Unterwegs auf der Via Imperii, von Kemberg nach Bad Düben (16.8.2022)
Ich muss mich gleich eingangs entschuldigen: es hätte beinahe wieder eine spannende Draußen-Schlaf-Aktion werden können, aber jetzt habe ich doch ein Dach über dem Kopf. Ich habe hier in Bad Düben telefonisch ein Zimmer in der Pilger- und Wanderherberge MILU eines privaten Betreibers reserviert. Beim letzten Telefonat sagte er mir, dass alles OK ist und hat mir einen Code für die Schlüsselbox genannt. Als ich heute Abend viertel nach sechs nach 32 km ankam, hat das Codeschloss an der Schlüsselbox meinen Code nicht akzeptiert. Ich habe Andreas, den Betreiber, angerufen und auf den AB gesprochen. Dann bin ich erstmal was einkaufen gegangen und habe es nochmal probiert. Wieder nur der AB, weshalb ich noch eine SMS hinterher geschickt habe. Da es nun langsam auf 20 Uhr zuging, habe ich noch zwei Pensionen angerufen, deren Nummern ich hatte - beide belegt. Von zwei anderen wusste ich schon, dass nichts frei ist. Ich habe auch am Pfarrhaus geklingelt, aber da war keiner da. Ich bin nochmal zum Quartier in der Hoffnung, dass inzwischen vielleicht ein anderer Pilger gekommen ist, aber Fehlanzeige. Nun habe ich mich auf die Suche nach einer Parkbank gemacht. An der Kirche war eine, gut hinter Hecken versteckt, aber ohne Dach. Da fällt mir eine Straße weiter ein Giebel auf, an dem was von „Herberge“ steht. Beim Näherkommen zeigt sich, dass dies ein ganz normales Hotel („Zum Löwen“) ist. Die Giebelaufschrift ist wohl was Historisches. Außerdem ist heute Ruhetag. Ich habe trotzdem mal angerufen und bin auf einen sehr umgänglichen Hotelchef gestoßen. Der konnte mir zwar kein Pilgerzimmer bieten, hat mir aber angeboten, im teilweise überdachten Biergarten zu übernachten und mir erlaubt, da ggf. auch Bänke zusammenzustellen. Ich hatte mir gerade eine Bank ausgesucht, da kam eine Angestellte, hat mir gezeigt, wo Sitzkissen sind, hat mir die Toilette aufgeschlossen und mir sogar noch für morgen früh Frühstück angeboten. Das sah also nach einer perfekten Nacht im Freien aus. Warm genug wäre es sicher gewesen und Wind und evtl. Regen hätten mich in meiner Ecke nicht erreichen können. Aber da erreichte mich stattdessen ein Anruf von Andreas, der flehentlich um Verzeihung bat, dass er mir den neuen Code nicht mitgeteilt hat. Ich habe daraufhin meinen Kram wieder eingepackt und bin in die Pilgerherberge umgezogen. Es ist ein altes Haus mit Holzbalken, alten Türen usw., aber neuen Küchen und Bädern und einer echt urigen Innenausstattung mit vielen Sofas, großen Holztischen, alten Möbeln, Grill mit Holzbänken im Garten usw. Hier lässt es sich gut aushalten. Bisher bin ich allein, aber angeblich sollen noch zwei kommen. Ich lass mich überraschen. Das Happy End ist zwar schon bekannt, aber trotzdem will ich noch vom restlichen Tag berichten. Ich habe im Gloecknerstift hervorragend geschlafen: bei offenem Fenster im Schlüpper AUF dem Schlafsack. Zum Glück gab es kein Viehzeug. Ich hatte mir doch vorsorglich einen Wecker auf um sechs gestellt, ich hätte sonst sicher lange geschlafen, denn die Matratze war perfekt. Nach den üblichen Morgenritualen habe ich noch schnell einen Blick auf den Hof geworfen. Da gäbe es gute Möglichkeiten auszuspannen oder in der Gruppe was zu unternehmen. Auf dem Rasen stehen auch zwei originelle 2-Mann-Hütten, die eigentlich für Pilger gedacht sind. Ich hab den Schlüssel in den Briefkasten geworfen und bin dann los zum Busbahnhof. Ich hätte auch von der Haltestelle vorm Haus dorthin fahren können, aber ich war früh dran und bin deshalb das Stück gelaufen. Der Bus nach Kemberg war pünktlich - Abfahrt 7.04 Uhr. Ich bin nicht bis zum Ärztehaus/Edeka, wo ich an meine gestrige Tour anknüpfen wollte, durchgefahren, sondern schon am Ortseingang ausgestiegen und durch den Ort gelaufen. Schon von weitem fällt der völlig überdimensionierte Kirchturm