Unterwegs auf der Via de la Plata und dem Camino Sanabrés von Sevilla nach Santiago de Compostela
Tag 41 (So, 6.4.2024) Outeiro - Santiago de Compostela / 17,8 km
Am Abend ist noch ein wortkarger Spanier gekommen und bei dieser 3er-Belegung der Herberge ist es geblieben. Lindsay aus Australien ist etwa zeitgleich mit mir aufgestanden und hat mir noch seinen Topf geliehen, damit ich mir Kaffeewasser heiß machen kann. Er hat mir auch seine Tasse angeboten, was ich leider abgeschlagen habe, damit er nicht warten muss, bis ich mit dem Frühstück fertig bin. Ich habe mir stattdessen meinen Kaffee in einer Plastik-flasche aufgegossen, was keine gute Idee war, zumindest nicht mit so heißem Wasser. Der Kaffee hat grauenhaft nach Plastik geschmeckt und ist deshalb größtenteils im Ausguss gelandet.
In der Meinung, so dicht vor Santiago bald ein Café zu finden, bin ich dann los. Es hat aber eine ganze Weile gedauert bis sich (nicht direkt am Weg, aber nahe dran an der N-525) ein Restaurant fand. Da waren nur zwei Gäste: Lindsay und ein Bekannter der Wirtin, mit dem sie so in ein Gespräch vertieft war, dass man sich beim Bestellen und später auch beim Bezahlen sehr lästig vorkam. Mit Lindsay habe ich noch ein paar Worte gewechselt. Er war dieses Jahr auf Teilen verschiedener Caminos unterwegs, zuletzt auf dem Camino Invierno, der ja seit A Laxe zusammen mit dem von mir begangenen Camino Sanabrés verläuft. Die Via de la Plata ist er im vorigen Jahr gelaufen. Der gehört also auch zu denen, die um die halbe Welt fliegen, um hier in Spanien auf dem Jakobsweg zu laufen.
Der Weg führte wie so oft mehr oder weniger parallel zur Fernstraße und war ganz gut zu laufen, obwohl da einige Stellen mit großen Pfützen oder viel Schlamm waren. Es gab immer wieder schöne Aussichten, aber leider selten so viel Sonne, als dass man daraus ein Fotomotiv hätte machen können. Die „Kilometersteine“ am Weg weckten den Optimismus, dass man bald am Ziel sein wird. Als dann nur noch einstellige Entfernungsangaben auf den Steinen standen, kam Santiago ins Blickfeld. Gut sichtbar eigentlich nur Reihenhaus­siedlungen der Vororte, die sich den Berg hochziehen. Aber wenn man weiß, wonach man zu suchen hat, dann konnte man ganz weit hinten zwischen Hügeln die Türme der Kathedrale erkennen.
Und dann kam endlich der Kilometerstein mit der Angabe 5,000 km. Endspurt oder langsam austrudeln? Letzteres. In einer Seitenstraße des Caminos bot sich eine Bar mit dem bekannten schwarz/roten Reklameschild zu einem Besuch an. Ich muss sehr ausgehungert ausgesehen haben, denn zu meinem Bier (2,10 €) gab es nicht nur drei Chicken-Wings, sondern auch ein Schälchen Oliven und einen Korb Erdnüsse, den ich übrigens nicht geschafft habe.
Nun wurde die Bebauung dichter und die Kathedrale immer deutlicher sichtbar. Da kommen fast Heimatgefühle auf, so oft ich schon hier war. Aber immer ging es auf einem anderen Weg in die Stadt. Heute war es eigentlich das erste Mal, dass man die Kathedrale schon lange sehen konnte. Bei den anderen Wegen hat man sie oft erst gesehen, wenn man schon auf dem Platz davor stand.
Es ging zweimal über die Bahn bzw. unten durch und dann waren auch schon bekannte Straßen erreicht. Durch verwinkelte Gassen ging es zum Praza des Praterias, wo der Eingang zur Kathedrale ist. Da bin ich laufend gegen Absperrgitter gelaufen oder über diese gestolpert. Am Nachmittag fand dort nämlich unter dem Namen „10.000 Peregrinos (Pilger)“ ein Massenlauf von 5000 Läufern über 2, 5 bzw. 10 km statt. (Was das mit 10000 Pilgern zu tun hat, weiß ich nicht.) Auf dem Praza do Obradoiro hatte der Start stattgefunden und später sollte auf einer dort aufgebauten Bühne die Siegerehrung stattfinden. Da musste man sich durch die Gitter zwängen, um eine günstige Selfie-Position vor dem Portal der Kathedrale zu finden. Man muss sich da aber nicht den Arm ausreißen, wenn man mit dem ganzen Kirchenbau aufs Bild will. Da findet sich immer jemand, der das Fotografieren übernimmt. Nach dem obligatorischen Foto bin ich zum Pilgerbüro, habe dort die Nummer 601 gezogen und hatte in wenigen Minuten meine „Compostela“ und das Zertifikat für die gelaufene Strecke in der Hand. Nach deren Datenbank ist die Via de la Plata 1007 km lang. Nach dem Wanderführer sind es nur 970 km. Wie viele es wirklich waren, werden die aufgezeichneten Routen belegen, wenn sie aufbereitet sind.
