Unterwegs an der Algarve-Küste von Faro nach Lissabon
Tag 2 (Do, 6.3.2025) Quarteira - Armação de Pêra / 30,9 km
Mit der Muschel am Rucksack kommt man immer schnell ins Gespräch. Mir hat hier schon öfter jemand ein „Bom Caminho“ zugerufen, im Supermarkt hat mir gestern jemand erzählt, dass er auch schon in Santiago war, und die Dame an der Rezeption hat mir gesagt, dass sie dieses Jahr auch nach Santiago will und gefragt, ob ich ihr den „Camino Primitivo“ empfehlen kann. Das konnte ich guten Gewissens, denn das ist einer meiner Favoriten, weil man da bei passendem Wetter einige Tage über den Wolken läuft. Die Dame hat mir auch erzählt, dass kurz vor mir zwei Deutsche mit Rucksack eingecheckt haben. Die habe ich aber nicht zu Gesicht bekommen, so dass ich nicht weiß, ob die auch an der Küste unterwegs sind. Eine Deutsche, die durchs Haus geführt wurde, während ich Abendbrot gegessen habe, hat sich durch einen „Camino Portugues“-Aufnäher am Rucksack verraten. Die ist mir aber erst abends wieder über den Weg gelaufen - im Schlafanzug auf dem Flur. Natürlich habe ich nach „woher“ und „wohin“ gefragt. Sie heißt Brigitte, kommt aus Wiesbaden und will wie ich auf dem Fischerweg nach Lissabon. Sie war ganz entzückt, dass da noch einer unterwegs ist, weil sie nicht erwartet hat, dass noch jemand auf diese Idee gekommen ist. Sie wird aber erst in ein paar Tagen starten, da sie noch verschiedene Sachen zu erledigen hat. Wir werden uns also vermutlich nicht noch mal treffen. Gäbe es in der Herberge wie in Faro einen geschlechterübergreifenden Waschraum, hätten wir unsere Unterhaltung beim Zähneputzen fortsetzen können, aber so mussten wir es bei den paar Worten auf dem Flur bewenden lassen, um keine Mitbewohner aufzuwecken.

Obwohl das Fenster zur Straße zeigte und die ganze Nacht offen war, habe ich gut geschlafen und bin später aufgewacht, als beabsichtigt. Es war halb acht, als ich mit den allmorgendlichen Zeremonien fertig war und mich zur Küche begeben habe, um mir dort wie schon am Abend ein paar Rühreier zu bereiten. Ich hatte extra drei Eier übrig gelassen und alle anderen Zutaten (Zwiebeln, Schinken und Tomaten) halbiert und im Kühlschrank deponiert. Aber als ich meine Schlüsselkarte ans Schloss der Küchentür gehalten habe, hat dieses nur gekrächzt und nicht wie erwartet ein freundliches „Klick“ von sich gegeben. Das lag aber weder am Schloss noch an der Karte, sondern an den angeschlagenen Öffnungszeiten der Küche: 8 - 21 Uhr. Mist. Um acht wollte ich längst in der Spur sein. Und wer weiß, wie genau die das hier mit „8 Uhr“ nehmen. In Cadiz ist mir das Gleiche schon mal passiert und da kam erst zwanzig Minuten später jemand.

Zum Glück ging aber die Tür zum Aufenthaltsraum auf, in dem sich ein Kaffeeautomat befindet. Da konnte ich mir die Zeit mit ein paar „Café Longo“ vertreiben. Da das Studieren des Kaffeeangebotes und das Zusammenkratzen von Kleingeld auch noch eine Weile gedauert hat, war es schon bald um acht, als ich damit fertig war. Die zwischenzeitlich eingetroffene Putzfrau hat mich dann auch etwas vor der Zeit in die Küche gelassen. Beim Versuch, die eingebüßte Zeit durch schnelleres Zwiebelschneiden wieder reinzuholen, hätte ich fast einen Finger eingebüßt. So sah es zumindest auf den ersten Blick aus, aber die Schnittwunde hat dann doch unter ein normales Pflaster gepasst. Die Putzfrau hat dasselbe übrigens sehr fachmännisch platziert. Sie hat mir auch das beim Braten unverzichtbare Öl aus dem Vorratsschrank des Personals geholt. Die Ölflasche hatte mir am Abend zuvor die Dame von der Rezeption schon mal rausgestellt, aber zwischenzeitlich wurde da wohl in der Küche aufgeräumt.

Es war schließlich um halb neun, als ich mit vollem Magen und schickem Pflaster das empfehlenswerte „Hostel Conii & Suites Algarve“ in Quarteira verlassen habe. Der Routen­planer hat für die Etappe bis Armação de Pêra knapp 28 Kilometer ausgewiesen, was aber der direkte Weg ist. Ich wollte jedoch nicht an der Straße laufen, sondern möglichst am Wasser, was ein Stück mehr ergibt und deutlich mehr Zeit beansprucht. Darum hat es mich geärgert, dass ich nicht früher weggekommen bin.

