Unterwegs auf der Via del Estrecho / Via Augusta von Gibraltar nach Santiago
Tag 11 (Sa, 23.11.2024) Von Las Cabezas de San Juan nach Utrera / 30,0 km
Um den Apartment-Preis richtig abzuwohnen, habe ich morgens nochmal alle Register gezogen und zum Beispiel wie am Abend zuvor ordentlich Rührei mit Bacon gemacht, mehr als ein Glas (Tassen gab es nicht) Kaffee aufgebrüht und im Schlafzimmer noch mal ordentlich die Heizung angedreht, um der dort ausgebreiteten, am Vorabend gewaschenen Wäsche den optimalen Trocknungsgrad zu verleihen. Greta Thunberg möge mir verzeihen! Eile hatte ich nicht, da es bis Utrera nur etwa dreißig Kilometer sind, was bis zum Dunkel­werden zu schaffen sein sollte, auch wenn ich erst um zehn aufbreche.

Gesagt, getan. Auf dem Weg habe ich nochmal nach Quartieren in Utrera, der nächst­gelegenen Stadt auf dem Weg, Ausschau gehalten. Da gab es eigentlich nur eine halbwegs preiswerte Unterkunft, die Pension „Hidalgo 2“ mit Zimmern zu 29 €. Bezahlbar, aber in Anbetracht der Bewertung mit 5,4 („passabel“) vielleicht ein bisschen hoch angesetzt. Da kann man ja mal anfragen, ob es nicht, wie z. B. in Galicien üblich, einen Pilgerrabatt gibt. Ich habe die Telefonnummer der Pension ausfindig gemacht und per WhatsApp angefragt. Zurück kam, dass die Pension voll sei. Ich verstehe nicht, warum man mich abwimmelt, ohne mich gesehen zu haben! Nach einer persönlichen Begegnung wäre das nachvollziehbar.

Laut booking.com waren aber noch zwei Zimmer verfügbar, wovon ich eins gleich reserviert habe. Das hat auch anstandslos geklappt, nur hat mich die Bestätigungsmail schockiert, weil da stand, dass Check-in bis 17.00 Uhr ist. Sowas ist doch wirklich ungewöhnlich und sollte einem gesagt werden, bevor man bucht. Der Routenplaner sagte mir nämlich, dass ich gegen halb sieben am Ziel sein werde. Da nun diverse automatisierte Emails eintrafen, in denen beteuert wurde, wie sehr man sich über meine Buchung freue und dass ich mich bei Fragen an den Vermieter wenden kann, habe ich angefragt, ob ich auch um halb sieben statt schon um fünf einchecken kann. Eine Antwort darauf gab es nicht. Da blieb nur die Wahl, zügig zu laufen und ggf. ein Stück zu trampen, wenn es mit der Zeit knapp wird. Ich habe also einen Schritt zugelegt und zugleich nach einer Mitfahrgelegenheit Ausschau gehalten. Die gab es aber auf der ersten Hälfte der Strecke nicht, weil es da wie am Vortag vorwiegend entlang des Kanals ging und heute dort nicht einmal ein liegen gebliebenes Auto zu sehen war. Etwas Zeit habe ich dadurch reingeholt, dass ich kurz vor Erreichen der N 4 nicht im Zickzack vom Weg am Kanal zu einem Weg an der Bahnlinie gewechselt habe, sondern weiter dem Kanal gefolgt bin. Da stand zwar auf einem Schild, dass es verboten ist, am Kanalufer zu laufen, aber das war auf Spanisch geschrieben und Spanisch kann ich nicht.

Zusammen mit der Bahnlinie ging es unter der N 4 hindurch. Dahinter gab es zwei Möglich­keiten: entweder auf der ziemlich direkt nach Utrera verlaufenden Straße oder auf der lt. Karte entlang des Kanals und dann im Zickzack nach Utrera führenden Via Augusta. Hier kam nur die erste Variante in Frage, auf welche sich die eh sehr knappe Kalkulation bezog. Auf der Via Augusta fiel eine halbe Stunde mehr an. Ich habe also die Straße gewählt, schon, weil sich nur dort ggf. die Möglichkeit des Trampens bot. Als Entschuldigung dafür habe ich parat, dass am Scheidepunkt wieder das Schild stand, dass man das Kanalufer (wo lt. Karte die Via Augusta verläuft) nicht betreten darf.

Natürlich habe ich laufend auf dem Smartphone geschaut, ob ich eine Antwort auf meine Check-in-Frage bekommen habe, und wieviel Zeit ich mit meinem schnellen Schritt schon aufgeholt habe. Letzteres sah ganz gut aus. An besagtem Scheidepunkt, etwa auf der Hälfte der Strecke, lag ich mit der prognostizierten Ankunftszeit nur noch eine dreiviertel Stunde hinter dem Limit. Meine Pilgerfreunde, die mich berechtigterweise wegen Bummelei so oft zurückgelassen haben, wären über meinen Schritt erstaunt gewesen und hätten da vermutlich nur mit Mühen mithalten können. Die Not verleiht den Beinen Flügel!

Als ich so viel aufgeholt hatte, dass der Routenplaner 17.00 Uhr als voraussichtliche Ankunftszeit vermeldet hat, habe ich mir vorgenommen, beim nächsten schattigen Plätzchen eine Pause zu machen und mal was von den mitgeschleppten Esswaren zu konsumieren. Ich hatte nämlich gestern in einem Kaufrausch viel mehr gekauft, als ich abends und morgens verzehren konnte. Mein Rucksack war dadurch unnütz voll und schwer. Und ein schwarzer Rucksack ist bei 22 Grad und Sonne nicht der perfekte Aufbewahrungsort für Käse und Wurst. Ich bin zwar schnell gelaufen, aber doch nicht so schnell, dass der Laufwind einen nennenswerten Kühlungseffekt gehabt hätte.