Danach wollte ich gleich in die Herberge, um dort nicht als Nachzügler im Oberdeck eines Doppelstockbettes zu landen. Da kam aber gerade ein Regenguss runter und ich musste mich in eine Gaststätte in der Gasse zum Pilgerbüro retten. Die Gaststätten dort meide ich normalerweise, weil man da ohne Verzehr nicht gern gesehen ist. Aber das war ja nun ein Notfall. Als ich wieder raus bin, liefen mir die beiden Spanierinnen (Mutter und Tochter?) in die Arme, mit denen ich in Silleda gefühlt den halben Nachmittag vor der Rezeption der Herberge verbracht habe. Nachdem wir uns, wie bei den Finalisten auf dem Jakobsweg üblich, in die Arme gefallen sind, habe ich die vermeintliche Mutter nach ihrem Fuß befragt. Und sie erzählte, dass sie wirklich von dem gleichen schwarzen Teufel in die Ferse gebissen wurde, der auch bei mir gezwickt hat. Bei ihr hat es wohl ordentlich wehgetan und blaue Flecken hinterlassen.
Dann bin ich aber endlich in die Herberge, habe die dort angegebene Nummer angerufen und an der Rezeption des benachbarten Hotels eingecheckt. Ich habe ein Bett in einem 4er-Schlafraum im zweiten Stock bekommen. Alles bestens. Bei den Bewertungen der Unterkunft waren welche dabei, die beklagt haben, dass es wegen der Lage der Herberge so laut sei. Warum solche Leute nicht eine der weiter weg gelegenen Herbergen nehmen ... Hier ist es in der Innenstadt überall laut. Vor der Herberge ist ein kleiner Platz, auf dem normalerweise Tische und Stühle eines benachbarten Restaurants stehen, aber da es gerade geregnet hat, waren diese weggeräumt. Lärm von da unten war also nicht zu erwarten.
Nach einem Stündchen Probeliegen im frisch bezogenen Bett habe ich mich zur Kathedrale aufgemacht, weil ich gelesen hatte, dass dort um sechs und um halb acht eine Pilgermesse sei. Am Eingang wurde ich dann aufgeklärt, dass eine solche nur um halb acht stattfindet. Also habe ich meine Pläne geändert und bin zunächst in den etwas abgelegenen „Dia“- Supermarkt, um für zwei Tage einzukaufen. Da es zwischendurch noch eine Kirche zu besichtigen und ein paar andere zu fotografieren gab, hat das eine Weile gedauert. Ich habe meine Sachen nur in der Herberge abgestellt und bin dann erneut zur Kathedrale, wo ich erschrocken feststellen musste, dass die schon ziemlich voll war. Die Sitzplätze waren fast alle besetzt und auch auf allen Säulensockeln saßen bereits Leute - und das, obwohl schon am Eingang angeschlagen war, dass wegen Reparaturarbeiten die Prozedur mit dem Botafumeiro, das heißt, das Schwenken des zentnerschweren Weihrauchfasses durch acht mehr als zentnerschwere Männer, ausfallen muss. Tatsächlich fehlte das Weihrauchfass und an dessen Aufhängung in der Kuppel wurde offenbar wirklich gearbeitet. Wie üblich hat der Ortspfarrer, den man auch gut für einen Bischof halten könnte, zunächst berichtet, aus welchen Ländern und auf welchen Wegen Pilger angekommen sind. Laut der Statistik des Kathedralen-Büros waren es an diesem Tag 1846. Natürlich habe ich nicht viel verstanden, aber da Sevilla als Startort erwähnt wurde, war ich wohl gemeint, denn ich wüsste nicht, wer von den dort gestarteten Pilgern am gleichen Tag wie ich angekommen sein sollte - die mit mir losgelaufenen waren alle schneller oder haben aufgegeben. Inzwischen hungrig geworden, bin ich nach der Pilgermesse in die Herberge, hab mir Abendbrot gemacht (und dabei die halbe Küche eingesaut, weil sich das Ceranfeld nicht runter regeln ließ) und mich dann ins Bett begeben. Da ich keine Einquartierung bekommen habe, musste ich auf niemand Rücksicht nehmen, konnte das Fenster einen Spalt aufmachen und die Fensterläden öffnen, so dass ich aus dem Bett auf den Platz und die Gasse vor meiner Herberge schauen konnte, bis die Augen zufielen.
Das war ein schöner Ausklang des wieder erlebnisreichen Tages und ein gutes Ende eines trotz meist schlechten Wetters wundervollen Caminos. Jeder der bisherigen Wege hatte seine besonderen Schönheiten, aber hier kamen sie gehäuft vor. Die vielen Römerstädte, -straßen und -brücken auf der ersten Hälfte des Weges haben diesen auch geschichtlich und kulturell besonders herausgehoben. Und die letzten, zusammen mit dem Camino Invierno verlaufenden Etappen haben schon wieder Lust auf den diesen als einen der nächsten Wege gemacht.

Via de la Plata - Tag 41