Von Quarteira ging es zunächst in den sich unmittelbar anschließenden Nachbarort Vilamoura, der mit einem schönen Yachthafen aufwarten kann. Der ist fast lückenlos von Gast­stätten umringt, einige davon haben sogar noch eine Dependance direkt an den Bootsstegen. Ich musste bei der Vorstellung schmunzeln, wie sich die Kellner mit vollem Tablett durch die Autoschlangen den Weg über die Straße bahnen. Denn selbst zu dieser Jahreszeit und so früher Stunde war da schon Verkehr.

Der Weg führt dann noch um eine tolle, an einer Lagune gelegene Hotelanlage herum und auf einer Bogenbrücke über das Flüsschen „Ribeira de Quarteira“, bevor er über einen hölzernen Steg auf den Strand trifft. Der ist hier durchgängig sehr breit und zum Wasser hin abschüssig. Das ist eigentlich was für Hanghühner, aber auch für mich ganz passend, da mich doch mal eine Physiotherapeutin mit der Schreckensnachricht überrascht hat, dass bei mir ein Bein kürzer sei. Aber dafür ist das andere etwas länger - und zwar das linke, was sich als günstig erweist, wenn bei einer Strandwanderung auf dieser Seite das Wasser ist. Dicht am Wasser war der Sand auch so fest, dass ich gut vorangekommen bin. Wenn ich noch etwas beweglicher wäre und nicht nur im Sitzen, sondern auch auf freier Wildbahn in die Schuhe käme, wäre ich ja gern barfuß gelaufen. Dann hätte ich auch nicht so auf die Wellen aufpassen müssen, die doch immer mal den Strand hochkrochen.

Schon nach wenigen Metern baute sich landeinwärts eine Steilküste auf, anfangs nur ein paar Meter hoch, aber später mit deutlich mehr als zehn Metern Höhe. Das ist von den Dimensionen nicht spektakulär, aber unheimlich beeindruckend war hier wieder das von hellem Gelb bis zu dunklem Rot reichende Farbenspiel. Der Verlauf der Steilküste war auch nicht durchgängig gerade. Zwischendrin klafften immer mal Lücken und gaben den Blick frei in eindrucksvolle, wild zerklüftete, kleine Canyons. Zum Glück bieten heute die „Filme“ im Smartphone Platz für fast unendlich viele Bilder. So konnte ich es mir erlauben, alle fünfzig oder hundert Meter ein Bild zu machen. Es war einfach grandios und immer wenn die Sonne durch eine Wolkenlücke schaute, sah die Kulisse wieder ganz anders aus. Man hätte auch auf der Steilküste dicht an der Kante laufen können, aber dann wäre einem vermutlich dieses Farbenspiel entgangen und zudem wäre bei jedem Einschnitt ein großer Bogen zu laufen gewesen.

In Anbetracht der noch am Morgen in Quarteira gesehenen Tsunami-Schilder ging mir allerdings wiederholt durch den Kopf, wo man denn am besten hinrennt, wenn neben einem die Steilküste ist und die Monsterwelle kommt. Aber gestern gab‘s keinen Tsunami, da wird es auch heute keinen geben.

So ging es immer entlang der farbenfrohen Wand bis kurz vor Olhos de Água. Dann stellte sich plötzlich ein bis ins Wasser reichender Felsen in den Weg und ich musste nach rechts in die durch den Wald führende Zufahrt zu einer Strandgaststätte ausweichen und eine Treppe hochklettern, die zu den Hotels oben auf der Steilküste führt. Nach ein paar Schritten war ich dort umringt von Gaststätten und Geschäften. Eine Gaststätte warb mit Bierpreisen von 1,99 € in der Happy Hour von 10 bis 17 Uhr - nur war die leider um elf noch zu. Abhilfe boten da ein Minimarkt und eine Parkbank.

Die am Morgen noch präsenten Wolken hatten sich inzwischen verflüchtigt und nun war ich schon laufend auf der Suche nach Schatten. Der fand sich am ehesten in bebauten Gebieten. Da sich bis Albufeira flache und steile Küstenabschnitte aneinander reihen und immer wieder Felsen bis ins Wasser reichen, bin ich dieses Stück dem Routenplaner folgend an der Straße geblieben. Die führte fast ausschließlich durch sehr ordentliche Bebauung und war mit Fußwegen versehen, so dass man da gut laufen konnte und überwiegend Schatten hatte.

