Dienstag, 26.9.2023, von Weißenohe nach Kalchreuth / 20,2 km

Ich habe die letzte Nacht sehr gut geschlafen. Ich habe das Fenster geschlossen und dafür die Tür zum Treppenhaus bzw. Foyer offen gelassen. Da war genug Luft und die Kälte konnte draußen bleiben. Um sechs bin ich raus, hab Kaffee gemacht und dann gemütlich und ausgiebig gefrühstückt mit allem, was der Rucksack hergab.

Dann bin ich los, hab den Schlüssel beim Pfarrhaus in den Briefkasten geworfen und mich in Richtung Bahnhof begeben. Die Pfarrsekretärin hatte mir empfohlen, dort geradeaus bis zum ausgeschilderten Jakobsweg zu gehen und diesem über die Hügel zu folgen. Aber da wäre ich in Teufelsküche gekommen. Teufelswohnzimmer und Teufelstisch sind nicht weit (siehe Karte). Ich hatte keine Lust, morgens den Berg hochzusteigen und einen im Zickzack durch die Berge verlaufenden Weg zu nehmen, der zwei Kilometer weiter eh wieder im Tal an der Bahnlinie landet. Ich habe also gleich den Weg im Tal entlang der Bahn genommen.

In Igensdorf bin ich an der St. Georg-Kirche wieder auf den Jakobsweg gestoßen. Die Kirche erwies sich als recht interessant, da sich hier an das fast quadratische, mit viel Holz versehene Kirchenschiff neuerer Machart ein Chor mit Kreuzrippengewölbe anschließt. Nicht übermäßig schön, aber sehenswert.

Kurz darauf ging es hoch auf einen Bergrücken, von dem aus man einen schönen Blick auf die Dörfer im Tal und auf den gegenüber liegenden Berghängen hatte. Die Gegend ist offenbar recht dicht besiedelt, man hat den Eindruck, dass ein Ort in den nächsten übergeht. Am schönsten Punkt stand eine Bank im Schatten, auf der ich unbedingt Pause machen musste. Meinen Plan, evtl. bis Nürnberg durchzulaufen und über Nacht nach Hause zu fahren, hatte ich da schon aufgegeben. Da hätte ich mit schnellem Schritt auf der Straße laufen müssen, statt auf steinigen Feld- und wurzligen Waldwegen.

Hinter Igensdorf habe ich beobachten können, wie der hier angebaute Hopfen verarbeitet wird. Zwei Mitarbeiter haben aus zwei großen Haufen die etwa drei Meter langen Stränge, die auf dem Feld an einem Gerüst hochranken, gegriffen und einzeln an eine Förderkette gehängt, die diese in eine Maschine zog, welche auf mysteriöse Weise die Blüten vom Rest des Grünzeugs trennte. Erstere wurden in ein großes Silo transportiert, Letzteres flog hinter der Halle auf einen großen Haufen, der in der Sonne munter vor sich hin dampfte.

Der Weg querte irgendwann einen Golfplatz, auf dem ältere Paare einen Sack Golfschläger (optional mit Sonnenschirm) hinter sich her zogen und so taten, als wüssten sie, wann welcher Schläger zu benutzen ist. Den nach einer wichtigtuerischen Schlägerwahl ausgeführten Schlag hätte ich mit meinem Wanderstock (auch Pilgerstab genannt) besser hinbekommen. Der Stock, den ich am zweiten Tag meiner Tour auf einem Holzhaufen gefunden habe, kann eh nicht genug gelobt werden. Der hat mir an den Tagen, an denen mein rechter Fuß wehtat, geholfen, diesen etwas zu entlasten. Und heute hat er beim Stolpern über eine Wurzel dafür gesorgt, dass ich ganz langsam zu Boden ging und mir nur die Hose dreckig gemacht und sonst nichts getan habe. Der Stock sollte bestimmt im Feuer landen, denn da hat schon mal ein Sägeblatt einen Schnitt bis zur Hälfte des Durchmessers gemacht. Das kann man auch als Sollbruchstelle ansehen. Wenn man mal von einem Rudel wilder Hunde oder Wölfe umgeben ist (und weiß, wie man denen zu begegnen hat), kann man den Stock leicht halbieren und die Bestien mit zwei Stöckern niedermachen. Diesen universellen Stock werde ich aber nicht mit nach Hause schleppen, sondern in Nürnberg ganz dezent am Bahnhof parken.

Auf dem Golfplatz habe ich mich dann noch mit einem Mähroboter angelegt, der ringsum einen Hektar hätte mähen können, aber ausgerechnet mir auf dem grasbewachsenen Weg entgegen kam. Dem habe ich meinen zuvor schon gelobten Wanderstock in den Weg gestellt. Da hat der Robi eine ganze Weile überlegt, in welche Richtung er fliehen soll. Im hohen Gras am Wegesrand habe ich letztlich noch einen Golfball gefunden, der sicher mal einen Pilger niederstrecken sollte. Den habe ich als Souvenir mitgehen lassen.

