Wilsnackfahrt (Mittelalterlicher Pilgerweg von Berlin nach Bad Wilsnack)
Von Barenthin nach Bad Wilsnack

Tag 7 (Fr, 26.8.2022) Von Barenthin nach Bad Wilsnack

Zwei bemerkenswerte Dinge kann man heute im Kalender notieren: 1. Ich bin in Bad Wilsnack angekommen (dazu später) und 2. Ich habe etwas der Nachwelt hinterlassen.

Ich liebe Harzer Käse, weil der kaum Kalorien und Fett hat und sich abends hervorragend als Hungerstiller eignet, wenn man unbedingt noch was essen will und ausnahmsweise mal berücksichtigt, dass Chips und Flips ungesund sind. Wegen dieser hervorragenden Eigen­schaften trage ich schon ein paar Tage einen Harzer Käse mit mir herum. Dass der im Rucksack vor sich hin stinkt, stört mich nicht und in den großen Pfarrsälen, in denen ich zuletzt geschlafen habe, hat er auch nachts nicht gestört. Aber hier, in meinem kleinen Pilgerzimmer in Bad Wilsnack wollte ich den nicht auf dem Tisch stehen lassen, während ich durch den Ort ziehe. Deshalb habe ich den Käse, der schon in den flüssigen Aggregat­zustand übergeht, zwischen die Fenster gestellt, denn jeder weiß, dass nach dem flüssigen der gasförmige Zustand kommt.

Als ich zurückkam, war noch keine verstärkte Gasentwicklung festzustellen und die Packung war noch normal gewölbt. Das Problem ist nur, dass ich nicht probieren kann, ob er noch schmeckt, weil ich das Fenster nicht öffnen kann. Der Fensterknauf lässt sich nicht um 90 Grad drehen und somit geht das Fenster nicht auf. Der Käse ist jetzt also ein Fall für die Nachwelt oder einen pfiffigen Hausmeister. Solange die Packung noch nicht explodiert ist, kann nicht viel passieren, aber wenn das passiert, dann habe ich bald einen Zoo zwischen den Fensterscheiben.

Ich bin am Donnerstag schon um 6 Uhr aufgebrochen. Einerseits weil ich vor 16 Uhr an der Kirche sein wollte, um meinen Zimmerschlüssel abzuholen, andererseits weil für den Nachmittag Regen angesagt war.

Die Kirche in Barenthin, wo ich übernachtet habe, bekam ich leider nicht mehr zu sehen. Den Schlüssel hätte die Dame gehabt, die mir den Gemeinderaum aufgeschlossen hat und danach weg musste. Die nächste schöne Dorfkirche gab es schon in Göricke zu sehen. Da hätte man sich bei einer Dame den Schlüssel und einen Pilgerstempel holen können, aber morgens halb acht macht man sowas nicht.

In Göricke an der Kirche und verschiedenen anderen Punkten des Weges war ein Schild­chen mit der Aufschrift „Audiopunkt“ und einem QR-Code, mit dem man eine Audiodatei, erstellt vom zuständigen Pfarrsprengel, aufrufen konnte. Eingebettet in Pilgerlieder, vermutlich gesungen von einem einheimischen Chor, gab es da ein paar Gedanken zu Steinen, Bäumen, Wasser usw., die nachdenklich machten und Anregung waren, auf dem nächsten Wegstück über dieses Thema nachzudenken. Das war gut gemacht und absolut passend für einen Pilgerweg. Damit wurden die Gedanken beim Laufen immer mal wieder auf das Verhältnis eines Einzelnen zur Menschheit, zur Umwelt und zu Gott zu lenken. Auch für einen Nichtgläubigen waren viele nachdenkenswerte Aspekte dabei. Eine tolle Idee. Angeblich sind alle Audiotracks auf www.wegenachwilsnack.de zu finden. Die kann man sich durchaus mal für eine spätere Pilgertour herunterladen.

In Söllentin traf ich auf die nächste schöne Feldsteinkirche. Auch hier hätte man sich den Schlüssel holen können und um halb neun hätte man sich das auch trauen dürfen. Aber inzwischen hatten sich hinter mir dunkle Wolken zusammengezogen, die es zusammen mit Unwetterwarnungen beherzter Familienangehöriger geraten erscheinen ließen, sich etwas zügiger zu bewegen, um nicht vom Regen und Sturm erwischt zu werden.

