Tag 22 (Do, 02.11.2023) O Porriño - Ponte Sampaio / 24,7 km
Das Wichtigste zuerst: Meine uhrologischen Versuche haben ganz neue, unerwartete Erkenntnisse gebracht. Der gestern auf viertel neun gestellte Wecker hat heute um diese Zeit geklingelt. Als gestern durch den Zeitzonenwechsel die Weckzeit übersprungen wurde, ist der Wecker also nicht gelöscht worden. Er klingelt halt, wenn es das nächste Mal viertel neun ist. Mit meinem angedachten Experiment, bei der Umstellung von Sommer- auf Winterzeit den Wecker auf halb drei zu stellen, hätte ich also den Zorn aller Mitbewohner auf mich gezogen. Allerdings nicht in jener Nacht, sondern in der nächsten. Das wär also voll in die Hose gegangen. Andererseits haben andere mit ihren Experimenten ganze Atomkraftwerke in die Luft gejagt. Dagegen wäre der Klingelstreich nachts um halb drei harmlos gewesen.
Ich habe die letzte Nacht hervorragend geschlafen, obwohl der Wind ums Haus fegte und Regen gegen die Fenster klatschte. Um sieben war allgemeines Aufstehen, um acht bin ich los - Sonnenaufgang war um 8.08 Uhr. Viel früher loszulaufen hätte keinen Sinn gemacht. Von den vier oder fünf Mädels im Schlafraum, die nach mir los sind, habe ich heute keines unterwegs getroffen. Entweder sind die noch langsamer gelaufen als ich oder sie haben den Bus genommen. Ich vermute mal Letzteres. Die beiden Amerikaner (Vater und Sohn), die ich bei Fernanda kennengelernt und in Valença wiedergetroffen habe, hatten schon am Abend zuvor gesagt, dass sie mit dem Bus weiter wollen.
Der Weg war heute gar nicht schlecht. Er verlief überwiegend auf kaum befahrenen, asphaltierten Ortsverbindungsstraßen, auf denen manchmal sogar farbig ein Fußweg abgetrennt war. Ein paar kurze Stücke führten entlang der Fernstraße, wo es aber entweder einen breiten Seitenstreifen oder einen Gehweg gab. Und einige Abschnitte gingen auf fest gewalztem Weg durch den Wald. Es war mal den ganzen Tag kein Balancieren und kein Pfützenspringen nötig. Eine Wohltat für die Füße. Allerdings war das Wetter wieder so übel wie ein paar Tage zuvor. Es ging mit Regen los und hörte mit Regen auf. Zwischendurch auch ein paar heftige Schauer und zweimal Hagel. Es gab auch ansatzweise ein Gewitter, wobei das nicht wie bei uns eine Abfolge von Blitz und Donner war, sondern ein Donnern das entlang der Berge eine Runde zu drehen schien. Man konnte gar nicht orten, von wo es wirklich kam.
Mittags bin ich vor dem Regen in eine Bar geflüchtet und während ich da beim Tortilla-Essen über das verspätete Weckerklingeln sinniert habe, kam plötzlich (und natürlich nur vorübergehend) die Sonne raus. Es war herrlich, mal die schöne Landschaft und die Dörfer an den Berghängen bei Sonnenschein zu sehen. Es war auch gerade sehr abwechslungs­reich, nämlich der Weg bergab nach Redondela. Markant sind hier die vielen Brücken, vor allem die stählerne Fachwerkbrücke der Eisenbahn, die in großer Höhe über den Häusern zu schweben scheint. Ich habe auch die Kneipe unter besagter Brücke wiedergefunden, vor der ich im vorigen Jahr mit zwei sächsischen Pilgerkollegen gesessen und sinniert habe, ob es denn noch Eisenbahnwaggons mit Plumpsklo gibt und ob diese eventuell auf der Linie über uns im Einsatz sind.
Hinter Redondela ging der Weg über einen recht hohen Berg - gemessen mit dem bisher Gehabten. Das ist nach meiner Erinnerung nicht der letzte auf dem Weg durch Galizien. Der Sonnenschein war da schon längst wieder dem Regen gewichen und auf halber Höhe des Berges kam noch einmal ein ordentlicher Platzregen mit Hagel runter. Außer Bäumen war hier nichts zum Unterstellen. Unter den Bäumen ist man zwar auch nass geworden, aber der Regen und der Hagel prasseln da nicht ganz so heftig auf einen nieder und die Querschläger fallen weg. Drum habe ich eine ganze Weile im ziemlich stark riechenden Eukalyptuswald ausgeharrt, bis der Regen wieder normale Stärke angenommen hatte, und bin dann weiter nach Arcade, etwa 7 km hinter Redondela. Da hatte ich mir eine Herberge ausgesucht, aber als ich dort endlich im Supermarkt im Trockenen stand und das Smartphone zücken konnte, habe ich gesehen, dass ich da längst vorbeigelaufen bin. Zurück zu gehen hatte ich keine Lust, zumal mir die Pilger-App sagte, dass nicht weit weg, hinter der Brücke schon die nächste Herberge kommt, die eine sehr gute Bewertung hat.
