Unterwegs auf der Via de la Plata und dem Camino Sanabrés von Sevilla nach Santiago de Compostela
Tag 18 (Do, 14.3.2024) Carcaboso - Aldeanueva del Camino / 42,7 km
Es ist in der Herberge der Seniora Elena, angeblich der ersten in der Neuzeit an der Via de la Plata eröffneten Herberge, bei der 10er-Belegung geblieben: inklusive einem jungen Thüringer, der abends noch kam, 7 Deutsche und 3 Spanier. Ich hatte mich mit dem Spanier in meinem Zimmer auf 6 Uhr aufstehen geeinigt. Aber ich habe so schlecht geschlafen, dass ich um vier die Nacht für beendet erklärt habe. Ich hatte wieder meinen Schlafsack nicht rausgeholt, weil es ja Bettwäsche und eine Decke gab. Die hat aber nicht ausgereicht und ich habe gefroren. Um vier wollte ich mir eigentlich nur den Pullover überziehen, aber da ich nun schon mal auf war, konnte ich auch gleich packen. Ich habe leise meine Sachen in den „Salon“ getragen, wo ich mich unter Flutlicht anziehen und reisefertig machen konnte. Es hat schon was, wenn man nicht im Dunkeln hantieren muss. In Mérida, wo sich wegen eines einzigen, noch dazu schnarchenden Langschläfers niemand getraut hat, das Licht an­zumachen, habe ich im Dämmerlicht die wundgelaufenen Stellen unterhalb des Oberkörpers versehentlich mit Sonnencreme statt Salbe behandelt. Das hat zwar nicht viel gebracht, aber ich war froh, dass ich nicht die Voltaren-Tube gegriffen habe, denn das hätte eventuell gebrannt.
Ich habe mir Frühstück gemacht, Baguette für unterwegs geschmiert und zwei Kaffee gekocht, bevor ich um fünf los bin. Im Ort habe ich noch einen Abstecher zur Dorfkirche eingelegt, da im Wanderführer erwähnt wurde, dass in deren Fassade alte römische Meilen­steine verbaut wurden. Tatsächlich bestanden da die Außenkanten des Portikus aus übereinander geschichteten säulenförmigen Meilensteinen, zum Teil sogar noch mit Beschriftung. Weitere Meilensteine und Architekturelemente waren nebenan in einem kleinen Park aufgestellt.
Am Ortsausgang wurde es dann Zeit, die Stirnlampe anzuschalten, die ich mir extra für nächtliche Wanderungen ausgeliehen habe. Damit konnte man gut den Weg ausleuchten, aus dem doch immer mal faustgroße Steine heraus-ragten, auf denen man sich leicht wieder den Fuß verdrehen konnte. Meinem lieben Nachbarn, der jetzt im Dunkeln an der Modellbahnanlage hantieren muss, sei für diese Leihgabe Dank gesagt.
Die Lampe hat auch nicht übermäßig zur so genannten „Lichtverschmutzung“ beigetragen, so dass ich einen wunderbaren Sternenhimmel sehen konnte - es war aber angebracht, dazu stehen zu bleiben, denn nicht nur die herausragenden Steine hatten ihre Tücken, sondern auch die herumliegenden Kuhfladen und Pferdeäpfel. Die waren mitunter kaum vom üblichen Matsch zu unterscheiden. Es war aber auch egal, was einem da an Hose und Schuhen klebte, denn bei der nächsten Pfütze wurde das eh abgespült. Wie schon ausgeführt, hat die Erfahrung gelehrt, dass es nicht viel bringt, Pfützen auf den nassen Wiesen umrunden zu wollen, weil auch dort Schuhe nebst Inhalt nass werden. Also (Hühner-) Augen zu und durch!
