Wilsnackfahrt (Mittelalterlicher Pilgerweg von Berlin nach Bad Wilsnack)
Von Barsikow nach Kyritz

Tag 5 (Mi, 24.8.2022) Von Barsikow nach Kyritz

Wenn man im Barsikower Kirchturm übernachtet und Frühstück gebucht hat, dann kommen morgens warme Brötchen. Da ich eigentlich früh aufbrechen wollte, um in Wusterhausen Zeit für das Wegemuseum zu haben, hatte ich mir die Brötchen zu 7 Uhr bestellt. Herr Grützmacher hat mir die auch zu dieser Zeit zugesagt, aber ich habe gemerkt, dass ihm das etwas früh erschien. Als ich mitbekommen habe, wie gemütlich es im Turm ist und dass das Museum am Mittwoch geschlossen hat, habe ich abends nochmal angerufen, dass er gern später kommen kann.

Trotzdem habe ich mir wie immer den Wecker auf 6 Uhr gestellt, weil ich ja noch Teil 3 des Tagesberichts schreiben wollte, wozu ich abends zu müde war. Üblicherweise bin ich halb sechs wach, aber ich wollte sicher gehen, dass ich nicht zu lange schlafe. Ich hätte den Wecker (Smartphone) aber zertrümmern können, als der morgens klingelte, da ich so wunderbar geschlafen habe. Das Bett und die Decke waren wirklich gut.

Für die Duschzeremonie stand mir wie am Vortag ein zurückgelassenes oder vielleicht auch vom Herbergsvater bereitgestelltes Duschbad zur Verfügung. Duftnote „Alaska“. Ich selbst rieche nichts, aber ich hoffe, das riecht nicht nach Grizzlybär oder vergammelten Seelachs.

Als die Schrippen kamen, haben wir vereinbart, dass ich den Schlüssel später bei Grützmachers vorbeibringe. So konnte ich ganz in Ruhe frühstücken, meinen Bericht zu Ende schreiben und den Rucksack packen. Letzteren habe ich noch gar nicht erwähnt. Ich bin dieses Mal mit 7,1 kg losgezogen. Das ist ein Kilo weniger als auf dem Camino Francés, aber ein Kilo mehr als in der Woche zuvor auf der Via Imperii. Ich habe alle Sachen zuhause gelassen, die sich auf dem Camino als überflüssig erwiesen haben wie z. B. Fotoapparat, Wasserflasche, Teller & Tasse, Hemden usw. sowie die warme Unterwäsche, die bei den derzeitigen Temperaturen nicht gebraucht wird. Dafür habe ich so viel Wäsche mit­genommen, dass ich unterwegs nicht waschen muss. Und für 440 Gramm habe ich Landkarten und einen Pilgerführer dabei. Das ist eigentlich alles überflüssig, denn dafür gibt es Smartphones. Aber ich liebe Wanderkarten, die man auf dem Tisch ausbreiten und die Strecke mit dem Finger abfahren kann. Da hier keine großen Berge zu überwinden sind, fällt das Gewicht der Karten nicht sonderlich auf.

Nachdem ich alles aufgeräumt und den Kirchturm abgeschlossen hatte, habe ich noch eine Runde um den Anger gedreht. Dabei bin ich am alten Dorfkonsum vorbei gekommen, der jetzt Begegnungsstätte ist und für Feiern, Beratungen und Ähnliches benutzt wird. An zwei Tagen in der Woche ist da sogar Kneipenbetrieb: am Freitagabend mit deftigem Essen und am Sonntagnachmittag mit Kaffee und Kuchen. Das ist doch eine tolle Idee.

Von einer anderen tollen Idee habe ich von Herrn Grützmacher erfahren: Barsikow hat sich ein eigenes Elektroauto zugelegt und wer sich dafür registriert hat, kann das ganz unkompliziert benutzen. Die Abrechnung erfolgt über eine App. Gerade als ich losgelaufen bin, kam mir das Auto entgegen: ein weißer Kleinwagen mit der Aufschrift „Barsikow mobil“.

Bei der Schlüsselübergabe hat Frau Grützmacher nochmal betont, wie sehr sie sich freut, einen Mehrower kennengelernt zu haben, und dass sie unbedingt zum Dorffest nach Mehrow kommen will. Wenn ihr Mann nicht mitspielt, dann nimmt sie sich ein Taxi. Sie hat noch erzählt, dass sie gerade in den letzten Tagen oft an Mehrow gedacht hat und dass sie just gestern, noch bevor wir uns getroffen haben, den Entschluss gefasst hat, endlich mal ihren Heimatort zu besuchen. Es ist sicher mehr als Zufall, dass wir uns genau an diesem Tag begegnet sind. Ihre Freude hat mich sehr glücklich gemacht. Es bewahrheitet sich mal wieder, dass geschenkte Freude ungemindert zurückkommt.

