Unterwegs auf der Via del Estrecho / Via Augusta von Gibraltar nach Santiago
Tag 5 (So, 17.11. 2024) Von Zahara de los Atunes nach Conil de la Frontera / 38,4 km
Ich wollte mich gestern nach dem Abendbrot nur mal kurz hinlegen und habe prompt bis 22 Uhr geschlafen. Da wurde es Zeit, meinen Bericht zu schreiben, bevor über Nacht alles in Vergessenheit gerät. Ich musste jetzt schon die Karte konsultieren, um mich des Strecken­verlaufs zu erinnern. Und da meine Tracking-App „komoot“ mal wieder Aussetzer hatte, galt es noch, den Weg über die Düne und am Stacheldraht entlang zu rekonstruieren. Nach getaner Arbeit bin ich um eins ins Bett gefallen und gleich im Tiefschlaf versunken. Aufgewacht bin ich erst um acht, als es draußen hell wurde. Nach den üblichen Morgen­zeremonien war es um neun und höchste Zeit, aufzubrechen, denn heute hatte ich wieder eine 30 km-Etappe vor mir.

Da mein Hotel direkt am Strand lag, bin ich auch dort geblieben, zumal der Wanderweg (GR 145) lt. Ausschilderung entlang der Dünen verläuft.

Enttäuschung und Entrüstung waren aber groß, als ich plötzlich vor einem Flüsschen stand, das sich über den Strand ins Meer ergoss. Da kam man trockenen Fußes nicht rüber. Also zurück bis zu den letzten Häusern des Ortes und dort auf die Straße, welche auf einer Brücke über den Fluss führt. Als ich wieder auf gleicher Höhe war, war eine halbe Stunde rum - viel Zeit, wenn man spät aufgestanden ist und noch weit laufen will.

Da später nochmal ein Flüsschen zum Meer strebt, bin ich gleich auf der Straße geblieben, statt wieder an den Strand zu wechseln. Und das war auch gut, denn nach wenigen hundert Metern gesellte sich ein Radweg zur Straße - ein paar Meter von der Landstraße entfernt, 2,50 Meter breit und leuchtend grün mit weißen Rändern. Der ist noch so jungfräulich, dass er noch oder schon wieder gesperrt ist. Fast auf ganzer Länge zeigen sich da tiefe Risse, die mitunter so breit sind, dass man da mit schmalen Reifen durchaus rein geraten kann. Entweder bewegt sich schon wieder die eurasische Platte, oder es wurde beim Bau geschlampt.

Bekanntermaßen rangiert das Radfahren gleich nach der Siesta auf der Liste der Lieblings­sportarten der Spanier, vor allem der heranreifenden Senioren. So sei ihnen dieser Radweg gegönnt. Aber man hätte durchaus ins Kalkül ziehen sollen, dass auch mal ein Fußgänger unterwegs ist. Bei kreuzenden Bächen hat man nicht wie bei der Straße Rohre unter der Fahrbahn verlegt, sondern Furten gebaut, so wie das vor der Erfindung des Rohres üblich war. Den Radfahrern hat man die Passage der in einen warmen Braunton ausgeführten Furten dadurch vereinfacht, dass man die Wegstücke runter zur Furt und wieder hoch so steil gemacht hat, dass man unten das Wasser rasend schnell mit den Beinen hoch durchqueren kann, ohne nass zu werden. Da bleibt das Mountainbike-Feeling nicht aus und die radelnden Frührentner haben ihren Adrenalinstoß. Da man in Europa aber nichts mehr ohne das passende Warnschild bauen darf, hat man hier das Schild „stürzender Radfahrer“ erfunden und an besonders anspruchsvollen Furten platziert.

