Unterwegs von Madrid nach Santiago de Compostela
Tag 9 (Do, 4.9.2025) - Von Puente Duero nach Castromonte / 36,7 km
Ich habe diese Nacht ganz gut geschlafen, obwohl das Röcheln, Husten und Schnarchen des Hospitaleros im Zimmer nebenan durch die dünne Wand drang. Ich hab den Herrn, Alberto, nicht so richtig in mein Herz geschlossen, auch wenn er mir von seinen eingelegten Sardinen zu kosten gegeben hat. Die waren sehr lecker und haben ganz stark nach Knoblauch und nur ein bisschen nach Fisch geschmeckt. Alberto hat fast ausschließlich mit einer Zigarette in der einen und einem Rambler‘s-Bier in der anderen Hand vor der Hütte gesessen, wenn er nicht gerade mit der Zigarette vorbei an den vielen „Rauchen verboten“-Schildern durch die Hütte geschlürft ist, um einem ein Bett zuzuweisen. Durch den Genuss von Bier der Marke „Rambler‘s“ macht man sich zusätzlich verdächtig. Wie ich an anderer Stelle bereits ausgeführt habe, schmeckt das so, wie ich mir das Spülwasser in der Sternburg-Brauerei vorstelle. Ich habe davon mal in einer Herberge im Kühlschrank eine ganze Palette von (sofern ich mich richtig erinnere) 20 Büchsen vorgefunden, wovon nur eine fehlte. Nach dem ersten Schluck wusste ich, warum. Meine Absicht, der Palette ordentlich zu Leibe zu rücken, habe ich augenblicklich aufgegeben und den Rest der Büchse in den Ausguss geschüttet.
Alberto, den Sandro als „crazy“ charakterisiert hat, muss aber ganz unterhaltsam sein, denn die beiden Italiener und ein spanischer Pilger, den wir in der Herberge vorfanden, haben ihm bis abends um neun vor der Hütte zugehört. Ich habe mich nur mal kurz dazu gesellt, als Alberto eine Sandsteinfigur aus dem auch als Aufenthaltsraum dienenden Büro ins Freie schleppte. Diese Jakobusfigur kam mir bekannt vor, die hatte ich schon mal gesehen. Markant ist an der etwas kantigen Figur die ungewöhnlich große, mit der Innenseite nach vorn zeigende linke Hand. Ich musste ein bisschen in meinen Pilgerberichten blättern, dann hatte ich es: Die Figur steht, grau und viel größer, am Portal der Kirche von Santa Maria de Tera am Camino Sanabrés, also am Weg von der Via de la Plata über Puebla de Sanabria nach Santiago. Da sind die Pilger wiederholt darauf aufmerksam gemacht worden, dass es sich bei der Figur wahrscheinlich um die älteste steinerne Darstellung des Heiligen Jakobus (Santiago) handelt.
Seit die Pinienwälder aufgehört haben, ist mir so, als wäre ich in der Meseta, dem je nach Jahreszeit grünen oder braunen Nichts, das man auf dem Camino Francés zwischen Burgos und Leon erleben kann. Und siehe da, ich bin in der Meseta, denn die gesamte iberische Hochebene wird so genannt. Diese Gegend ist durchaus eine mentale Herausforderung, weil man hier oft über Stunden nichts hat, worauf man seinen Blick heften kann. Schnurgerade Wege, links und rechts abgemähte oder gar nicht bestellte Felder und mitunter über Kilometer kein Baum und Strauch. Zum Glück ist momentan nicht so große Hitze, sonst wäre das Laufen eine Tortur. Mit den Temperaturen ist das eh ganz komisch, denn am wärmsten ist es hier nicht in der Mittagszeit, sondern am Abend, so gegen sechs.
Wie auf dem Camino Francés wiederholt erlebt, so ist es auch hier: Auf der Karte ange­kündigte Orte sind ewig nicht zu sehen und dann geht es plötzlich runter in ein tief eingeschnittenes Tal, in dem sich das ganze Dorf samt Kirchturm versteckt. Hier ist es allerdings so, dass man nicht unbedingt in jedem Dorf eine Kneipe oder einen Kaufmanns­laden findet. Auf den heutigen knapp 38 Kilometern von Puente Duero bis Castromonte habe ich nur eine offene Kneipe entdeckt, und zwar genau zur Mittagszeit in Wamba, wo ich gleich eine ordentliche Tortilla verspeist habe. Einen Laden hätte es in Peñaflor gegeben, aber da war es schon nach zwei und der Laden wegen Siesta geschlossen.
