Tag 23 (Fr, 03.11.2023) Ponte Sampaio - A Portela / 21,2 km
18.00 Uhr. Ich sitze in der Herberge von A Portela, auf der Hälfte der Strecke von Pontevedra nach Caldas de Reis. Eigentlich wollte ich noch ein Stück weiter, aber ich hatte die Nase voll vom ewigen Poncho-An- und -Ausziehen und außerdem waren das laut Komoot schon fast 30 km. Die Herberge liegt etwas abseits vom Weg und hat 16 Betten. Im Ort davor habe ich in der Gaststätte die vier Mädels getroffen, die vor zwei Tagen in der Herberge von O Porriño waren und heute schon mal an mir vorbei gezogen sind. Die haben also nicht den Bus genommen, was mein Verdacht war. Die wollten eigentlich auch weiter, haben aber beschlossen, hier zu bleiben. Es sind übrigens vier Portugiesinnen, die in Porto gestartet sind. Ich wollte in besagter Gaststätte noch was essen, aber die Küche war schon zu und macht erst halb acht wieder auf.
Ziemlich zeitgleich sind wir dann in die Herberge, wo wir auf Annette aus Porta Westfalica und Peter aus Ungarn gestoßen sind, die uns ausgerichtet haben, dass der Wirt nachher kommt und uns bekochen wird. Wir sollen es uns schon mal bequem machen. Das fällt mir leicht. Im großen Aufenthaltsraum, der zugleich Küche ist, bullert ein Kaminofen umringt von sieben Paar Schuhen. Da es acht Doppelstockbetten gibt und wir sieben sind, hat jeder ein Bett im Unterdeck bekommen. Im Kühlschrank ist Bier und im Radio läuft Rockmusik aus meiner Jugendzeit. So ist es auszuhalten. Und da hier gekocht wird, müssen wir nicht wie beabsichtigt abends nochmal durch den Wald zu der Gaststätte, in der wir uns getroffen haben. Es wird also sicher ein gemütlicher Abend werden.
20.30 Uhr. Wie versprochen kam kurz vor sieben der Hospitalero, Jorge, der wohl nicht weit weg wohnt, und setzte einen großen Topf Krautsuppe und einen Topf mit drei Dutzend Eiern auf den Herd. Krautsuppe mit hart gekochtem Ei ist hier offenbar eine typische Mahlzeit, denn das habe ich schon öfters in Gaststätten auf dem Tisch gesehen. Dazu hat uns Jorge je zwei Flaschen Rot- und Weißwein auf den Tisch gestellt. Nach dem Anstoßen und Instruktionen für das Frühstück hat er sich ganz nett von allen verabschiedet und wieder nach Hause begeben. Ich bin zwar bald ins Bett, habe vorher aber noch Peter und Annette ausgefragt. Peter stammt aus einer deutschstämmigen Familie, die in der K&K-Zeit in einem Gebiet nördlich des Balaton angesiedelt wurde. Dort lebten bis zum Zweiten Weltkrieg viele Deutsche und es wurde selbstverständlich Deutsch gesprochen. Nach dem Krieg sind viele weggezogen und die in Ungarn gebliebenen haben sich nicht mehr getraut, Deutsch zu sprechen. Nach der Wende hat sich das geändert und er ging zum Beispiel auf eine Schule, wo ab der ersten Klasse Deutsch als erste Fremdsprache gelehrt wird. Vor sieben Jahren ist er zum Studium nach Karlsruhe gezogen. Kein Wunder, dass er fast akzentfrei Deutsch spricht. Annette stammt aus einer wolgadeutschen Familie, die von Stalin nach Sibirien deportiert wurde und später in Kasachstan ansässig war. Nach der Wende kam die Familie nach Deutschland, wo Annette geboren wurde. Von den vier Portugiesinnen habe ich nur in Erfahrung gebracht, dass sie Kolleginnen sind und (wenn ich es richtig verstanden habe) in der Jugendhilfe arbeiten, zumindest etwas im Bereich Soziales/Bildung. Es sind also interessante Leute, auf die man bei einer solchen Reise trifft. Es ist nur schade, dass ich mich so schlecht verständigen kann.
Aber auch allein hätte man hier Unterhaltung, denn die Wände sind hoch bis zur Decke mit Namen, Daten und Herkunftsorten von Pilgern beschriftet, die hier genächtigt haben. Manche haben auch ganze Sprüche hinterlassen.
Dass ich das jetzt mitten in der Nacht schreibe, liegt daran, dass ich aufgewacht bin, aber der Regen und der an den Fensterläden rüttelnde Sturm mich nicht wieder einschlafen lassen. Außerdem ist hier irgendwelches Stechzeug unterwegs, aber ich glaube dieses Mal sind es Mücken, die tierisch juckende Stiche hinterlassen. Zum Weg wäre noch zu sagen, dass der sehr akzeptabel war. Bis Pontevedra ging es viel auf Straßen, wobei ich auf dem ersten Stück wieder freiwillig die nur wenig befahrene Straße genommen habe, weil der ausgeschilderte Weg hinunter in ein Tal und dort an einem Bach entlang führte. Da war ich bezüglich der Begehbarkeit sehr skeptisch.
In Pontevedra gab es eine Menge zu sehen, zum Beispiel schöne Fassaden und Häuser mit kunstvoll verzierten Loggien aus Eisen und Glas. Anziehungspunkt mitten in der Stadt ist die hohe, runde Kirche „Capela da Virxe Peregrina“, wo man in die barocke Kuppel hochsteigen kann, wenn einem die Beine noch nicht wehtun. Ein Stück weiter geht es die Treppen hoch zum „Convento de San Francisco“, das heißt, zum Franziskanerkloster. Die dortige Kirche, die an sich nicht zu meinen Favoriten zählt, zeichnet sich dadurch aus, dass da wohl alle Heiligen einen Platz an einem der vielen Altäre oder auf Sockeln an der Wand gefunden haben. Erfreulicherweise sind sie fast alle beschriftet, denn nicht jeder ist an seinen Insignien sofort zu erkennen. Interessanterweise hat fast jeder der Heiligen eine mit seinem Namen beschriftete Spendenbox zu seinen Füßen. Wie das nach der Leerung buchhalterisch erfasst und den jeweiligen Heiligen zugestellt wird, würde mich mal interessieren. Die am meisten fotografierte Sehenswürdigkeit war in Pontevedra aber ein Renault, der (vermutlich von Google fehlgeleitet) die Treppe statt eine der Straßen genommen hat.
Hinter Pontevedra führte der Weg überwiegend durch dichten, nach dem Regen stark duftenden Eukalyptuswald. Der Boden war glatt gewalzt und neben dem Weg war für das Regenwasser eine in Stein gefasste Rinne. Ab und zu wurde das Wasser über den Weg geführt, aber stets in einer steinernen Mulde, die man meist mit einem großen Schritt überwinden konnte. Wenn das querende Bächlein mal etwas größer war, fand sich ein aus großen Steinblöcken gefertigtes Brücklein. So bin ich trockenen Fußes bis zur „Albergue A Portela-Barro“ gekommen, aus der ich oben berichtet habe.

Camino Portugues Central - Tag 23