Unterwegs auf der Via Imperii, von Lutherstadt Wittenberg nach Kemberg (15.8.2022)
Es ist Montag Abend, ich sitze in Wittenberg in einer Art Jugendherberge und muss mir noch die Zeit vertreiben, bis es dunkel wird. Ich bin mal wieder unterwegs auf der alten Reichsstraße „Via Imperii“, die von Stettin über Berlin nach Leipzig und weiter nach Hof führt. Der Abschnitt von Stettin bis Leipzig ist auch als Jakobsweg deklariert worden, da sicher die Pilger aus Pommern und vielleicht auch viele aus Brandenburg diesen Weg genutzt haben, um nach Rom oder Santiago zu kommen. In Leipzig stößt die Via Imperii auf die Via Regia, die von Görlitz quer durch Sachsen und Thüringen nach Vacha (hinter Eisenach) führt und sich dann in das europäische Netz der Jakobswege eingliedert. Pilger nach Santiago werden wohl in Leipzig rechts abgebogen und auf der Via Regia weitergelaufen sein. Ich will also das als Jakobsweg ausgewiesene Stück der Via Imperii von Stettin nach Leipzig laufen. Bis Lutherstadt Wittenberg war ich schon gekommen, abgesehen von einer Drei-Tage-Tour Stettin-Gartz-Schwedt-Angermünde im vorigen Herbst und einer Zwei-Tage-Tour Treuenbrietzen-Kropstädt-Wittenberg vor ein paar Tagen, bin ich alles in Tagestouren gelaufen, das heißt, morgens von Mehrow nach A und abends von B zurück. Jetzt will ich das Stück von Wittenberg über Kemberg, Bad Düben und Krostitz nach Leipzig mit Zwischenübernachtungen hintereinander laufen. Da das sicher nicht so spannend wird wie die Tour durch Spanien, hatte ich eigentlich nicht vor, hierbei abendliche Berichte zu verfassen. Aber einerseits bin ich von manchen darum gebeten worden und andererseits habe ich festgestellt, dass es gar nicht verkehrt ist, sich abends Notizen zu machen und diese als Lebenszeichen an Freunde und Verwandte zu schicken. Wem vorstehende Zeilen als Lebenszeichen genügen, der möge sich aus der Gruppe verabschieden. Andernfalls droht ihm/ihr nicht nur die nächsten 4 Tage Gebimmel in der Tasche, sondern auch noch in den nächsten Wochen, in denen ich mir etwas die Beine vertreten will. Mit Bus und S-Bahn bin ich heute früh zum Hauptbahnhof. Da beides wider Erwarten pünktlich war, war ich eine halbe Stunde vor Abfahrt des RE 3 nach Wittenberg am Hauptbahnhof. Um die Zeit totzuschlagende bin ich raus zur Invalidenstraße und auf der anderen Straßenseite in den von alten, hohen Mauern umgebenen Hof des ehemaligen Zellengefängnisses. Dort ist jetzt eine schöne Parkanlage. Da ich selbst fast 20 Jahre in Moabit gesessen habe [weil da mein Büro war], weiß ich, wo von ich rede. Vor der Mauer lungerte eine Gruppe Osteuropäer herum, die am frühen Morgen schon reichlich Leergut produziert hatte. Dass die Polizei dagegen nicht viel unternehmen kann, mag sein, aber auch wenn‘s kriminell wird, schauen die nicht hin. Auf meinem Weg zu besagtem Park liefen vor mir zwei der Typen mit einem ganz sicher geklauten Bierfass auf einen der herumliegenden Elektroroller am Bahnhofsrevier vorbei und vor einem in erster Reihe an der Ampel wartenden Polizeiwagen über die Kreuzung. Das Fass wurde dann, nachdem es von der ganzen wartenden Gruppe bejubelt worden war, im Gebüsch versteckt. Vermutlich ist jetzt jemand aufgefallen, dann man noch etwas Zubehör klauen muss, um das Bier trinkbar aus dem Fass zu bekommen. Wenn die Jungs schlau sind, klauen sie die Zapfgarnitur im Bahnhofsrevier der Polizisten, denn die kriegen das