Unterwegs von Madrid nach Santiago de Compostela | ![]() |
Tag 0 (Di, 26.8.2025) - Anreise nach Madrid
Ich sitze mal wieder auf dem Flughafen und warte auf meinen Flieger nach Madrid. Es ist schon fast ein halbes Jahr her, dass ich in Spanien unterwegs war, da ist es kein Wunder, dass es mich erneut dorthin zieht.
Ich habe mir dieses Mal den Camino de Inverno, den sogenannten „Winterweg“, vorgenommen. Der verläuft von Ponferrada in einem leichten Bogen südlich des Camino Francés nach Santiago. Ich glaube, das ist der einzige bis nach Santiago führende Weg, den ich noch nicht gelaufen bin. Alle anderen, noch ausstehenden Wege enden immer auf einem der Hauptwege und führen auf diesem dann ans Ziel aller Jakobswege. Streng genommen auch der Camino de Inverno, denn der verläuft die letzten ca. 50 km zusammen mit dem Camino Sanabrés, der die von Sevilla nach Gijon verlaufende Via de la Plata mit Santiago verbindet.
Der Camino de Inverno ist angeblich noch nicht so stark begangen wie andere Wege und verspricht schöne Naturerlebnisse, zumal er über weite Strecken entlang des Rio Sil verläuft, der sich durch die Berge schlängelt. An Kultur und Geschichte wird es da auch nicht mangeln, da dieser Weg schon von den Römern genutzt wurde, unter anderem um das bei Las Medulas geförderte Gold in Richtung Meer zu bringen.
Der Weg hat auch ein paar Berge weniger aufzuweisen, als der Camino Francés, was mir sehr willkommen ist. Das Fehlen der hohen Pässe hat ihm den Namen „Winterweg“ eingebracht, weil er in der Regel auch dann begehbar ist, wenn zum Beispiel der O Cebreiro zugeschneit ist. Der Weg zweigt wie gesagt in Ponferrada vom Camino Francés ab, ist etwa 250 km lang und kann in ca. 10 Etappen bewältigt werden.
Aber wie kommt man nach Ponferrada? Sicher über Madrid und dann wahrscheinlich mit Bus oder Bahn - oder wie es sich für einen Pilger gehört, zu Fuß. Ich habe mich für Letzteres entschieden und werde von Madrid aus auf dem mir noch unbekannten Camino de Madrid in Richtung Norden bis Sahagun laufen und dann auf dem bereits vor drei Jahren absolvierten Camino Francés nach Ponferrada. Und weiter auf besagtem Camino de Inverno. Alles zusammen sind das knapp 750 km.
Zählt man die im Online-Pilgerführer „Gronze“ empfohlenen Etappen zusammen, sind das 32. Dummerweise habe ich die Flüge so gebucht, dass nur 28 Tage zur Verfügung stehen. Da muss also etwas gestrafft werden. Ich habe mir jetzt zur Orientierung eine Etappenliste erstellt, bei der sogar noch ein Tag Puffer bleibt. Das sieht jetzt so aus, dass ich voraussichtlich 12 Tage auf dem Camino de Madrid, 6 Tage auf dem Francés und 9 auf dem Inverno unterwegs sein werde - wenn das Wetter, die Waldbrände und die eigene Kondition es zulassen.
Ich bin in den letzten Wochen wiederholt gefragt worden, ob es denn in Anbetracht der vielen Waldbrände nicht zu gefährlich sein, den „Camino“ zu laufen, zumal die Galicische Regierung vor einigen Tagen die Pilger aufgerufen hat, ihre Pilgertour abzubrechen.
Aber die extreme Hitze ist inzwischen vorbei und die Waldbrände nördlich von Madrid sind gelöscht. Jetzt brennt es nur noch vereinzelt in den Bergen entlang des Camino de Inverno. Bis ich dort bin, vergehen aber noch zweieinhalb Wochen. Ich denke, bis dahin werden auch da alle Brände gelöscht oder zumindest unter Kontrolle sein.
Heute sollen es in Madrid nochmal 34 Grad werden, morgen 31 und danach unter 30. Und es ziehen in den nächsten Tagen ein paar Wolken auf, was mir sehr gelegen ist, denn am Sonnabend muss ich über die Berge, die wie ein Riegel nördlich von Madrid liegen. Da geht es hoch bis auf den mit 1800 m höchsten Pass aller spanischen Jakobswege. Und die Etappe ist mindestens 30 km lang, weil es in den Bergen keine Orte oder Herbergen gibt. Das wird wohl ziemlich anstrengend werden. Da ist es gut, wenn weder große Hitze noch starker Regen (wie ich ihn zuletzt oft hatte) herrschen. Wenn diese Berge geschafft sind, geht es auf halbwegs gleicher Höhe bis Sahagun und weiter über Leon nach Astorga. Erst dann kommen wieder hohe Pässe wie jener mit dem bekannten „Cruz de Ferro“ (ca. 1500 m). Im mittleren Teil ist der Weg also dem Anschein nach halbwegs gemäßigt, aber dafür wohl mental anspruchsvoll, weil es wie auf der Via de la Plata über lange Strecken schnurgeradeaus geht. Ich bin gespannt und freue mich schon auf die neuen Erlebnisse.
