Unterwegs auf der Via del Estrecho / Via Augusta von Gibraltar nach Santiago
Tag 3 (Fr, 15.11.2024) Von Algeciras nach Tarifa / 26,4 km
Heute morgen schien es gar nicht hell werden zu wollen. Das lag aber nicht an der Tageszeit, sondern an den tiefschwarzen Wolken, die über Algeciras lagen. Es war zwar trocken, aber ab 9 Uhr war Regen angesagt. Darum bin ich nicht schon in Algeciras auf den Jakobsweg (Via del Estrecho), der sich zwischen der Küste und der N 340 durch die Berge schlängelt. Wie der beschaffen ist, wusste ich nicht und ich habe befürchtet, dass ich bei einsetzenden Regen in den menschenleeren Bergen keinen Unterschlupf finde. Ich bin deshalb zunächst auf der N 340 geblieben, um im Falle eines Regengusses dichter an der Zivilisation zu sein. Der Begriff „Zivilisation“ ist in Anbetracht des Mülls am Straßenrand aber vielleicht nicht das richtige Wort.

Um es kurz zu machen: es war eine Pein, an der Straße zu laufen. Die Fahrbahnränder sind zu schmal, um dort sicher laufen zu können, und der Trampelpfad hinter der Leitplanke ist holprig, abschüssig und voller Müll, der hier üblicherweise aus den Autofenstern fliegt. Außerdem wird an vielen Stellen gebaut und an den Baustellen steht einem nicht mal dieser Trampelpfad zur Verfügung. Das Laufen ist da ziemlich anstrengend und dazu kommt dann noch der Lärm der vielen Autos, die im Berufsverkehr unterwegs sind.

Darum habe ich auf halber Strecke zwischen Algeciras und El Pelayo die Straße verlassen und den kürzesten Weg zu meinem Camino gesucht. Es hatte sich nämlich gezeigt, dass der Wind die dicken Wolken landeinwärts bis hinter die N 340 getrieben hat und es dort, wo der Camino verläuft, gar nicht so schlimm an Himmel aussieht. Der vom Routenplaner vorgeschlagene Weg verlief zunächst auf einer völlig zerfahrenen Straße und dann als kaum sichtbarer Trampelpfad über Wiesen, die mit Feldsteinen gespickt sind. Da musste ich mehrmals im Zickzack laufen, um den Trampelpfad wiederzufinden. Den Spuren zufolge waren da auch weit mehr Tiere als Menschen unterwegs. Getroffen habe ich niemand. Zwischendurch ging es zweimal über kleine Bäche, wo etwas Balancierkunst gefragt war. Außerdem waren laufend irgendwelche Gatter zu öffnen und wieder zu schließen. Das Laufen auf diesem Terrain war also auch nicht ganz einfach, aber es fehlte wenigstens der ätzende Straßenlärm.

Als ich dann in Sichtweite von El Pelayo auf die „Via del Estrecho“ traf, konnten sich die Füße über einen sehr gut begehbaren Weg freuen. Eigentlich ist das eine unbefestigte Straße, die aber in jüngerer Zeit glatt gewalzt wurde, vermutlich um darauf die Teile der am Horizont zu sehenden Windräder zu transportieren. Da lief es sich ganz prima, obwohl Schilder am Weg sagten, dass es sich um eine Militärstraße handelt, die in schlechtem Zustand ist und Gefahren birgt. Nichts dergleichen. Da der Weg, oder besser die Straße, immer auf etwa gleicher Höhe an den Berghängen verlief, war er zwar ziemlich lang und kurvig, aber halt ohne große Höhenunterschiede, abgesehen vom Aufstieg zu einer Reihe von Windrädern. Die haben im Übrigen bei dem heftigen Wind, der blies, ordentliche Drehzahlen hingelegt und dabei ziemlich laute Geräusche gemacht.

Hinter den Windrädern ging es recht steil bergab zur Mündung des kleinen Flüsschens Guadalmesi. Der ist auf einer Furt zu überwinden, in der glücklicherweise das Wasser nur so hoch stand, dass man mit hohen Sohlen und weiten Schritten trocken rüber kam. Bei Regen wäre das nicht mehr so einfach möglich gewesen.

Links und rechts der Mündung waren ein paar Wochenendgrundstücke, wo ich meinen Wasservorrat auffrischen konnte. Es waren doch immerhin 19 Grad und ich bin auf dem Weg ziemlich ins Schwitzen gekommen.

