Unterwegs auf der Via del Estrecho / Via Augusta von Gibraltar nach Santiago
Tag 2 (Do, 14.11.2024) Von La Linea de la Conceptión nach Algeciras / 25,0 km
Ich bin heute wieder weit vor dem gestellten Wecker aufgewacht, was auch gut war, weil ich ja noch meinen Bericht vom Vortag zu vervollständigen hatte. Ich habe gestern so viel gesehen und erlebt, dass ich mehr als die zwei nachträglichen Kapitel hätte liefern können. Aber ich wollte nicht so spät los, weil für heute wieder Regen angesagt war, in den ich möglichst nicht geraten wollte. Ein kleines Frühstück habe ich mir trotzdem gegönnt: im Foyer der Pension stand ein Wasserkocher und ein Glas löslicher Kaffee und ich hatte vom gestrigen Einkauf noch eine leckere Empanada (Teigtasche, in diesem Fall mit Hühner­fleisch). Um dreiviertel acht bin ich los. Da zogen sich über der Bucht zwischen Gibraltar und Algeciras dicke Wolken zusammen und „der Felsen“ war bereits eingehüllt. Über die Berge zogen immer neue Wolken heran und es war abzusehen, dass die bald nicht mehr alle in die Bucht passen und sich folglich abregnen müssen. Da war etwas Eile angesagt.

Es bestand die Wahl zwischen der Uferstraße nach Algeciras und dem Weg durch die offene Landschaft über San Roque. Für mich als Rochus-Fan kam nur Letzteres in Frage. Dem Weg dorthin war aber anzumerken, dass es gestern hier ordentlich geregnet hat. Er war völlig aufgeweicht und mit Pfützen versehen, welche die ganze Wegbreite einnahmen. Irgendwie gelang es mir doch, alle zu umrunden, ohne nasse Füße zu bekommen. Allerdings waren die Schuhe bald so mit Schlamm bedeckt, dass sie bestimmt das doppelte Gewicht hatten. Die größte Gefahr bestand auf diesen knapp acht Kilometern darin, im Schlamm stecken zu bleiben. Baron Münchhausen hätte sich in einem solchen Fall selbst an den Haaren aus dem Schlamm gezogen, aber bei meiner Glatze ist das keine Option.

Als kurz vor San Roque die ersten Tropfen runter kamen, bestand die Wahl zwischen dem spärlichen Schutz eines knorrigen Olivenbaums oder einem schnelleren Schritt. Letzteres hat mich nach San Roque und dort in eine rettende Kneipe geführt, bevor der Regenguss richtig losging. Mit meinen schlammigen Füßen habe ich mich da aber nur bis an die Theke getraut, wo ich aber auch das von mir geliebte Tomaten-Toast serviert bekam.

Nach einer dreiviertel Stunde, etwa um halb elf, hat der Regen aufgehört und ich konnte mich wieder aus der Kneipe wagen. Obwohl ich schon am richtigen Weg raus aus der Stadt war, habe ich doch noch einen Abstecher ins Zentrum zur Marienkirche gemacht, die natürlich verschlossen war. Aber die nahe gelegene Touristen-Information war geöffnet und der Herr am Tresen hat mir nicht nur einen prächtigen Stempel der Via Serrana in den Pilgerpass gedrückt, sondern auch noch aus dem Lager eine Aluminium-Tasse mit dem gleichen Aufdruck geholt. Die hat als Griff einen Karabinerhaken, mit dem man sie leicht außen am Rucksack befestigen kann. Das ist sehr praktisch, aber eigentlich ist die Tasse viel zu schön, als sie zu benutzen.

Die Via Serrana ist übrigens der Jakobsweg, der von La Linea über Ronda mehr oder weniger direkt nach Sevilla führt. Der verläuft aber durch ziemlich verlassene Gegenden und über die Berge, was im November nicht mehr zu empfehlen ist und bei den aktuellen Wetterbedingungen ganz ausscheidet.

Ich bin gestern in La Linea extra noch zur Santiago-Kirche gelaufen, wo die Via Serrana beginnt, was mit einer großen Camino-Kachel und der Angabe „km 0“ an der Kirchenwand kundgetan wird. Da mir dort der Pfarrer in die Arme gelaufen ist, habe ich sogar noch den passenden Stempel abgefasst.

