Unterwegs auf der Via de la Plata und dem Camino Sanabrés von Sevilla nach Santiago de Compostela |
Tag 40 (Fr, 5.4.2024) Silleda - Outeiro / 24,7 km
Heute hat es mal den ganzen Tag nicht geregnet. Als ich um halb neun aus der Herberge bin, waren die Straßen zwar nass, aber die dicken Wolken, die über mir hinweg zogen, haben nichts von sich gegeben. Allerdings war die Sonne ziemlich rar, was bei dieser schönen Landschaft schade war. Die teils winzigen Dörfer an den Berghängen sehen so malerisch aus, wenn die Sonne drauf scheint. Ich bin wie gestern weitestgehend dem ausgeschilderten Camino gefolgt. Die N-525, um die er sich lange Zeit geschlängelt hat, ist zwar auch hier gut ausgebaut, aber so stark befahren, dass es keinen Spaß macht, am Straßenrand zu laufen. Das war auch nicht nötig, da der Camino hier über-wiegend auf sehr ordentlichen Wegen verläuft, die nur selten voll Wasser oder Pampe standen. Die kleinen Dörfer am Weg, die man bei uns bestenfalls „Weiler“ nennen würde, sehen bei weitem nicht so trostlos aus, wie noch vor ein paar Tagen weiter südlich. Auch hier gibt es verfallene alte Häuser, aber keine ganzen Straßenzüge davon. Und eine einzelne Ruine, aus der Bäume wachsen, oder die von Efeu umrankt ist, sieht schon wieder idyllisch aus.
Eigentlich lag heute nur ein größerer Ort am Weg, A Bandeira, wo ich auf einen Café con Leche eingekehrt bin. Der Ort sah gar nicht so schlecht aus, wenn man sich die nicht fertig gewordenen mehrstöckigen Häuser und den immensen LKW-Verkehr auf der Durchgangsstraße wegdenkt. Dahinter ging der Weg wieder in Schlängellinien durch die Felder und Dörfer, mal hoch und mal runter. Das Laufen hat da Spaß gemacht und es gab viele schöne Kleinigkeiten zu entdecken: nett hergerichtete Horreos, Brunnen, Steinmetzarbeiten an den kleinen Kirchen, schöne Bauernhöfe und ab und zu fand sich auch mal eine Pilgerbank. Auf einer solchen habe ich Rast gemacht, nachdem ich mal wieder ein Hundeerlebnis hatte. Zwei gar nicht aggressive Hunde schwänzelten in einem Dorf um mich herum. Ein hübscher, schlanker, kurzhaariger, brauner Hund und ein zotteliger schwarzer mit weißem Bauch. Dem braunen hat es sehr gefallen, gestreichelt zu werden. Das hat nun aber wieder dem schwarzen nicht gefallen, den ich wegen seines zotteligen Pelzes gemieden habe. Da zwickt der mich doch vor Eifersucht von hinten in die Ferse! Richtig verletzt hat er mich nicht, aber es hat schon etwas wehgetan. Und wie ich da so auf der Bank sitze und mich von dem Schreck erhole, kommen doch die beiden Spanierinnen (vermutlich Mutter und Tochter), die mit in der letzten Herberge waren, und die Ältere reibt sich das Fußgelenk. Ich denke mal, dass die auch Opfer eines Eifersuchtsdramas geworden ist.
Der Weg verlief bis San Miguel de Castro halbwegs auf einer Höhe, aber dann ging es mit 10% Gefälle runter ins Tal des Rio Ulla. Die anfangs noch unter mir sichtbare Schnellbahnstrecke, die aus einem Tunnel kommend auf einer langen, hohen Brücke das Tal überquert und dann wieder in einem Tunnel verschwindet, lag plötzlich neben mir und wenige Minuten später musste ich zu ihr hinauf schauen. Fast unten angekommen, bot sich ein grandioses Bild: Eine kleine Kirche mit einem überdachten Vorbau, umgeben von einem Rast- und Festplatz mit einer kleinen Bühne, duckt sich förmlich unter den hoch hinauf strebenden Pfeilern der Brücke. Die Kirche wird zwar sicher nicht regelmäßig genutzt, ist aber nicht dem Verfall preisgegeben. Im Gegenteil, das Vordach sah recht neu aus und innen brannte sogar eine Lampe, damit man was sieht, wenn man durch die vergitterten Fenster schaut. Da es schon fast um drei war, hatte ich beschlossen, im nur noch wenige Minuten entfernten Ponte Ulla zu bleiben, wo es eine sehr ansprechende 15 €-Herberge mit normalen Betten in kleinen Räumen gibt. Ich konnte es mir also leisten, unter dem Kirchenvordach Pause und Picknick zu machen - dieses Mal nicht vor Regen geschützt, sondern vor der Sonne!
Nach ein paar hundert Metern weiter bergab ging es auf einer schönen, alten Steinbogenbrücke über den Fluss und hinein in den Ort Ponte Ulla. Von dieser alten Brücke aus hat man erst richtig wahrgenommen, wie groß und eigenwillig konstruiert die Brücke der Schnellbahn ist. In der Mitte weist sie nämlich einen „gotischen“ Spitzbogen auf, der dort weiter auseinander stehende Stützen ermöglicht. Später, auf der anderen Seite angekommen und schon ein Stück bergauf gelaufen, konnte ich sehen, dass sich hinter dieser neuen Brücke eine fast gleich aussehende, aber deutlich kleinere alte Brücke befindet, die von der „normalen“ Bahn genutzt wird. Das ist mal eine gute Idee, ein benachbartes Bauwerk als architektonisches Vorbild zu benutzen.