So ging es zügig voran und ich war schon gegen 11 Uhr an der Plattenburg, einer sehr schön anzusehende Burg, bestehend aus einer leer gezogenen Unterburg und einer sehr gut erhaltenen Oberburg. Das war früher mal ein Ferienlager der Reichsbahn, später Hotel. Momentan werden die Räumlichkeiten nur sporadisch für Veranstaltungen und Hochzeiten benutzt. Dafür gibt es hier sogar ein Standesamt. Ein Förderverein, der die Burg von der Gemeinde gepachtet hat, bemüht sich, der Burg neues Leben einzuhauchen und neue Verwendungsmöglichkeiten zu finden. Der tolle Burgkeller hat leider (noch vor Corona) dicht gemacht. Dafür versuchen gerade zwei junge Frauen, hier ein Café zu etablieren. Als ich kam, waren die gerade dabei, einen Raum herzurichten, in dem sie am nächsten Tag nachmittags probeweise ihr Café eröffnen wollen. Um den Damen Mut zu spenden, habe ich ihnen schon vor der Eröffnung den ersten Umsatz generiert. Eigentlich war ja Mitleid der Grund. Damit die nicht so schwer zu schleppen haben, habe ich ihnen aus dem Auto heraus eine Flasche aus ihrem Radeberger-Kasten abgenommen.

Die Burgherrin, eine nette ältere Dame vom Förderverein, stand auf der großen Freitreppe und hat alles dirigiert. Als ich Sie nach einem Pilgerstempel fragte, war sie überrascht, denn sowas haben sie nicht. Aber sie fand die Idee toll und will gleich die Beschaffung eines Pilgerstempels in die Wege leiten. Sie hat sich sehr für die Idee bedankt und ich habe im Gegenzug um die Erlaubnis gebeten, mich ein wenig umzusehen. Da gibt es tolle Räume mit Kreuzrippengewölbe, stattliche Kamine, altes Mobiliar und eine kleine Ausstellung zur Geschichte der Burg. Ich habe mich da ausgiebig umgesehen und bin kurz vor zwölf weiter. Die schwarze Wolke war immer noch hinter mir, aber das Gewitter-Grummeln hatte aufgehört und ab und zu schaute die Sonne über die Wolkenkante.

Zwei Stunden später war ich vom Regen verschont in Bad Wilsnack. Da habe ich am Verkaufsstand der „Offenen Kirche“ im Vorraum der Wunderblutkirche den Schlüssel für das gegenüber befindliche Pilgerzimmer in Empfang genommen und als kleines Andenken ein Wilsnacker Pilgerzeichen erworben. Vor dem Verlassen der Kirche durfte ich noch die Pilgerglocke läuten, die seit Jahrhunderten immer dann erklingt, wenn ein neuer Pilger angekommen ist.

Das kleine Pilgerzimmer, das ich für mich allein habe, befindet sich über dem Pilgercafé, dessen moderne Sanitäranlagen die Pilger mit benutzen dürfen - die Dusche leider erst ab 20 Uhr, weil sonst eine Toilette für die Café-Besucher blockiert wäre.

Mein Bruder, der gerade in Bad Wilsnack zur Kur ist und mit dem ich mich um halb vier getroffen habe, musste deshalb den Geruch des über zwei Tage angesammelten Schweißes ertragen. Da die drei in Wilsnack verbliebenen Gaststätten erst um 17 Uhr öffnen, haben wir uns in den Dönerladen gesetzt und bei gut gekühltem Radeberger bis halb acht gequatscht. Dann musste ich los, um mir im Netto, der hier im 20 Uhr schließt, was fürs Frühstück und die kleine Pilgertour am nächsten Tag zu kaufen.

Vom Käse zwischen den Fenstern habe ich schon erzählt. Mit einem geborgten Schraubenzieher konnte ich das Problem zum Glück lösen.


Wilsnackfahrt - Tag 7, von Barenthin nach Bad Wilsnack