Unterwegs auf der Via de la Plata und dem Camino Sanabrés von Sevilla nach Santiago de Compostela
Tag 30 (Di, 26.3.2024) Rionegro del Puente - Asturianos / 25,9 km
Wir (Ivor, Kees und Sieglind - die Norwegerin) sind in der Herberge von Rionegro unter uns geblieben. Halb sieben klingelte wie immer Kees‘ Wecker, da war ich aber schon beim Packen. Sieglind war so schlau, gleich nach dem Aufstehen Kaffeewasser aufzusetzen, denn das brauchte ewig, bis es warm war. Ich war zwar bzgl. Essensvorräten ziemlich abgebrannt, aber in einer Rucksacktasche fand sich noch eine Scheibe Weißbrot, die es gestern zur Tortilla dazu gab. Mit Margarine drauf und einer Prise Hähnchen-Würzsalz war das schon mal eine gute Grundlage für die nachfolgenden (zuckerfreien) Kekse. Aber meine Kaffeedose war zum Glück noch hinreichend gefüllt.
Da Andreas per WhatsApp vor schlammigen Wegen kurz vor Mombuey gewarnt hatte, habe ich gleich die ziemlich parallel verlaufende N-525 benutzt. Ivor und Kees ebenso, denn die haben mich auf der Straße eingeholt. Kurz vor Mombuey sind wir in eine Raststätte ein­gekehrt und haben uns jeder an und mit einem Glas Café con Leche aufgewärmt, denn es war draußen lausig kalt - beim Losgehen -2 Grad. Ich hab zudem nach dem mickrigen Frühstück meinem Körper noch eine Tortilla zugeführt. In Mombuey war ich über das Angebot an Supermärkten und Bars bzw. Restaurants erstaunt. Da es laut aller aufgerufenen Karten in den nachfolgenden Orten, einschließlich meinem Etappenziel Asturianos keine Einkaufsmöglichkeit gibt, habe ich mich dort noch mit den Zutaten für Abendbrot und Frühstück eingedeckt und das alles die nächsten zwanzig Kilometer durch die Gegend geschleppt. Im Ort habe ich auch noch einen Blick in die kleine, aber recht urige 8-Betten-Herberge werfen können, weil ein älteres norwegisches Pilgerpaar gerade aus der Tür trat. In den beiden habe ich endlich welche gefunden, die langsamer sind als ich!
Der Weg führte dann ein ganzes Stück parallel zur Straße, bevor er scharf links abbog, um Autobahn und Schnellzugstrecke zu überqueren. Da verfolgte uns ein Streifenwagen der Guardia Civil, dessen Insassen ganz höflich fragten, wo wir herkommen und wo wir hinwollen. Bei mir haben denen diese Angaben gereicht. Mit den Norwegern, die auf den ersten Blick nicht so richtig fit aussahen, haben sie hingegen eine ganze Weile geredet. Ich habe nicht mitbekommen, worum es ging, habe aber das Wort „Shower“ gehört. Ich vermute mal, dass es nicht um die Dusche in der Herberge ging, sondern dass die Polizisten vor möglichen Regenschauern gewarnt haben.
Fast der ganze restliche Weg führte durch lichte Wälder mit Bäumen, die von unten bis oben bemoost bzw. mit Flechten bewachsen sind, und wo der Boden mitunter lückenlos mit Ginsterbüschen bedeckt ist. Wenn die alle blühen, muss das großartig aussehen. Zwischendurch ging es immer wieder durch kleine Orte, in denen es teilweise schlimm aussah. Viele alte Lehmhäuser sind da schon zusammengefallen und bei einigen der noch halbwegs intakten Häuser sind sicher schon seit einigen Jahren die Rollläden runter. Aber auch in diesen Orten wird neu gebaut, allerdings immer am Dorfrand und nicht in den Lücken. Ich konnte amüsiert einen Betontransporter beobachten, der versucht hat, durch die engen Gassen zu seinem Bestimmungsort zu kommen.
Das Aussterben der Dörfer hat leider auch zur Folge, dass es da kaum noch Kneipen und Geschäfte gibt. Die jungen Leute bringen sicher alles von der Arbeit mit und die alten generieren nicht genug Umsatz für jemanden, der davon leben und eine Familie ernähren muss. Wenn ein alter Kneiper oder Kaufmann wegstirbt, dann findet sich kein neuer. Im letzten Etappenort, Rionegra, der an der Fernstraße liegt und gar nicht so klein ist, lag in der Herberge ein Zettel aus, dass Ende Mai die Bäckerei schließt, aber jeden Mittwoch von 9.00 bis 11.30 Uhr ein mobiler Imbisstand und jeden Freitag von 9.30 bis 13.30 Uhr ein mobiler Obst- und Gemüsestand kommt. Bis zum nächsten Ort mit Geschäften, Mombuey, sind es 9 km! Da möchte man nicht alt und klapprig sein.