In Steinbach bin ich auf eine niedliche achteckige Kapelle gestoßen, welche die Einwohner in den zwanziger Jahren als Kriegergedächtnisstätte erbaut und sogar mit einer dreimal täglich läutenden Glocke versehen haben. Drinnen sind vier Bänke für je zwei Personen und ein die ganze Stirnseite ausfüllender barocker Altar. Niedlich.

Was gar nicht so nett war, ist die Versorgungslage. Obwohl ich durch viele Dörfer mit so wohlklingenden Namen wie Kleinsendelbach oder Unterschöllenbach gekommen bin, habe ich nirgendwo eine Einkehr- oder Einkaufsmöglichkeit gefunden. In Kalchreuth, meinem heutigen Ziel, wo ich kurz vor drei ankam, gibt es einige Restaurants. Am „Landgasthof zum Roten Ochsen“ bin ich vorbei, weil mir die Preise auf der Speisekarte nicht pilgergerecht erschienen. Die folgende Metzgerei hatte zwar offen, aber der angeschlossene Gasthof macht erst um fünf wieder auf. Bei der nächsten Metzgerei macht die zugehörige Gaststätte erst am Wochenende auf. Alles nicht so schlimm. In meinem Quartier, einem umgebauten Bauwagen im „Lebenslustgarten“ soll es ja einen Kocher geben. Da könnte ich mir ja eine Büchsensuppe warm machen oder ein Omelette zubereiten und mich mit einem schönen Bier in den Garten setzen. Ich muss doch gleich beim Edeka sein …

Pusteblume, das was in der Karte neben der (im Übrigen recht sehenswerten) Kirche als Supermarkt eingezeichnet ist, ist nunmehr ein Bäcker, und der hatte wegen Reparatur­arbeiten zu. Was nun? Mit Durst und knurrendem Magen wollte ich die Nacht im Bauwagen nicht zubringen. Also habe ich mich auf den Weg zu einer weiteren Gaststätte gemacht, die mir Passanten empfohlen haben - den Gasthof Reif im benachbarten Käswasser. Das war noch einmal ganz schön weit weg, wenn einem die Zunge schon raushängt. Kurz vor vier war ich da und musste erfahren, dass die warme Küche auch hier erst um fünf wieder losgeht. Aber die Stunde konnte ich gut mit einem Kulmbacher überbrücken und derweil Smartphone und Powerbank aufladen, da es in meinem Zigeunerlager ja keinen Strom gibt.

Nach dem Verzehr einer ordentlichen Leber mit reichlich Röstzwiebeln habe ich mich dann kurz vor sechs auf den Weg gemacht. Zu meinem Erschrecken war aber mein Wanderstock weg, den ich gerade so gelobt habe. Das muss jemand mitgelesen haben. Oder ich habe ihn woanders hingestellt, als mir erinnerlich ist. Aber ich wollte auch nicht zum Gaudi der vollbesetzten Terrasse dort rumkriechen und meinen Stock suchen. Der letzte Tag wird bestimmt auch ohne gehen. Ich hoffe nur, dass der Stock in gute Hände und nicht in den Kamin gelangt ist.

21.15 Uhr. Ich sitze bei Kerzenschein in meinem Bauwagen und finde es sehr gemütlich. Der Wirt hatte mir geschrieben, das er nicht da ist, aber dass alles offen steht und dass ich morgen nur die vereinbarten 20 € ins Gästebuch legen soll. Ich habe auch alles so vorgefunden wie beschrieben. Auf dem Grundstück gibt es noch ein Tipi, eine Sauna, einen Badeteich, eine Freiluftküche, Grillplätze usw. Er veranstaltet hier mit seiner Partnerin verschiedene Kurse zur Selbstfindung u. ä., die alle nichts für mich wären. Seine Partnerin habe ich gerade noch angetroffen. Sie hat mir verraten, dass in der Freiluftküche noch ein halber Kasten Bier steht. Der Abend war damit gerettet, obwohl das Bier sommerlich warm war. Das Suppekochen hat auch geklappt. Etwas heikel war nur, dass erst das vorletzte Streichholz in der Schachtel funktioniert hat. Ich habe mir damit erstmal alle möglichen Kerzen angemacht, darunter auch ein Grablicht, das morgen früh hoffentlich noch brennt, wenn ich mir Kaffeewasser aufsetzen will.

Bis jetzt ist es dank der Kerzen mollig warm. Das wird sich sicher ändern, wenn sie erloschen sind. Aber es liegen ausreichend Decken rum. Und zur größten Not gibt es noch einen Kanonenofen. Wenn der bullert, würde ich mich aber nichtmehr trauen zu schlafen.

Morgen will ich zeitig aufstehen und möglichst schon zum Hellwerden um 7 Uhr los, weil ich um 14.41 Uhr in Nürnberg den Zug nach Saalfeld bekommen will, um dann über Leipzig, Falkenberg/Elster und Jüterbog nach Berlin zu kommen. Wenn alles fährt wie es soll (die Hoffnung stirbt zuletzt), wäre ich um 21.51 Uhr Hauptbahnhof und etwa um elf in Ahrensfelde. Da ist aber viel Luft nach oben!

Via Imperii - Weißenohe-Kalchreuth