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Unterwegs von Madrid nach Santiago de Compostela | ![]() |
Tag 6 (Mo, 1.9.2025) - Von Santa Maria la Real de Nieva nach Villeguillo / 32,3 km
Ich bin heute gegen sieben Uhr, kurz nach den anderen Dreien aufgebrochen. Da war es nicht nur dunkel, sondern auch ziemlich kalt. Weil auf der Fernstraße, der ich bis in den nächsten Ort folgen musste, inzwischen der Berufsverkehr einsetzte, wollte ich nicht am Straßenrand halten und meinen Rucksack nach einer Jacke absuchen. Das habe ich erst in dem Dorf mit dem klingenden Namen „Santa Maria la Real de Nieva“ gemacht.
Da war ich eigentlich mit Sandro und Margit zum Morgenkaffee verabredet, aber die einzige Kneipe im Ort hatte noch geschlossen. Im nächsten Ort, Nieva, sah es genauso aus. Erst 11 km weiter, in Nava de la Asuncion, konnte ich meinen Morgenkaffee trinken. Da war es halb zwölf. Damit sich der Kneipenstopp lohnt, habe ich gleich noch das Mittagessen angehängt: ein Stück Tortilla und ein kaltes Getränk.
Als der Wirt meinen Rucksack gesehen und mitbekommen hat, wo ich herkomme, hat er mir unaufgefordert den Kneipenstempel gebracht und mir die nette Kellnerin den Tisch geschickt, die mich am Tresen bedient hat. Die hübsche Kleine mit den langen schwarzen Haaren und dunklen Kulleraugen, die noch wie ein Schulmädchen aussieht, aber sicher 18…20 Jahre alt ist, hat sich gefreut, dass sie mal wieder ein paar Worte Deutsch reden konnte. Sie ist hier geboren, aber mit 12 Jahren mit ihren Eltern nach Bremen gezogen. Ihre Eltern leben jetzt noch dort, aber sie ist allein zurückgekommen. Ich habe mich geärgert, dass ich mir nicht noch was bestellt habe und ihr an den Tresen gefolgt bin, wo sie wieder benötigt wurde. Es hätte mich doch zu sehr interessiert, was solch ein Mädel bewegt, aus einer deutschen Großstadt wieder in ein spanisches Dorf zu ziehen. Chance verpasst. Mir fällt bei solchen Gesprächen oft erst hinterher ein, was ich hätte fragen sollen.
Von Nieva bis Nava de la Asunción ging es fast ausschließlich durch lichten Kiefernwald, in dem wieder fast alle Bäume „angezapft“ waren, d.h. mit Kerben und angehängten Töpfen versehen, wobei nicht erkennbar ist, ob da wirklich noch Harzgewinnung betrieben wird, oder ob die Bäume so zurückgelassen wurden. Ein Stück weiter waren die Bäume von den Töpfen befreit und man konnte sehen, wie dort die Baumrinde wieder zusammenwächst, aber deutliche Narben hinterlässt.
Im Wald hat man zwar breite Brandschneisen angelegt, aber wie es aussieht, werden die nicht sonderlich gepflegt. Die sind dicht mit Kiefernnadeln belegt und an vielen Stellen wächst Gras aus dem Sand. Im Falle eines Waldbrandes stoppt das nicht unbedingt die Flammen.
Immer schön der eigentlich sehr guten Ausschilderung folgend, bin ich auf halbem Weg in eine Kiesgrube geraten, d.h. auf einer unheimlich staubigen Werksstraße zwischen der Grube und den Verarbeitungsanlagen. Das war beides eindrucksvoll anzusehen, auch die riesigen Dumper, die dort zwischen beiden Werksteilen pendeln und dabei den Sand auf dem Weg zu Staub zermahlen. Ein Blick auf die Karte verriet mir dann, dass man diese Anlage hätte umgehen können und sollen. Aber das hat kein Schild angezeigt und hinter der Grube, wo die „Umleitung“ wieder auf den Weg gestoßen wäre, war die Umleitungsstrecke verbarrikadiert und mit einem Gesperrt-Schild versehen. Es wäre wahrscheinlich am besten gewesen, so früh wie möglich auf den parallel verlaufenden, schnurgerade verlaufenden Radweg zu wechseln und auf diesem vermutlich ehemaligen Bahndamm bis Nava de la Asunción zu bleiben. Das hätte einigen Staub an und in den Schuhen erspart.
Hinter Nava de Asunción ging es wieder ein Stück über Feldwege und dann erneut durch den üblichen Kiefernwald. Da hat es Spaß gemacht zu laufen und die angezapften Bäume boten immer wieder andere Ansichten.
Auf Coca habe ich mich schon lange gefreut, weil ich die tolle Burg in einigen Videos gesehen habe. Als ich gestern auf der Website von Coca gelesen habe, dass die eigentlich jeden Tag, also auch montags offen ist, war ich ganz euphorisch, aber dann habe ich gelesen, dass man sich 48 Stunden vorher anmelden muss. Aber von außen wollte ich sie mindestens bestaunen. Zeit dafür war genug, denn als ich um drei im Ort ankam, waren alle Geschäfte zu und Leute, die ich gefragt hatte, sagten mir, dass der Supermarkt erst um fünf wieder öffnet. Also hieß es, sich zwei Stunden die Zeit zu vertreiben, denn ich musste unbedingt hier einkaufen, weil in dem Dorf mit der Herberge keine Möglichkeit dafür besteht.
