riesigen Weideflächen. Am Horizont erschien schon eine weiße Stadt - mein eigentliches Tagesziel, Fuente de Cantos, das aber noch fast 10 km entfernt war, also fast eine optische Täuschung. Nun sah man plötzlich auch große Ackerflächen, die in allen Farbtönen von gelb über grün bis dunkelbraun in der Sonne leuchten, wenn diese mal eine Lücke zwischen den Wolken gefunden hat. Links vor mir tauchten dann größere Solarfelder auf. Die waren auch schon in Andalusien zu sehen, ganz im Gegensatz zu Nordspanien, wo man sehr selten mal Solaranlagen zu sehen bekommt. Die in Andalusien übliche Biersorte „Cruzcampo“ wirbt übrigens auf den Dosen damit, dass das Bier mit echter, andalusischer Sonnenenergie gebraut wurde. Da tut man also mit jedem Schluck etwas Gutes!
Mit Martin, der mich eine Stunde nach dem Start eingeholt hatte, bin ich eine ganze Weile zusammen gelaufen. Er war sehr interessiert zu erfahren, wie es im Osten war und wie die Wende empfunden wurde. Welcher Schwachsinn da durch die Treuhand praktiziert und dass eine ganze Volkswirtschaft verscherbelt wurde, hat ja im Westen kaum einer mitbekommen, erst recht nicht jemand, der damals noch ein Kind war. Und gelehrt wird das vermutlich auch heute noch nicht. Martin ist wie schon gesagt nach der Wende mit seinen Eltern aus Siebenbürgen gekommen. Sein Vater, der seine deutsche Herkunft immer gepflegt und sehr gut Deutsch gesprochen hat, war dann aber enttäuscht, dass er hier gar nicht mit offenen Händen empfangen wurde. Martin hat Mathe studiert, war ein Jahr in Mexiko und hat dann in einer Softwarefirma gearbeitet. Da kam ihm wohl die Erkenntnis, dass Hypnose-Kenntnisse einem Verkäufer sehr hilfreich sein können. Er hat deshalb noch was in dieser Richtung studiert und ist nun als Selbständiger im psychischen Bereich tätig.
Irgendwann ging es ihm aber auch heute wieder mit mir zu langsam vorwärts und er hat einen Schritt zugelegt. Zwei vor mir laufende Frauen habe ich auch nur eingeholt, weil diese am Wegesrand Pause gemacht haben. Es sind zwei Holländerinnen, die auch in Sevilla gestartet sind, aber nur eine Woche laufen und die Tour im nächsten Jahr fortsetzen wollen.
Bald nach dem kurzen Plausch stand ich vor einer Furt, die nicht so leicht zu bewältigen war. Zwei Radfahrer sind da durch, aber denen stand auch das Wasser bis zu den Pedalen. Dem Fußgänger blieben da nur die am Rand aufgeteilten, kippligen Steine. Bei meinen Balancierkünsten ging die Querung nicht ohne nasse Schuhe ab, aber wider Erwarten sind die Füße trocken geblieben. Dahinter bin ich dem breiten Weg gefolgt, da ich die an eine Mauer gesprühten, in eine andere Richtung zeigenden gelben Pfeile nicht gesehen habe. Aber schon nach hundert Metern bin ich auf Radfahrer gestoßen, die mir gezeigt haben, wo es lang geht. Kurz nach zwei war ich nach gut zwanzig Kilometern durch eine Gegend ohne jedes Anwesen an meinem eigentlichen Etappenziel, Fuente de Cantos angekommen. Da es noch so früh war und mein Fuß zwar nicht ganz schmerzfrei war, aber ganz gut durchgehalten hat, habe ich beschlossen, noch die sechseinhalb Kilometer bis zum nächsten Ort, Calzadilla de los Barros, zu laufen und dort Quartier zu nehmen. Das bringt zwar beim Vorwärtskommen nicht sehr viel, weil sich dadurch zwar die nachfolgende Etappe von 24 km auf 17,5 km verringert, sich aber nur die zwei folgenden Etappen teilen lassen, die dann folgende nicht. Allerdings gilt: was man geschafft hat, hat man geschafft. Die Wolken am Himmel lassen ja immer noch befürchten, dass es mal längere Zeit regnen könnte. Da ist es ganz gut, einen zeitlichen Puffer zu haben und sich entweder bei Regen irgendwo eine Weile unterzustellen zu können oder wenigstens nicht so lange im Regen herum laufen zu müssen.