Als ich dann schon wieder 10 Minuten unterwegs war, durchzuckte es mich, dass ich doch von den netten Leuten mal ein Bild hätte machen sollen. Frau Grützmacher wäre doch für die Rubrik „Menschen“ auf der Mehrower Webseite prädestiniert. Da ich keine Eile hatte, bin ich nochmal umgekehrt und habe die netten Leute vor ihrer Haustür fotografiert. Frau Grützmacher hat mir dann auf Anfrage gesagt, dass sie nichts dagegen hat, wenn ich ihre Kindheitserlebnisse publiziere. Sie hatte ein schlechtes Elternhaus, aber dafür kann sie nichts und sie sieht auch keinen Grund, das zu verheimlichen.

Nach einer erneuten herzlichen Verabschiedung habe ich mich endgültig auf den Weg gemacht. Aber nicht den „vorgeschriebenen“, da der wegen des hohen Grades vormittags zu nassen Füßen führt. Besser wäre es laut Herrn Grützmacher, die Dorfstraße weiter in Richtung Westen zu laufen und kurz vor dem Recycling-Unternehmen AWU rechts den Plattenweg zu benutzen, der nach Metzelthin führt, wo man wieder auf den ausgeschilderten Weg trifft.

In Metzelthin hätte ich mir gern die vom Friedhof umgebene Feldsteinkirche angesehen, aber die war leider zu. Eine Dame, die gerade bei der Grabpflege war, sagte mir, dass ich doch mal bei Frau Hengst fragen soll und hat mir erklärt, wo diese wohnt. Das war ein halbes Dutzend Häuser die Dorfstraße hinunter. Da bin ich hin. Frau Hengst sagte mir, dass die Kirche eigentlich immer offen ist, dass ich wahrscheinlich nur die falsche Tür probiert habe. Wenn, dann ist die Tür mit dem Gitter davor offen. Die hatte ich natürlich nicht probiert, weil die so dauerhaft verschlossen aussah. Frau Hengst schlug vor, dass ich zurück gehe und diese Tür probiere. Wenn die zu ist, soll ich winken. Sie wartet vor der Haustür und kommt gegebenenfalls mit dem Schlüssel. Gesagt getan: zurück, geklinkt, gewinkt und gewartet bis Frau Hengst mit dem Schlüssel angeradelt kam. Sie konnte sich gar nicht erklären, warum die Tür abgeschlossen war. Normalerweise schließt eine Dame morgens die Kirche auf und abends wieder zu. Die Dame wird doch nicht krank sein, sie wird sie gleich mal besuchen.

Von Metzelthin, wo es auch ein von Privatleuten wiederhergestelltes Herrenhaus gibt, geht es zunächst in Richtung Westen und dann rechts ab über die Felder nach Wusterhausen /Dosse. Diesen Abzweig habe ich verpasst, weil ich gerade telefoniert habe, was man beim Pilgern eigentlich nicht macht. Strafe muss sein! Aber die Strafe war nicht so hart, denn es lief sich gut auf dem Fuß-/Radweg neben der Straße. Es war nur etwas laut. Kurz vor Bückwitz habe ich eine ganze Weile zwei Eselsfamilien auf einem Grundstück beobachtet. Zwei noch sehr junge Esel haben sich bemüht, bei ihren Müttern an die Nahrungsquelle zu kommen, was recht ungeschickt und lustig aussah. Von den Vätern sah einer aus, als wolle er gerade weiteren Nachwuchs zeugen. Aber da kam ich dazwischen.

Im Gehege waren auch noch zwei Ziegen, von denen eine nur drei Beine hatte. Das sah wirklich Mitleid erregend aus, wenn sie über die Wiese gelaufen ist.

In Bückwitz treffen vom Osten kommend B 5 und B 167 aufeinander. Nach Westen verlassen B 5 und B 102 das Dorf. Da, wo die Straßen alle zusammen durchs Dorf führen, geht rechts (nach Norden) eine ruhige, sehr breite Straße ab, an der die Kirche steht. Die war aber leider verschlossen.

