Tag 17 (Sa, 28.10.2023) Vairão - Barcelos / 30,6 km
Ich habe in dem alten Klostergemäuer von Vairão hervorragend geschlafen. Allerdings erst, nachdem ich mir mein Bett präpariert hatte. Hier gab es nämlich nicht die in Herbergen übliche Einmal-Bettwäsche, sondern nur einen viel zu kleinen Kissenbezug. Bei jeder Drehung lag ich mit der Wange auf dem Gummibezug des Kissens und wenn ich einen Arm aus dem Schlafsack nahm, lag dieser auf der Gummi-Matratze. Da musste ich erst mal mit meinem Handtuch als Laken-Ersatz Abhilfe schaffen. Die Herberge ist im 3. Stock mit einem (theoretisch) sehr schönen Blick ins Land. Die beiden Schlafsäle mit je ca. 15 Betten waren sicher mal zur Unterbringung von Klosterschülern gedacht. An den Seiten zum Flur und zwischen den Sälen sind Fenster, die so angeordnet sind, dass da Erwachsene, aber keine kleinen Kinder rein- oder rausschauen können.
Geweckt hat mich heute wieder Teller-Geklapper in der Küche. Der Blick aus dem Fenster war wieder ernüchternd: Regen. Und die Wetter-App hat für den ganzen Tag 100% ver­sprochen. Langsam reicht es. Ich hatte mich gestern dazu überreden lassen, für 4€ Frühstück zur Übernachtung (10€) zu buchen, nachdem mir versichert wurde, dass es nicht nur Marmelade, sondern auch Käse und Schinken gibt, wie es an der Tafel stand. Heute Morgen lagen da aber nur Schmelzkäse-Ecken neben den Tellern. Auf meine Reklamation hin kam die Hospitalera dann aber mit einem Stapel Schinkenscheiben, bei denen ich mich bedienen konnte. Zusammen mit der Käseecke meiner holländischen Tischnachbarin ergab das zwei gut belegte Brötchen, die mir für den Tag gereicht haben. Beim Frühstück habe ich den Rest der Belegschaft kennengelernt. Im Herren-Schlafsaal gab es neben Raoul nur Rainer, den Münchener, der mich vorm Verhungern gerettet hat, im Damen-Schlafsaal neben der jungen Holländerin zwei Deutsche, eine Stuttgarterin, die in Hamburg lebt und eine junge Frau, Felicitas, aus der Frankfurter Gegend, die bei Köln lebt. Sie habe ich später nochmal auf dem Weg getroffen. Da war sie ganz aufgelöst, weil sie kurz nach dem Aufbruch einen Nackten im Wald getroffen hat und vorsichtshalber weggerannt ist. Sie erzählte, dass sie gerade ihren Job als Textilingenieurin in einer Textilfabrik zwischen Köln und Aachen aufgegeben hat, weil sie kurz vor einem Burn-Out stand. Nun läuft sie den Camino und dann will sie weitersehen.
Felicitas war nach ihrer morgendlichen Begegnung sichtlich zufrieden, nun einen Begleiter zu haben. Als wir bei einem Regenguss in eine Bar gestürmt sind, haben wir dort Rainer getroffen. Da die Beiden gleich ein Gesprächsthema gefunden und sich was bestellt haben, habe ich sie stillschweigend in Rainers Obhut übergeben und bin nach einem erfrischenden Getränk allein weiter gezogen. Den Tag über gab es immer wieder Regenschauer, aber ich hatte stets das Glück, in der Nähe einen Unterstand oder gar eine Bar zu finden. Einmal habe ich mich in einen Kuhstall geflüchtet. Da gab es zwar einen Schäferhund zur Bewachung, aber der war schon altersschwach und konnte sich kaum noch bewegen. Der hat zweimal kurz gebellt und sich, als niemand reagiert hat, hingelegt und schlafend gestellt. Nach einer Weile kamen Bauer und Bäuerin vorbei, aber statt mich zu verjagen, haben sie mir durch Kopfnicken oder „Daumen hoch“ zu verstehen gegeben, dass ich da einen guten Unterstand gefunden habe. Und für die Kühe war ich eine willkommene Abwechslung. Die haben alle den Kopf durchs Gatter gesteckt und mich neugierig beäugt.
Ich bin trotz meiner komischen Gangart ganz gut vorangekommen und habe es sogar bis in das knapp 30 km entfernte Barcelos geschafft. Da gibt es mehrere Herbergen, von denen einige am Wegesrand Reklame machen. Die meisten und größten Reklameschilder bewarben aber die „Albergue de peregrinos Amigos da Montanha“ in Barcelinhos, einem Vorort von Barcelos. Ich wollte es von der aktuellen Schauerlage abhängig machen, ob ich diese oder eine Herberge direkt in Barcelos nehme. Die Entscheidung ist mir dadurch angenommen worden, dass ich die „Amigo-Herberge“ dunkel und verschlossen mit einem Gitter vor der Tür vorgefunden habe. Vielleicht hätte mir jemand aufs Klingeln aufgemacht, aber dann wäre ich dort vermutlich der einzige Pilger gewesen. Außerdem war die stark befahrene, überwiegend mit baufälligen Häusern bestandene Straße nicht besonders einladend. Ich bin deshalb noch über die Brücke nach Barcelos rüber und habe es dort bis kurz vor die „Albergue Cidade de Barcelos“ geschafft. Dann hat mich doch noch ein Schauer gebremst und zur Einkehr in einem Café gezwungen.
Als der Regen etwas nachließ, bin ich zur Herberge. Die war zwar verschlossen, aber im Foyer sitzende Pilger haben mir geöffnet. Da kein Personal zu finden war, haben sie mich zwecks Check-In in die benachbarte Bar geschickt. Dort hat sich die Dame hinterm Tresen meines Problems angenommen und mich ganz offiziell in die Herberge gelassen. Da hat sie geduldig gewartet, bis ich die Online-Check-In-Prozedur absolviert hatte und mir dann mein Bett in einem 2x2-Bett-Zimmer gezeigt. Da waren schon Klaus und Volker (genannt „Joe“) aus Bamberg einquartiert, die ich aber erst später zu sehen bekommen habe. Ich habe mein Zeug abgestellt und bin zunächst in einen der beiden nahen Supermärkte verschwunden, wo ich mir was fürs Abendbrot und Frühstück geholt habe. Als ich wieder aus den Supermarkt kam, ist doch gerade einer der verrückten portugiesischen Autofahrer, der „auf Spritztour“ war, durch eine Pfütze gejagt und hat mich von oben bis unten nass gemacht. Da ich nur im Anorak und ohne Regencape unterwegs war, hat dabei leider mein Smartphone in der Hosentasche etwas viel Wasser abbekommen und fortan nur noch gesponnen: in meinem Bericht editiert und diesen letztendlich gelöscht, nacheinander verschiedene Apps aufgerufen und die Bildschirmanzeige wackeln lassen. Da habe ich das Smartphone lieber schnell ausgeschaltet.

Camino Portugues Central - Tag 17