Inzwischen hatte sich auch Hunger eingestellt, den man in der Stadt bestimmt schneller und günstiger stillen kann, als in einer der Strandgaststätten. Als sich dann mal am Straßenrand ein Torbogen zeigte, der wie das Dach einer Pagode aussah, bin ich abgebogen und in einem sehr eindrucksvoll dekorierten, aber leeren japanischen Restaurant gelandet, wo ich ganz gut gegessen habe. Der Chinese, den ich eigentlich erwartet hatte, fand sich später eine Haustür weiter …

Immer der Straße folgend kommt man in Albufeira auf einem Plateau an, von dem man einen tollen Blick auf den vielleicht zehn Meter tiefer liegenden Strand und diverse parallel dazu verlaufende Straßen hat. Runter kommt man per Rolltreppe und am anderen Ende des Stadtstrandes kann man bei Bedarf einen Fahrstuhl benutzen. Im Ort geht es permanent auf und ab. Der Stadtstrand ist eigentlich auch mit einer Steilküste als Begrenzung versehen, die aber mit Häusern überbaut ist. Um ans Wasser zu kommen, wird einem da als Verlängerung einer Fußgängerzone ein Tunnel geboten.

Mehr als der Strand und die von Geschäften flankierten Gassen haben mich hier aber die aus der flachen Altstadtbebauung herausschauenden Kirchen interessiert. Der Ausschilde­rung zur „Igreja Matriz“ folgend, bin ich zu einer leider verschlossenen Kirche gelangt, die ich mir gern angeschaut hätte. Außerdem hatte ich gehofft, dort einen schönen Stempel für meinen Pilgerpass zu bekommen. Bei einem an die Kirche angrenzenden Gebäude stand an der Tür „Por favor bater à porta“, was nach meinem Übersetzungsprogramm „Bitte an die Tür schlagen“ bedeutet. Da ich mich nicht getraut habe, gegen die Tür zu schlagen, habe ich geklopft. Und es ward mir aufgetan. Hinter der Tür war das Pfarrbüro und die nette Dame, die mir öffnete, hat mir nicht nur einen Stempel verpasst, nachdem sie sich telefonisch der Korrektheit ihres Tuns versichert hat. Sie hat mich sogar durch verwinkelte Gänge und Treppen in die Kirche geführt und mir zum Abschied noch einen Keksriegel in die Hand gedrückt. Wirklich nett und rührend.

Gleich hinter Albufeira führte der hoch über dem Wasser verlaufende Weg zu einer quietschbunten Siedlung, die an einem künstlichen Yachthafen angelegt wurde. Zum Hafen hin stehen einzelne mehrgeschossige Häuser, dahinter ist ein lang gestreckter Platz mit einem Parkhaus darunter und auf der anderen Seite des Platzes sind flachere Bauten mit Geschäften und Gaststätten im Erdgeschoss. Und jede Wandfläche hat da eine andere Farbe, als die benachbarte: Gelb, Grün, Rot, Blau …

So, als hätte man einem Kind ein Umrissbild zum Ausmalen hingelegt. Das sieht lustig und irgendwie gut aus. Da bleibt nur zu hoffen, dass die Farben auch immer mal aufgefrischt werden, sonst ist das in ein paar Jahren grauenhaft anzusehen.

Hinter dieser Siedlung führt eine Straße gen Westen, die auf der rechten Seite von einem Berg begleitet wird, auf dessen Kamm noble Häuser mit riesigen Glasflächen thronen. Das sieht nicht nach sozialem Wohnungsbau aus. Wenn man an der richtigen Stelle abbiegt, kommt man durch eine Siedlung zum Wasser und steht dort inmitten einer großartigen Felslandschaft. Ab hier gibt es nur noch eine zerklüfte Steilküste, die mitunter weit ins Wasser hineinreicht, dann aber wieder tief eingeschnitten ist. Dazwischen viele Strände, die nur vom Wasser aus zu erreichen sind. Hin und wieder führt in einer Lücke der Steilküste ein Weg runter zum Wasser, wo man meist auf eine Strandgaststätte oder eine Surfschule mit dazugehörigem Badestrand trifft. Die dazu gehörigen Parkplätze oben auf den Klippen sind im Sommer bestimmt schnell zugeparkt.