Fußgänger gehen leider bei den Furten ohne Spaß aus, da man keine Querungshilfen gebaut hat. Weiter nördlich in Spanien hat man an neugebauten Furten am Rand kleine Betonsockel im Schrittabstand platziert, so dass man bei „Hochwasser“ von einem Beton­klotz zum nächsten schreiten oder hüpfen kann. Da in einigen Furten das Wasser höher als meine Sohlen stand und die Gewässerbreite die Schrittweite eines alten Herrn übertraf, musste ich wiederholt den Hang hoch zur Straße klettern, um dort das Bächlein trockenen Fußes zu überqueren. Ansonsten war aber an dem Radweg nichts auszusetzen. Abgesehen von den Spalten, die aber noch nicht zum Hineinstürzen taugten, war der Weg sehr glatt und man konnte durchaus mal auf dem Smartphone rumklimpern und zum Beispiel nach einer Ruhestätte für die nächste Nacht suchen. Als dann aber Straße und Radweg einen Knick von den Bergen weg und zum Wasser hin machten, war das nicht mehr möglich, da der Wind dort so stark blies, dass man befürchten musste, dass einem das Smartphone aus der Hand gerissen wird.

Der schöne Radweg reichte bis etwa 1 km vor Barbate, dann kam eine Baustelle. Hinter dem Ort ging es auf grünem Weg weiter - eigentlich bis zu meinem Tagesziel, aber der Wanderweg entfernte sich zwischendurch mal von der Straße. In Barbate gab es nicht so sonderlich viel zu sehen, außer gleich am Ortseingang eine alte Kogge Bremer Herkunft, die sich jemand aufs Garagendach gesetzt hat. Ein hanseatischer Auswanderer? Schade, dass jemand, der so viel Aufwand betrieben hat, nicht Zeit und Geld aufbringt, um das Schiffchen auch zu erhalten. In einem richtig guten Zustand schien es nicht mehr zu sein.

Im Ort war ich überrascht, dass sonntags fast alle kleinen Lebensmittelläden offen hatten. Da hätte ich kein Essen und Trinken für unterwegs durch die Gegend tragen müssen.

Im Vergleich zu anderen Orten am Weg gab es hier keine großen, mit Hotels und Ferien­wohnungen vollgestellten und im Winter toten Vororte. Hier war richtiges Leben auf den Straßen und rings um den Fischereihafen. In den Kneipen war man unter sich. Irgendwie sympathisch. Und auch die Polizisten auf der Wache waren nett und haben mir einen dicken Stempel in meinen Pilgerpass gedrückt - in der Kirche war leider keiner zu haben. Inzwischen habe ich mehr Polizei- als Kirchenstempel.

Kurz hinter Barbate zweigt der Wanderweg (GR 145) von der Straße ab. Ich wollte erst umkehren, da es zunächst auf einem schmalen, sandigen Pfad durchs Gehölz ging. Aber der Weg wurde dann breiter und mündete bald in eine ehemals befestigte Straße, die sehr moderat bergauf zum „Torre del Tajo“ führt, einem mittelalterlichen Wachtturm hoch auf einer Klippe. Obwohl der etwa fünf Kilometer vom Ort entfernt ist, waren am Sonntagnachmittag viele Spaziergänger (mit und ohne Hund) dorthin unterwegs. Der Weg war aber auch zu schön: rechts Felsen mit bizarren Bäumen davor und links der Blick auf das Meer und zurück auf Barbate. Am Turm wurde es richtig spektakulär. Da waren Aussichtspunkte, von denen man die Steilküste inspizieren und die Klippen sehen konnte, auf denen der Turm steht. Da standen auch Infotafeln, auf denen erklärt wird, wie das Meer sich nach und nach die Klippen holt. Ein paar Jahre hat der dicke Turm sicher noch, aber irgendwann wird er in die Tiefe plumpsen.

Von besagten Aussichtspunkten ging es dann mitunter ziemlich steil auf sandigen, mit frei liegenden Wurzeln dekorierten Wegen bergab nach Los Caños de Meca, einem typischen Badeort mit schönen Häusern, die jetzt im November aber größtenteils verrammelt sind.

Durch den Ort führt in voller Länge die Avenida Trafalgar und auch diverse Campingplätze, Residenzen, Hotels und Gaststätten schmücken sich mit diesem Namen. Erst jetzt dämmerte mir, in welch historisch bedeutsamer Gegend ich hier wandle. Die schon lange sichtbare Halbinsel mit dem Leuchtturm drauf ist das „Cabo Trafalgar“, also das Kap von Trafalgar, vor dem einst eine der größten Seeschlachten stattfand. Wer schon mal in London war, kennt den Trafalgar Square und die „Nelson Column“. Der Herr, der auf besagter Säule thront, ist Admiral Nelson, der 1805 in der Schlacht von Trafalgar die Franzosen und Spanier besiegte. Die französisch-spanische Flotte erlitt eine schwere Niederlage und große Verluste, während die Briten kein einziges Schiff einbüßten. Das fand also praktisch vor meinem Augen statt, nur etwas zeitversetzt.