vermutlich nicht mit. Um 8.30 Uhr bin ich dann mit dem zwar halbwegs vollen, aber keinesfalls überfüllten RE 3 nach Wittenberg - durch den Berliner Nord-Süd-Tunnel mit Halt am Potsdamer Platz, was ich auch noch nicht oft gemacht habe. Nach einer nicht langweiligen Fahrt bei strahlendem Sonnenschein war ich kurz vor 10 Uhr in Wittenberg - eigentlich erstes spät, um sich auf den Weg zu begeben, aber der sollte heute angeblich nur 16,9 km betragen. In Wittenberg hätte ich mich vom Bahnhof direkt zur Elbbrücke begeben und damit erheblich abkürzen können, aber ich wollte mich schon auf historischem (Jakobs-) Weg durch die Stadt begeben. Wenn man der Bahnlinie entgegen der Fahrtrichtung ein Stück folgt, kommt man zum Bunkerberg, der dadurch entstanden ist, dass man den dortigen Hochbunker aus dem vorerst letzten Weltkrieg nicht vollständig sprengen konnte und deshalb mit Erde zuschütten musste. Wir (Ex-) Berliner kennen das, bei uns wimmelt es an Hügeln, die durch missglückte Bunkersprengungen entstanden sind. Mit Stahl, Spiegeln und viel Geld hat man hier eine futuristische Besucherplattform geschaffen, die gegenüber einer einfachen, geraden, mit Steinen eingefassten Plattform nur den Vorteil hat, dass Graffiti-„Künstler“ hier viel mehr Fläche zum Bekritzeln finden. Neben dem Bunkerberg ist das Augusteum, also das Augustinerkloster in dem sich Luther als Student herumgetrieben hat. Ihm hat man auf dem Hof ein Lutherhaus gewidmet, andere Studenten sind da ganz leer ausgegangen. Da sich Luther 1517 mit einer beschrifteten Tapetenrolle, Hammer und Nägeln auf den Weg zur Schlosskirche gemacht und dort die Tür als Anzeigetafel benutzt hat, wurde 500 Jahre später viel Aufwand betrieben, um Wittenberg ins rechte Licht zu rücken und Jubiläumsgäste anzulocken. Es ist viel passiert und die Stadt hat sich sehr herausgeputzt. Die Collegienstraße zwischen Bunkerberg und Luthereiche, die auf das Stadtzentrum zu läuft, hat zum Beispiel beidseits Lindenbäumchen bekommen, die von weltweit verteilten protestantischen Kirchengemeinden gestiftet wurden. Insgesamt müssen das mindestens 500 sein, denn die Bäume sind nummeriert und beschriftet - hier sind Nummern knapp unter 500 vergeben. Die Straße gabelt sich bald, aber beide Stränge laufen auf den Marktplatz zu. Diesen und die angrenzenden Straße habe ich aber beim letzten Mal schon ausgiebig besichtigt, weshalb ich ihm dieses Mal nur einen halben Blick spendiert habe und an der Cranach/Apotheke links abgebogen bin. Durch das Elbtor und vorbei am Bahnhof Altstadt bin ich auf die B2 / B187 gestoßen, welche die Stadt im Süden umfährt. Dahinter verläuft der Weg über die Elbwiesen, im Zickzack um kleine Tümpel herum zu Elbbrücke. Treppauf gelangt man da zum Fuß-/Radweg, der neben der Straße über die Elbe führt. Parallel zur Straße führt auch die Eisenbahnlinie über die Elbe. Alle paar Minuten donnert da ein Zug rüber, darunter mehrmals stündlich ein ICE. Das Kuriose an der Elbüberquerung ist, dass man die beiden Brückenbogen für Teile EINER Brücke hält. In Wirklichkeit sind es zwei Brücken, die sich mit je einem Bogen begnügen. Parallel zur B2 geht es über die Elbe und die sich anschließenden Elbwiesen. Bei der jetzigen Trockenheit ist kaum vorstellbar, dass die fast jährlich überschwemmt werden und oft nicht ausreichen, um das Hochwasser aufzunehmen. Hinter den Elbwiesen trennt sich der Jakobsweg, der zugleich