Unterwegs von Madrid nach Santiago de Compostela
Tag 7 (Di, 2.9.2025) - Von Villeguillo nach Alcazarén / 17,3 km
Als ich gestern in Villeguillo ankam, haben mich die Drei damit überrascht, dass sie heute quasi einen Ruhetag einlegen und nur die 18 Kilometer nach Alcazarén laufen und dort in der Herberge auf Spendenbasis übernachten wollen. Das würde zwar nicht meinen Etappenplan sprengen, aber ich würde ungern den schon herausgeholten halben Tag dafür opfern, einen Nachmittag in der Herberge herumzugammeln. Ich würde lieber noch die 16 Kilometer bis Valdestillas ranhängen, obwohl es da nur ein 33€-Hostel gibt. Aber dann wäre ich nicht nur heute Abend, sondern vielleicht auch die nächsten Abende allein, was nicht unbedingt Spaß macht. Es ist doch schön, die Italiener in der Nähe zu wissen und abends wiederzutreffen. Sandro ist ein guter Organisator, recherchiert zu jeder Unterkunft und besorgt auch dann den Herbergsschlüssel, wenn die Kneipe, wo man ihn sich holen kann, geschlossen hat. Margit ist immer besorgt, dass es allen gut geht und schickt stets Tipps per WhatsApp, z.B. welche Treppe man benutzen muss, um aus dem Hotel zu kommen. Gestern hat sie mich mit einer frisch vom Feld geklauten Lauchstange beglückt, die hervorragend in mein Süppchen passte - mich aber wegen des eigenen Mundgeruchs nachts nicht schlafen ließ. Kurz gesagt, ich möchte die Beiden und ihre Fürsorge nicht missen.
Ich werde mich also vermutlich der Mehrheit anschließen und in Alcazarén bleiben, wo wir voraussichtlich zwischen eins und zwei sein werden. Da ja nicht viel Weg anliegt, sind wir erst um sieben aufgestanden und eine Stunde später aufgebrochen. Das hat mich schon einige Überwindung gekostet, denn ich war viel früher wach, wollte aber die anderen nicht durch das unvermeidliche Türknarren wecken.
Um nicht den ganzen Nachmittag herumzulungern und womöglich dem übermäßigen Biergenuss zu verfallen, habe ich jetzt den Plan entwickelt, um 15.15 Uhr mit dem Bus von Alcazarén nach Valladolid und um 19 oder 20 Uhr zurück zu fahren. Die Zeit davor müsste zum Wäschewaschen und Einkaufen reichen, in 3…4 Stunden kann man in Valladolid (wo Kolumbus gestorben ist) zwar nicht alles, aber doch manches sehen und abends gäbe es zur Not noch um 21 Uhr einen Bus zurück. Ich hoffe, dass sich dieser Plan umsetzen lässt, dann wäre ich mit mir selbst wieder versöhnt.
Nach dem kurzen Marsch war ich heute schon kurz nach halb eins am Ziel - die Italiener waren schon da, Koo kam ein paar Minuten später. Hier in Alcazarén ist das mit der Herberge so gelöst, dass man an verschiedenen Stellen einchecken, den Schlüssel in Empfang nehmen und eine Spende hinterlassen kann: im Rathaus, im Touristen-Office, im Tageszentrum des Krankenhauses, in einer Rentner-Bar, in der nahen Kneipe oder in der Pharmazie. Ich habe vorsichtshalber die Kneipe gewählt, da ich nicht wusste, ob es in der Pharmazie auch was zu trinken gibt. In der Kneipe blieb bei einem Bier und einem Kaffee von einem 10er immer noch genug für die Spendenbüchse übrig.
Um nicht wieder die Siesta zu erwischen, bin ich nach dem Einzug in die kleine 8-Betten-Herberge schnell einkaufen gegangen und dann habe ich mich der Wäsche gewidmet und bis auf den Fummel am Leib alles gewaschen. Das musste mit etwas Vorsicht passieren, weil der Traps des Waschbeckens defekt ist und man immer mal den darunter stehenden Eimer ausschütten muss. Zur Herberge gehört ein kleiner umzäunter Hof mit mehreren Wäscheständern, von denen ich einen voll bekommen habe. Ich hoffe, dass alles bis zum Schlafengehen trocken ist, weil da auch mein „Schlafanzug“, d.h. Baumwoll-T-Shirt und -schlüppi, dabei ist.
Nach dem Wäschewaschen blieb immer noch genug Zeit für ein kleines Schläfchen. Kurz nach drei sind wir dann alle zur Haltestelle bei uns an der Ecke, um mit dem Bus einen Ausflug nach Valladolid zu machen. Sogar Koo ist mitgekommen, der sonst meist den Nachmittag mit dem Smartphone vor der Nase im Bett verbringt. Gestern hat er sich übrigens mit ein paar der herumliegenden Decken eine Höhle gebaut, wie man die aus dem Ferienlager kennt - das Doppelstockbett komplett mit den alten harten Decken verkleidet, so dass kein Licht rein oder raus dringt. Wie man da drinnen Luft bekommt, weiß ich nicht.
