Unterwegs auf der Via de la Plata und dem Camino Sanabrés von Sevilla nach Santiago de Compostela |
Tag 4 (Do, 29.2.24) Castilblanco de los Arroyos - Almadén de la Plata / 29,4 km
Gestern sind im Laufe des Abends noch zwei Pilger dazugekommen, ein Italiener und ein Spanier. Wir waren also sieben Leute im Schlafraum der Herberge. Der Hospitalero hat ja immer sein eigenes Zimmer. Ich habe ganz gut geschlafen, obwohl da jemand ordentlich gesägt hat und es trotz Decke überm Schlafsack recht kühl war. Um viertel sechs war ich wach und hatte eigentlich große Lust aufzustehen und loszulaufen. Aber ich wollte die Anderen nicht wecken, weil die Küche gleich nebenan war und man im Schlafraum jedes Tellerklappern gehört hätte. Ich hab mich noch ein paarmal umgedreht und als ich dann kurz vor sieben aufstehen wollte, hab ich gesehen, dass die anderen schon fast alle mit dem Packen fertig waren und manche schon beim Frühstück saßen. Gegen 7.30 Uhr sind wir alle nacheinander los. Ich bin noch bis zum Ortsende mit Coco und Pepe gelaufen. Dann hab ich die beiden ziehen lassen, um ganz in Ruhe meinem Humpelschritt frönen zu können.
Pepe hat sich gestern übrigens noch als ein hervorragender Patriot gezeigt. Er hat ganz stolz auf die grün-weiße andalusische Fahnen verwiesen, die hier überall herumhängen und darauf, dass der Bürgermeister einen grünen Pullover über dem weißen Hemd trägt. Er war überglücklich und erstaunt, als ich ihm die Webseite unseres „SV 1908 Grün-Weiß Ahrensfelde“ gezeigt habe. Er hätte nicht geglaubt, dass man auch so weit weg mit Andalusien sympathisiert. Er war nur nicht ganz zufrieden mit der Jahreszahl 1908, weil auf dem Bier, das wir gerade getrunken haben, 1906 geschrieben stand. Es war die sehr leckere Bockbiervariante aus dem Hause „Estrella Galicia“. Da wir beim Trinken sind: ich habe heute unter Berücksichtigung aller Warnungen in den einschlägigen Wanderführern zwei Liter Flüssigkeit eingepackt, darunter auch Wasser.
Auf dem kurzen Stück, das wir heute zusammen gelaufen sind, hat Coco noch erzählt, dass sie sich nach dem Camino irgendwie neu orientieren will, weil sie in ihrem Job als Krankenschwester in Rimini ziemlich ausgebrannt ist. Aber sie will im Mai erst mal als Freiwillige für vier Monate nach Holland und dort in einer Einrichtung für Behinderte aushelfen und bei der Gelegenheit auch etwas Holländisch lernen. Da ihr Bruder in Holland lebt, ist ihr diese Sprache aber nicht ganz fremd. Sie wird sich im Übrigen in Santiago mit ihrem Bruder treffen, weil es für ihn billiger ist, von Holland nach Santiago zu fliegen, als nach Bologna. Mit dem Pilgern hat sie übrigens angefangen, als sie physisch und psychisch völlig am Ende war, nachdem man ihr frisch von der Schule kommend die Leitung einer Corona-Station übertragen hat, auf der sie das Sterben vieler Patienten hilflos miterleben musste und auch nachts davon geträumt hat.
Von Coco habe ich auch erfahren, dass gestern zwischen Sevilla und hier alle Geschäfte wegen des Feiertags geschlossen waren. Ihr ist im Rucksack ein Wasserpack explodiert und sie hat nicht nur total nasse Sachen, sondern auch auf der langen Strecke ohne Ortschaft nichts mehr zu trinken gehabt. Und ich habe mich gestern den ganzen Tag gewundert, warum so viele Radfahrer unterwegs sind. Das hat man hier ja sonst nur am Wochenende. Apropos freier Tag, heute ist der 29. Februar. Es gibt ja viele Firmen die mit die mit einem 365-Tage-Service werben. Ich möchte gern mal wissen, was die heute machen!
Die ersten ca. 16 km führte der Weg heute entlang der morgens ziemlich stark befahrenen Landstraße - ab neun, als alle auf der Arbeit waren, war dann aber nichts mehr los. Neuerdings kann man jedoch das letzte Drittel davon auf einem breiten, mit verdichtetem Split belegten Weg, etwa zehn Meter neben der Straße, laufen. Das muss ganz neu sein, denn da waren noch Planierraupen und Walzen unterwegs. Es sieht auch hier ganz danach aus, dass dieser Weg extra für die Pilger angelegt wird. Von den restlichen 12 km führt der größte Teil durch den Naturpark „Sierra Norte“, der überwiegend mit Korkeichen, im letzten Teil auch mit Nadelbäumen bestanden ist.