Wäre ich am Morgen nicht so spät aufgestanden und damit in Zeitdruck geraten, hätte ich vielleicht das Kap mit dem Leuchtturm besucht, aber so habe ich mich damit getröstet, dass das Wetter eh nicht zum Fotografieren geeignet war. Bis in den Nachmittag hinein war es trübe, da die Sonne sich hinter Wolken versteckte. Alles ringsum war irgendwie grau: Himmel, Berge und das Wasser. Erst als ich am Kap vorbei war, klarte es auf und die Sonne kam raus.

Der nächste Ort, Zahora, hatte nichts Aufregendes zu bieten und eigentlich führten Straße und Radweg nur um den Ort herum. Inzwischen war es nach vier und es lagen noch etwa 10 Kilometer vor mir. Ich hatte bei booking.com in Conil de la Fronteta ein sehr gut bewertetes, preiswertes Hostel gefunden, in den Orten davor hingegen nichts. Da ich nicht wusste, wie weit ich komme, hatte ich aber noch nichts gebucht. Erst jetzt, als der Ort in greifbare Nähe rückte, habe ich die „Reservieren“-Taste gedrückt. Vor Ort zu verhandeln, schien mir bei 21 € nicht angebracht, zumal da schon etwa 20 % Rabatt eingerechnet waren.

Die letzten Kilometer wollte ich gern am Stand zurücklegen, zumal ich da dicht am Hostel angekommen wäre, während die Straße in einem großen Bogen zur Stadt führt und an einem anderen Ende ankommt. Ich habe mir also vom Kartenprogramm einen Weg vorschlagen lassen und bin hinter der nur am östlichen Rand gestreiften Siedlung El Palmar von der Straße runter und in Richtung Strand gelaufen. Von einem Weg war da aber nichts zu sehen. Der ist offenbar überpflügt worden. Ich musste also über aufgeweichte Äcker stampfen und dabei diverse Pfützen umrunden.

Kurz vor dem Deich und dem darauf verlaufenden Weg war aber Schluss. Da reihten sich diverse Tümpel aneinander und es war absolut kein Durchkommen möglich. Ich bin noch ein ganzes Stück an dieser bizarren Wasserfläche entlang gelaufen, aber die nahm kein Ende. So konnte ich leider den am Ufer stehenden Turm nur aus der Ferne begutachten und den Sonnenuntergang um 18.14 Uhr nicht aus der ersten Reihe sehen.

Da es nach dem Sonnenuntergang immer schnell dunkel wird, habe ich eilig den Rückzug über den aufgeweichten Acker angetreten und bin dabei fast von den Mücken aufgefressen worden, die ihre Zeit gekommen sahen. Auf dem Radweg an der Straße hat die eintretende Dunkelheit nicht gestört. Um halb acht stand ich mit knapp 40 km auf dem Zähler vor dem „Take Surf Hostel Conil“, nachdem ich noch schnell im benachbarten Supermarkt (Coviran) eingekauft hatte. Das Hostel ist wirklich sehr ordentlich und modern - mit gut eingerichteter Küche und schönen Sitzgelegenheiten im Foyer. Etwas ungewohnt sind allerdings die Fingerabdruckleser an der Haus- und an den Zimmertüren.

In den Schlafräumen sind geräumige Boxen mit Bett, Regal, Klapptisch, Licht und Steck­dosen übereinander gestapelt, alle mit einem Rollo versehen, damit man andere nicht stört bzw. nicht gestört wird. Diese Boxen sind durchaus Home-Office-tauglich, falls mal jemand in schöner Umgebung und bei fast sommerlichen Temperaturen arbeiten möchte!

Via del Estrecho / Via Augusta - Tag 5