In Valladolid gibt es wirklich ein paar schöne Ecken zu sehen - tolle Fassaden und eindrucks­volle Kirchen. Aber insgesamt ist es nicht so, dass man die Stadt (300.000 Einwohner) unbedingt gesehen haben muss, wie einige Reiseführer behaupten. Wenn man stirbt, ohne dort gewesen zu sein, muss man sich nicht ärgern.
Von den Kirchen hatten erwartungsgemäß nur wenige geöffnet, darunter aber die Kathedrale, die sich innen ganz düster zeigt und mit dicken, eckigen Säulen aufwartet. Die war mal als großer, rechteckiger Bau mit flachen Türmen an den Ecken geplant. Davon ist aber nur die Hälfte gebaut worden und der hintere, nicht fertig gewordene Teil sieht aus wie eingestürzt. Drinnen besticht aber der Hauptaltar mit Chorgestühl auf beiden Seiten. Richtig zu sehen bekommt man das aber erst, wenn man einen Euro in den Beleuchtungsautomaten wirft. Einige Seitenkapellen sind mit üppig vergoldeten Altären bestückt, andere werden als Rumpelkammer benutzt. Hunderte Klappstühle, die vermutlich bei Konzerten oder an Feier­tagen zum Einsatz kommen, sind im hinteren Teil der Kathedrale eher auf einen Haufen geworfen, als gestapelt worden. Schade, denn bei einer Kathedrale, das heißt bei einer Bischofskirche, erwarte ich immer etwas Erhabenes und besonders Eindrucksvolles.
Von den anderen Kirchen der Altstadt, die ich fast alle abgelaufen bin, waren wie gesagt leider nur wenige offen. Die waren allesamt ordentlich und in gutem Zustand. An goldenen Altären mangelte es nirgends.
Apropos Mangel. Da sind wir schon bei den Toiletten. Die sucht man in der Stadt vergebens. Aber da hat sich ein großes konfessionelles Hospital mitten in der Stadt der Bedürftigen erbarmt und den breiten, direkt zu den Toiletten im Haus führenden Eingang weithin sichtbar mit „Urgencias“ (Notfälle) überschrieben.
Um acht haben wir Vier uns wie verabredet auf dem schaurigen Busbahnhof getroffen und sind zusammen zurück nach Alcazarén gefahren. Das war wieder eine schöne, einstündige Fahrt, bei der auch ein paar kleine Dörfer mit Bedarfshaltestellen abgeklappert wurden.
Ich bin dann in unserem Ort gleich ins Zentrum gelaufen, wo zwei Kirchtürme über die Häuser ragen. Der eine gehört zu einer gesicherten Kirchenruine, die offenbar für kulturelle Veranstaltungen genutzt wird, weil in der Apsis eine überdachte Bühne aufgebaut ist. Ein Herr war gerade dabei, Lautsprecher aufzubauen und ein paar Damen saßen erwartungsvoll auf den Bänken an der Kirche. Als ich später nochmal vorbeikam zelebrierten etwa zehn Leute, darunter zwei Männer, in den Kirchenmauern eine Art Linedance. Richtig schönes Dorfleben!
Der andere Turm gehört zur wuchtigen Santiago-Kirche, die erhöht mitten im Zentrum steht. Als ich an der Tür gelesen habe, dass die Kirche mittags und am Abend bis um acht offen hatte, habe ich mich geärgert, denn inzwischen war es viertel neun. In einer kleinen, unscheinbaren Kapelle gegenüber waren gerade zwei ältere Damen beim Putzen. Die habe ich gefragt und nach kurzer Beratung schnappte sich eine einen riesigen Schlüssel, hat mir die Kirche aufgeschlossen und sämtliches Licht eingeschaltet. Kurz darauf kam auch die andere Dame und hat mir im fließenden Spanisch alles erklärt. Da gab es auch wirklich viel zu sehen, vor allem auf dem großen, frei stehenden Altarretabel, das gerade für 70.000 Euro restauriert wurde, wie ein Poster am Kircheneingang verkündet hat. In der Apsis hinter dem Retabel waren noch alte Malereien an den Wänden. Jakobus fand sich gleich zweimal auf dem Retabel, an einem Seitenaltar stand St. Rochus und an einem anderen Franz Xavier im Pilgerkostüm, was ich wirklich aus der spanischen Erklärung herausgehört habe! Als ich die beiden netten Damen fotografieren wollte, haben sie sich erst geniert, weil das Bild doch dann in Deutschland zu sehen ist. Dann haben sie sich aber bereitwillig postiert. Diese eindrucksvolle Kirche und die netten Damen waren ein gelungener Tagesabschluss.

Von Madrid nach Santiago de Compostela - Tag 7