Im Ort angekommen war der Schreck groß, dass die dort auserkorene Herberge voll belegt war. Denn was ist, wenn auch die ursprünglich vorgesehene Herberge in Outeira, oben auf dem Berg voll ist? Dahinter kommt erst einmal eine ganze Weile gar nichts. Also habe ich mir nur schnell im Carrefour was fürs Abendbrot gekauft und mich schwer bepackt auf den noch eine ganze Weile bergauf führenden Weg gemacht, den ich mir eigentlich am Ende des Tages ersparen wollte. Da nun ziemlich lückenlos die Sonne schien und die Temperatur auf 23 Grad geklettert war, bin ich ganz schön ins Schwitzen gekommen. Kurz vor dem Ziel kommt doch auf dem schmalen, holprigen Waldweg hinter mir ein Fahrzeug der Guardia Civil. Es hält und ein Polizist kommt zu mir und fragt, ob ich jemand mit einer kurzen Hose oder kurzem Rock gesehen habe - ganz eindeutig waren seine Handzeichen nicht. Aber da mir seit Ponte Ulla niemand begegnet ist, konnte ich guten Gewissens den Kopf schütteln.
Auf dem Berg angekommen, waren es nur noch zweihundert Meter bis Outeiro, einem winzigen, von Weinbergen umgebenen Dorf. Vorbei an der Santiago-Kapelle und einem gleichnamigen Brunnen geht es zur Herberge, die am Dorfrand an der höchsten Stelle liegt. Es ist wieder eine sehr neue, ganz moderne kommunale Herberge, an der sich ein strebsamer Architekt austoben durfte: ein langgestreckter, großzügig verglaster Bau mit Sanitäranlagen, Küche und Aufenthaltsräumen und davon in schiefen Winkeln abgehend zwei rechteckige Schlafsäle, die auf drei Seiten mit Naturstein verblendet und auf der vierten Seite verglast und mit Schattenspendern aus Leichtmetall versehen sind. Mehr als die Architektur hat mich aber beim Ankommen der Belegungsgrad der Herberge interessiert und ich war froh, dass ich durch die Verglasung kein Getümmel gesehen habe. Als mich der (von 13 bis 22 Uhr in der Rezeption sitzende) Hospitalero nach dem Einchecken in den Schlafsaal geführt hat, lag da nur ein einziger: Lindsay aus Australien, über dem ich vor zwei Tagen geschlafen habe. Erleichterung!
Nach dem Ankommen in Outeiro habe ich mir eine Stulle geschmiert, das Bett mit der Einmal-Bettwäsche bezogen und mich dann erstmal eine Stunde hingelegt. Der Anstieg hat doch ziemlich geschlaucht. Von 50 auf 300 Meter klingt nicht viel, aber beim Großen Müggelberg in Berlin geht es von 50 auf gerade mal 114 Meter. Das waren also auf den Nachmittag mit Gepäck vier Müggelberg-Aufstiege. Jetzt ist auch langsam die Luft raus. Die knapp tausend schon gelaufenen Kilometer stecken in den Knochen, da will man eigentlich nur noch gemächlich dem Ziel entgegen spazieren.
Nach einem erquickenden Schläfchen bin ich abends um sieben noch mal raus, um das nähere Umfeld zu erkunden. Es war ein wunderbarer Abend. Es waren noch 21 Grad und es blies ein heftiger, aber sehr warmer Wind. Das kann man gelegentlich an der Ostsee erleben, aber da hält man es bei solchem Wind nicht am Strand aus, weil einem der Sand ins Gesicht geblasen wird und durch die Kleidung dringt. Hier hat der Wind lediglich die Leichtmetall-Lamellen vor den Fenstern, die wie ein Segel reagieren, laufend in eine neue Position gebracht. Der Hospitalero hatte zu tun, sie so zu arretieren, dass sie nicht laufend geräuschvoll wegklappen.
Eine ganze Weile bin ich um die nahe Santiago-Kapelle und den -Brunnen geschlichen, an denen es viele Details zu entdecken bzw. zu enträtseln gab, weil die Steinmetzarbeiten schon ziemlich verwittert sind. Aber gerade diese Alterserscheinungen und die fast schwarze Patina geben solchen Bauten einen besonderen Charme. Ganz neu ausgeführt hätte z. B. der Brunnen nicht so viel Interesse bei mir geweckt. Sehr schön sind auch einige der umstehenden Häuser und fantastisch ist der Blick auf die andere Seite des Tals, wo sich die Dörfer den Berg hochziehen und sich ganz oben der Hauptort dieser Kommune, Vedra, ausbreitet.
Zwei Frauen kamen mir mit ihren Hunden entgegen und zur Zufriedenheit aller habe ich nicht wieder die Dummheit begangen, nur einen zu streicheln. Und sogar noch ein dritter, der später mit einem Bauern im Gefolge kam, ist gestreichelt worden, obwohl der immer an mir hochsprang und es mit seinem Liebkosungen übertrieben hat. Des Bauern Wort galt da nichts mehr, weshalb sich der gute Mann den Hund gegriffen und unter den Arm geklemmt hat. Nach einer Stunde war ich zurück in der Herberge, die wie viele Herbergsneubauten ganz ohne Lichtschalter und mit wenigen Steckdosen daher kommt. Das Licht in den Schlafräumen geht um zehn aus, auch wenn alle Anwesenden schon um neun schlafen wollen. In den Aufenthaltsräumen geht um elf das Licht aus. Aber wenn man nicht neben der einen verirrten Steckdose sitzt, muss man eher ins Bett, um dort am USB-Anschluss der Leselampe den Akku aufzuladen.
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Via de la Plata - Tag 40 |