Wilsnackfahrt (Mittelalterlicher Pilgerweg von Berlin nach Bad Wilsnack)
Von Kyritz nach Barenthin

Tag 6 (Do, 26.8.2022) Von Kyritz nach Barenthin

Heute gibt es nicht viel zu berichten. Es war eine relativ kurze Tour, weshalb ich mich nicht beeilen musste. Ich habe in dem wunderbaren Turm-Quartier der katholischen Kirche in Kyritz hervorragend geschlafen. Morgens habe ich in aller Ruhe gefrühstückt und mir im Netto noch Verpflegung für unterwegs geholt. Um 9.30 Uhr war in der Kirche Gottesdienst oder „Heilige Messe“, wie die Katholiken sagen. Da habe ich mich gern zu der wochentags nicht so üppigen Besucherschar gesellt. Zu einer Pilgertour gehört es schon dazu, dass man solche Angebote annimmt.

Danach habe ich meine Sachen vom Turm geholt, mich vom Pfarrer verabschiedet und bin dann los. Der Weg führte durch die Kyritzer Altstadt, wo erstaunlich viel Trubel war. Dann ging es vorbei an einer Klosterruine, die zusammen mit einer nahen Brauerei zu einem Kulturzentrum ausgebaut werden soll. Der Klostergarten lädt bereits zum Verweilen ein. Vor vier Jahren war ich nach der Kur auf der Fahrt von Bad Wilsnack nach Hause schon mal hier und nach meiner Erinnerung sah die Baustelle damals genauso aus.

An irgendeiner spitzen Ecke habe ich die falsche Straße genommen, was mir aber den Blick auf das Finanzamt, das Gymnasium und Eisenbahntechnik aus vergangenen Zeiten gewährt. Hier bimmeln an einem Bahnübergang immer noch Blechglocken, deren Klöppel mit dem Seil verbunden sind, das den Schrankenarm bewegt.

Am Krankenhaus habe ich bemerkt, dass ich falsch bin, aber über die Straße hinter der Klinik kam ich schnell auf den richtigen Weg. Wobei, richtig schnell ging das auch nicht, denn an dieser Verbindungsstraße gab es gegenüber der Klinik eine Imbissbude, an der ich nicht vorbeigekommen bin. Obwohl da alles noch zu Friedenspreisen gehandelt wurde (Currywurst 2,80 €, Flasche Bier 1,50 €), war da nicht viel los. Ich hab den Herrn, der zusammen mit seiner Frau den Stand offenbar schon seit der Wende betreibt, nach den Gründen befragt. Er hat das aufs Monatsende geschoben. Durch die ganzen Preis­erhöhungen haben jetzt die meisten Kunden am Monatsende nicht mehr viel übrig. Vom Klinikpersonal kommt selten mal einer rüber, die können da sehr preiswert in der Kantine essen und Patienten kommen nur mal, wenn es in der Klinik Eintopf gibt. Früher hatte er nebenan noch einen Zeitungsladen, da stand sonntags, wenn er zwei Stunden öffnen durfte, schon eine Schlange, um sich die „Bild am Sonntag“ zu holen. Jetzt liegt nur noch ein kleines Zeitungssortiment aus. Bei Zeitungen, von denen er vor wenigen Jahren noch 60 verkauft hat, wird er jetzt nur noch 10 los. Ich wollte ihn trösten, dass das sicher alles wieder besser wird. Nach der Wende haben sich ja auch viele mit Gaststättenbesuchen und Ähnlichem zurückgehalten. Da hat er gekontert, dass ihm damals die Leute die Bude eingerannt sind. In den Wohngebieten ringsum wurde überall gebaut und renoviert. Da wimmelte es hier von Baufirmen und Handwerkern, die zur Mittagszeit Schlange standen. Besonders gut ging früher Eis, da hat er damals in der Woche so viel verkauft wie jetzt in einem Jahr.