Was Unterkunft und Fortkommen betrifft, will ich wie bisher auf den „richtigen“ Jakobswegen der Hardcore-Variante treu bleiben, d.h. Verkehrsmittel meiden und (abgesehen vom Start- und Zielort) keine Unterkünfte vorbuchen. Lt. Gronze ist die Herbergs- und Hostel-Dichte so groß, dass man es wagen kann, morgens loszugehen, ohne zu wissen, wo man abends schlafen wird. Das ist ja ein Reiz des Jakobsweges, der mir bei meinen letzten Touren entlang der spanischen Mittelmeerküste bzw. durch Deutschland gefehlt hat. Ich hoffe auch, dass ich nicht nur auf dem Camino Francés unterwegs und an den Etappenorten immer mal andere Pilger treffen werde. Auch das hat mir bei meinen letzten Touren gefehlt. Ich laufe gern allein, aber wenn ich dann auch am Abend niemand treffe, mit dem man sich unterhalten oder in die Kneipe gehen kann, dann ist das auf die Dauer ziemlich öde.
Inzwischen bin ich längst in der Luft. Der Flieger hat mit wenigen Minuten Verspätung kurz vor halb zehn abgehoben und wird hoffentlich pünktlich um halb eins in Madrid sein. Wie üblich habe ich aus Sparsamkeit bei Ryanair weder Gepäck noch eine bestimmten Sitzplatz gebucht. Ersteres hat immer zur Folge, dass man den (50-Liter-) Rucksack auf max. 40x30x20 cm (24 Liter) bringen muss, damit der als kostenfreies „Unter-dem-Sitz-Gepäck“ durchgeht. Darin habe ich nun aber schon Übung. Voraussetzung ist natürlich ein Rucksack ohne Tragegestell, aber an einen solchen habe ich mich längst gewöhnt. In diesen kommen der Schlafsack, die Sandalen und zwei kleine, sehr zu empfehlende Nylon-Rucksäcke mit der Wäsche und dem nicht zerbrechlichen Teil des Waschzeugs. Der Rest (Zahnputzzeug, Cremes, Brillen etc.) kommt lose oben rauf und wird vor dem Boarding auf Hosen- und Jackentaschen verteilt. Der sonst im Rucksack auf pralle Sonne wartende Sonnenhut wird umgehängt, zwei noch leere Nylonbeutel für Dreckwäsche und Einkäufe werden mit einem Karabinerhaken am Gürtel gefestigt und der Pullover wird angezogen, natürlich ungeachtet der Temperatur. Wenn nötig wird das zusammengelegte Regencape noch unter dem Pullover gesteckt (oder angezogen) und das Handtuch als Schal umgebunden. Der Rucksack lässt sich dann fast spielend leicht auf das gewünschte Maß bringen und mit einer auch als Wäscheleine tauglichen Schnur fixieren. Das ging auch heute wieder blitzschnell, aber leider hat sich niemand für mein Gepäck interessiert.
Das Gewicht spielt zwar beim Handgepäck keine Rolle, aber später beim Fortbewegen, insbesondere in den Bergen, weshalb ich immer bemüht bin, das Gewicht so gering wie möglich zu halten. Zusammen mit der prall gefüllten Bauchtasche (Brieftasche, Medikamente, Elektronik, Kabel), die beim Boarding vor dem Bauch getragen wird und später im Rucksack verschwindet, schleppe ich dieses Mal nur 5,3 kg mit mir rum. Wenn dann auch noch Pullover, Anorak und eine volle Wasserflasche im Rucksack versenkt werden, sind es sechs Kilo und damit immer noch ein sehr erträgliches Maß.
