Unterwegs auf der Via de la Plata und dem Camino Sanabrés von Sevilla nach Santiago de Compostela
Tag 25 (Do, 21.3.2024) Zamora - Montamarta / 19,7 km
Nach mir kamen gestern in der Herberge noch zwei Franzosen an, ein Mann Mitte dreißig und ein sehr junger Bursche. Ersterer fiel durch seine mit Fell gefütterte Mütze auf, die sehr an die des nach Pais de Calais strafversetzten Postbeamten aus „Willkommen bei den Sch’tis“ erinnerte. Bei dem jüngeren war nicht zu erkennen, ob ihm das Wandern wirklich Spaß macht oder nicht. Ich dachte erst, das wären vielleicht Brüder und hab‘ den älteren gefragt. Er sagte mir darauf, dass der 15-Jährige das „für seinen Kopf“ braucht und dass er bei einer Organisation ist, die solche Jungs dabei unterstützt. Das halte ich für sehr ehrenvoll und nachahmenswert.
Trotz offenen Fensters war es Dank der acht Personen so warm im Zimmer, dass ich ohne jegliche Decke schlafen konnte. Das war auch mal schön. In der Nacht ging dann aber ein Unwetter vom Feinsten los. Hätte ich nicht dafür aus meinem Bett klettern müssen, hätte ich mich ans Fenster gesetzt und zugeschaut. Obwohl wir von vorn gesehen im Keller waren, waren wir von der anderen Seite aus im ersten Stock und von dem kleinen Balkon vor unserem Zimmer konnte man über die Stadtmauer auf die jenseits des Flusses liegende Vorstadt schauen. Bei jedem Blitz war die hell erleuchtet und jeder Donner hat in den Mauern der mittelalterlichen Stadt so viele Echos hervorgerufen, dass sich ein über mehrere Sekunden hinziehender Ton ergeben hat. Da konnte man denken, die Mauren greifen wieder an. Als wir heute kurz nach acht aus der Herberge raus sind, lagen überall Haufen von Hagelkörnern. Und obwohl schon 12,5 Grad waren und bestimmt das Meiste längst weggetaut war, waren Männer von der Stadtreinigung dabei, Einfahrten und Bushaltestellen freizuschaufeln. Traurig ist nur, dass von manchen Bäumen fast alle Blüten und Blätter abgeschlagen wurden. Unter den fast kahlen Bäumen lagen mitunter richtige Haufen an Blattwerk. Ich wage zu bezweifeln, dass sich alle Bäume davon erholen werden.
Hinter der Stadt zweigte der Camino von der Straße ab und führte bis zu meinem heutigen Etappenziel, Montamarta, auf Feldwegen durch mitunter endlos erscheinende Felder. Dabei ging es auch über die Trasse des Hoch-geschwindigkeitszuges AVE, vergleichbar mit dem ICE oder TGV. Zwar nicht dort, aber später habe ich sogar mal einen zu sehen bekommen. Auf der Brücke habe ich allerdings Christel aus Hannover und Sybille aus KW wieder­getroffen, mit denen ich vor einer Woche schon mal in einer Herberge war. Die wollten wie ich nach Montamarta, etwa 20 km von Zamora entfernt. Ich hatte erst überlegt, ob ich wie A&B noch weiter laufe. Die Kräfte und das Wetter hätten es zugelassen, noch 12 km dranzuhängen. Dann wären aber auf der morgigen Etappe 10 km bis Granja übrig, die man an die darauf folgende 25 km-Etappe nach Tábara anhängen müsste, wenn man nicht nach zehn Kilometern Schluss machen will. Das wären dann aber einige Tage hintereinander mit jeweils mehr als 30 Kilometern. Das muss man sich nicht antun, wenn man nicht in Eile ist.
