Unterwegs auf der Via de la Plata und dem Camino Sanabrés von Sevilla nach Santiago de Compostela
Tag 5 (Fr, 1.3.2024) Almadén de la Plata - El Real de la Jara / 13,7 km
Ich habe die letzte Nacht so gut geschlafen, dass ich prompt verschlafen habe. Als ich um 8.15 Uhr aufgewacht bin, waren die Betten links und rechts von mir schon leer. Ulf und Coco saßen aber noch im Speiseraum und Pepe war dabei, sich fertig zu machen. Ich habe mich nicht hetzen lassen, sondern als die Drei weg waren, Kaffee gekocht und mir ein großes Stück Weißbrot mit dem gestern übrig gebliebenen Aufschnitt geschmiert. Noch nach mir sind Oscar und Claudia aufgestanden, das junge italienische Pärchen, das aber auch schon ein paar Tausend Kilometer hinter sich hat: von Turin kommend quer durch Frankreich, auf dem Camino Francés nach Santiago, runter nach Lissabon und jetzt auf der Via de la Plata bis nach Astorga, von wo es über den Camino Francés und durch Frankreich nach Hause geht. Gestartet sind sie vor sieben Monaten. 3200 km haben sie schon hinter sich, 2500 kommen da sicher noch dazu.
Ich musste beim Frühstück erst einmal den Wanderführer konsultieren, weil ich gar nicht wusste, was heute ansteht. Im Buch ist für heute nur eine knapp 14 km lange Etappe bis Real de la Jara geplant. Und es wird dort empfohlen, bei vorhandener Zeit nicht noch die 20 km bis Monestero ranzuhängen, sondern das nette kleine Städtchen Real de la Jara zu genießen. Auf der Webseite gronze.com sind diese Etappen zusammengefasst. Unter normalen Umständen wäre mir das auch in den Sinn gekommen, aber es schadet sicher nicht, wenn ich es mal einen Tag etwas ruhiger angehen lasse und den Fuß schone. Als ich dann noch einen Blick auf das Streckenprofil geworfen habe, erschien mir das als weise Entscheidung, denn schon bis Real de la Jara geht es ziemlich hoch und runter und nach Monesterio führt der Weg stetig bergauf und zum Schluss nochmal dreihundert Meter hoch. Das möchte man nicht ausgelaugt am Abend haben. Also stand für mich fest, dass ich nur die 14 km laufen werde, und das sehr gemächlich. Das ging auch wirklich gut, der Fuß hat bei diesem langsamen Laufen kaum wehgetan und wenn es mal etwas steiler wurde, dann hat der Stock wieder gute Dienste geleistet. Bis zur tiefsten Stelle des Weges, wo man auf einer Furt ein kleines Bächlein überqueren muss, ging es durch eine weite, wellige Landschaft, die mehr oder weniger dicht mit Korkeichen bestanden ist, unter denen Ziegen oder Schweine weiden - letztere sind die berühmten „Porco Preto“ (schwarze Iberische Schweine), die sich von den heruntergefallenen Eicheln ernähren und daher ihre dunkle Farbe und ein schmackhaftes fettarmes Fleisch haben. Solche im Gemeindebesitz befindlichen Korkeichenhaine nennt man hier „Dehesa“. Da darf auch jeder durch, man muss nur laufend Tore öffnen und schließen.
Gestern habe ich noch beanstandet, dass es hier nirgendwo Bänke gibt. Heute habe ich gleich zum Anfang des Weges eine gefunden, gegenüber einer Marienstatue am Weg. Aber morgens blies noch ein so frischer Wind, dass man da nicht lange sitzen konnte. Ich habe dann später an der besagten Furt auf einem warmen Felsbrocken Pause gemacht. Da kamen plötzlich mit schnellem Schritt die beiden jungen Italiener, Oscar und Claudia. Ich dachte, ich sehe nicht richtig, aber Oscar schob einen leeren Rollstuhl vor sich her. Jetzt dämmerte es bei mir - das sind die beiden, von denen vorgestern in der Herberge die Rede war. Ich hatte da aber nur mit einem halben Ohr hingehört. Also habe ich die beiden befragt, was das mit dem Rollstuhl soll und gleich bereut, dass ich gealbert und gefragt habe, ob sie mich den Berg hoch schieben wollen. Oscar hat nämlich erzählt, dass der Rollstuhl symbolisch für seine Mutter steht, die gern diesen Weg gegangen wäre, aber schon lange in Italien im Hospital liegt. Ihr zu Ehren schiebt er nun diesen Rollstuhl über tausende Kilometer - sicher nicht zufällig auch durch Lourdes und Fatima. Das ist total verrückt, aber zugleich tief berührend. Da die beiden nicht viel Geld haben, zelten sie normalerweise und nehmen nur einmal wöchentlich eine Herberge, um Duschen und Wäsche waschen zu können. Es war also Zufall, dass wir sie gestern in der Herberge angetroffen haben. Nach einem steilen Anstieg habe ich die beiden erneut getroffen und später nochmal mitten in einer Herde Pferde, unter die sich auch ein niedlicher Esel gemischt hatte. Dass Mädels nicht an Pferden vorbei kommen, hatte ich ja erwartet, aber auch Oscar hätte wahrscheinlich gern alle Pferde gestreichelt, das waren jedoch ein paar Dutzend. Von mir hat wenigstens der Esel ein paar Streicheleinheiten bekommen.