In Wamba bin ich zum Glück zu der etwas abseits stehenden, aber durch ihre gedrungene Form und den kleinen rechteckigen Turm einladend aussehenden Kirche abgebogen. Die Tür des Hauptportals war geschlossen, aber die Seitentür in einem von Säulen getragenen Vorbau stand offen, weil drinnen gerade jemand eine Führung gemacht hat. Die dreischiffige Kirche hat so ziemlich alle Baustile zu bieten. Den rundbogigen Fenstern zufolge ist sie romanischen Ursprungs, die Nischen in den Wänden sind hingegen mit gotischen Spitz­bögen versehen und die Bögen zwischen den Säulenreihen sehen ziemlich maurisch aus. Es gab auch einige schöne Figuren zu sehen, wodurch sich der kleine Abstecher gelohnt hat.
Es hätte da auch ein Osario oder Beinhaus gegeben. Aber einer Knochen- und Totenkopf­sammlung wegen wollte ich nicht noch mehr Zeit vertun. Die Leute, die einen da mit großen Augen, aber ohne Ohren und Nasen anschauen, kennt man ja eh nicht. Während ich das schreibe, kommt mir der gruselige Gedanke, woher die in Puente Duero als Delikatesse angebotenen Ohren und Nasen stammen könnten …
Von Wamba nach Peñaflor habe ich die parallel zum Jakobsweg verlaufende Straße genommen. Das hat nur wenige hundert Meter gespart, aber ich hatte die staubigen Schotter­wege satt und wollte mal wieder auf Asphalt laufen. Außerdem führte die Straße ganz moderat wieder hoch aufs Plateau, während der Weg steil nach oben gegangen wäre. Was ich noch nicht wusste: Vor Peñaflor hätte ich auf dem Weg nochmal nach unten und wieder hoch gemusst, da sich die Stadt auf einem Sporn inmitten einer Senke befindet. Die Straße führt hingegen ohne Höhenunterschied hinein.
Am Straßenrand konnte ich bestaunen, auf welchem Boden die Leute hier versuchen, was anzubauen. Das sah aus, als wäre ein Betonmischer entleert worden: hellgrau, klumpig und verkrustet. Das hatte keine Ähnlichkeit mit dem, was wir Mutterboden nennen.
Peñaflor de Hornija wäre eigentlich das Etappenziel gewesen, aber die dortige Herberge hat so schlechte Kritiken bekommen, dass Sandro meinte, da könne man auf keinen Fall näch­tigen. Ich habe mir nur den letzten Kommentar durchgelesen, der im Übersetzungs­programm vermutlich noch schlimmer klingt, als gedacht: „Mangelnde Hygiene, beschädigte Installatio­nen, die Bleie sprangen bei der Geburt. verlassen. Wir haben Angst ist das Haus des Terrors. Wir haben sogar Läuse genommen. Ich weiß nicht, ob es mehr verlassen haben kann.“
Bevor mich da irgendwelche gebärenden Bleie anspringen, habe ich mich angeschlossen und die 9 km bis Castromonte raufgelegt.
Von Peñaflor ging es eine lange Treppe runter in die Senke, vorbei an einem schönen, aber verschlossenen Freibad, über eine Straße und dann ziemlich steil wieder hoch aufs Plateau. Dort gabelt sich der Camino. Links geht es nach La Santa Espina, wo auch eine Herberge ist, und rechts nach Castromonte. Auf den letzten Kilometern gab es sogar ab und zu ein Bäumchen oder einen Strauch am Wegesrand, aber nichts, was nennenswerten Schatten hätte spenden können.
So war ich dann doch ziemlich durchgeschwitzt und kaputt, als ich in Castromonte ankam. Die Herberge befindet sich dort in der ehemaligen Schule und nimmt die Hälfte des Ge­bäudes ein, in der anderen Hälfte ist eine Apotheke. In einem großen ehemaligen Klassen­zimmer stehen 10 hölzerne, nicht knarrende Doppelstockbetten, alle bezogen und mit sehr ordentlichen, farbigen Steppbetten versehen. In der Küche ist ein großer Tisch, Geschirr, Ceranfeld, Mikrowelle und sogar eine kostenlos nutzbare Waschmaschine einschließlich Waschmittel. Das ist mit 5 € die bislang billigste und zugleich beste Herberge auf dem Weg! Das einzige Manko ist, dass es im Freien keine Möglichkeit gibt, die Wäsche aufzuhängen und deshalb bereits von zwei vermeintlichen Dauergästen alle Stuhllehnen und Bettgestelle mit Wäsche zum Trocknen behangen waren. Das hat mich aber nicht gestört, da ich ja gerade erst Waschtag hatte.

Von Madrid nach Santiago de Compostela - Tag 9