auf, weshalb ich mir die Kirche wenigstens von außen anschauen wollte. Ich hätte gern auch mal reingeschaut, aber die im Schaukasten angegebene Nummer des Schlüsselinhabers wollte ich um dreiviertel sieben nicht anrufen. Nicht weit entfernt, am Markt, steht das ganz nett aussehende Rathaus mit Ratskeller. Im Rathaus hätte ich mal klingeln sollen, da wäre vielleicht schon jemand gewesen, der mir einen Pilgerstempel hätte verabreichen können. Nun muss es ohne gehen. Im Edeka habe ich am Backstand Frühstück genommen, einen großen Kaffee und ein mit verschiedenen Wurstsorten belegtes, dickes Brötchen. Ich habe auch meinen Getränkevorrat deutlich aufgestockt und was zum Essen für unterwegs eingepackt. Das war sehr weise, denn die nächste Möglichkeit zum Einkaufen und/oder Einkehren gab es erst hier in Bad Düben nach 32 km! Das ist ein gutes Training für die Via de la Plata, den Jakobsweg von Sevilla nach Santiago, wo 30-km-Etappen ohne Verpflegungsmöglichkeit üblich sind. In Tornau, schon fast am Ende der Tour, hätte es eine Gaststätte gegeben, zu der ich sogar einen Umweg gelaufen bin. Aber die hatte zu, genauso wie ein Imbiss in der Nähe. Bei dem stand aber dran, dass wegen Krankheit verkürzte Öffnungszeiten gelten. Die zwei Kneipen zwischen dem Ortseingang Düben und meinem Quartier hatten auch zu. Das Gasthaus Hammermühle ohne Angabe von Gründen, das Paulaner Stüberl wegen Ruhetag. Hier in Düben gäbe es zwar Gaststätten, doch nun habe ich mich im Penny mit Speis und Trank eingedeckt. Nun aber zurück zur Tour. Gleich neben dem Kemberger Edeka, am Schützenhaus war ich schon wieder auf dem Jakobsweg, der bis Düben und wahrscheinlich auch noch weiter mit dem Lutherweg identisch ist. Das hat den Vorteil, dass der Weg lückenlos und leicht sichtbar ausgeschildert ist, hat aber den Nachteil, dass es für den Lutherweg vermutlich keinen Ablass gibt. Ich bin also auf besagten Wegen aus Kemberg heraus gelaufen und habe dabei noch so reizvolle Straßennamen wie „An der MTS“ zu sehen bekommen. (Den Nachgeborenen sei erklärt, dass „MTS“ für „Motoren- und Traktoren- Station“ steht. Heute würde man das einen „Verleih von Landmaschinen“ nennen.) Die Hallen, an denen der Weg zunächst vorbei führt, gehörten sicher früher zu besagter MTS. Jetzt ist da eine Firma drin. Sehr löblich, denn anderswo verfallen solche Hallen. Dem Verfall preisgegeben scheint die ehemalige Berufsschule zu sein, an der ich vorbei komme. Ringsum sind schon Bäume gewachsen, die bald die ganze Fassade verdecken werden. Bis der Weg in den Wald abtaucht, laufe ich vorbei an Wohn- und Wochenendgrundstücken, die recht gepflegt aussehen. Eine Infotafel am Waldrand erläutert, dass man sich nun in der Dübener Heide befindet. Das ist ein riesiges Waldgebiet rings um Düben. Nur wenige Flecken sehen darin so aus, wie wir eine „Heide“ kennen. Aber mein Weg führt anfangs an mehreren Flächen vorbei, die mit einem Gras-Blümchen-Erika-Gemisch bestanden sind. Dem Lutherjubiläum ist es wohl zu verdanken, dass da verschiedentlich Bänke mit Lutherzitaten stehen, von denen aus man über diese interessante Landschaft schauen kann. Auf einer solchen Bank habe ich mich zur Rast niedergelassen und unter anderem den Tomatensaft rausgeholt, den ich mir im Edeka gekauft habe, um nicht immer nur Wasser trinken zu müssen. Schon nach dem ersten Schluck war klar, dass nicht umsonst „scharf“ auf dem Etikett steht. Jetzt habe ich auch die Chili-Schote auf dem Etikett entdeckt. Für unterwegs zum Durstlöschen ist der Saft nicht unbedingt geeignet, aber er ist eine hervorragende Grundlage für eine Bloody Mary. Vielleicht bekomme ich in irgendeinem Konsum eine kleine Penner-Pulle Wodka, mit dem ich das Werk vollenden kann. Vom Ortsausgang Kemberg bis nach Düben führt der Weg fast ausschließlich durch Wald. Erst „zivilisierter“ Kiefernwald, dann Laubwald, dann wieder wilder Nadel- und Mischwald. An einigen