Lutherweg und hier auch Fahrradweg Berlin-Leipzig ist, von der B2. Er führt ein ganzes Stück nach rechts (Westen) durch einen Wittenberger Vorort und dann in einem weiten Bogen über abgeerntete Felder und durch ein bisschen Wald zurück zur Bahnlinie. Für den normalen Wanderer ist es nicht so toll, ein paar Kilometer an der Bahnlinie entlang zu laufen, aber ein Eisenbahn-Freak hätte helle Freude an den Triebwagen und ICE-Zügen, die an ihm hier vorbei donnern. Dann biegt der Weg wieder rechts ab und verläuft durch ziemlich dichten Wald in einem Bogen nach Klitzschena, wo es eine schöne Dorfkirche gibt, die dadurch auffällt, dass hier neben Feldsteinen dunkelrot leuchtender Eisenrasenstein Verwendung gefunden hat, sofern ich das als Laie beurteilen kann. Danach geht es durch Bergwitz und hinter dem Bahntunnel des gleichnamigen Bahnhofs geht es bald rechts ab zum Bergwitzsee, der am Nord- und Ostufer fast lückenlos mit Badestränden für Menschen, Tiere und FKK-Liebhaber gesäumt ist. In der Nordost-Ecke des Sees trennt sich mein Weg vom Rundweg um den See und führt nun ziemlich direkt nach Kemberg. Das war mein heutiges Etappenziel. Dort wollte ich im Pfarrhaus übernachten und am nächsten Tag gleich weiterlaufen. Aber der Pfarrer ist im Urlaub und dieses Quartier steht deshalb nicht zur Verfügung. Das Schützenhaus hat auch Urlaub, eine weitere Pension ist belegt und die anderen Unterkünfte, die man im Internet für Kemberg findet, liegen zu ungünstig. Ich habe mich deshalb entschlossen, zwecks Übernachtung mit dem Bus zurück nach Wittenberg und morgen dann wieder mit dem Bus nach Kemberg zu fahren und die Tour fortzusetzen. Ich habe in Wittenberg im Gloecknerstift, einer evangelischen Herberge für Kinder- und Jugendgruppen, die aber auch einzelne Gäste aufnimmt und Pilgern mit Ausweis sogar Rabatt gewährt, eine Unterkunft für 15€ buchen können. Für 18 Uhr habe ich da mein Kommen angesagt. Ich wollte deshalb in Kemberg den Bus um 16.30 Uhr kriegen, mit dem nächsten wäre es knapp geworden. Da die Strecke von Wittenberg nach Kemberg mit fast 22 km deutlich länger war als angepriesen (16,9 km), war ich gar nicht viel vor der Abfahrt des Busses in Kemberg. Die Zeit hat gerade gereicht, um im gegenüber der Haltestelle befindlichen EDEKA was für die Rückfahrt zu kaufen. Da ich eine dreiviertel Stunde zu früh in Wittenberge und das Tor zur Herberge noch verschlossen war, bin ich erstmal in den hiesigen EDEKA, um mir dort mein Abendbrot zusammenzustellen. Pünktlich um 18 Uhr stand ich wieder vor der Herberge, aber die war immer noch verschlossen und der Herbergsvater sagte mir am Telefon, dass er erst in einer halben Stunde kommen kann und ich so lange eine Kaffee trinken soll. Ein Zufall oder göttliche Fügung haben aber das Café geschlossen und einen geöffneten Pub daneben platziert. Dort habe ich genüsslich ein Guinness konsumiert - leider nicht ganz ungestört, denn draußen zog lautstark ein Zug von vielleicht 200 Impfgegnern vorbei, gefolgt von etlichen Polizeiwagen. Um halb sieben wurde mir dann Einlass in die Herberge gewährt. Hier ist alles im Jugendherbergsstil: einfach, praktisch und sauber. Außer mir sind angeblich noch zwei weitere Gäste im Haus. Die habe ich aber noch nicht zu sehen bekommen. Ich werde mich jetzt unter die Dusche und ins Bett begeben, weil ich morgen zeitig und möglichst ohne Wecker los will. |
Via Imperii - Wittenberg-Kemberg |