Tag 19 (Mo, 30.10.2023) Vitorino dos Piães - Labruja / 23,0 km
Heute früh bin ich mal nicht durch Klappern in der Küche geweckt worden, sondern durch einen Trommelwirbel. Der Regen ist so stark auf das nicht isolierte Dach des Blockhauses gedonnert, dass es innen richtig laut war. Das muss so gegen fünf gewesen sein. Und wie bei einem Wecker mit Schlummertaste gab es davon mehrere Wiederholungen. Da sind die aufgeweckten Schläfer zwar alle mal aufs Klo, haben sich dann aber wieder hingelegt, weil der Regen wahrlich kein Anreiz zum Aufstehen war. Es war schon nach sieben, als sich die ersten getraut haben, aufzustehen. Um acht gab es Frühstück, wieder für alle zusammen am langen Tisch in der Wohnküche. Es gab frische Brötchen, Butter, Käse, Wurst und die verschiedensten Marmeladen und Brotaufstriche. Und das alles sehr gut und reichlich. Kaffee und Milch wurden immer wieder neu gereicht und mitten auf dem Tisch stand eine große Schale mit frischem Obst. Das kann man ein fürstliches Frühstück nennen.
Gegen neun sind wir dann nacheinander aufgebrochen, raus in den Regen. Ich war einer der Ersten und bin dann von fast allen überholt worden. Nur die Amerikaner, Vater und Sohn, den Brasilianer und ein deutsches Mädel habe ich nicht wiedergesehen. Der Regen hielt pausenlos bis etwa um elf an. Da war ich so nass, dass ich unter dem Vordach einer Kapelle meine Sachen wechseln musste. T-Shirt und Pullover waren trotz Regencape nass. Hose und Schlüppi waren eigentlich auch reif zum Wechseln, aber dafür schien mir der Platz vor der Kapellentür ungeeignet. Außerdem war Felicitas noch nicht durch und ich wollte ihr ersparen, schon wieder einen Nackten zu sehen.
Meine Hose hatte ich mir gerade ordentlich eingesaut. An einer Stelle, wo nur etwa 20 cm Platz zwischen einem kniehohen Mäuerchen und einer riesigen Pfütze waren, ist der schlammige Boden unter mir weggerutscht und ich bin auf die kleine Betonmauer gefallen. Da die Wahl bestand, hinter dem Mäuerchen zwei Meter tief auf den Acker oder vor dem Mäuerchen zwanzig Zentimeter tief in den Schlamm zu stürzen, habe ich mich im Fallen für Letzteres entschieden. Zum Glück wollte der Rucksack nicht in die andere Richtung. Außer ein paar Schrammen und dreckigen Sachen gab es aber keinen Schaden. Da ich eh schon die Nase voll hatte von den überschwemmten Kopfsteinpflasterstraßen und mir der lädierte Fuß von dem vielen Getänzel zwischen den Pfützen und dem Auf-Zehenspitzen-Laufen schon wieder ordentlich weh tat, bin ich bei der nächsten Gelegenheit auf die Fernstraße gewechselt. Da macht das Laufen zwar auch keinen Spaß, aber für den Fuß ist das wesentlich schonender. Und da ich schon abgenommen habe, reicht der Bauch nicht mehr so weit in den Straßenraum, wenn ich mich bei nahenden Autos an einer Leitplanke so seitlich hinstelle, dass der Rucksack hinten über die Planke ragt.
Meine Mitstreiter sind wohl alle auf dem ausgeschilderten Weg geblieben. Einige wollten auch nur die 14,5 km bis Ponte de Lima laufen und dort die 5€-Herberge nehmen. Da ich um zwei nahe Ponte de Lima war, die Herberge aber erst um fünf aufmacht, war es für mich keine Option so lange zu warten, auch wenn man sich die Zeit in der Stadt sicher hätte gut vertreiben können. Aber das Wetter war gerade mal gut und ich wollte das nutzen und noch so weit wie möglich laufen. Ich habe Ponte de Lima und die lange Steinbogenbrücke, die der Stadt ihren Namen gegeben hat, gänzlich ignoriert und bin ein Stück westlich vom Zentrum zusammen mit der Fernstraße über den Fluss, der schon auf beiden Seiten über das Ufer getreten ist. Dann habe ich mir vom Routenplaner den kürzesten Weg zum angestrebten Etappenziel Rubiães raussuchen lassen. Das waren so um die 17 km und reichlich vier Stunden. Dass das im Hellen nicht mehr zu schaffen sein wird, war mir schon klar, da es ja seit der Zeitumstellung eine Stunde früher dunkel wird. Aber einen Versuch war es wert und ich wusste ja, dass es unterwegs auch noch Herbergen gibt.
