Unterwegs von Madrid nach Santiago de Compostela
Tag 11 (Sa, 6.9.2025) - Von Cuenca de Campos nach Villada / 24,3 km
Ich wollte heute zwar zeitig los, habe mir aber keinen Wecker gestellt, denn Ausschlafen würde ja auch nicht schaden. Als die zwei Spanier in meinem Zimmer aufgebrochen sind, bin ich aufgewacht und aufgestanden. Dann habe ich mir Frühstück unter Benutzung herbergs­eigener Margarine zwischen Brot und Wurst gemacht. Kaffee stand schon in der Maschine bereit. Unter Hinterlassung einer angemessenen Spende bin ich gegen sieben losgelaufen. Da war es noch dunkel, aber allmählich deutete sich der Sonnenaufgang an. Heute sollte es wieder den ganzen Tag sonnig sein und für die Temperatur war vorhergesagt, dass sie stündlich um ein Grad steigt - bis 32 Grad um 18 Uhr. Da hieß es, sich beeilen.
Eine Stunde später war ich schon in Villalón de Campos, einem Ort, der nicht viel, aber immer­hin ein paar offene Bars zu bieten hat, so dass ich zu meinem Café con leche kam, der das Leben einfach schöner macht. Hier im Ort gab es auch viele Arkaden, aber mit etwas stabiler ausgeführten Säulen und Bordsteinen, die diese vor den Autos schützen. Im Zentrum traf man gerade Vorbereitungen für ein Fest. Buden wurden aufgestellt und die Bühne hergerichtet. Hier gewinnt man wirklich den Eindruck, dass überall jedes Wochenende gefeiert wird.
Die Kirche, die erhöht im Zentrum steht, war geschlossen, auch die Juan-Baptista-Kirche nahe der Herberge am Ortsausgang. Da hing aber ein QR-Code an der Tür, der zu einer Seite führt, auf der man sich für eine Kirchenbesichtigung oder -führung anmelden kann. Dann bekommt man wohl einen Code geschickt, mit dem man die Kirchentür öffnen kann. Das war mir aber zu blöd und umständlich, obwohl das eigentlich keine schlechte Idee ist.
Ich bin also ohne zwischenzeitlichen Kulturgenuss weitergetrottet und habe mich gefreut, dass die Straße so schön breit und leer ist, was ich ja auch gleich eingetippt habe. Nach vielleicht einer Stunde habe ich dann mal auf die Karte geschaut und gesehen, dass ich gleich hinter dem Ort auf einen Feldweg hätte wechseln sollen. Das jetzt nachzuholen war inzwischen zu aufwändig und zeitraubend. Also bin ich auf der Straße (VA-905) geblieben, die zunächst schnurgeradeaus nach Boadilla de Rioseco führt und dann nach einem Knick über Villada nach Grajal de Campos, ca. 6 km vor Sahagun. Da treffen „richtiger Weg“ und „falsche Straße“ wieder aufeinander. Die Entfernung bis dort ist gleich, ich habe also weder einen Umweg noch eine Abkürzung genommen. Ich musste nun halt nur wegen der Unter­kunft umdisponieren. Eigentlich wollte ich in der Herberge von Santervás de Campos über­nachten. Die liegt ziemlich genau auf der Hälfte zwischen Cuenca de Campos und Sahagun.
Bei der nun eingeschlagenen Route musste ich erstmal nach einer Herberge suchen, dann das war kein offizieller Pilgerweg mehr und die Orte waren deshalb im Pilgerführer nicht aufgeführt, auch nicht die nächste größere Stadt, Villada, die „nur“ an einer Variante des Camino Francés liegt. Eine Suche im Internet ergab aber, dass es da am Ortsausgang neben einem Caravan-Stellplatz eine Pilgerherberge gibt und die habe ich auch auf der Karte gefunden. Bis da waren es vom morgendlichen Start in Cuenca de Campos etwa 25 Kilometer. Das sollte gut bis zum frühen Nachmittag zu schaffen sein.
