Tag 2 (Fr, 13.10.2023) Vila Franca de Xira - Azambuja / 20,0 km
Tag 2 (Fr, 13.10.2023) Vila Franca de Xira - Azambuja / 20,0 km Kann es sein, dass heute Freitag, der 13. ist? Irgendwie sind meine Planungen für heute etwas daneben. Aber dazu später. In meiner letzten Herberge waren mehrere Bäder. Davon mindestens zwei mit Badewanne - ohne Stöpsel. Also, wenn der Wirt vermeiden will, dass ich die Badewanne als solche benutze, dann darf er keine Frischhaltefolie im Küchenschrank deponieren. Damit bekommt man jeden Abfluss abgedichtet. Man muss nur für reichlich Wasser in der Wanne sorgen, damit die Folie eng anliegt. Ich habe mir also noch ein Stündchen Schlaf in der Wanne gegönnt, bevor ich kurz vor eins ins Bett bin. Ich bin allein in meinem 4-Bett-Zimmer geblieben und habe sehr gut geschlafen, obwohl hinterm Haus die Bahngleise verlaufen. Aber da war nachts nicht viel los. Um sechs bin ich aufgestanden und eine Stunde später losgezogen. Da war es noch dunkel, aber der Weg auf die andere Seite der Bahn war leicht zu finden. So richtig hell geworden ist es eigentlich erst am späten Vormittag. Bis dahin war dichter Nebel und nicht mehr zu sehen, als üblicherweise in der Dämmerung.
Wie ich schon vorgewarnt wurde, ist das Landesinnere von Portugal nicht unbedingt ein touristisches Highlight. Aber ich versuche, das als Pilger und nicht als Tourist zu sehen. Der Weg führte heute fast ausnahmslos entlang der Bahnlinie nach Norden. Auf der anderen Seite der Bahn reihte sich ein Logistik-Zentrum an das andere, riesige Hallen mit über hundert Toren. Alle direkt an der Bahn gelegen, aber keines mit Bahnanschluss. Hier wird auch alles mit dem LKW transportiert. Unter den vielen Zügen, die an mir vorbeigerast sind, war nicht ein Güterzug. Auf meiner Seite der Bahn wechselten sich frisch gepflügte Felder und halb fertige Gewerbegebiete ab. Über mehrere Kilometer verliefen Erschließungsstraßen mit Unmengen an Parktaschen parallel oder rechtwinklig zur Hauptstraße. Alles mal für viel Gewerbe gedacht, das nicht kam. Inzwischen ist das Unkraut, das auf den Parktaschen wächst, hüfthoch.
Ein Stück weiter lag jenseits der Bahn eine Chemiefabrik und auf meiner Seite waren aneinander gereiht mehrere Teiche, deren Inhalt roch, als hätten die was mit der Chemiebude zu tun. Auf den Teichen schwammen Belüfter mit großen Motoren und am Weg standen lauter Pumpenhäuschen. Irgendwie gruselig. Kurz vor Azambuja ging es unter der Bahnlinie hindurch und schon stand ich an der Hauptstraße im Angesicht eines Aldi. Ich schleppe zwar noch Essen mit mir herum, aber da ich mir nicht sicher bin, ob Ölsardine auf Milchbrötchen schmeckt, bin ich rein, um mir was zum Picknick zu holen. Im Brötchenregal gab es sowas ähnliches wie bei uns die Schinken-Käse-Croissants, aber rechteckig. Die waren ok. Außerdem habe ich mir eine Teigtasche mit unbekanntem Inhalt und sowas ähnliches in Kugelform genommen. Die Teigtasche war extrem lecker: ganz leicht, noch etwas warm und mit Shrimps gefüllt. Davon hätte ich mal ein halbes Dutzend nehmen sollen. In der Kugel war sowas wie Thunfisch. Essbar, aber nicht mein Favorit. Genauso wenig wie das Aldi-Schwarzbier. Aber alles zusammen ergab ein ordentliches Picknick auf der Parkbank. Dann bin ich zur hiesigen Herberge, wohl wissend, dass die erst um 15 Uhr aufmacht und es erst kurz nach zwei war. Ein bisschen Zeit habe ich noch in der Kirche zugebracht, die innen (wie es sich in Portugal gehört), ringsum und hoch bis zur Decke gefliest ist. An jeder Wand zwei große goldene Altäre mit einer Figur mittendrin und ein etwas eigenwilliger Chor mit einem „Schaukasten“ über dem Altar. Sehr gewöhnungsbedürftige Architektur- und Farbkombinationen.
Dass ich nach 20 Kilometern, am frühen Nachmittag, noch bevor die Herberge aufmacht, eine Tour beende, ist unüblich und vermutlich Freitag, dem 13. geschuldet. Ich habe nämlich heute beim Anruf erfahren, dass im 16 km entfernten Valada die Herberge ausgebucht ist. 20€ inkl. Frühstück, 8€ Abendbrot und eine gute Ausstattung haben schnell Liebhaber gefunden. Ich hatte daraufhin schon eine Pension im gleichen Ort ins Auge gefasst, aber dann beim Picknick die Karte studiert und gesehen, dass das eigentlich nicht viel bringt. Wenn ich heute nach 20 km Schluss mache, sind es morgen noch 33 km bis Santarém; laufe ich heute 36 km bis Valeda, habe ich morgen eine sehr kurze Etappe. An Santarém als Etappenziel kommt man nämlich nicht drum rum, weil dahinter eine Weile gar nichts kommt. Nun habe ich heute sozusagen einen Ruhetag.