Aber leider fand sich lange kein schattiges Plätzchen, denn die wenigen Bäume am Straßenrand warfen ihren Schatten auf die angrenzenden Grundstücke, wo bellende Hunde darauf lauerten, einen verirrten Pilger zu zerfleischen (oder mit ihm zu spielen).

Der erste schattige Platz bot sich am Ortseingang von Utrera unter einer Straßenbrücke an. Da habe ich kurz Rast gemacht und die mit Schinken und Käse gefüllte Blätterteigrolle hervorgeholt, die eigentlich für das Frühstück gedacht gewesen war. Die war nun zwar recht flach, aber so warm, als wäre sie gerade erst aus dem Ofen gekommen. Der schwarze Rucksack ist also der optimale Aufbewahrungsort für Backwaren!

Die Unterkunft ist am nördlichen Stadtrand in einem Gewerbegebiet entlang der Avenida General Giráldez. Normalerweise hätte ich den Weg durch die Stadt genommen und mich da ein bisschen umgesehen. Aber jetzt, da Eile angesagt war, bin ich dem Routenplaner folgend direkt dort hin. Auf den letzten Metern habe ich mich noch etwas verirrt, weil hier kaum mal Hausnummern an den Häusern stehen und der Routenplaner nichts mit der Nummer 17 anzufangen wusste. Die Nummer 16 hat er zweihundert Meter weiter platziert. Erst die von booking.com unter „Wegbeschreibung“ gezeigte Karte hat Klarheit geschaffen und mir gesagt, dass ich schon zu weit gelaufen war. Trotzdem stand ich um 16.40 Uhr vor der Tür - vor der verschlossenen Tür. Da habe ich erstmal schnell eine Nachricht abgesetzt, schon um zu beweisen, dass ich pünktlich war. In der Gaststätte unter der Pension habe ich angefragt, wie ich den Vermieter erreichen kann. Da war es so laut, dass der Kellner sich genau wie ich so weit über den Tresen lehnen musste, dass wir Wange an Wange waren und ein Wort wechseln konnten. Mehr als die Empfehlung, den in der Buchung genannten Vermieter anzurufen, kam aber nicht rüber. Das habe ich gemacht. Erst ging keiner ran, beim zweiten Mal nahm jemand ab, den ich aber wegen dem Kneipenkrach auch draußen nicht verstehen konnte. Erst beim dritten, aus einer Seitenstraße getätigten Anruf war eine Verständigung möglich. Ein Herr sagte mir, dass er gleich da sei und dass ich mich gedulden möge. Später habe ich dann die Nachricht bekommen, dass er nach meiner Frage, wie ich denn reinkomme, geschrieben hat, dass er in 15 Minuten da sei. Er hätte mich so verstanden, dass er um 18.30 Uhr vor Ort sein soll! Ja, das wäre mein Wunsch gewesen und ein kurzes „Ja“ auf meine Frage hätte Stress und wunde Füße erspart. Egal, ich war stolz, dass ich gegenüber dem Routenplaner fast zwei Stunden rausgeholt habe: statt knapp acht nur gut sechs Stunden. Das muss ich aber nicht jeden Tag haben.

Ein kurzes „Ja“ auf meine Frage nach einem späteren Check-in war dem an sich netten Herrn vermutlich nicht möglich, weil er ein furchtbarer Schwätzer ist und mit mir Konversation betreiben wollte, obwohl er so wenig Englisch sprach, wie ich Spanisch. Mit meiner Ausweiskarte in der Hand hat er immer was von Passport erzählt und ich habe schon gedacht, er will einen solchen sehen. Nein, er wollte nur wissen, wie man bei uns dazu sagt. In den nächsten Sätzen kam etwas von Polizei und 5 Minuten vor. Aber es war keine Drohung, dass ich gleich abgeholt werde, sondern der Hinweis, dass er meine Daten erfassen muss, weil die Polizei das so will, und dass dies fünf Minuten dauert, während der ich mich im Zimmer erfrischen kann. Anderswo heißt das ganz schlicht „Passport or ID, please“ und dauert zwei Minuten.

Bei einer Bewertung mit 5,4 hatte ich keine großen Erwartungen an das Zimmer und so konnten auch keine enttäuscht werden. Es sah aus wie die Zimmer, die wir auf unseren ersten Frankreich-Fahrten Anfang der 90er Jahre kennengelernt haben: etwas altmodisch und mit nachträglich eingebautem Klo und Waschbecken. Hier war das nicht sehr große Zimmer durch eine Wand aus Glas-Schiebetüren in zwei Teile getrennt. Vor der Wand standen Bett, Tisch und Stuhl, hinter der zum Glück undurchsichtigen Glaswand waren Dusche mit Sitzbadewanne, Waschbecken, Klo und zum Bierkühlen ein Bidet. Ich habe dann aber doch nach meinem Einkauf im nahen „Mercadona“ die erworbenen Getränke aus Gewohnheit im Waschbecken und nicht im Bidet gekühlt. Meinen Körper habe ich derweil in der aus dem Mutterleib vertrauten Position in die Sitzbadewanne gezwängt. Inzwischen habe ich auf meiner Reise so viele Duschgel-Tuben gesammelt, dass ich dort ein richtiges Schaumbad nehmen konnte. Herrlich! Als einzigen schwerwiegenden Makel des Zimmers habe ich herausgefunden, dass ein Regal so blöd angebracht ist, dass man von der Badewanne aus den Fernseher nur zur Hälfte sieht.

Via del Estrecho / Via Augusta - Tag 11