Die Hoffnung, an der Straße eher eine Erfrischungs- oder Einkaufsmöglichkeit zu finden, hat sich aber nicht erfüllt. In Boadilla de Rioseco gibt es zwar eine Bar direkt an der Straße, aber die war zu. Da hinter dem Haus ein Festzelt stand, haben die wohl gerade ordentlich gefeiert. In Villacidaler, das etwas abseits liegt, ist das Kartenprogramm zwar bei der Suche nach einem Lebensmittelladen fündig geworden, aber der entpuppte sich als eine Marmeladen­fabrik.
Die auf der Karte eingezeichnete Tankstelle am Ortseingang von Villada, wo man vielleicht eine Fanta oder Cola bekommen hätte, bestand nur noch aus einer verfallenen Zapfsäule auf dem Gelände einer Kooperative. Also musste ich mich bis in den Ort schleppen und mich dabei beeilen, denn um 14 Uhr machen hier die Geschäfte zu und (wenn überhaupt) erst um 17 Uhr wieder auf. Ich war kurz nach halb zwei in Villada und habe es noch geschafft, alle drei Lebensmittelläden abzuklappern, die aber alle nur ein ziemlich beschränktes Angebot hatten.
Da ich nicht wusste, ob die Herberge überhaupt offen hat, konnte ich nicht zu viel einkaufen, da ich ggf. alles bis ins 9 km entfernte Grajal de Campos hätte schleppen müssen. Außer­dem wusste ich nicht, wie die Herberge, wenn sie denn offen ist, ausgestattet ist. Herdplatte? Geschirr? Das einzige, worauf man sich halbwegs verlassen kann, ist eine Mikrowelle. Aber die üblichen Mikrowellengerichte gab es hier nicht, nur Büchsen mit mikrowellentauglichen Gerichten - was aber wenigstens einen tiefen Teller voraussetzt. Aber ein Sprichwort sagt ja „Wer nicht wagt, der wird nicht satt.“ Ich habe sehr mit mir gerungen, ob ich den dritten Tag in Folge Linsen nehme, habe mich dann aber doch für Kichererbsen mit Wurst, Speck und Fleisch entschieden, was ich auch sehr gut in Erinnerung habe.
Obwohl Villada nicht direkt an einem Jakobsweg liegt, ist hier alles so ausgeschildert, als wäre das der Fall. Die bekannten großen Straßenschilder besagen, dass man auf dem Camino ist, Schautafeln listen die Sehenswürdigkeiten auf und Wegweiser mit der Muschel zeigen auf diese. Nur waren die leider alle zu, einschließlich der Herberge, wo sogar ein Rollladen vor der Tür runtergezogen war. Im Fenster hing aber ein kaum noch lesbarer Zettel mit drei Telefonnummern.
Beim Anruf einer der Nummern sagte mir dummerweise O2, dass mein Prepaid-Tarif einen solchen Anruf nicht zulässt - obwohl ich bei jedem Grenzübertritt die Nachricht bekomme, dass Dank „Roaming“ Gespräche im jeweiligen Ausland zum Inlandstarif geführt werden können, also kostenlos. Ob das eine Bauernfangen-Masche ist, oder ob die ein technisches Problem haben, weiß ich nicht. Vermutlich Ersteres. Aber eine SMS ließ sich problemlos verschicken und nach ein paar Minuten kam die Antwort, dass er oder sie in 30 Minuten da ist. Und tatsächlich kam nach einer halben Stunde, kurz vor drei, ein junger Mann (José) mit dem Auto angebraust, hat den Rollladen hochgeschoben und mittels Zahlenschloss nach mehreren Versuchen die Tür geöffnet.
