Unterwegs auf dem Camino Francés / Finisterre
Rückreise über Genf

Tag 42 (Mi, 8.6.2022) – Rückreise über Genf

Mittwoch, 8. Juni, 8.45 Uhr. Ich bin heute um halb sieben aufgestanden, habe meinen Kram in den Aufenthaltsraum der Herberge geschleppt und nach der Morgentoilette den Rucksack gepackt. Dann bin ich los. Ob ich mir in der Herberge mit dem Smartphone die Zeit vertreibe, oder auf dem Flughafen, macht keinen Unterschied. Für die Abfahrt zum Flughafen hatte ich also ordentlich Puffer und etwas davon habe ich auch gebraucht, weil der Bus zum Flughafen mit 15 Minuten Verspätung kam. Trotzdem war ich gut zwei Stunden vor dem Abflug auf dem völlig überdimensionierten Flughafen von Santiago. Obwohl hier morgens nur stündlich was fliegt (vor mir nur ein Iberia-Flug nach Madrid und ein Ryanair-Flug nach Lanzarote), waren vier Sicherheitsschleusen in Betrieb und eine Sicherheitsangestellte hat die Leute so auf die Bänder verteilt, dass jeder ihrer Kollegen mal was zu tun hat. Im Abflugbereich des Flughafens gibt es reichlich Sitzplätze und sogar einen Kinderspielplatz.

10.15 Uhr. Es ist zwar noch kein Flieger zu sehen, aber es ist „Boarding“ angezeigt und ein eifriger Easyjet-Mensch hat die Fluggäste schon mal in zwei Schlangen Aufstellung nehmen lassen, Speedy- und Langsam-Boarding, und hat dann eine lange Rede gehalten. Das ist ein Blödsinn, jetzt stehen die Leute hier in zwei Schlangen und die Sitzplätze ringsum sind leer. Ich habe meinen Rucksack in der Schlange stehen lassen und mir einen Sitzplatz gesucht. Ich werde sicher mitbekommen, wenn der Flieger da ist, denn dann werden bestimmt wie bei den vorigen Fliegern erstmal die Ankommenden durch die Abflughalle geschleust.

10.30 Uhr. Die Maschine ist gelandet. Als Billigflieger darf die Easyjet-Maschine, wie zuvor schon die von Ryanair nicht an einem der mindestens vier „Finger“ anlegen, obwohl alle frei sind und die Maschine die einzige auf dem Flugfeld ist. Die Leute müssen die Gangway runter in den Regen, zum Treppenturm des Fingers laufen, dort die Treppe hoch, durch den gläsernen Tunnel des Fingers in die Abflughalle (!), sich dort durch die Wartenden drängeln und dann runter ins Erdgeschoss, wo eigentlich der Ankunftsbereich ist. Wir können das alles gut mit ansehen, denn kaum stand die Maschine, geht die Abfertigung los. Wir stehen im gläsernen Tunnel und sehen die Leute draußen und kurz danach in der durch eine Glaswand abgetrennten zweiten Hälfte des Tunnels an uns vorbeiströmen. Eine Easyjet-Mitarbeiterin lässt uns erst alle auf der rechten Seite des Ganges Aufstellung nehmen, um uns dann nach nicht nachvollziehbaren Kriterien in eine linke und rechte Schlange aufzuteilen, die sich spätestens nach dem Öffnen der Tür zum Treppenhaus wieder vermischen. Das erinnert mich an das Antreten zum Fahnenappell. Bei einem Flughafen, der am Limit arbeitet, mag das ja alles angehen. Aber hier, wo eher gelegentlich mal ein Flieger abgefertigt wird, könnte man das alles auch etwas passagierfreundlicher gestalten.

12.15 Uhr. Wir sind vor einer guten Stunde halbwegs pünktlich gestartet. Ich habe im Flieger schön geschlafen, bis laut und lang mitgeteilt wurde, was man hier an Bord kaufen kann. Nun ist der Wagen durchgekommen, der nicht nur wie üblich mit Parfüm, sondern auch reichlich mit Schnaps und Zigaretten bestückt war. Da das Zielland Schweiz nicht in der EU ist, kann man beim Kauf vielleicht etwas sparen. Zumindest haben junge Leute in der Nachbarreihe zwei Stangen Zigaretten gekauft. Nicht rauchen ist übrigens noch billiger!