Als der Weg dann an einem einsamen Gehöft auf eine asphaltierte Straße stieß, freuten sich die Füße und der restliche Körper. Auf der Straße, die entlang eines aus V-förmigen Betonelementen bestehenden Kanals verlief, konnte ich hervorragend laufen und bei Einsetzen der Morgendämmerung meine Lampe ausschalten. Irgendwann kam es mir aber komisch vor, dass eine Ortschaft immer näher rückte, die da gar nicht hätte sein dürfen. Ein Blick auf die Karte sagte mir, dass ich gleich nach Erreichen der Straße diese nach rechts hätte wieder verlassen müssen. Mist. Das lag zwei Kilometer zurück. An einem Tag, der eh schon an den Kräften zehren wird, war es äußerst blöd, 4 km umsonst zu laufen und eine Stunde zu verschenken. 38 km geteilt durch 3 km/h (mehr habe ich in den letzten Tagen nicht geschafft) macht knapp 13 Stunden, d.h. Ankunft gegen 18 Uhr. Und nun das. Ich habe überlegt, ob ich auf der schönen Asphaltstraße weiterlaufe und dann einen in der Karte ersichtlichen Fahrweg schräg durch die Dehesa nehme, aber den Römern zuliebe bin ich zurück auf ihren Weg. Als ich wieder am verpassten Abzweig war, stellte sich wenigstens die Genugtuung ein, dass der wirklich kaum zu erkennen war. Es geht dort auf einer Brücke über den Kanal und durch ein fast blickdichtes Tor. Nicht an der Straße, sondern hinter dem Tor war der übliche Granitquader mit Muschel und Pfeil, und zwar so platziert, dass ich ihn jetzt auf dem Rückweg, aber nicht auf dem Hinweg sehen konnte. Mich trifft also nur eine Teilschuld, weil ich mal eine halbe Stunde nicht auf das Smartphone geschaut habe, was man eigentlich beim Pilgern noch viel seltener machen sollte. Ich habe gleich A, B und C per WhatsApp bezüglich dieser Falle gewarnt. Als die mir dann schrieben, dass der Abzweig wirklich leicht zu verfehlen ist, fühlte ich mich endlich rehabilitiert und hatte ich meinen inneren Frieden wieder.
Es ging hinter dem Tor ein Stück bergauf und dann durch eine endlos weite Dehesa, größtenteils auf einem Trampelpfad, welcher der alten Römerstraße folgt. Nicht nur der Trampelpfad, sondern auch die angrenzenden Wiesen standen teilweise unter Wasser. Entgegen jeglicher Physik auch die Wiesen, die schräg ansteigen. Da lohnte es wirklich nicht, große Umwege zu machen. Also einfach durch. Das spart zweimal Zeit, nämlich beim Laufen und später beim Wäschewaschen, denn die Socken sind ja dann schon gewaschen.
Unweit eines Kuhstalls hatte ich plötzlich einen großen schwarzen Hund neben mir beziehungsweise auf meiner Schulter. Der hatte sich so in mich verliebt, dass er gar nicht aufhören wollte, an mir hoch zu springen und das vorhin beschriebene Schlamm-Kacke-Gemisch an seinen Pfoten auf meinem Anorak und Rucksack zu verteilen. Der stolze Hundebesitzer, der leider nicht in der Nähe war, hätte bestimmt den üblichen Spruch „Der will doch nur spielen“ abgegeben und nicht gefragt, ob ich Küsschen tauschen oder Schnappen spielen will. Ein zweiter, zum Glück eingezäunter Hund hat dann die Aufmerksamkeit meines verschmähten Liebhabers auf sich gezogen, so dass ich mich schnell aus dem Staub machen konnte.
Um zehn war ich an der Stelle, wo ich ins 6,5 km entfernte Oliva de Plasencia zum Übernachten hätte abbiegen müssen, wenn ich die Tour in zwei Etappen hätte teilen wollen. Da wäre ich dann noch am Vormittag gewesen und hätte dann wieder einen halben Ruhetag gehabt. Da der Fuß vermutlich dank einer vorsorglich genommenen Schmerztablette gut mitgemacht hat, bin ich aber weiter auf dem Camino gelaufen und war kurz vor zwölf in Cáperra bei der Ausgrabungsstätte (Ciudad Romana de Cáperra), die sich dadurch auszeichnet, dass inmitten der nur noch kniehoch erhaltenen Gebäude aus der Römerzeit auf einer Wegkreuzung ein fast vollständig erhaltener, „viertüriger“ Torbogen steht, der auf vielen Prospekten und Reiseführern und in der Extremadura auf allen Granitblöcken zu sehen ist, die den „Camino de Santiago“ markieren. Dieser „Arcos“ mit quadratischem Grundriss und Torbögen auf jeder Seite kam auch in allen Youtube-Videos vor, die ich bisher von der Via de la Plata gesehen habe. Deshalb wollte ich den auch unbedingt besichtigen. Es ist übrigens kein Triumphbogen, sondern ein Denkmal, das ein junger Römer seinen Eltern gewidmet hat. Leider war der Himmel grau und zudem alles mit Bauzäunen gesichert, so dass man da keine richtig schönen Fotos machen konnte.