Es waren zwar viele dicke Wolken am ansonsten blauen Himmel unterwegs, aber es blieb trocken. So bin ich gut vorangekommen. An einer Stelle wollte mich der Routenplaner wieder runter von der Straße auf den Camino führen. Aber ich habe gesehen, dass da wieder Kopfsteinpflaster ist und Pfützen den Weg in voller Breite ausfüllen. Da auch das angrenzende Wäldchen und die Felder auf der anderen Seite unter Wasser standen, wäre da nirgendwo eine Möglichkeit gewesen, die Pfützen zu umgehen. Da bin ich mit meinen noch nicht völlig durchgeweichten Schuhen lieber auf der Straße geblieben. Irgendwann ging es dann links ab nach Labruja. Ab da war nicht mehr viel los auf der Straße. In Salgueiro stieß von links der Camino dazu, nun war ich wieder auf dem richtigen Weg. Der führte auf der Straße bis Coldeçal und dann links weg in den Wald - immer noch asphaltiert, aber ganz ohne Verkehr. Da hat das Laufen wieder richtig Spaß gemacht, obwohl es zunehmend bergiger wurde. Und die Dörfer an den Berghängen, die sogar noch etwas Abendsonne abbekommen haben, waren schön anzusehen.
Gegen halb fünf war ich in Labruja, wo es zwei 20€-Herbergen gibt. Da für halb sechs Sonnenuntergang angesagt war, aber bis Rubiães noch 9 km, also über zwei Stunden zu laufen waren, habe ich beschlossen, hier zu bleiben. Bei der ersten Herberge, Albergue Casa da Valada, war das Tor verrammelt und man konnte deshalb nicht lesen, was auf dem Zettel an der Eingangstür stand. Klingeln war genauso erfolglos wie zuvor schon das Besprechen des Anrufbeantworters und die von unterwegs geschickte Email. Also zur nächsten Herberge (Albergue O Conforto), 200 Meter weiter. Jetzt wurde es spannend, denn in der „Buen Camino“-App steht, dass diese erst zum Saisonbeginn öffnet. Aber die Grundstückstür war nur zugeklinkt und auf dem Gehöft zeigte ein großer Herbergs-Wegweiser auf die Rückseite des Hauses. Dort ist eine Tür, welche direkt ins Obergeschoss des Hauses führt, wo sich die Herberge befindet. Der Türschlüssel steckte und auf einem Schild an der Tür stand, dass geöffnet ist und dass man schon mal reingehen soll und duschen kann, er oder sie kommt dann später. Ich bin also rein und habe drinnen nur einen Pilger angetroffen - einen Franzosen in meinem Alter, der gerade seinen zwölften Camino läuft. Er ist jetzt in 42 Tagen von Saint-Jean-Pied-de-Port in den Pyrenäen auf dem Camino Francés nach Santiago und Fisterra gelaufen und will nun nach Fatima.
Ich habe mir im Nachbarzimmer ein Bett ausgesucht, meine nassen Sachen überall auf die Geländer verteilt und mich mit meinen schon seit Tagen herumgeschleppten Essensvorräten in die Küche gesetzt. Kaum war ich fertig, kam die Wirtin um zu kassieren und den Pilgerausweis abzustempeln. Die hat mir ein Dinner angeboten, aber jetzt war ich schon satt. Der Franzose hat es genommen und ich glaube, ich habe nichts verpasst. Da es im Haus recht kühl ist, habe ich mich inzwischen ins Bett verkrochen. Hier sind zwar überall Heizkörper, aber die Heizung ist offenbar noch nicht in Gang gesetzt. In die zweite Decke, die ich auf meinem Betttuch habe, sind die heute nass und die von der letzten Wäsche noch nicht trocken gewordenen Sachen eingewickelt in der Hoffnung, dass die dann morgen trocken sind und ich nicht vergesse, sie auszuwickeln.

Camino Portugues Central - Tag 19