Aber zurück zum Weg: Den ganzen Tag über hingen dicke, mehr oder weniger graue Wolken am Himmel, aber abgesehen von etwas Graupel kam zum Glück bis zum Ziel nichts runter. Ziel war heute Asturianos, wieder ein kleiner Ort an der N-525, aber mit Herberge. Die hat man zusammen mit einer Bar an eine etwas auswärts errichtete Mehrzweckhalle angebaut. Da ist zwar kein Durchgangsverkehr, aber wenn hier eine Veranstaltung ist, dann hat man schon mal einen Verpflegungspunkt und die Kombination Herberge-Bar hat ja auch ihren Vorteil. Die Kneiperin ist hier gleichzeitig Hospitalera. Ich musste bei meiner Ankunft nicht mal rein in die Bar, denn sie hat mich am Fenster vorbeilaufen gesehen und kam gleich mit dem Schlüssel rausgestürzt. Wie ich es schon wiederholt bei Herbergen neben einer Bar erlebt habe, gibt es leider auch hier in der mit Kühlschrank, Herd und Mikrowelle ausgestatteten Küche kaum Geschirr. Keine Töpfe oder Pfannen und kein Besteck, nur ein paar Becher und Suppen(!)-Teller.
Nachdem ich mein Zeug abgestellt und in unserem 8-Mann-Zimmer das letzte freie Bett im Unterdeck belegt habe, bin ich zum Einchecken in die Bar, wo bereits Ivor und Kees saßen. Im Fernsehen liefen gerade Nachrichten mit schaurigen Winterbildern aus allen möglichen Gegenden Spaniens. Als wäre dies das Stichwort gewesen, fing es plötzlich vor dem Fenster an zu schneien! Als heute vormittag ein Winterdienstfahrzeug mit Schneeschieber an mir vorbei fuhr, habe ich das noch für einen Witz gehalten.
In der Bar bullert ein Kanonenofen mit Pellets. Ein tolle Sache, die hier sehr verbreitet ist: kleiner als unsere Kaminöfen, aber mit einem Speicher für Pellets und einer Elektronik, die dafür sorgt, dass alle paar Minuten eine Handvoll Pellets ins Feuer fällt, was jedes Mal ein wohliges Geräusch macht.
Jetzt, da ich das schreibe, ist gerade Stromausfall. Da gibt die Heizung nur ein für Fehlermeldungen typisches Geräusch von sich. Ich befürchte, dass da bald auch nichts mehr nachgelegt wird. Dann wird es hier bitterkalt. Und ich befürchte, dass die Herberge an derselben Sicherung hängt. Dann nützt uns der Radiator im Zimmer auch nichts mehr. Da kann man nur hoffen, dass wir nicht einschneien und dass man uns vor Eintreten der Leichenstarre findet.
Das Tragische an der Situation ist, dass ich mir gerade eine Pizza bestellt habe, die ohne Strom bestimmt nicht warm wird … Die Geräusche, die der Pelletofen jetzt von sich gibt, erinnern sehr an die Töne auf der Intensivstation, wenn nichts mehr zu machen ist. Jetzt ist es ein Dauerton und die Flamme ist aus. Zeitgleich hat sich die Notbeleuchtung verab­schiedet. Nun beleuchtet nur noch eine Kerze die Kneipe.
21.30 Uhr. Bevor ich durchfriere, bin ich vor einer halben Stunde rüber in die Herberge und habe mich dort in den Schlafsack mit einer warmen Decke drüber verkrochen. Über mir ist am späten Nachmittag noch ein Kolumbianer eingezogen. Da an unserem Doppelstockbett nur eine Steckdose ist, habe ich ihm den zweiten USB-Port meines Ladegerätes angeboten. Als ich nun ins Zimmer komme, beklagt er sich ganz höflich, dass mein Ladegerät nicht funktioniert. Auch Kees und Sieglind haben den Stromausfall nicht mitbekommen und nicht gemerkt, dass statt dem Deckenlicht plötzlich die Notbeleuchtung an ist. Sieglind fragte vor ein paar Minuten, ob wir das Licht ausmachen können und Ivor musste ihr erklären, dass der Strom weg ist und man das Notlicht nicht ausschalten kann. Das geht von allein aus, wenn die Batterie alle ist, was inzwischen der Fall war. Der Stromausfall scheint aber nur einen Ortsteil oder sogar nur diesen Gebäudekomplex (Halle, Bar, Herberge) zu betreffen, denn unten im Dorf brennt Licht. Ich hoffe, dass nicht meine Pizzabestellung Schuld war - und wenn doch, dass niemand davon erfährt, denn gerade hat das Fußballspiel Spanien gegen Brasilien begonnen.

Via de la Plata - Tag 30