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Unterwegs von Madrid nach Santiago de Compostela | ![]() |
Tag 12 (So, 7.9.2025) - Von Villada nach Bercianos del Real Camino / 26,9 km
Ich bin in der Herberge von Villada allein geblieben und habe hervorragend geschlafen - vermutlich besser als die im Wohnwagen auf dem angrenzenden Caravan-Stellplatz. Es hat nämlich ordentlich Krach gemacht, als ich beim Losgehen um sieben wie vereinbart den blechernen Rollladen vor der Herbergstür runtergezogen habe.
Heute war es morgens schon sehr bedeckt und entsprechend dunkel, weshalb ich ein ganzes Stück mit eingeschalteter Smartphone-Lampe laufen musste. Der Sonnenaufgang gegen acht war nur zu erahnen. Lediglich ein gelb-roter Streifen, der am Horizont unter den Wolken hervorschaute, deutete darauf hin. Heute soll es den ganzen Tag bedeckt sein und die Temperatur soll nicht über 25 Grad steigen. Das wäre perfektes Pilgerwetter.
Kurz nach neun war ich schon in Grajal de Campos, bis wo ich gestern bei anderen Temperaturen gern noch gelaufen wäre. Da gibt es nämlich eine Herberge im Kerker des Grafen von Grajal. Der hatte am Plaza Mayor einen sehr ansehnlichen Palacio, an dessen Seite sich jetzt der Eingang zur kommunalen Herberge befindet. Dem Dreck und den Bechern vor der Tür zufolge, war die auch in der letzten Nacht belegt. Ein Gemeindearbeiter war gerade dabei, auf dem Platz Ordnung zu schaffen. Schließlich steht da auch das Rathaus.
Gleich angrenzend an den Palacio befindet sich eine der Kirchen des Ortes, die aus bestimmten Blickwinkeln aussieht, als hätten sich da Turmbauer und Dachdecker nicht abgestimmt. Es sieht nämlich aus, als säße eine quadratische Haube auf einem rechteckigen Turm. Beim Näherkommen sieht man dann, dass der Turm einen L-förmigen Grundriss hat und das Dach der Einfachheit halber den fehlenden Quadranten mit überdeckt.
Ich hatte schon die Hoffnung auf eine am Morgen offene Kneipe aufgegeben, da lockt mich doch ein „Cruzcampo“-Schild in eine Seitenstraße mit einem Gartenlokal, wo ich meinen ersehnten Café con leche bekommen habe.
Visueller Höhepunkt ist in Grajal die noch relativ gut erhaltene Festung aus dem 16. Jahrhundert, die man zu einer anderen Tageszeit wohl auch hätte besichtigen können. Beeindruckend sind hier die runden, einst mit Kanonen versehenen Türme an den vier Ecken. Die Burg war also keine Spinnerei oder protzige Geldanlage eines Grafen, sondern hatte wirklich eine militärische Aufgabe. Den Burggraben ringsum hat man leider mal zugeschüttet.
Kurz nach elf war ich bereits in Sahagun und damit auf dem Camino Francés, den ich im Frühjahr 2022 gelaufen bin. In der Stadt, die genau auf der Mitte des Camino Francés (gerechnet ab Roncesvalles) liegt, habe ich viel wiedererkannt, vor allem die eindrucksvollen Backsteinkirchen mit ihren wuchtigen, quaderförmigen Türmen, die durch unzählige Rundbogenfenster durchbrochen werden. Drei Stück gibt es davon. In einer (Iglesia de la Trinidad) ist jetzt ein Konzertsaal und auf einer eingezogenen Zwischendecke eine Herberge. In einer anderen (Iglesia de San Tirso) ist ein Museum, in dem es unter anderem um die „Semana Santa“ geht. Da gibt es also einige Figuren zu sehen, die in der Osterwoche durch die Gegend geschleppt werden. Außerdem stehen da Modelle der wichtigsten Kirchen der Stadt. Davon gibt es nämlich weit mehr als die drei genannten. Die Gottesdienste waren leider überall schon vorbei. In einer ganz unscheinbaren kleinen Kirche, deren Tür offen stand, kam mir gleich jemand hinterhergestürzt, der die Altarbeleuchtung eingeschaltet hat. Da gab es nämlich ein sehr prächtiges barockes Retabel zu sehen.
Ich hatte gelesen, dass man in Sahagun eine „Half-Way-Compostela“ bekommt, also eine Bestätigung, dass man die Hälfte des Weges geschafft hat. Vermutlich, damit die Hinterbliebenen was in der Hand haben, falls man auf der zweiten Hälfte dahinscheidet. Ich habe auch rausbekommen, wo es die Urkunde gibt, nämlich im etwas abseits gelegenen ehemaligen Kloster „Santuario de la Peregrina“ am südwestlichen Stadtrand. Da bin ich als Urkundensammler natürlich hin. Die Urkunde ist umsonst - wenn man das dortige Museum besucht. Also habe ich zwei Euro in ein Rentnerticket investiert und dafür die mit meinem Namen in voller Länge versehene „Halb-Compostela“ bekommen. Da ich nun schon mal fürs Museum bezahlt habe, bin ich da natürlich auch rein. Zu sehen gab es nicht viel, außer einer großen Zahl von Heiligenfiguren, die offenbar alle vom gleichen, neuzeitlichen Bildhauer sind und zumindest wie Bronzefiguren aussahen. Beeindruckend und schön anzusehen war aber der Bau an sich, der erst vor ein paar Jahren aus einer Ruine entstanden ist und historische und moderne Komponenten sehr gut verbindet. Auf einer per Fahrstuhl erreichbaren Empore steht zum Beispiel altes Chorgestühl, umgeben von (verschlossenen) Glasschränken mit einer Bibliothek.