In brütender Hitze ging es weiter nach Wusterhausen, wo sich beim Netto am Ortseingang die Möglichkeit bot, Verpflegung für eine kurze Pause zu fassen. Auf einer recht netten Trasse ging es dann in die Altstadt von Wusterhausen, der von einem großen Marktplatz mit einen ansehnlichen Rathaus. An diesem Platz befindet sich das heute leider geschlossene Wegemuseum.

Hinter dem Rathaus und einer Häuserzeile ragt die Wusterhauser Kirche hervor. Die hat ein großes Kirchenschiff mit einem riesigen Dach und einer geduckten Kirchturm, der sich kaum wagt, über die Kirche zu schauen. Ich hätte es nicht zu träumen gewagt, aber die Kirche war offen. Innen gab es sehr viel zu sehen, unter anderem eine Kanzel mit Figuren am Treppen­geländer: Apostel, Evangelisten und der Tischler selbst. Viel zu entdecken gab es auch auf der Bemalung der Emporenbrüstung. Da waren alle möglichen Rittersleute vertreten.

Nördlich von Wusterhausen verläuft der Weg am linken (westlichen) Ufer eines lang­gestreckten Sees und knickt dann auf der Höhe von Kyritz links ab. Von dort ist es noch eine knappe Stunde bis nach Kyritz hinein.

In Kyritz an der Knatter, das in Wirklichkeit an der Jäglitz liegt, habe ich mich in der katholischen Kirche einquartiert. Das ist die kleinere, etwas abgelegene der zwei Kirchen. Da gibt es eine Pilgerherberge im Kirchturm. Als ich mir vor vier Wochen dort ein Bett reservieren wollte, war die Herberge von einer ukrainischen Familie belegt, aber der Pfarrer bot mir eine Liege in einem Unterrichtsraum an, was ich gern angenommen habe. Als ich um 18.00 Uhr eintraf, wurde ich von Pfarrer Hahn herzlich begrüßt und damit überrascht, dass die Ukrainer wieder in ihre Heimat zurückgekehrt sind und die Pilgerherberge wieder zur Verfügung steht. Die habe ich auch ganz für mich allein.

Beim Aufschreiben meiner Adresse erzählte der Pfarrer, dass er Ahrensfelde oder zumindest den Ahrensfelder Berg kenne. Er war einige Zeit Pfarrer in St. Mauritius in Berlin-Lichtenberg (hinter den langen Neubaublocks am S-Bahnhof Frankfurter Allee versteckt) und hat wiederholt den Blick vom Berg genossen.

Da die hiesige Kirche, die 1912 erbaut wurde, einen wuchtigen Turm hat, der mit weit dünneren Mauern auskommt als ein mittelalterlicher Turm, findet sich hier viel mehr Fläche für eine Herberge. Durch einen separaten Eingang geht es auf einer Wendeltreppe in den ersten Stock, wo sich früher die Wohnung des Küsters befand. Da ist jetzt ein Aufenthalts­raum, eine große Küche, ein modernes Bad und Nebengelass. Eine Etage höher sind in den ehemaligen Gemeinderäumen zwei Schlafräume mit je drei sehr ordentlichen neuen Betten. In einem der Räume ist noch eine zusätzliche Liege und ein Harmonium, das auf unbekanntem Wege hier her gekommen sein muss, denn die Wendeltreppe erscheint mir dafür zu eng. Die Räume im ersten Stock sind sehr hell, da dort ringsum große Fenster sind und auch in der Etage darüber hat jedes Zimmer ein ordentliches Spitzbogen-Fenster. Außer an der Treppe merkt man gar nicht, dass man sich in einem Turm befindet.

Von der Wendeltreppe führt übrigens eine Tür direkt auf die Orgelempore. Das erinnert mich an die mittelalterliche Herberge im spanischen Granon, wo neben meiner Matratze eine Tür in die Kirche führte.

Ich habe noch einen kleinen Rundgang durch die interessante Stadt mit vielen Fachwerk­häusern, einer weit aufragenden zweitürmigen (evangelischen) Kirche und einem eindrucks­vollen Rathaus gemacht. Das Rathaus am hübsch hergerichteten Markt hat einen Turm, den man von weitem eher einem Windsor-Schloss zuordnen würde. Der Brunnen auf dem Markt erklärt mit Text und Bild aus Bronze Begebenheiten aus der Stadt. Dass die Stadt „Kyritz an der Knatter“ heißt, hat übrigens nicht direkt mit dem Flüsschen zu tun, das durch den Ort fließt, sondern kommt von den knatternden Mühlen, die einst dort standen.


Wilsnackfahrt - Tag 5, von Barsikow nach Kyritz