Er hat aber keinesfalls gemeckert oder gestöhnt. Zwei, drei Jahre müssten sie noch durchhalten und das werden sie auch schaffen. Dann mussten wir unser Gespräch leider abbrechen, weil (für ihn wichtige) Kundschaft kam. Offenbar Stammkunden, die nur eine Kleinigkeit kaufen (Bockwurst und einen Becher Cola, 3 €), aber regelmäßig kommen, weil sie hier jemand zum Quatschen finden. Wenn die Imbissbude mal zu macht, bricht hier eine Institution weg. Wo sollen sich dann die Leute treffen, die bisher seine Kundschaft waren?

Um es vorweg zu nehmen: diese Imbissbude war die letzte Verpflegungsmöglichkeit nicht nur vor meinem heutigen Ziel (Barenthin), sondern vermutlich bis zur Plattenburg, kurz vor meinem morgigen Ziel, Bad Wilsnack. Die Begegnung mit dem Imbissbuden-Besitzer musste ich so ausbauen, da das tagsüber die einzige menschliche Begegnung war.

Mein Weg führte mich über Rehfeld und Berlitt hier her nach Barenthin. In Rehfeld und Berlitt bin ich auf sehr schöne, offen stehende Kirchen gestoßen. Die Fachwerkkirche auf einem Hügel in Rehfeld ist erst vor ein paar Jahren wieder hergestellt worden. drinnen lag ein dicker Ordner mit Bildern und Notizen zur Rekonstruktion. Da kann man sehen, wie das Fachwerk völlig frei gelegt und teilweise ersetzt wurde und wie nachträglich ein Fundament unter die ganze Konstruktion gesetzt wurde. Ein unglaublicher Aufwand, der sich aber gelohnt hat. Die Kirche ist richtig gemütlich, was sicher nicht nur an den gehäkelten Sitzkissen liegt. Farbig verglaste Öffnungen in der Wand hinterm Altar umrahmen bei genauem Hinsehen ein Kreuz und lassen verschieden farbiges Licht in die Kirche fallen. Eine moderne Glaswand macht den Raum unter der Empore zu einer Winterkirche.

In Berlitt besticht die Feldsteinkirche durch den nachträglich als separates Bauwerk angesetzten Fachwerkturm und den stattlichen Ziergiebel am Chor. Innen fällt das Gestühl auf und die musizierenden Engel an der Decke, die erst nach Entfernen einer Decken­verkleidung zum Vorschein kamen.

Hinter Berlitt verlief der Weg anfangs auf einem ehemaligen Bahndamm, über den die Bäume inzwischen fast einen Tunnel gebildet haben. Dort zu laufen war sehr angenehm. Es war tagsüber nicht übermäßig warm und es wehte ein frisches Lüftchen. Unter Bäumen hat man es gut ausgehalten. Aber auf freiem Feld brannte die Sonne herunter, die nur selten mal von Wolken verdeckt war. Eine gute Stunde vor meiner Ankunft habe ich mich hier schon mal angekündigt. Die für das Quartier zuständige Dame sagte mir, dass ich mich an ihre Nachbarin wenden soll, da sie gleich weg müsse. Hier angekommen, bin ich zur Nachbarin, die jedoch ihren Schlüssel nicht finden konnte. Sie hat sich aber, obwohl sie auch noch irgendwo hin musste, aufs Fahrrad gesetzt und hat von einer dritten Schlüsselbesitzerin den Schlüssel geholt. Das war sehr freundlich.

Das Gemeindehaus, wo die Pilger unterkommen können, liegt etwa einhundert Meter von der Kirche entfernt auf der anderen Straßenseite. Es handelt sich aber nicht um das schöne alte, von Efeu umrankte rote Backsteinhaus an der Straße, sondern um einen Zweckbau auf dem Hof des nunmehr vermieteten Pfarrhauses. Hier ist ein größerer Saal, der offenbar auch für Gottesdienste genutzt wird. Daneben eine Küche, zwei Toiletten und eine Rumpel­kammer, in der man Klappliegen findet, von denen man sich eine greifen und im Saal aufbauen kann. Pilgerquartier, nicht mehr und nicht weniger.

Nun muss ich aber ins Bett, da ich früh los muss. Wenn ich nicht bis 16 Uhr in Bad Wilsnack (25 km entfernt) bin, wird es mit der Schlüsselübergabe für das Pilgerzimmer kompliziert.


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