Es gibt hier keine Möglichkeit, am Strand entlang der Steilküste zu laufen, aber auf weiten Stücken kann man auf den Klippen spazieren, wovon reichlich Gebrauch gemacht wird. Aber drei von vier Wegen führen da in eine Sackgasse, meist auf einen Vorsprung, von dem man aus einen tollen Blick in bizarre Schluchten, auf einsame Strände oder gar auch das offene Ende einer Höhle hat. Jeder beabsichtigte oder unbeabsichtigte Umweg ist da also nicht umsonst, kostet aber viel Zeit und Kraft, weil das manchmal auch mit Kletterei verbunden ist. Nicht, dass man an vorderster Front die Felsen beklettern muss, aber in das weiche Material haben sich die kleinsten Zuflüsse tief eingeschnitten und diese Rinnen muss man auf ausgelatschten, in den Fels getretenen Stufen, manchmal auch auf Treppchen überwinden. Leider steht man auch oft vor einem Zaun oder der Mauer eines bis an die Klippe reichenden Grundstücks. Manchmal ist noch Platz, daran entlang zu laufen, aber ein anderes Mal muss man den Rückzug antreten und einen zwischen solchen Grundstücken ins Hinterland führenden Weg nehmen. Dort läuft man dann entlang hoher Grundstücksmauern, bis man wieder zu den Klippen kommt - und für den Aufwand entlohnt wird. Es ist wirklich großartig und wird nicht langweilig. Ich konnte mich an den grandiosen Ausblicken gar nicht satt sehen.

Um etwas abzukürzen, bin ich an einer Stelle, wo man eh wieder von der Felskante weg in eine Siedlung musste, in der Siedlung geblieben und ein Stück entlang der „Dorfstraße“ gelaufen. Sonst würde ich wohl jetzt noch auf den Felsen herumirren. Diese Straße führte im spitzen Winkel wieder auf die Küste zu und endete an einem Parkplatz von dem aus es einige Kilometer auf einem auf Stelzen durch die Dünen führenden Holzweg weiterging. Das Meer konnte man von diesem Weg aus zwar nur selten sehen, da die Düne auf dieser Seite höher lag, aber auf der landeinwärts liegenden Seite fiel der Blick auf Tümpel und Wasserläufe inmitten des kargen Bewuchses. Dort tummelten sich Unmengen Vögel, die sich mitunter auch durch mitgebrachtes Futter anlocken ließen. Das gab schöne Nah­aufnahmen, ist aber möglicherweise für die Vögel gar nicht so gesund. Ich hatte nichts zu essen dabei und kam damit gar nicht in die Versuchung, etwas abzugeben.

Obwohl Armação de Pêra noch ein ganzes Stück entfernt war, waren hier viele Spaziergänger unterwegs. Einige mit großen Ferngläsern oder riesigen Teleobjektiven an der Kamera. Die sind hier ganz bestimmt auf ihre Kosten gekommen. Die englischen Rentner, die es hier in großer Menge gibt, haben stattdessen ihre Hündchen in Kinderwagen-ähnlichen Behältnissen durch die Gegend geschoben. Die Stadt mit ihren Hochhäusern war schon von weitem sichtbar. Eines dieser Häuser hat eine markante Spitze, anhand der man die Stadt leicht auf einem Foto wiedererkennen kann. Sonst ist mir auf dem Stück, das ich abends noch zu sehen bekommen habe, nichts Spektakuläres aufgefallen.

Ich bin etwa um sechs angekommen, früher hätte es bei der gewählten Unterkunft auch kein Check-In gegeben. Um noch was vom Sonnenuntergang gegen halb sieben zu sehen, habe ich mich für um sieben in meinem Quartier angekündigt, das ich erst kurz vorm Ziel bei booking.com gebucht habe. Das Buchen hatte ich so lange vor mir her geschoben hatte, weil sich in Armação de Pêra nur drei ziemlich schlecht bewertete, aber über 30 € teure Zimmer der gleichen Inhaberin fanden. Ich hatte lange gehofft, dass da durch eine Stornierung noch was anderes frei wird. Aber bis zum Schluss gab es ringsum nur deutlich teurere Unterkünfte. Wie sich dann zeigte, war das Zimmer aber gar nicht so schlimm. Da habe ich schon Ärgeres erlebt. Mein Quartier hat zwei Zimmer mit ordentlichen Betten und sogar etwas Mobiliar. Die Zimmer teilen sich ein sehr enges, aber brauchbares Bad, das ich nun ganz für mich allein habe, weil das andere Zimmer leer geblieben ist. So konnte ich auch nachts die Zimmertür offen lassen, um etwa mehr Luft zu haben. Die alte Kommode, die neben dem Bett steht, bietet endlich mal Gelegenheit, den Inhalt des Rucksacks aus­zubreiten und neu zu ordnen. Wenn man immer nur was rauszerrt und anderes reinstopft, ist baldiges Chaos programmiert.

Die lange Steckdosenleiste auf dem Nachttisch ist zwar nicht sonderlich schmückend, aber praktisch, weil man da alles gleichzeitig aufladen kann und nicht nachts umstöpseln muss. Mit meinem langen Ladekabel kann ich zudem gemütlich im Bett liegend meinen Bericht tippen. Es war ein wirklich großartiger Tag, doch leider fehlt mir das Talent, das auch im Geschriebenen rüberzubringen.

Algarve - Tag 2