Draußen ist wegen der Wolken, über denen wir fliegen, nicht viel zu sehen. Der Flieger ist wie bei Easyjet üblich, ein Airbus (A320), der ganz neu zu sein scheint und mit schicken schwarzen Ledersitzen ausgestattet ist. Ich sitze Reihe zwei (2F) und bilde mir ein, dass hier 2…3 cm mehr Beinfreiheit ist. Zumindest muss man für die vorderen Reihen Aufpreis zahlen, dafür darf man zwei Gepäckstücke mitnehmen, wovon eins so groß sein darf wie mein Rucksack. Das zweite muss unter dem Sitz passen. Dazu gibt es „Speedy Boarding“, wo von man nicht viel hat, außer dass man in der Schlange im Tunnel weiter vorn und im Treppenhaus weiter unten steht. Die Flüge von Santiago nach Genf und von dort nach Berlin haben mich je 20 € gekostet, dazu je 20 € für das „Speedy Boarding“ mit dem großen Gepäckstück, zusammen also 80 €. Da kann man nicht meckern. Mit Iberia über Madrid kostet das knapp 300 €.

Der Herr auf 2E ist zum Glück dauerhaft seiner Frau auf 2D bzw. dem Tablet auf ihrem Schoß zugewandt, auf dem eine vermutlich amerikanische Beziehungskiste mit spanischen Untertiteln läuft. So bekommt er gar nicht mit, dass ich vorhin die beim gestrigen Abendbrot übrig gebliebenen Knoblauchbrötchen gegessen habe. Lecker, aber geruchsintensiv. Damit kann man testen, was die im Flieger obligatorischen Masken taugen.

Gestern Abend habe ich in der Herberge neben einigen Amerikanern und Kanadiern, die auch auf dem Camino unterwegs waren und mit denen ich am Essenstisch saß, noch ein nettes Ehepaar aus Ulm kennen gelernt, Christian und Helena. Sie sind den Camino Portugues von Porto nach Santiago gelaufen und dann noch weiter auf dem Camino Ingles an die Nordküste. Nun wollen sie noch ans Kap Finisterre und dann mit dem Flixbus nach Porto, wo sie ein paar Tage Urlaub mit Beinehochlegen anhängen werden. Sie haben erzählt, dass die Leute in Portugal freundlicher wären als in Spanien und dass da das Preis-/Leistungsverhältnis bei in den Herbergen und beim Essen besser wäre. Ich werde das gelegentlich nachprüfen.

Inzwischen bin ich nach einer Runde über den Genfer See in Genf angekommen. Ein großer Flughafen mit vielen „Fingern“, von denen die meisten frei waren. Der Flieger fährt doch tatsächlich an einen ran und wir können in den Tunnel - bis zur verschlossenen Glastür, die ins Terminal führt. Da müssen wir raus in den Regen und eine Wendeltreppe runter zum Bus, der gleich eine Flughafenrundfahrt macht. Im Flughafen bekomme ich eine SMS, dass Roaming in Frankreich umsonst ist. Kaum bin ich durch die Nichtmehr-Zurück-Tür, verkündet eine weitete SMS, dass man in der Schweiz für Gespräche und mobile Daten bezahlen muss. Also erstmal alles Mögliche ausschalten, mit dem Bus in die Stadt und dort zu McDonalds. Bevor meine WiFi-Zeit abgelaufen ist, will ich das hier noch schnell loswerden.

So, jetzt bin ich wieder zurück auf dem Flughafen und kämpfe erneut mit dem WiFi-Zugang. Die versprochene SMS kommt nicht an und das Scannen der Bordkarte funktioniert nicht, da keiner der Buttons die Kamera in Gang setzt. Ich werde wohl auch hier McDonald aufsuchen müssen oder hoffen, dass im finalen Terminal, das noch nicht ausgewiesen ist, französisches und damit für mich kostenfreies Netz ist.