Weil die Via Serrana, die ich gestern noch als Heimweg benutzt habe, ganz dicht an meiner Pension in La Linea vorbeiführt, war ich heute früh nach wenigen Schritten wieder auf diesem Weg, den ich bis San Roque nicht wieder verlassen habe. Leider ist der Weg auf dem ersten Stück hinter der Stadt völlig vermüllt. Da reiht sich ein Bauschutthaufen an den anderen, was ich in dieser Konzentration bisher in Spanien noch nicht gesehen hatte.

Der Herr in der Touristeninformation hat mir dann noch erklärt, welche Wege ich in Richtung Algeciras meiden soll und hat mir auf einem Zettel die Orte entlang der von ihm empfohlenen Route aufgeschrieben. Beim gemeinsamen Kartenstudium zeigte sich nämlich, dass Fußgänger im hiesigen Verkehrskonzept gar nicht eingeplant sind. Über die Flüsse, die zwischen San Roque und Algeciras in Richtung Meer fließen, führen nämlich ausschließlich Autobahnbrücken. Ein paar, aber längst nicht alle, lassen sich durch sehr große Umwege umgehen. Aber wenn ich eh an verschiedenen Stellen die Autobahnbrücken nehmen muss, kann ich das auch überall machen und mir die Umwege sparen. Schließlich sollte es am Nachmittag nochmal regnen.

Wie sich vor Ort zeigte, waren die Brücken gar kein Problem, da dort immer zwischen der Leitplanke und dem Geländer ein schmaler Gang war. Aber um dort hin zu kommen, musste man oft lange Stücken am Fahrbahnrand laufen, was zwar ätzend laut und unangenehm war, aber nicht sonderlich gefährlich, da es da neben dem Standstreifen immer noch einen asphaltierten Randstreifen gibt. Und wenn man dort läuft, löst das nicht wie bei uns einen Großalarm aus. Die Besatzung eines entgegen kommenden Polizeifahrzeuges hat das überhaupt nicht gekümmert.

Wenn vorhanden, habe ich natürlich die oft parallel verlaufende Service-Straße benutzt, wo man aber mitunter gefährlicher lebt als auf der Autobahn, denn Fußwege sind da eine Seltenheit und wegen der großen Gewerbegebiete entlang der Autobahn ist da ziemlicher Verkehr.

Ein paar Kilometer vor Algeciras kam mir auf dem Standstreifen der Autobahn jemand mit einem Handwagen entgegen, der noch etwas zerlumpter aussah als ich. Ich habe freundlich gegrüßt und er hat gleich gefragt, ob ich Deutscher sei. Und schon waren wir in einem netten Gespräch - auf dem Standsteifen der Autobahn und an die Leitplanke gelehnt. Er, Emanuel, stellte sich als Pilger vor, der vor dreißig Jahren in München aufgebrochen ist. Er zieht durch die Gegend und verdient sich zwischendurch immer mal als Maler oder als Mundharmonika­spieler etwas Geld. Er hat betont, dass er kein Bettler ist. In seinem 150 kg-Wagen hat er neben Zelt, Ersatzteilen und Hausrat auch noch einen Hund zu sitzen gehabt. Er hat mir einen Wald kurz vor Cádiz empfohlen, wo man wundervoll zur Ruhe kommen kann. Er hat da gerade vier Monate meditiert … Als ich ihm sagte, dass ich in zwei Wochen in Sevilla sein will, hat das bei ihm ziemliche Verwunderung ausgelöst. „Ein Pilger in Hektik“ waren seine Worte. Dass es auf seinem derzeitigen Weg nach Alicante rings um Malaga Unwetter­schäden gab, hatte er noch gar nicht mitbekommen. Aber das ist vielleicht auch gar nicht relevant, denn wer weiß, in wie viel Jahren er da vorbeikommt.

In Algeciras angekommen, bin ich nicht gleich in mein am Abend zuvor gebuchtes Zimmer, sondern habe ich mich erstmal in der Stadt umgesehen. Dem Klima entsprechend stehen hier viele Palmen herum und der Jahreszeit entsprechend steht und hängt hier schon viel Weihnachtsdekoration. Beides zusammen sieht schon ziemlich komisch aus. Ein Knüller wäre es, wenn man die Palmen mit Lichterketten behängen würde wie die Bäume Unter den Linden oder am Ku’damm in Berlin.