Außer mir waren nur zwei junge Leute da, vielleicht Pilger, aber ohne Gepäck. Die Mehrzahl der Pilger ist vermutlich durch die Stadt gerannt und hat sich nichts angeschaut und bestenfalls ein Restaurant aufgesucht.
Ich hatte mir in einem kleinen, auch sonntags geöffneten Laden was zu trinken und für 2 € eine Box mit zehn gefüllten, kleinen Teigtaschen geholt. Das ergab ein gutes, schnelles und preiswertes Mittagessen. Fürs Abendbrot habe ich nur prophylaktisch was gekauft, weil ich eine Herberge im Visier hatte, in der es abends ein gemeinsames Essen gibt. Es ist die „Albergue parroquial Casa Rectoral“ in Bercianos del Real Camino, etwa zehn Kilometer von Sahagun entfernt. Diese kirchliche Herberge befindet sich in einem Haus aus dem 17. Jahrhundert, das ein Pfarrer gekauft und zur Herberge gemacht hat. Die Betreuung der Pilger erfolgt durch ehrenamtliche Hospitaleros. Unterkunft, Abendessen (19 Uhr) und Frühstück (6.30 bis 7.30 Uhr) gibt es gegen Spende. Sowas gefällt mir und ich bin schon auf die Eindrücke gespannt.
Die Wahl der Herberge hat dann auch bestimmt, welche Wegvariante ich gehe. Hinter Sahagun gabelt sich nämlich der Camino in eine „offizielle“ Variante, die über Bercianos und El Burgo Raneo führt, und eine Alternative über Calcada del Coto und Calzadilla de los Hermanillos.
Da ich vor drei Jahren erstere gewählt und in El Burgo Raneo übernachtet habe, hätte ich nun eigentlich die Alternative genommen. Aber die erwählte Herberge hat es mir angetan und deshalb habe ich mich auf den gleichen Weg begeben wie einst. Es sieht hier eh überall ziemlich gleich aus. Erkannt habe ich nur die Riesenherberge am Ortseingang von Bercianos, die mich schon vor drei Jahren abgeschreckt hat. Mit meiner Herberge bin ich hingegen zufrieden. Die ist wirklich urig und ich habe dort sogar noch ein unteres Bett bekommen. Insgesamt habe ich 36 Betten in drei Räumen gezählt. Ein Raum ist noch leer und in den anderen sind noch obere Betten frei. Insgesamt sind also etwa 20 Betten belegt. Kennengelernt habe ich bisher nur zwei Spanierinnen, zwei junge Bulgarinnen und einen Pilger aus Münster, der vor 12 Jahren schon mal hier war und zu erzählen wusste, dass einige Einrichtungsgegenstände der Herberge aus der einst gegenüber stehenden Kirche stammen, die eingestürzt ist, weil man ringsum Weinkeller (Bodegas) in die Erde gegraben hat.
Damit ich nicht aus dem Tritt komme, bin ich auch heute nach einem kurzen Erschöpfungsschlaf in die nächstgelegene Bar gegangen, um dort eine Erfrischung zu mir zu nehmen. Als ich wieder aufbrechen wollte, kam Peter, der Münsteraner, und hat mich mit an den Tisch genommen, an dem seine Camino-Freunde saßen: zwei Spanier, von denen der ältere als LKW-Fahrer oft in Deutschland unterwegs ist und der auch schon am Berlin-Marathon teilgenommen hat; eine junge Spanierin, die Peter im vorigen Jahr auf dem Camino de Inverno kennengelernt und jetzt wiedergetroffen hat; außerdem ein Italiener, der in Stuttgart lebt und deshalb ganz gut Deutsch spricht. Das war eine ganz lustige Runde. Um halb sieben sind wir dann aber aufgebrochen, weil für 19 Uhr in der Herberge Abendbrot angesagt war. Das hat sich zwar etwa verzögert, aber dann erscholl die Glocke auf dem Flur und alle stürmten in den Essenraum und verteilten sich auf drei gedeckte Tische. Die dazugehörigen Bänke stammen übrigens auch aus der 1998 eingestürzten Dorfkirche.
Die Hospitaleros sind hier nicht nur sehr nett, sondern auch sehr fleißig und haben zusammen mit ein paar helfenden Händen ein leckeres Abendbrot bereitet: Salat mit viel Paprika und eine Paella (Reis) mit Geflügel. Dazu Rotwein und hinterher einen Apfel. Da es viel Nachschlag gab, sind sicher alle satt geworden. Hinterher ist noch einer der Hospitaleros mit allen Interessierten auf den Hügel gestiegen, auf dem einst die Kirche stand, weil man von dort gut den Sonnenuntergang sehen kann. Der war auch wirklich schön, aber besonders beeindruckend waren die vielen Schwalben, die wie wild am Himmel kreisten, weil zu dieser Zeit wohl besonders viele Insekten über der kleinen Lagune am Fuß des Hügels unterwegs sind. Mir ist es sehr recht, wenn die Schwalben sämtliche Fliegen und Mücken fressen, die einen den ganzen Tag nerven.
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