In der Herberge sah es nicht aus, als würde da in diesem Jahr noch ein Pilger erwartet werden. Schräg durch den Aufenthaltsraum war eine Schnur gespannt, auf der die frisch gewaschene Bettwäsche hing, und auf dem Tisch stand das Bügeleisen bereit. José hat schnell die Wäsche abgenommen und mir ein Bett bezogen. Dann wurde wie üblich der Ausweis abgeschrieben. Einen Stempel hat er leider nicht gefunden und mir stattdessen nur ein Gekrakel in den Pilgerpass gemacht.
Mit den für die Übernachtung geforderten 5 € ist er dann verschwunden. Für das Geld findet man in der Herberge fast alles, was man sich wünscht, einschließlich Waschmaschine und Waschpulver. Da habe ich die heute getragenen Sachen gleich reingeschmissen und nach einem 15-Minuten-Programm inklusive Schleudern fast trocken wieder rausgeholt. Möglich­keiten, die Sachen zum Trocknen aufzuhängen, gibt es zwar auch hier nicht, aber um den großen Tisch im Aufenthaltsraum stehen so viele Stühle, dass sich sogar für jede Socke eine eigene Lehne findet.
Dann habe ich ausgiebig geduscht, ein Nickerchen gemacht und mir eine Zwischenmahlzeit bereitet. Die bestand aus hier vorgefundenen, dünnen Zwiebackscheiben, auf welche ich die vorhin erworbene Käsecreme gestrichen habe. Da es diese leider nur in der geschmacklosen Variante gab, musste ich nachhelfen. Mit Oregano und Pfeffer aus dem Küchenschrank habe ich aus dem Käse einen leckeren Kräuterkäse gemacht. Als dann irgendwann nichts mehr aus dem Pfefferstreuer kam, habe ich gesehen, dass der voller Pfefferkörner ist und dass ich bisher nur den Abrieb davon bekam. Nun musste ich fortan zu jedem Schnittchen ein Pfefferkorn kauen, um den Geschmack beizubehalten.
Inzwischen war es um sechs und mich hat das Verlangen gepackt, doch noch ein Stück durch den Ort zu laufen und vielleicht irgendwo noch ein Getränk zu nehmen. Es war zwischenzeitlich Wind aufgekommen. der Wolken mitgebracht hat. Da war es draußen halbwegs erträglich.
Die auf großen Schildern angepriesene San Fructuoso-Kirche aus dem 16. Jahrhundert war leider auch abends zu, so dass ich den mir bisher unbekannten Heiligen nicht zu sehen bekam. Geschlossen war auch das Schwimmbad um die Ecke, so wie alle bisher gesehenen. Bei den anderen habe ich es immer darauf geschoben, dass es wochentags in der Mittagszeit war. Aber heute ist Sonnabend und die beste Zeit zum Schwimmbadbesuch. Doch 32 Grad sind den Spaniern vermutlich zu kühl zum Baden.
Als Kneipe habe ich mir gleich die erste auserkoren, die fast leer war. Da konnte ich mich nah am Zapfhahn an den Tresen setzen und schon mal den ersten Teil meines Berichtes schreiben. Im Fernseher gegenüber lief ein Film mit Silvester Stallone, bei dem ein New Yorker Autotunnel erst brennt, dann einstürzt und schließlich voll Wasser läuft. Da hat man wenigstens was, wovon man nachts träumen kann. Ich hoffe nur, dass Silvester Stallone nicht im Traum vorkommt, denn den mag ich nicht.
Nach einem sehr wohlschmeckenden „Estrella Damm“ aus dem Hahn habe ich mich noch an das getraut, was aus dem zweiten Hahn kommt: „Voll Damm“. Ich muss schon sagen, dass da der Name Programm ist. Nach dem ersten Schluck von diesem Märzen-Bier war mir klar, dass es bei diesem Glas bleiben muss, damit ich noch den Weg zur Herberge finden, den Code eingeben und die Kichererbsen in die Mikrowelle schieben kann. Das hat letztlich alles geklappt!

Von Madrid nach Santiago de Compostela - Tag 11