Auf dem Plaza Alta, dem zentralen Platz der Stadt, stehen zudem noch mit bunten Fliesen versehene Bänke, Brunnen und Laternen. Das ist schön anzusehen, aber alles zusammen ist schon ziemlich viel.

Da die Sonne so schön schien und fast zwanzig Grad waren, habe ich es mir auf einer gefliesten Bank unter einer Palme neben einem riesigen Kegel mit Lichterketten bequem gemacht, den Pullover ausgezogen und ein Sonnenbad genommen. Die beiden Kirchen am Platz waren leider geschlossen, aber immerhin habe ich einen Wegweiser mit der Jakobsmuschel gefunden. Auf dem Plaza Alta beginnt nämlich der „Camino de Santiago del Estrecho“, d. h. der Jakobsweg entlang der Meerenge, womit die Straße von Gibraltar gemeint ist. Diesem Weg werde ich, sofern es die Wetter- und Wegeverhältnisse zulassen, in etwa bis Cádiz folgen.

Ich habe auch noch einen Abstecher zum Hafen gemacht, wo die Autofähren nach Tanger bzw. Ceuta abfahren. Da gab es aber nicht viel zu sehen, da gerade keine Fähre angelegt hatte.

Durch schöne und weniger schöne Wohnviertel bin ich dann zu meinem Quartier: „Calle guadalquivir bloque 3 planta 4 letra A“. Das war unter der angegebenen Adresse nicht so einfach zu finden, da es in der Straße zweimal die Nummer 3 gab. Da, wo der richtige Straßenname am Haus stand, gab es zwar einen vierten Stock, aber dort wohnten mürrische Leute, die mich nicht in ihre Wohnung lassen wollten. Eine Dame hat mir dann aber in einem namenlosen Straßenabschnitt ein Haus gezeigt, wo auch was mit „3“ über der noblen Eingangstür stand. Letztere war aber verschlossen und draußen war keine Schlüsselbox zu sehen, an der ich den per Email zugesandten Code hätte eingeben können. Der nette Verkäufer des benachbarten Lotto-Ladens hat mir dann die Haustür aufgeschlossen und ich konnte in den vierten Stock fahren, wo aber die Tür mit dem Buchstaben A auch ver­schlossen war. Daraufhin habe ich nochmal die Mail gelesen und da stand, dass ich schreiben soll, wenn ich vor der Tür stehe. Das habe ich gemacht, aber nichts passierte. Dann habe ich mit Hilfe des Lotto-Verkäufers angerufen und es hieß wieder nur, ich solle in den 4. Stock fahren und in der Wohnung A das Zimmer 6 nehmen. Ich bin nochmal hoch gefahren und plötzlich ließ sich die Wohnungstür öffnen. Vermutlich hat der Besitzer diese per Fernsteuerung freigegeben. Da drinnen überall Kameras hängen, ist er vermutlich ein ausgesprochener Technik-Freak. Er ist zumindest weder Maler noch Fliesenleger.

Aber das 14 €-Zimmer ist völlig ausreichend: Ein Bett, ein Nachttisch und ein Stuhl - mehr hatte ein Mönch im Mittelalter auch nicht in seiner Zelle. Und ich habe sogar noch einen kleinen Fernseher, den hatte wohl damals kaum ein Mönch über seinem Bett. Dass sich die sechs Zimmer in der Wohnung ein Bad und das Klo teilen, ist nicht weiter schlimm, da ich offenbar der einzige Gast bin. Da konnte ich mich beim zwingend erforderlichen Wäsche­waschen mit dem Rücken zur Kamera richtig austoben. Danach kam ein noch unerwähnt gebliebener Einrichtungsgegenstand zum Einsatz: ein riesiger Ventilator. Dem habe ich die vom Schlamm befreite Wanderhose übergestülpt, die nach zwei Stunden schon fast trocken war. Die über der Stuhllehne im Abwind hängenden Socken haben deutlich länger gebraucht.

Via del Estrecho / Via Augusta - Tag 2