Ich bin also über die schöne mittelalterliche Brücke, auf der bei gutem Willen ein Auto und ein Fußgänger nebeneinander passen, von Arcade rüber nach Ponte Sampaio und habe dort in der 13€-Herberge „O Mesón“ eingecheckt. Die ist wirklich sehr nobel. Es gibt zwar Doppelstockbetten, aber immer nur zwei hinter einer Schiebetür bzw. in einer der Nischen neben dem Treppenhaus. Die Betten haben Vorhänge und drinnen eine Leselampe und eine Steckdose. Es gibt Bettzeug und Handtuch. Zu jedem Bett gehört außerdem noch ein Schließfach. Die Sanitäranlagen sind exquisit und das Wasser kommt heiß aus dem Hahn.
Die Küche ist gut mit Geräten und Utensilien ausgestattet. Die gestrige kommunale Herberge, an der sich ein Architekt ausgetobt und viel überflüssigen Beton verbaut hat, hatte zwar eine riesige Küche mit zahllosen Unterschränken, aber alle waren leer und an Geräten stand da nur eine Mikrowelle. Hätte man dort etwas an Beton und Glas gespart und zum Beispiel den zur Abhaltung von Parteitagen bemessenen Aufenthaltsraum etwas kleiner gemacht, hätte das ersparte Geld für ein paar Teller, Tassen und Besteck gereicht und zwar auf Lebenszeit. In der hiesigen Herberge gibt es sogar Waschmaschine und Trockner, jeweils für zwei Euro, was ein echtes Schnäppchen ist. Ich habe trotzdem nach jemand geschaut, der sich mit mir die Maschinen und die Kosten teilt. Da ich meine Dreckwäsche immer in einem Waschsack habe, kann ich mir gut mit jemand eine Maschine teilen, ohne hinterher Tauschgeschäfte mit Socken und Unterwäsche machen zu müssen. Ich erinnere mich an ein Kinderferienlager in Zinnowitz, wo wir nach zwei Tagen überstürzt wieder abreisen mussten, weil nebenan eine Baracke abgebrannt ist und unsere Baracke für die Neuankömmlinge gebraucht wurde. Da haben die Erzieher alles schnell in die abgestellten Koffer geworfen: in einen sämtliche Wäsche, in einen anderen alle Handtücher, dort die Schuhe, da die Anoraks und hier die Badesachen. Das Auseinander-Sortieren der Sachen durch die Mütter am nächsten Tag in Weißensee ist fast zu einer Keilerei ausgeartet.
Ich habe mir hier die Maschinen und die Kosten ohne anschließende Prügelei mit einer Peruanerin geteilt, die mit ihrem kanadischen Mann und drei Töchtern (9jährige Zwillinge und eine 13jährige) auf dem Camino unterwegs ist. Sie sind in Coimbra gestartet, also etwa auf der Hälfte zwischen Lissabon und Porto. Anfangs mussten sie auch mal der Herbergen wegen Etappen bis 25 km laufen, jetzt laufen sie täglich 15 bis 20 km. Und natürlich wollen sie bis Santiago kommen. Alle Achtung! Außerdem ist hier noch ein Ire in der Herberge, der ein bisschen viel fragt und erzählt, und eine Frau aus Lettland, die das Bett gegenüber hat. Sie ist mit ihrem Freund in Porto gestartet. Er ist viel schneller und wird morgen in Santiago sein. Sie läuft den Weg so, wie es ihr gefällt, denn sie hat sich schon solange auf „ihren“ Camino gefreut. Den Freund wird sie in Santiago wiedersehen. Sie ist ursprünglich auf dem Küstenweg gelaufen, aber wegen dem Sturm, der das Vorwärtskommen so erschwert hat und dem Regen, der ganze Straßen unpassierbar gemacht hat, ist sie auf den hiesigen Camino Portugues Central gewechselt. Das heißt, sie hat sich nicht in Caminha übersetzen lassen, sondern ist entlang des Rio Minho nach Valença gelaufen. Das ist bestimmt auch ein schöner Weg.
Was morgen wird, weiß ich nicht. Die Wetter-App sagt zwar für den ganzen Tag Regen an, aber immer mit 30…40% Wahrscheinlichkeit. Es könnte also zeitweise auch mal schön werden, was mich und mein Gemüt sehr freuen würde.

Camino Portugues Central - Tag 22