Die Wartezeit vor der Herberge habe ich genutzt, um mir schon mal ein Bett in Santarém zu sichern. Da gibt es keine Herberge, sondern nur ein Hostel und diverse Pensionen. Das Hostel bietet verschiedene Preislagen. Für 20€ konnte ich zwischen einem Bett im Schlafsaal für Männer und einem im Schlafsaal der Frauen wählen. Nach reiflicher Überlegung habe ich mich für den Männerschlafsaal entschieden. Bei dieser Gelegenheit kam bei mir die Frage auf, ob man umbuchen kann, wenn man sich kurzfristig für ein anderes Geschlecht entscheidet. Heutzutage darf man zwar nicht die Heizung, aber das Geschlecht frei wählen.
Die Hospitalera, eine von zwölf Freiwilligen, welche täglich wechselnd die Herberge betreuen, kam schon ein paar Minuten vor fünf und hat mich reingelassen. Da hatte ich freie Wahl zwischen den sechs Doppelstockbetten und zwei Matratzen auf einem Podest. Ich habe mich für ein etwas separat an der Wand stehendes Bett entschieden, weil da in Betthöhe ein breites Bord ist, auf dem ich alle meine Sachen ausbreiten kann. Estefania aus Österreich und Tino aus Spanien, die ich schon unterwegs kennengelernt hatte, kamen kurz darauf und haben die Matratzen auf dem Podest genommen. Die beiden Rentner haben sich auf dem Jakobsweg kennen gelernt. Sie war auf der Via de la Plata unterwegs hat dort spontan ein paar Wochen als Hospitalera ausgeholfen und er kam während dieser Zeit planmäßig als Hospitalero dazu. Bald darauf haben sie sich bei ihm in Bilbao getroffen und sind zusammen den Camino del Norte und den Primitivo gelaufen. Jetzt sind sie von Lissabon nach Santiago unterwegs, allerdings in kleineren Etappen als ich.
Als nächstes kam Raoul, ein junger Spanier aus Barcelona, der wie ich morgen nach Santarém will, dies aber vom Wetter abhängig machen wird. Im Gegensatz zur üblichen Wetter-App sagt nämlich der spanische meteorologische Dienst für morgen schlechtes Wetter an. Er will auf jeden Fall früh los, da schließe ich mich gern an - oder umgekehrt. Der Fünfte im Zimmer hat bisher nur durch ein freundliches Nicken beim Betreten des Saales auf sich aufmerksam gemacht. Ich konnte ihm wenigstens entlocken, dass er Engländer ist und die letzte Nacht auch in Vila Franca übernachtet hat. Jetzt liegt er wieder mit Ohrstöpseln im Kopf und einem eBook in der Hand im Bett. Wir vier anderen sitzen am großen Esstisch im Vorraum und essen, schwatzen oder diskutieren die nächsten Etappen. Die beiden Spanier bemühen sich im Moment, bei Estefania ein WhatsApp-Problem zu lösen. Sie schreibt übrigens wie ich jeden Abend in eine WhatsApp-Gruppe.
Für den Weg hinter Santarém stellt sich die Frage, ob ich geradeaus direkt nach Santiago laufe, oder den Weg über Fátima wähle. Bis Santarém laufen wie schon gesagt beide Wege gleich, weshalb man immer blaue und gelbe Pfeile zusammen sieht. Im Ort trennen sich dann die Wege. Ich habe lange überlegt, ob ich auch Fátima besuche, wo vor gut hundert Jahren Maria drei Hirtenkindern erschienen sein soll. Ich habe damit ein Problem, weiß aber, dass meine verstorbene Mutter begierig alles aufgesaugt hat, was Fátima betraf, und sonst was dafür gegeben hätte, dort mal hinzukommen. Sie hätte es mir sicher nicht verzeihen können, wenn ich da einfach vorbeilaufe. Nun werde ich also im Andenken an meine Mutter nach Fátima laufen und dort eine Kerze für sie anzünden. Sie wird hoffentlich im Himmel gerade am Fenster sitzen und sich darüber freuen.
Da mir keinerlei Karte oder Herbergsverzeichnis für den Fátima-Weg vorliegt, habe ich Paula, unsere etwa 50jährige Hospitalera befragt. Die hat mir was rausgesucht und zum Abfotografieren gegeben. Da sie noch nachhakte, ob ich weitere Hilfe brauche, habe ich gleich zugegriffen und sie gebeten, in Fátima und in Monsanto, wo eine Zwischen­übernachtung fällig ist, anzurufen. Und das war auch gut, denn in Fátima stellte sich heraus, dass das Kloster keine Pilger mehr beherbergt (!) und unter der zweiten Adresse war niemand zu erreichen. Da habe ich aber bei Booking.com ein Hostel für weniger als 20€ gefunden. In Monsanto gibt es eine kommunale Herberge für 10€, aber die ist (weil kommunal) eigentlich am Wochenende geschlossen. Aber Paula hat ausgehandelt, dass ich mir in einem bestimmten Café im Ort den Schlüssel für die Herberge holen kann und hat mir die Telefonnummer des Bürgermeisters besorgt, falls irgendwas daneben geht. Für die nächsten drei Nächte sind also meine Unterkünfte gesichert. Wie es weiter geht, werde ich sehen. Wenn ich erstmal wieder auf dem Weg nach Santiago bin, wird hoffentlich keine Vorausbuchung mehr nötig sein, denn auf den ersten Blick ist die Herbergsdichte weiter nördlich besser.

Camino Portugues Central - Tag 2