Die Bauzäune sollten vermutlich verhindern, dass man beim Betreten der Ausgrabungsstätte gleich in ein römisches Badezimmer stürzt, denn wie nicht anders zu erwarten, lagen im Zentrum der Siedlung, gleich neben dem Arcos, die Thermalbäder. Auch hier war offenbar die Hauptbeschäftigung der Römer das Baden. Ein Teil der Ausgrabungsfläche ist mit einem Podest überdacht, von dem aus man durch riesige Glasscheiben auf die darunter liegenden Gemäuerreste schauen kann. Hier hat man wieder viel Geld verbrannt. Was man durch den Glasboden gesehen hat, unterschied sich kaum von den umliegenden Ausgrabungsflächen, also keine Mosaike oder sowas. Der Boden der Plattform war an vielen Stellen brüchig und gewölbt und irgendwann wird diese sicher gesperrt werden. Ich war überrascht, dass ich ganz allein auf der Ausgrabungsfläche rings um den Arcos war. Von dort ging es allerdings auch noch einen Berg hoch, wo es ein Amphitheater zu sehen gäbe und wo sich die Besucherinfo befindet. Ich bin da nicht extra hoch - vielleicht wären da noch Besucher gewesen. Ich habe auf einer Bank zwischen den alten Gemäuern Picknick gemacht und eigentlich gedacht, dass mich A, B und C dort einholen. Aber die waren wohl doch noch weiter zurück als gedacht.
Zwei Stunden später war ich dann an dem Abzweig, an dem die drei nach Jamilla ins Hotel Asturias abbiegen wollten. Da sie mich immer noch nicht eingeholt hatten, haben wir uns nur per WhatsApp gegenseitig einen schönen Abend wünschen können. Sicher werden wir uns morgen irgendwo treffen. Jetzt waren es nur noch sieben oder acht Kilometer bis Aldeanueva del Camino, wo ich Quartier nehmen wollte - direkt am Weg und nicht irgendwo abseits. Letztlich war ich nach 38+4 Kilometern noch vor 18 Uhr da, also früher als erwartet. Der Ort liegt beidseits der N-630 und wird von einem Bach (Garganta de la Buitrera) durchschnitten, über den sich in einer Seitenstraße eine kleine, aber richtig schöne alte Römerbrücke spannt. Das Bächlein darunter tost derzeit recht gewaltig. Gleich hinter dieser Brücke ist eine der beiden Kirchen des Ortes (Parroquia Nuestra Señora del Olmo) und als ich kam, standen ringsum knapp zwei Dutzend Männer und debattierten. Ich hatte das erst für eine Versammlung gehalten, bis ich aus der Kirche Gesang hörte und mir dämmerte, dass da drinnen die zu den Männern gehörigen Frauen sitzen. Da ich erstmal mein Quartier sichern wollte, bin ich leider nicht gleich in die Kirche, sondern hab das für später aufgeschoben. Dann war sie allerdings schon wieder verschlossen und die Männer waren (vermutlich mit ihren Frauen) verschwunden.
Ich habe dieses Mal nicht die auf Spendenbasis betriebene kommunale Herberge gewählt, sondern mir Luxus gegönnt - die Touristenherberge „La Casa de Mi Abuela“ für 16 € mit Frühstück. Ausschlaggebend dafür war die Bebilderung auf Gronze. Die kommunale Herberge hatte nur ein völlig nichtssagendes Bild und bei der anderen war zu sehen, dass die nicht nur sehr ordentlich ist, sondern auch, wie die Küche ausgestattet ist. Ich wollte mir nämlich mal ein paar ordentliche Rühreier machen und das geht schlecht, wenn es nur eine Mikrowelle gibt. Die erkorene Herberge war zwar verschlossen, aber auf meinen Anruf hin kam nach 5 Minuten eine junge Frau und hat mir aufgeschlossen. In dem 8-Betten-Schlafsaal, der mir zugewiesen wurde, war schon einer: der weißhaarige Spanier „Pepe“ (Josef), mit dem ich mir gestern schon das Zimmer geteilt habe. Später kam noch der Thüringer dazu, der gestern auch in der Herberge war: Nicklas aus Gera. Mit dem habe ich mir am Abend noch Waschmaschine und Trockner geteilt, denn der war vom Pfützen­springen genauso eingesaut wie ich.
Der Erwerb der Zutaten fürs Abendbrot war nicht ganz einfach, weil der Supermarkt geschlossen war und es im gegenüber liegenden Fleisch- und Käseladen nur ein sehr spärliches Angebot anderer Sachen gab. Eine sehr gut Deutsch sprechende Dame, die eine Weile in Hannover gelebt hat, erklärte mir dann, dass der Supermarkt nur noch Dienstag und Freitag einen halben Tag offen hat. Sie hat mich dann zu einem sehr exotischen Gemischt­warenladen geführt, wo es von Gemüse über Lebensmittel, Drogeriewaren bis hin zum Büstenhalter einfach alles gab. Mit etwas Suchen habe ich dort gefunden, was für ein ordentliches Rührei nötig ist: Bacon, Zwiebeln, Paprika und Eier, die so groß waren, dass das Huhn beim Legen bestimmt nicht schmerzfrei geblieben ist. Und alles war lecker!

Via de la Plata - Tag 18