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Unterwegs auf der Via del Estrecho / Via Augusta von Gibraltar nach Santiago | ![]() |
Tag 12 (So, 24.11.2024) Von Utrera nach Sevilla / 32,1 km
Die letzte Nacht war leider nicht so erholsam wie erhofft. In der Begrüßungsmail der Pension wurde zwar auf eine Gaststätte und dadurch vorkommende Geräusche hingewiesen, aber dass es so heftig kommt, hatte ich nicht geahnt. Abends bin ich noch ganz gut eingeschlafen, weil ich die nötige Bettschwere hatte, aber als ich nachts um zwei aufgewacht bin, war nichts mit wieder einschlafen. In der Gaststätte unter mir war Disko, wie den zwischenzeitlichen Ansagen zu entnehmen war. Die Musik war zwar in meinem fensterlosen Zimmer nur so laut, dass man an sich dabei noch hätte unterhalten können, aber für ein genussvolles Schlummern war es trotzdem zu laut. Nun muss man allerdings strafmildernd sagen, dass die ausschließlich spanische Musik durchweg gut anzuhören war und die Tonqualität sehr gut war und ein Mitsingen erlaubt hätte. Bei uns hätte man nur wummernde Bässe zu hören bekommen und gegrübelt, ob das Musik- oder Maschinengeräusche sind.
Um vier war die Disko zu ende. Da war leider nicht mehr viel Nacht übrig. Ich hatte mir den Wecker auf um sieben gestellt, weil ich gegen acht loslaufen wollte. Von Utrera nach Sevilla sind es 32 km, die gut zu schaffen sind, wenn man nicht so spät aufbricht. Auf keinen Fall wollte ich wieder hektisch durch die Gegend rennen, sondern den Tag ruhig angehen und Pausen machen, zum Beispiel in Dos Hermanas („Zwei Schwestern“) auf der Hälfte des Weges. Hinter dem Gewerbegebiet im Norden von Utrera bin ich von der Straße auf einen Weg entlang der Bahnlinie gewechselt, auf dem lt. Karte die Via Augusta verläuft. Da stand auch ein Schild mit der Muschel, aber darunter stand „Via Serrana“. Ich dachte erst, da hat sich jemand beim Griff in die Schilderkiste vertan, aber ein Blick auf die Karte belehrte mich, dass die Via Serrana, auf der ich das Stück von La Linea nach San Roque gelaufen bin, in Utrera auf die Via Augusta trifft. Für den gemeinsamen Streckenverlauf bis Sevilla haben sich offenbar Kartenmaler und Schilderkleber nicht auf einen Namen einigen können. Egal, der Weg führte zunächst einige Kilometer zwischen Olivenhainen hindurch, meist beidseitig mit Schilf oder stachligen Sträuchern abgeschirmt. Leider standen da immer mal in voller Wegesbreite Pfützen, die sich nicht trockenen Fußes umrunden ließen. Da, und an Stellen, wo umgestürzte Bäume den Weg versperrten, musste ich mir im Olivenhain eine Umgehung suchen. Die Wegränder waren voller Löcher und überall hoppelten Kaninchen herum, die ich gar nicht wahrgenommen hätte, wenn sie einfach im Gebüsch sitzen geblieben wären, statt hektisch über den Weg zu rennen. Da in den Olivenhainen laufend Schüsse zu hören waren, keimte bei mir der Verdacht, dass da jemand den niedlichen Tierchen nachstellt, die auf dem Essentisch bestenfalls als Chickenwings durchgehen würden. Als dann am Wegesrand ein halbes Dutzend Autos mit Hundeanhängern stand und abgeschossene Schrot-Patronen rumlagen, war mir klar, dass da eine Treibjagd stattfindet. Auf meinem Weg zwischen den als Jagdgebiet markierten Olivenhainen fühlte ich mich sicher, bis bei einer Rast auf einem umgestürzten Baum dicht neben mir Schüsse abgegeben wurden. Da bin ich schnell weiter und nun auch nicht mehr im Olivenhain um die Pfützen herum, sondern munter hindurch. Lieber dreckige Schuhe, als zerschossene. Ich habe sogar überlegt, ob ich wie im Witz bei den „Noplies“ üblich, die Hände hochreiße und laut „no please“ rufe. Zwei Jagdhunde, die auf mich zugelaufen kamen, waren zum Glück nicht auf Großwild abgerichtet und haben nur ein Bad in einer der Pfützen genommen, ohne mich zu beachten. Überlebt! Nach der Überquerung einer Landstraße (A 8029) ging es auf einer Straße, besser auf einem grob asphaltierten Weg, weiter ins noch 8 km entfernt Dos Hermanas. Das heißt, eigentlich wäre die Via Serrana bzw. Augusta ein Stück entlang der Straße und dann parallel zur Bahn verlaufen. Aber man muss es ja nicht übertreiben und jeden Umweg mitmachen. Auf der Straße kamen mir nur ein paar Radfahrer entgegen und ein Abschleppwagen, der ein lustig mit Kabelbindern repariertes Auto abschleppte. Beim Erreichen der ersten Häuser von Dos Hermanas fühlte ich mich wie im tiefsten Slum. Überall lag Dreck herum, die Straße war vollgestellt mit kaputten Autos und auf dem Bürgersteig wurde Wäsche getrocknet und den Gerätschaften zufolge abends gegrillt. Viele Haustüren standen offen und man konnte die