Stellen sah es aus, als hätte es gestern hier mehr geregnet als in Wittenberg. Die Wege in dem mitunter recht hügligen Gelände sahen aus, als wäre da unlängst viel Wasser herunter geschossen und insbesondere im Laubwald war das Gras am Wegesrand so nass, dass man sich beim Brombeerpflücken nasse Hosenbeine geholt hat. Brombeeren, die ich so sehr liebe, gibt es hier reichlich und allein wegen der Pflückerei komme ich nur langsam vorwärts. Als Diabetiker habe ich ja wenigstens ein schlechtes Gewissen, wenn ich die pausenlos in mich hineinstopfe. Aber einschlägige Internetportale sind der Meinung, dass die gesundheitsfördernden Inhaltsstoffe der Brombeeren die schädliche Wirkung des Zuckergehalts überwiegen. Das kann man auch kritisch sehen: wenn man an irgendeinem Gift stirbt, ist es egal, ob da irgendwelche Komponenten gesundheitsfördernd sind oder nicht. Ich lasse mir den Spaß aber nicht verderben und futtere die Brombeeren in mich hinein - es folgen ja wieder viele Monate ohne Brombeeren. Ich habe auch keine Angst vor dem Fuchsbandwurm, denn der Fuchs wird wohl beim Pinkeln kaum so hoch springen, dass er die Brombeeren in meiner Griffhöhe benetzen kann. Aber ich denke an die Vegetarier, die vielleicht der Naturverbundenheit wegen in Bodennähe sammeln und sich dabei einen Fuchsbandwurm zulegen: „Nur ein bisschen Obst gegessen und schon ein Tier im Bauch, sogar ein lebendes!“ Ich bin noch gar nicht fertig mit diesem Gedanken, da fällt mein Blick auf einen Sticker mit dem Spruch „Du sollst nicht töten! Go vegan!“. Ja, was macht nun ein Vegetarier mit Bandwurm im Bauch? Über solche Probleme grübelnd komme ich nach Lubast, einem kleinen Dorf, das in Kemberg eingemeindet wurde. Hier hätte ich gern Quartier genommen, als klar war, dass in Kemberg keine Unterkunft zu bekommen ist. Auf eine Email-Anfrage beim hiesigen Hotel, ob sie auch ein Angebot für Pilger mit Schlafsack haben, kam ein Angebot über 86 Euro. Da hat mich auch das enthaltene Frühstück nicht locken können. Der nächste „Wohnplatz“ hinter Lubast war „Mark Zschiesewitz“ (irre Namen haben die hier!), eine Ansammlung von ein paar Häusern auf einer Lichtung im Wald, mittendrin als Dorfkirchenersatz ein Briefkasten. Danach folgt eine Bungalowsiedlung, erst links, dann rechts vom Weg. Ein paar Grundstücke sehen verlassen oder zumindest heruntergekommen aus, aber andere sind sehr ordentlich hergerichtet. Und alle Grundstücke, die auf der anderen Straßenseite eine Lichtung haben, sind mit Sitzgelegenheiten ausgestattet, die den Blick dorthin erlauben. Dann ging es lange Zeit durch nichts anderes als Wald. Mein Freund Jörg hat mich daran erinnert, dass wir als Schüler mal bei einer Radtour in Richtung Leipzig nachts von einem Polizisten gestoppt wurden, der aus dem Gebüsch hervorsprang. Wie waren ohne Licht unterwegs, was bei den seinerzeit üblichen Dynamos eine erhebliche Kraftersparnis darstellte und kein Risiko war, weil ja nachts so gut wie keine Autos unterwegs waren. Aber der nachts aus dem Gebüsch kommende Polizist war vermutlich weniger um unsere Sicherheit, als vielmehr um die Geheimhaltung der Bunkerbauten im Wald neben der Straße besorgt. Meine Sorge gilt heute eher der drohenden Dehydrierung. Kaffee, ein Becher Buttermilch und zwei Liter Wasser haben mich bisher am Leben gehalten, aber jetzt sind die Vorräte aufgebraucht. Ich bin inzwischen in Tornau angekommen. Die im Wald platzierten Reklametafeln versprechen hier ein griechisches Restaurant Syrtaki. Ich finde das auch am andern Ende des Dorfes, aber da ist zu. Zumindest habe ich bei diesem Umweg einen Blick auf die interessante Dorfkirche von Tornau werfen können. Ich könnte noch von Biber-Aussichtstürmen im Wald, vom Lutherstein, von meinem Mittagsschlaf an einem Rastplatz am Hammerbach, vom Skulpturenpark kurz vor Düben usw. berichten, aber für heute ist es genug. |
Via Imperii - Kemberg-Düben |