Der steile Abstieg vom Pass runter verlief auf einem steinigen Trampelpfad. Da musste Oscar den 20 kg-Rollstuhl immer mal tragen. Bis kurz vor meinem Zielort kamen noch einige Schaf-, Ziegen- und Pferdeherden, teils frei rumlaufend, teils hinter Zäunen. Aber dass die Zäune auch Wölfe abhalten, die es hier geben soll, wage ich zu bezweifeln. Menschen sind mir heute außer den Italienern nur ein paar Bauern im Auto begegnet. Häuser gab es auf der Strecke durch die Dehesa nur drei oder vier, wovon aber zwei sehr stattliche Anwesen waren.
Kurz nach zwei hatte ich schon meinen Zielort, Real de la Jara, erreicht, wo es mehrere Herbergen gibt. Ich habe mich für die zweite am Weg entschieden (Alojamiento de Peregrino), da es in der ersten, der kommunalen Herberge, kalt und feucht sein soll. Als ich diese im Schatten am Berghang stehend gesehen habe, konnte ich das gut glauben.
Als ich bei der erwählten Herberge ankam, war die Tür verschlossen, aber nach wenigen Minuten des Wartens kam die Besitzerin, die im Erdgeschoss wohnt und nur Einkaufen war. Die Herberge ist im Obergeschoss, hat drei Zimmer mit insgesamt 10 Betten und eine große sonnige Terrasse mit Blick auf die Burg. Da wollte ich noch hin, nachdem ich etwas Siesta gehalten, was gegessen und Wäsche gewaschen hatte. Die Wäscheleinen auf der Terrasse versprechen, dass die Wäsche schnell trocken sein wird.
Ich bin nachmittags noch zwei Stunden durch den Ort gebummelt, unter anderem hoch zur Burg. Die hat man gut wieder hergerichtet und mit einem durch Geländer gesicherten Wehrgang versehen. Von da oben hat man einen guten Blick auf die Stadt und ihre Umgebung. In Richtung Norden steht etwa 500 Meter entfernt schon die nächste Burg, allerdings eine Ruine. Der Ort ist wirklich ganz nett, auch wenn er nichts Spektakuläres hat. An manchen Häusern und Mauern finden sich Keramiken mit dem Stadtplan, den Sehenswürdigkeiten des Ortes usw. und die Bänke am Straßenrand sind mit floralen Motiven und Darstellungen der vier Jahreszeiten dekoriert. Mitten im Ort ist hinter einer Mauer ein Schwimmbad mit Kunstrasen-Wiesen ringsum und einer zur angrenzenden Gaststätte gehörenden Terrasse. Die Kirche stand ausnahmsweise offen, weil drinnen eine Fasten­predigt gehalten wurde. Den Prediger mit einem Leibesumfang weit weg von jedem Fasten habe ihn gleich wiedererkannt, denn der war gestern in Almadén in Aktion. So kommt man Dank der Fastenzeit wenigstens mal in die Kirchen.
Im Ort bin ich wiederholt in eine Gruppe von etwa 10jährigen Kindern geraten, die nach der Schule um die Blöcke gezogen sind. Beim ersten Mal haben sie nur alle nacheinander nett gegrüßt, beim zweiten Mal haben sie mich schon umzingelt und ausgefragt, unter anderem nach meinem Lieblings-Fußballverein. Nachdem ich bei Real Madrid und diversen anderen spanischen Vereinen den Kopf geschüttelt habe, kam die Frage nach Dortmund und Bayern (in dieser Reihenfolge!). Mit Union Berlin wussten sie leider nichts anzufangen. Bereitwillig haben sie sich noch zu einem Foto aufgestellt. Als ich diese durchaus nette Truppe das nächste Mal gesehen habe, bin ich schnell weiter, denn inzwischen waren Wolken aufge­zogen und ich hatte Angst, dass meine zum Trocknen draußen aufgehängte Wäsche wieder nass wird. Aber zum Glück kam kein Regen runter, so dass ich noch in aller Ruhe fürs Abendbrot und Frühstück einkaufen konnte. Allein irgendwo Essen zu gehen hatte ich keine Lust.
In der Herberge habe ich dann wider Erwarten einen zweiten Pilger angetroffen, Martin, einen Hamburger Mitte dreißig, der ursprünglich aus Siebenbürgen stammt. Der ist mit einem Zelt unterwegs und nur gelegentlich in Herbergen. Das erklärt, warum er hier noch dazu kam, denn alle in Almadén Gestarteten wären längst angekommen oder weitergelaufen und von Castilblanco wird kaum einer bis hier durchmarschiert sein. Er hat jedoch zwischen den beiden Orten gezeltet …
Zur Ehrenrettung der kommunalen Herbergen sei noch gesagt, dass die als kalt und nass verschriene am Ortseingang nicht mehr in Betrieb ist und dafür dicht an der Kirche eine neue, ganz moderne gebaut wurde. Mit 15…18 € ist die aber preislich in einer anderen Region, als üblicherweise kommunale Herbergen. Meine (private) kostet 12 €, bis vor kurzem waren es noch 10 €. Für 3 € Aufpreis könnte man sich das Zimmer auch heizen lassen, was bei den derzeitigen Temperaturen vielleicht gar nicht verkehrt gewesen wäre.

Via de la Plata - Tag 5