Ich bin zwischenzeitlich in der Stadt gewesen, habe die Fontäne bewundert und bin ein bisschen am Hafen rumgelaufen. Dann habe ich mich auf die Suche nach der Altstadt begeben. Die erste Kirche (St. Madeleine) jenseits der Rue de Rive, auf der ich mit dem Bus gekommen bin, stand offen. Draußen war angeschlagen, dass da gerade ein Musikfestival stattfindet. Die Kirche war auch wirklich durch einen dicken Vorhang geteilt, diesseits saßen vermeintliche Künstler an Tischen herum, jenseits war eine Bühne mit Flügel hergerichtet. Angeblich ist das die älteste Kirche der Stadt (oder zumindest älter als die Kathedrale).

Nahe dem Eingang hatten sich zwei Frauen hinter einen Tresen mit Kaffeemaschine und Keksen platziert. Ich wusste nicht, ob das für die Künstler, die Konzertbesucher oder wen auch immer gedacht ist und fragen oder betteln wollte ich auch nicht. Da kam aber eine der Frauen auf mich zu und fragte, ob ich gern einen Kaffee möchte. Na, da habe ich doch gleich Ja gesagt. Sie hatte die Muschel an meinem Rucksack gesehen und sprach mich an, wohin und woher. Die zweite Dame hat anhand meiner Antworten sofort erkannt, dass ich Berliner bin. Die beiden Frauen, Ulrike aus Dortmund und Antje aus Stendal, erzählten, dass sie wegen ihrer Männer zunächst in Süddeutschland gelandet sind und sich dort kennen gelernt haben. Dann sind sie ihren Männern in die Schweiz gefolgt und haben sich hier wiedergetroffen. Nun machen sie in dieser Kirche (vermutlich ehrenamtlich) die Besucher­betreuung, ganz unabhängig von der Konzertveranstaltung.

Ulrike war auch schon mal auf dem Jakobsweg, die gut 100 Pflicht-Kilometer von Sarria nach Santiago. Antje ist lieber mit dem Fahrrad unterwegs, zuletzt in der Altmark, dieses Jahr hat sie eine Radtour durch das Oderbruch vor. Ihr Vater stammt aus Seelow, da zieht es sie wohl in die Heimat ihrer Vorfahren. Ich habe eine ganze Weile mit den Damen geplaudert und dann sogar noch einen Stempel der Kirche in meinen Pilgerpass bekommen.

Danach bin ich in die Kathedrale, von der gesagt wird, dass sie eine der wichtigsten Kirchen der Reformation sei. Innen ist sie bis auf die prächtigen Fenster und das Gewölbe ziemlich schmucklos. Als Altar ein langer, kunstvoll geschnitzter kastenförmiger Tisch, davor ein Pult mit der Bibel. Ebenfalls im reformatorischen Outfit, ganz ohne Altar, sondern mit der Kanzel an dessen Stelle, zeigte sich eine Seitenkapelle, die mit ihren Malereien und Schnitzereien sehr eindrucksvoll ist. Im Kathedralen-Shop habe ich mir noch einen weiteren Stempel geholt, womit sich in meinem Pilgerpass das Verhältnis von Kneipen- und Kirchenstempeln sehr deutlich zum Religiösen hin verschoben hat.

Als ich vor der Kathedrale noch ein paar Bilder mache, kommt doch plötzlich das bekannte blaue Schild mit der gelben Muschel ins Blickfeld. Ein paar Häuser weiter das nächste, jeweils mit einem kleinen Pfeil und „Chemin de St. Jacques“ versehen. Wie hypnotisiert folge ich den Schildern und nach ein paar Straßenecken stehe ich in der Altstadt von Genf, die ich vergeblich gesucht hatte. Hier gibt es ein paar schöne alte Straßenzüge und einige Kneipen, die meisten mit Tischen und Stühlen auf der Straße. Ganz nett.

Mit dem Bus ging es dann wieder zum Flughafen, wo ich nun darauf warte, dass das Check-In beginnt.

20.30 Uhr. Ich sitze jetzt im Flieger. Es deutet einiges darauf hin, dass der pünktlich losfliegt. Das wäre schön, Ankunft 22.40 Uhr ist spät genug, da brauche ich nicht noch Verspätung. Mit französischem Netz oder WiFi war wieder nichts, also werden diese Zeilen und ein paar Bilder wohl erst in Berlin auf die Reise gehen.

Das war’s dann erstmal.

Camino Francés / Finisterre - Tag 42