Solch ein halber Tag wie heute ist auch mal was Schönes. Ich war kurz nach zwei in der Pilgerherberge von Montamarta, die etwas abseits des Weges am Ortsrand liegt. Um dort hinzukommen, soll man eigentlich eine Unterführung unter der N-630 nehmen, die sich normalerweise der Weg und ein kleiner Bach teilen. Aber momentan duldet das Bächlein keinen Weg neben sich. Mit einem kurzen Umweg bis zu einer Stelle, an der man auf die Straße rauf kommt, war das Hindernis leicht überwunden. Von der Straße aus konnte ich dann sehen, wie ein kleiner Jeep durch die Unterführung gerauscht ist. Dem ging das Wasser bis über die Stoßstange. In der 20-Betten-Herberge angekommen, bin ich auf lauter Bekannte gestoßen: der Engländer und der Niederländer sowie die beiden Franzosen aus der Herberge in Zamora, Christel und Sybille sowie die Russin Svetlana, die in Zamora einen ganzen Schlafsaal für sich hatte. Der war ich heute zwischendurch schon wiederholt begegnet. In Roales del Pan saß sie am Platz vor der Kirche auf einer Bank, hatte einen Schreibblock auf dem Schoß und diktierte was ins Telefon. Homeoffice auf dem Jakobsweg? Auf diese Idee bin ich Blödmann seinerzeit nicht gekommen. Da hätte man nicht auf die Rente warten müssen, sondern schon viel eher auf Pilgertour gehen können!
Nach einer Dusche ging es an das längst überfällige Wäschewaschen. Mein Waschsack, in dem ich stets alles sammle, was nicht mehr tragbar ist, hat sich dabei wieder bewährt. Da dieser die hier in der 5-Euro-Herberge kostenlos zur Verfügung stehende Waschmaschine längst nicht ausgefüllt hat, konnte ich die Damen dazu einladen, ihr „kleines Schwarzes“ mit in die Trommel zu geben, ohne dass hinterher Streit entsteht, wem da welches Dessous gehört. Um halb vier hing die Wäsche draußen auf der Leine und bei dem Wind und der Sonne war sie schon vor dem Dunkelwerden trocken. Damit der Wind die Wäsche nicht fortträgt, war allerdings Einfallsreichtum gefragt, weil nur noch zwei Klammern zu finden waren: bei den Hosen wurde ein Bein verknotet, bei den T-Shirts wurde die Wäscheleine durch die Armöffnungen gezogen, die Schlüppis kamen unter die Klammern und die Socken blieben im Waschsack.
Um halb sechs bin ich mit den Damen in den kleinen Supermarkt des Ortes gelaufen, da die wie ich Lust hatten, was zu kochen und wir schauen wollten, was es denn so gibt. Zurück gekommen sind wir mit einer Packung Eier, Schinken und einem Glas grüner Bohnen. Daraus haben die Damen ein leckeres Abendbrot bereitet. Dass man Bohnen in die Rühreier schnippeln kann, wussten sie von einem Tagesmenü, bei dem es Rührei mit Bohnen als Vorspeise gab.
Als wir danach noch zusammensaßen, steckten plötzlich zwei Polizisten von der Guardia Civil ihre Köpfe durch die Tür, stellten sich vor und erklärten, dass sie auf dem Jakobsweg für den Schutz der Pilger zuständig sind und dass man sich bei allen Problemen an sie wenden kann, entweder unter 062 oder über die App „Alertcops“, deren Nutzung sie empfohlen haben. Davon hatte ich schon gelesen, aber immer wieder vertrödelt, diese mal zu installieren. Damit kann man im Falle eines gesundheitlichen oder anderen Problems auf einen Tastendruck hin mit dem nächsten Revier chatten und die Polizisten können deinen Standort ermitteln. Das geht im Ernstfall bestimmt besser und schneller, als am Telefon seine Koordinaten auf Spanisch durchzugeben. Daran habe ich gerade gestern früh im dunklen Wald nachgedacht. Reumütig habe ich die App gleich installiert, obwohl es in der Herberge kein WLAN gab. Beides ist eine gute, nachahmenswerte Idee: dass sich die Polizei als Beschützer anbietet und vorstellt, und dass es Möglichkeiten gibt, leicht mit denen in Kontakt zu treten. Die App ist übrigens nicht nur für Pilger gedacht, sondern enthält Notruftasten für alle möglichen Fälle: Prügeleien, Überfälle, Diebstahl, Vandalismus, sexuelle Gewalt, Schul­mobbing usw. Tolle Sache und es funktioniert - nach einem Testalarm war sofort jemand im Chat verfügbar. Und die Antworten kamen sogar auf Deutsch.

Via de la Plata - Tag 25