Leider hat meine normale Smartphone-Kamera ihren Geist aufgegeben. Es kann ein Zufall sein, aber seit dem vorletzten Software-Update stellt sie nicht mehr scharf. Deshalb muss ich alles mit der Weitwinkelkamera fotografieren oder wie beim gemeinen Touri üblich, jede Sehenswürdigkeit als Selfie aufnehmen. Da der Akku auch schon etwas schwächelt und schon mittags nach einer Powerbank verlangt, wenn Kartenprogramm (mapy) und Tracker (komoot) gleichzeitig laufen, habe ich dieses Mal sogar noch ein zweites, altes Smartphone dabei. Das wird mit laufendem komoot im Rucksack schlummern und nur mal rausgeholt werden, wenn doch was mit Zoom fotografiert werden soll. Und es ist beruhigend, ein Backup dabei zu haben, falls ich mal wieder von einem Autofahrer auf Spritztour so unter Wasser gesetzt werde, dass das Smartphone in der Jackentasche ersäuft - zuletzt gehabt auf dem Camino Portugues, irgendwo mitten in Portugal.
Um nochmal auf Ryanair zurück zu kommen: eine weitere Sparmöglichkeit hat man wie gesagt, wenn man sich keinen Sitzplatz aussucht, sondern sich vom Zufallsgenerator einen Platz zuweisen lässt. Da habe ich dieses Mal den Sitzplatz 28E bekommen, vermeintlich einen Platz in der Mitte einer Dreierreihe. Aber der Zufall war dieses Mal auf meiner Seite. Das ist der Platz direkt neben dem Notausstieg, der nicht nur bei einer Wasserlandung Vorzüge bietet. Auf dem Platz hat man nämlich nur einen Sitz neben sich und geniest doppelte Beinfreiheit. Normalerweise bezahlt man für den Platz ordentlich Aufpreis! Dass dafür durch das Guckloch in der Tür nicht viel zu sehen ist, nehme ich gern in Kauf. Ich wette 1:10, dass unter uns nur Wolken zu sehen sind. Madrid werde ich mir von unten ansehen - heute noch ein bisschen und dann morgen auf dem Weg aus der Stadt hinaus. Manche bevorzugen es, bei großen Städten mit Bus oder Bahn bis zum Stadtrand zu fahren. Aber das widerspricht nicht nur meinen guten Vorsätzen, sondern wäre im Falle von Madrid ein Frevel, weil die Stadt bis weit über das Stadtzentrum hinaus so schön ist.
Ich habe für heute Abend bei Booking ein Bett im „Adventure Hostel Madrid“ gebucht. Das ist sehr zentral gelegen, nicht weit entfernt vom Palast und von der Santiago-Kirche (St. Jakobs-Kirche), an der ich morgen meinen Weg beginnen will.
Nun ist es nur noch eine Stunde bis zur Landung. Das ist die beste Gelegenheit, den Rucksack wieder mit Inhalt zu füllen und in seine ursprüngliche Form und Größe zu versetzen. Da hier auf den Notausgangsplätzen kein Gepäck unter dem Vordersitz verstaut werden darf, ist die Größenbeschränkung eh obsolet. Ins Gepäckfach passt der Rucksack auch in voller Schönheit, denn das ist nicht ganz voll, weil ja hier ein Platz fehlt. So kann ich auf dem Airport gleich zur U-Bahn eilen und muss nicht erst noch in irgendeiner Ecke umpacken.
Der Flieger war überpünktlich um halb eins in Madrid. Dann hat es aber ewig gedauert, bis er einen Parkplatz gefunden hat und Gangways bereit standen. Die Busse, in die wir steigen mussten, standen voll beladen lange sinnlos rum und so war es schon deutlich nach eins, als wir endlich ins Terminal (T1) kamen. Um zur Metro zu kommen, musste man dann durch das ganze, lang gestreckte Terminal 1 und das sich anschließende Terminal 2. Stückchenweise ging es dabei über (funktionierende!) Rollbänder, so dass der Marsch wenigstens nicht anstrengend war.
Am Zugang zur Metro stehen erfreulicherweise zwei Reihen an Fahrkartenautomaten. Als ich dann halbwegs begriffen hatte, wie die funktionieren, habe ich vergeblich einen Schlitz gesucht, in den ich die beim vorherigen Madrid-Besuch erworbene, aufladbare Karte einschieben kann. Dann habe ich erst geschnallt, dass die eine Reihe nur Papiertickets auswirft, was im übrigen 2,50€ teurer ist, und nur die andere Reihe das Aufladen von Karten ermöglicht: erkennbar an einer durchgestrichenen bzw. mit einem grünen Haken versehenen roten Karte.