Kinder vorm Fernseher rumlungern sehen. Die Frauen standen derweil draußen und quatschten, einige mittags noch im Schlafanzug. Diese Straße zog sich bis ins Stadtzentrum und wurde zum Glück von Querstraße zu Querstraße ansehnlicher. Die nun teils zweistöckigen Häuser wurden ordentlicher, die Autos sahen aus, als wären sie noch fahrbereit, und die Leute hatten richtige Sachen an. Rechts tauchte an der Straße eine moderne, aber sehr einfache Kirche auf, deren Tür weit offen stand. Da hatte gerade ein Gottesdienst begonnen. Ein gutes Dutzend Frauen saß drinnen und erfreulicherweise noch mehr Kinder. Aber außer dem noch recht jungen Pfarrer war kein Mann zu sehen. Ein sicheres Zeichen, dass eine Kneipe in der Nähe ist. So war es dann auch. Der Platz im Stadtzentrum sah ganz ordentlich aus und wurde von der St. Anna-Kirche dominiert, die offen und schon ganz gut gefüllt war, weil es dort um 13 Uhr einen zweiten Sonntagsgottesdienst gab. Prima, da habe ich in der Sakristei jemand angetroffen, der mir einen Stempel geben konnte. Die heilige Anna, Marias Mutter und damit Jesus‘ Oma, ist übrigens die Schutzpatronin der Stadt. Am Kirchturm fand sich eine interessante, sogenannte „Anna Selbdritt“-Darstellung. In einem Relief hatte Anna ihre Tochter Maria auf dem Schoß und diese wiederum Jesus. In der Kirche standen unzählige, teils mit echten Kleidern bekleidete Figuren, darunter aber leider weder Jakobus noch mein verehrter Rochus. Die maximal zweigeschossige Bebauung zog sich durch die ganze Stadt. Erst am nördlichen Stadtrand tauchten ein paar mehrgeschossige Wohnbauten auf. Das hat die Stadt irgendwie sympathisch gemacht. Obwohl es da ein paar vermutlich preiswerte Hotels gab, konnte mich aber nichts dazu bewegen, hier, kurz vor meinem Ziel Sevilla zu nächtigen. Dafür war es ja auch noch viel zu früh. Ich habe stattdessen nochmal bei booking.com die in Sevilla verfügbaren Hostels abgerufen. Da gibt es einige unter 15 €. In einem recht ordentlichen war ich Ende Februar, als ich in Sevilla auf die Via de la Plata nach Santiago gestartet bin. Die war ganz gut, aber ein paar Meter weg vom Zentrum und an der Kreuzung zweier kleiner Straßen mit Kopfsteinpflaster. Das war etwas laut. Darum habe ich dieses Mal ein Hostel gewählt, das zwar etwas teurer ist, aber in einer fahrzeugfreien Gasse nicht weit entfernt von der Kathedrale liegt. Da habe ich gleich für die verbleibenden zwei Nächte gebucht, beide zusammen mit allen Rabatten für 28 €. Das ist ok. Als dann die Bestätigungsmail kam, stellte sich aber heraus, dass wieder Eile angesagt ist. Die Rezeption ist nur bis 17 Uhr besetzt. Wer später kommt, muss sich online registrieren und in einem Bezahlportal (nicht bei booking.com) bezahlen. Das fand ich schon wieder umständlich, weshalb ich lieber versucht habe, bis um fünf da zu sein. Das war kein Problem, denn der Routenplaner hatte um fünf als Ankunftszeit ausgerechnet. Aber eigentlich hatte ich mich auf einen der Burger King‘s am Weg gefreut. Das fiel nun aus und endloses Fotografieren war auch nicht möglich. Schade, denn in der Straße „Paseo de la Palmera“, der ich einige Kilometer in Richtung Stadtzentrum gefolgt bin, gab es einige Häuser, die es wert waren, fotografiert zu werden. Die schönen Parkanlagen am Ende dieser Straße werde ich mir morgen oder übermorgen anschauen. Mein Rückflug ist ja erst übermorgen spät abends. Letztlich war ich kurz nach halb fünf im Hostel „San Isidor“ in der gleichnamigen Gasse, in der wirklich nichts Breiteres als ein Fahrrad oder zwei Japaner nebeneinander passt. Ich habe mit gutem Zureden sogar wieder ein unteres Bett bekommen - im 6er-Schlafsaal „New York“, der ein bisschen nach Krankenstation oder Lazarett aussieht: gefliest, ohne Außenlicht, drei Doppelstockbetten und jedes Bett mit weißen Gardinen ringsum. Originell, aber ausreichend. Wie erwartet ist das ein Hostel mit vorwiegend jungen Nutzern. Im Foyer hängt eine Tafel mit allen angebotenen Aktivitäten. Heute ist kolumbianischer Abend angesagt. Da kochen Kolumbianer auf der Dachterrasse landesübliche Gerichte, die dann kostenfrei an die Besucher abgegeben werden. Evtl. benötigte Getränke kann man da erwerben. Prima. Da brauche ich heute nicht nochmal aus dem Haus. Die Stadt ist zwar auch und vor allem am Abend verlockend, aber ich bin ja noch zwei Tage hier. Heute habe ich nach wieder über 30 km die Nase voll und freue mich auf den hoffentlich gemütlichen Abend. |
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Via del Estrecho / Via Augusta - Tag 12 | ![]() |
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