Am Vormittag sind noch drei Wanderer an mir vorbeigezogen, von denen zwei mit ihren Rucksäcken hätten Pilger sein können. Aber die waren so maulfaul, dass da kein Gespräch zustande kam. Der letzte von denen ist etwa um 11 Uhr an mir vorbeigezogen - bis zu meiner Ankunft hier in Almadén de la Plata habe ich keinen weiteren Fußgänger gesehen. Im Park sind mir ein paar Fahrzeuge mit Forstarbeitern entgegengekommen, sonst niemand. In den einzigen beiden Häuser im Park, einem Forsthaus und einem Haus der Parkverwaltung, war auch niemand zu sehen. Da hat man die Natur ganz für sich allein. Obwohl hier überall außer den vereinzelten Bäumen auf grüner Wiese nichts zu sehen ist, möchte ich nicht behaupten, dass der Weg langweilig war. Die Hügel ringsum bieten immer wieder neue Kulissen. Kleine Bäche kreuzen wiederholt den Weg und bilden Teiche zu beiden Seiten. Ab und zu muss man durch eine der neu gebauten, betonierten Furten. Da steht das Wasser zwar nur 2…3 cm hoch, aber so breit, dass man nicht rüber springen kann. Da muss man die neben dem Weg in ca. 50 cm Abstand stehenden Betonklötze benutzen, um trockenen Fußes auf die andere Seite zu kommen. Das Hüpfen von Stein zu Stein ist normalerweise kein Problem, aber wenn ein Fuß Probleme macht, ist das schon nicht mehr so einfach. Aber mit einem langen Knüppel als Wanderstock geht das halbwegs. Den Stock hatte ich schon am Morgen aufgelesen und als Humpelhilfe benutzt. Das hat wirklich was gebracht. Damit konnte ich eine ganze Welle schmerzfrei laufen, aber über 3 km/h bin ich nicht gekommen.
Was ich auf dem Weg vermisst habe, ist mal eine Sitzgelegenheit. Als Ersatz dafür können außer bemoosten Feldsteinen nur die kleinen Mäuerchen an den Brücken herhalten, aber die sind im wahrsten Sinne des Wortes arschkalt und man muss aufpassen, dass nicht der Rucksack oder gar der ganze Wanderer ins Wasser fällt. An einer sprudelnden Wasserstelle habe ich dann einen gemauerten „Opfertisch“ gefunden, der von der Sonne schön aufgewärmt war. Da konnte ich mich mal eine Weile richtig lang ausstrecken. Unter den Schatten spendenden Bäumen war das wegen der vielen Disteln und möglicherweise herumkriechenden Ameisen und ähnlichen Tierchen nur bedingt möglich.
Auch durch den Park geht es auf einem etwa fünf Meter breiten Weg aus gewalztem Split, worauf man gut laufen kann. Kurz vor dem Schluss, als ein Schild verkündete, dass es nur noch knapp 4 km bis Almadén sind, wurde es noch mal recht heftig. Was auf der Karte wie eine hübsche Schraffur aussah. entpuppte sich beim Zoomen als eine dichte Folge von Höhenlinien. Das heißt, hier ging es nochmal steil den Berghang hinauf - so steil, dass man den Weg nicht mit Split belegt hat, weil dieser vermutlich der Hangabtriebskraft folgend längst ins Tal gerollt wäre. Wohl wissend, dass man da möglichst nicht anhalten soll, habe ich immer wieder Pausen einlegen müssen. Als ich wegen des anstrengenden Anstiegs schon ziemlich verzweifelt war, steht genau an der steilsten Stelle eine Gedenktafel für einen französischen Pilger, der sich 2016 von hier ohne den Umweg über Santiago de Compostela in den Himmel begeben hat. Das muntert nicht gerade auf. Aber irgendwie habe ich es in endlos erscheinender Zeit bis auf den Pass geschafft, der nicht umsonst La Calvari (Kalvarienberg) heißt. Auf beiden Seiten des Passes ist eine kleine Aussichtsplattform. Von der einen kann man auf den endlos erscheinenden Naturpark schauen, durch den man gerade gekommen ist, und auf der Seite auf das Ziel der Etappe, das tief unter einem liegende Städtchen Almadén.
Der steile Abstieg war zwar auch noch mal anstrengend, aber mit dem Ziel direkt vor Augen habe ich das schon gar nicht mehr richtig wahrgenommen. Auf dem Weg zur kommunalen Herberge am gegenüber liegenden Ende des Ortes bin ich meinen Pilgerfreunden förmlich in die Arme gelaufen. Auf der Terrasse einer direkt an Weg liegenden Bar saßen Pepe, Coco und Ulf. Wir haben noch mit einem Bier angestoßen und sind dann in den winzigen Dorfkonsum, um uns fürs Abendbrot mit Aufschnitt und Salat einzudecken ist. Da Fernando, der in Castilblanco noch auf jemanden warten wollte, noch nicht aufgetaucht ist, haben wir heute leider niemanden, der uns bekocht.
|
Via de la Plata - Tag 4 |