Problematisch ist bei allen Automaten, dass man den Zielbahnhof eingeben muss, obwohl vermutlich für die ganze Innenstadt der gleiche Fahrpreis gilt. Da auf meiner Wanderkarte schwer zu erkennen ist, wo Metrostationen sind und wie diese heißen, habe ich einen jungen Mann gezeigt, wo ich hinwill und nach der nächstgelegenen Station gefragt. Da hat er mir leider eine falsche genannt bzw. auf dem Display gezeigt. Ich wollte zur Straße „Reyes“ in der City, aber er hat für mich „Reyes Católicos“ gewählt, was in einem Vorort liegt. Die Fahrkarte war trotzdem nutzbar, aber mit 6€ teurer als nötig (4,50 €). Ein Innenstadtticket kostet auf die Karte geladen 1,50 €, wenn man zum Flughafen will oder von dort kommt, sind 3 € Aufschlag fällig.
Ich bin mit der Linie 8 bis zur Endstation und weiter mit der Linie 10 bis zum Plaza de España gefahren und dann vorbei am Königspalast zur Kathedrale gelaufen. Dort habe ich leider keinen Pilgerpass bekommen, sondern bin ich an die nahe Santiago-Kirche verwiesen worden. Als ich dort gegen halb drei ankam, hat eine Frau gerade die Tür abgeschlossen. Sie hat mich aber getröstet, dass die Kirche um fünf wieder öffnet.
Also bin ich erstmal ins Hostel, wo man inzwischen einchecken konnte und wo eine nette Dame an der Rezeption auf mein Betteln hin nach langem Suchen sogar noch ein unteres Bett für mich gefunden hat. Da sitze ich nun (22.30 Uhr) in Unterhosen auf der Bettkante und einem „Estrella Galicia“ im Anschlag, d.h. neben den Füßen. In einem oberen Bett ließe sich das nicht so gut bewerkstelligen. Allerdings wäre man da etwas dichter an der Klimaanlage, die ohne viel Geräusch zu machen wirklich kalte Luft in den Raum bläst, wodurch jetzt innen nur 26 Grad bei 32 Grad Außentemperatur sind. Aber wer weiß, was einem morgen alles wehtäte, wenn man die ganze Nacht im frischen Luftstrom läge.
Zurück zum Tagesablauf: Nachdem ich mich im Hostel eingerichtet hatte, bin ich wieder los. Kurz nach fünf war ich erneut an der Santiago-Kirche, die jedoch noch verschlossen war. Auf einem Schild stand aber auch, dass sie erst um sechs wieder aufmacht. Das zweite Mal reingefallen. Ich habe es schon in verschiedenen Pilgerberichten gelesen, dass die Spanier sehr freundlich sind und gern Auskunft geben, dass man sich aber nur selten auf die Auskunft verlassen kann. Da ist schon manch einer, der lieber gefragt hat, als die Karte zu studieren, im Kreis gelaufen. Ich bin also noch eine Stunde gelaufen und nach sechs wieder zu der Kirche, die nun offen stand. In der Sakristei saßen gleich drei Leute, offenbar Mitglieder eines Pilgervereins, die Pilgerpässe ausgegeben und Stempel darin platziert haben. Es sieht aus, als ob ich nicht allein auf dem hiesigen Camino unterwegs bin.
Ich hätte nicht unbedingt einen Pass gebraucht, da ich mir mal einen Stapel aus Santiago mitgebracht habe. Ich dachte aber, dass die vielleicht einen speziellen Pilgerpass für diesen Weg haben. Der hier ausgegebene sieht zwar gut und anders aus, als die üblichen, aber auch der ist nicht nur für diesen Weg gedacht. Ich habe mir trotzdem einen geben lassen. Der Herr am Schreibtisch hat dann mühevoll, aber leider in Krakelschrift die Angaben von meinem Ausweis übertragen und mir an vorderster Stelle einen riesigen Stempel der Santiago-Kirche reingedrückt. Offizieller geht es nicht.
Danach bin ich nochmal in die Kathedrale und habe mir dort auch noch einen ebenso prunkvollen Stempel geholt. Die Kathedrale ist nebenbei bemerkt Geschmacksache, aber wirklich eindrucksvoll ist die Krypta mit den gleichen Abmessungen, die 400 Säulen und 20 Kapellen zu bieten hat. Der Eintritt ist übrigens in der Kathedrale und in der Krypta frei, aber es wird da ziemlich penetrant um eine Spende gebeten. In solchen Fällen ist bei mir das Portemonnaie in der Hosentasche wie festgeklebt.
Bis etwa um neun bin ich dann noch durch die Innenstadt gezogen und immer wieder in den gleichen Ecken gelandet. Die Kirchen, die ich mir dabei angesehen habe, kann ich schon gar nicht mehr aufzählen und von den Fastfood-Restaurants sind mir nur noch KFC und McDonald in Erinnerung. Einschließlich der zwecks Wasser-, Brause-, Bierbeschaffung aufgesuchten Dia- oder Carrefour-Supermärkte sind das alles Plätze mit wohltuender Kühle.
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