Kurz vor Fuente waren an einer schicken weiß-gelben Finca namens „Villa Camino de Santiago“ Wegweiser angebracht, die zeigen, wie viel man schon geschafft und wie viel man noch vor sich hat. Demnach sind es nach Sevilla
114 km und nach Santiago noch 889 km. Na, wenn das kein Lichtblick ist! Auf dem nur von ein paar Bauern befahrenen Weg waren jetzt immer mal wieder platt gefahrene Frösche zu sehen. Es ist ein Wunder, dass die Grünen in der EU noch nicht durchgesetzt haben, dass hier Krötenzäune am Weg aufgestellt werden. Gleich hinter Fuente war rechts an der parallel zum Camino verlaufenden Landstraße ein aus schwarzem Blech geschnittener Stier in mehrfacher Lebensgröße zu sehen. Diese Dinger stehen in ganz Spanien herum und machen Reklame für den Veterano-Schnaps, auf dessen Etiketten ein solcher Stier prangt. Aus der Ferne war leider nicht zu erkennen, ob er, wie viele seiner Kollegen an der Mittelmeerküste, bereits von Feministinnen mit der Eisensäge seiner Genitalien beraubt worden ist.
Es war eine sehr gute Entscheidung, noch ein Stück weiter zu laufen, auch wenn in Calzadilla der Dorfkonsum sonntags geschlossen hat. Aber ein paar Scheiben Brot und etwas Aufschnitt hatte ich ja noch im Rucksack. Und die Herberge ist wirklich großartig: keine Doppelstockbetten, sondern 14 Einzelbetten (nicht 10, wie die App behauptet), Bettwäsche, Decken, sehr ordentliche Sanitäranlagen, Küche, gemütlicher Aufenthaltsraum, Internet sowie eine Waschmaschine zur kostenfreien Nutzung. Und das alles für 10 €. Da bleiben sogar noch ein paar Groschen übrig, um in die Bar zu gehen, weil doch der Konsum geschlossen ist.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass heute ein richtig schöner Pilgertag war. Ich bin gut vorangekommen, das Wetter hat sich gehalten und es gab wieder viel zu sehen, auch wenn das im herkömmlichen Sinne keine Sehens-würdigkeiten waren. Erst die in Mauern eingefassten Dehesas, dann die weite Landschaft mit bewirtschafteten Äckern, zuletzt sogar kleine Weinberge. Jetzt habe ich das Gefühl, wieder im üblichen „Pilgertrott“ zu sein. Erfahrungsgemäß gibt es zwar in ein paar Tagen einen Rückschlag, da man sich fragt, warum man diese Strapazen auf sich nimmt. Aber egal, ob man dafür eine Antwort hat oder nicht: schon ein paar Tage später ist das wieder vorbei. Die Strapazen vergisst man in der Regel schnell. Was bleibt, sind die schönen Erinnerungen an die Landschaft, die Städte und die Menschen, denen man begegnet. Martin, mit dem ich heute recht tiefgründige Gespräche führen konnte, habe ich übrigens hier in der Herberge wiedergetroffen, genauso die beiden Spanier, die mit in der letzten Herberge waren, und das italienische Paar, das mit dem Rollstuhl unterwegs ist. Die beiden waren gerade beim Wäscheaufhängen, als ich kam und haben mir zugejubelt. Wir sind uns in die Arme gefallen, wie es bei alten Bekannten üblich ist, die sich ewig nicht gesehen haben. Das ist auf Neudeutsch „Pilgerfeeling“. Die Zwei haben die letzte Nacht wieder gezeltet und sind dabei ordentlich eingeregnet. Ihre Sachen hängen überall zum Trocknen rum und die Schuhe sind vor dem einzigen Elektroheizer im Haus platziert.
Was den Pilger auch freut: die Dorfkirche ist hier zwar geschlossen, aber die gegenüber der Herberge befindliche Kirche einer Einsiedelei steht offen. Das ist ein unspektakulärer, aber anheimelnder Bau - nur leider ohne Jakobus oder Rochus unter den im Raum verteilten Figuren.
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Via de la Plata - Tag 7 |