Mit Gaststätten zum Zeitvertreib sah es aber öde aus. Es waren zwar einige in der Karte eingezeichnet, aber die waren alle zu - zumindest zu dieser Tageszeit. Durch Rumfragen bin ich schließlich zu einer Gaststätte vor der Stadtmauer gelangt. Da habe ich mir mit einem Kaffee und einem Bier eine Stunde die Zeit vertrieben und das Smartphone aufgeladen.
Dann bin ich zur nahen Burg, die tatsächlich geschlossen war. Ich habe sie aber komplett umrundet und aus allen Winkeln fotografiert. Eine Besonderheit dieser gotischen Burg ist, dass sie vollständig aus Ziegeln und nicht wie üblich aus Felsquadern errichtet wurde. Außerdem ist sie von einem zwanzig Meter tiefen Graben umgeben.
Als ich die Burg umrundet hatte, stand plötzlich auf der Vorderseite das Tor offen. Und tatsächlich war da angeschlagen, dass die Burg vormittags und nachmittags ab 16.30 Uhr besichtigt werden kann. Bis dahin waren eigentlich noch zehn Minuten. Gut, dass der Burgherr früher aufgeschlossen hat, sonst wäre ich vermutlich weitergelaufen. Ich habe mir also ein Rentnerticket gekauft und bin rein. In Spanien zahlt man als Rentner (65+) fast überall den auch für Jugendliche geltenden reduzierten Preis, oft nur die Hälfte, hier 2,50 € statt 3 €.
Hinsichtlich der Ausstattung gibt es in der Burg nicht wirklich viel zu sehen. Aber die Anordnung und Bemalung der Räume und die Treppen, die auf verschiedene Plateaus führen, sind schon sehenswert - genauso wie der Blick von den Zinnen. Ein Erlebnis sind auch immer wieder die gehbehinderten Senioren, die unbedingt die Wendeltreppe mit den ganz hohen, ausgetretenen Stufen nehmen müssen. Wenn die da stecken bleiben, stockt alles. Auf der U-Bahn-Treppe möchten sie, dass man ihnen hilft und hier toben sie sich aus.
Ich habe mir zwar alle Räume angeschaut, es aber dabei nicht übertrieben, da ich ja noch etwas Programm vor mir hatte. In die Burg hat man, von außen nicht sichtbar, in den 1950er Jahren ein Gebäude mit einem großen Patio (Innenhof) reingesetzt, das dem ehemaligen Pallas ähneln soll und jetzt irgendwelche Kultur-Büros beherbergt. Da bin ich vor dem Verlassen der Burg noch mal auf „Caballeros“, weil ich ein bestimmtes, dringendes Bedürfnis verspürte. Aber: kein Papier, auch nicht bei den „Señoras“. Im Vorraum hing allerdings eine Plastikhülle an der Wand, in der die Blätter stecken, auf denen die Klo-Putzer immer quittieren, wann sie fleißig waren. Da waren auch noch ein paar Blanko-Blätter und ich habe mir gedacht, wenn die kein Klopapier nachladen, brauchen sie auch nicht eintragen, dass sie da waren. Ich bin also mit ein paar solchen Blättern rein ins Keramikkabinett und habe diese dort während des Geschäfts wiederholt so geknüllt, dass sie für den angedachten Zweck verwertbar wurden. Das war nämlich besonders gutes und dickes Papier, fast dem Zeichenkarton gleich. Unbearbeitet könnte das beim Putzen ziemlich wehtun. Aber alles hat geklappt und ich bin heil vom Klo runter.
Nun aber schnell zum Dorfkonsum, denn es war schon weit nach fünf. Welch Schreck: die beiden, sich gegenüber liegenden Supermärkte, an denen ich um drei vorbeigekommen war, waren zu. Aber um die Ecke rum war ein dritter, der offen war und ein recht gutes Angebot hatte. Da habe ich mich mit Essen und Trinken für den Abend und für morgen früh eingedeckt. Für den Abend habe ich eine Paella mit toten Meeresfrüchten gewählt, von der gleichen Firma, von der ich letztens die leckeren Lenden hatte. So wie ich die Angaben in Erinnerung hatte, habe ich auch dieses Mal die Uhr der Mikrowelle auf eine Minute gestellt und erst nach dem Verzehr gesehen, dass da „mindestens 2 Minuten“ draufstand. Wenn mir morgen komisch ist, dann liegt das vielleicht daran, dass das Meeresgetier noch nicht richtig tot war. Übrigens: Die Garnele, die auf dem Titelbild ganz vorne an liegt, hat leider jemand anderes in seine Schale gehabt. Bei mir waren eher die Tierchen mit Ohrläppchen-Konsistenz vertreten. Hat aber gut geschmeckt.
Nun habe ich was übersprungen, aber der aufmerksame Leser wird mitbekommen haben, dass ich gut an meinem heutigen Zielort Villeguillo, ca. 7 km hinter Coca, angekommen bin. Dort habe ich mit meinen, schon Stunden früher eingetroffenen Mitpilgern Quartier in der einfachen, aber sehr ordentlichen 8-Euro-Herberge mit etwa 10 Betten gefunden. Das „Hallo“ war bei meinem Eintreffen groß, ähnlich wie beim „verlorenen Sohn“ in der Bibel.
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