Hinter der Furt ging es ein paar Meter steil bergauf bis zu einen halb verwitterten mittelalterlichen Turm (Torre de Guadalmesi), der diesen Küstenstreifen dominiert. Zu seinen Füßen hat man freundlicherweise einen Rastplatz eingerichtet, aber bei dem stürmischen Wetter war der kaum nutzbar. Ich glaube aber, dass das Klima hier trotz oder gerade wegen des Windes sehr gesund ist - mir hat der Wind zumindest eine ungesunde Chips-Tüte aus der Hand gerissen.

Ab dem besagten Turm ging es immer parallel zum Ufer weiter. Zunächst auf einer etwas holprigen, unbefestigten Straße und später auf einem Trampelpfad dicht an der Wasserkante. Das ist hier alles Steilküste, aber die ist nur ein paar Meter hoch und nicht so spektakulär wie zum Beispiel die am Camino del Norte. Dafür gibt es hier diverse Bunker und Geschützstände zu sehen. Plötzlich tauchten auch mal Schilder auf, die „Militärgelände“ und „Betreten verboten“ verkündeten. Die waren aber wohl noch aus dem zweiten Weltkrieg. Praktisch als Aufforderung, diese zu ignorieren, war immer am nächsten Mast ein gelber Pfeil als Zeichen für den Jakobsweg.

Für Freunde der Plattentektonik hat man hier an vielen Stellen schon vor Millionen Jahren den Meeresboden am Ufer schräg hingestellt, damit man die sehr verschiedenen Gesteins­schichten gut sehen kann. Auf den letzten Kilometern vor Tarifa hat man sogar noch den als Camino ausgeschilderten Weg von der Straße weg mitten in die Gesteinsschichten verlegt. Da liegen viele tausend Jahre Erdgeschichte zwischen dem linken und dem rechten Fuß. Das ist interessant und schön anzusehen, geht aber beim Laufen ziemlich auf die Fuß­gelenke. Deshalb bin ich bei der nächstbesten Gelegenheit wieder auf die Straße.

Den Schildern am Weg und der Karte folgend ging es ganz zum Schluss nochmal durch ein Wäldchen und plötzlich stand ich am Stadtrand von Tarifa direkt am Wasser. An der Stelle fällt einem schon auf, dass in der Stadt fast die ganze Uferlinie mit Festungen versehen ist. Die erste ist frei zugänglich und bietet einen prima Blick auf den Hafen. Den konnte ich aber gar nicht so richtig genießen, weil ich so furchtbar durstig war. Mit einem Getränk aus dem nächst gelegenen Krämerladen ging das schon viel besser.

Eindrucksvoll war es, den Fähren nach bzw. von Tanger zuzuschauen, wenn diese im Zickzack durch die Molen ihren Liegeplatz ansteuern und dort Autos und Radfahrer ausspucken oder aufsaugen. Es sind grundsätzlich breite, aber flache Katamarane, die einen gespenstischen Eindruck machen.

Gegen fünf bin ich dann erstmal in die gebuchte Herberge, ein Hostel in dem sich üblicherweise Kite-Surfer rumtreiben. Ich hatte bei booking.com drei Herbergen mit 19…20 € pro Bett gefunden und mir das „Lion Hostel by Kitesurf Tarifa“ ausgesucht. Das ist in einem der zweistöckigen Häuser, die außen an der Stadtmauer angebaut sind und diese fast unsichtbar machen. Innerhalb der Stadtmauer ist Tarifa ein sehr nettes, doch recht beschauliches Städtchen. Es ist übrigens die südlichste Stadt des europäischen Festlandes. (Die Inseln mitgezählt ist Ierapetra auf Kreta die südlichste Stadt Europas.)

Da hier leider nicht mal im Hostel ein Stempel zu bekommen war, habe ich nach meiner abendlichen Einkaufstour nochmal nach einer „Stempelstelle“ Ausschau gehalten. Beim Pfarrer war nach dem Gottesdienst keiner zu haben, aber am Hafen hat sich einer der am Eingang stehenden Hafenpolizisten erbarmt und ist mit meinem Pilgerpass über das ganze Gelände gelaufen, um mir in seinem Büro einen Stempel zu verpassen. In Algeciras war auch nur bei der Polizei einer zu haben. „Die Polizei, Dein Freund und Helfer.“

Via del Estrecho / Via Augusta - Tag 3