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Unterwegs von Madrid nach Santiago de Compostela | ![]() |
Tag 13 (Mo, 8.9.2025) - Von Bercianos del Real Camino nach Villarente / 33,0 km
Die Nacht in der „Albergue parroquial“ in Bercianos war so, wie man sich eine Nacht auf dem Pilgerweg vorstellt: knarrende Dielen, stickige Luft, ein um fünf klingelnder Wecker (keiner ist es gewesen), aber ansonsten nette Pilger und sehr herzliche Hospitaleros um einen. Die knarrenden Dielen sind einfach dem Alter des Hauses geschuldet, denn die Balken darunter waren sicher noch original. Lediglich die sehr ordentlichen Sanitäranlagen sind neueren Datums. Die stickige Luft war nur dem Umstand geschuldet, dass im Ort Fiesta war und man bei der lauten Musik nicht hätte mit offenem Fenster schlafen können. Nachts um drei war die Party offenbar noch in vollem Gange. Selbst beim Abmarsch heute früh um sieben wummerten noch die Bässe, aber da war der DJ bestimmt schon längst mit dem Klangregler in der Hand eingeschlafen.
Der Eindruck, dass hier überall an jedem Wochenende gefeiert wird, kommt ja irgendwo her. Das liebevoll hergerichtete Frühstücksbuffet und die netten Worte und Gesten der Hospitaleros, allen voran der stets gut aufgelegte Spanier Louis, haben einen über alles hinweggetröstet. Zum Abschied wurden nicht nur Hände geschüttelt, da wurde auch gedrückt.
Als wird dann gegen sieben alle nacheinander losgezogen sind, war es noch dunkel und dicke Wolken hingen am Himmel. Aber es soll heute trocken bleiben und maximal 21 Grad warm werden. Da werde ich versuchen, so weit wie möglich zu laufen, um später eventuell mal eine Bergetappe abkürzen zu können. Peter aus Münster, der auch Rentner ist und jedes Jahr zwei Caminos läuft, ist erst nach mir aufgebrochen. Leider haben wir noch keine Telefonnummern ausgetauscht, denn eigentlich haben wir uns heute Abend in der gleichen Herberge in Mansilla de las Mulas verabredet. Vorhin habe ich dann aber nochmal Karte und Herbergsliste studiert und beschlossen, noch ca. 6 km weiter bis zum Ort mit dem schönen Namen „Villarente“ zu laufen. Da ist eine große 57-Betten-Herberge, in der man (hoffentlich) für 15-20€ unterkommen kann. Morgen käme ich dann ein ganzes Stück bis hinter Leon und am Tag darauf bis Astorga. Ab da wird es dann richtig bergig, da will ich die verbleibenden zwei Etappen bis Ponferrada nicht länger machen, als im Pilgerführer vorgeschlagen.
Mit Peter wollte ich vor allem die Telefonnummern austauschen, weil ich ja gelegentlich noch die Via Baltica von Bremen nach Osnabrück bzw. Münster zu Ende laufen will. Da hätte man sich mal verabreden können. Außerdem ist er schon mal den Camino de Inverno gelaufen, den ich jetzt vor mir habe. Da hätte er mir bei Bedarf Tipps geben können. Na, vielleicht treffe ich ihn heute noch bei einer Pause.
Der Weg selbst hatte heute nicht viel Abwechslung zu bieten, so dass ich nicht hätte sagen können, ob ich hier schon mal war. In El Burgo Ranero, wo ich 2022 übernachtet habe, habe ich aber sofort die schöne kleine Dorfkirche in der Häuserzeile wiedererkannt und in Mansilla de las Mulas, wo ich mich zu einem Dia-Supermarkt durchgeschlagen habe, kamen mir die Arkaden rings um dem Plaza Mayor bekannt vor. Da konnte ich mich erinnern, dass damals ein Polizeiauto mit viel Schwing vorfuhr und die Polizisten dann einen Stehtisch vor der Kneipe in Beschlag genommen haben. Da dämmerte mir, dass dies der Ort mit der tollen Stadtmauer ist, die ich beim Weg aus der Stadt heraus noch zu sehen bekommen habe. Auf der einen Seite der Esla-Brücke steht die Mauer noch in voller Pracht, auf der anderen Seite sind schon große Lücken in der Mauer. Ob das fremden Kanonen geschuldet ist, oder ob die Einwohner über Jahre hinweg Steine geklaut haben, weiß ich nicht.
Zwischen Arkaden- und Stadtmauerschau lag übrigens eine Stunde, in welcher ich das im Dia Erworbene verzehrt und in einer schattigen Parkanlage einen richtig schönen Mittagsschlaf gemacht habe.
Zwischen diesen Orten, in Reliegos, wo es eigentlich nur einen kleinen Laden und eine Kneipe gibt, die sich gegenseitig im Preis übertrumpfen, habe ich eine Gedenktafel entdeckt, die von einem Meteoriteneinschlag am 28.12.1947 berichtet: „Er wog mehr als 17 kg und wurde beim Aufprall in 3 Stücke gezert, was die Nachbarschaft sehr erschreckte.“
Peter habe ich übrigens nicht nochmal getroffen, aber an einem Kiosk der Touristeninformation in Mansilla habe ich einen an ihn adressierten Zettel mit meiner Telefonnummer hinterlassen und der Dame, die dort die Stempel verteilt, ein Bild von ihm gezeigt. Aber ich glaube, die Dame hat überhaupt nicht geschnallt, was es mit dem Zettel auf sich hat. Es ist je schön, dass sich hier alte Leute in der Touristeninfo mit dem Abstempeln von Pilgerpässen noch was dazu verdienen können, aber dort Leute hinzusetzen, die überhaupt nicht Ausländisch können, ist doch ziemlich blöd.
Da sich Peter nicht gemeldet hat, wird ihn der Zettel wohl nicht erreicht haben. Ich hoffe nur, dass die Dame den Zettel nicht als Bestellung aufgefasst hat und ich eine Kiste Rioja-Wein über die Berge schleppen und dann in den Flieger schmuggeln muss.
Bis Mansilla war der Weg recht gut begangen. All fünfzig Meter schlürfte da jemand durch den Staub auf dem Weg zwischen kaum befahrener Straße und der Baumreihe, die meinen verehrten Autor Roland Marske zu der treffenden Beschreibung „Neun Schritte - ein Baum, neun Schritte - ein Baum, …“ veranlasst hat.
Ab Mansilla war ich allein unterwegs, was ich sehr zu genießen weiß. In Villarente habe ich sofort die Brücke über den Rio Porma wiedererkannt, die dem Ort die vordere Hälfte seines auch gebräuchlichen Namens „Puente Villarente“ verschafft hat. Was „Villarente“ bedeutet, weiß ich nicht. Vielleicht ist es das, was bei uns „Seniorenresidenz“ heißt.
In Villarente habe ich die Herberge „San Pelayo“ erwählt, die ein paar Meter ab vom Weg liegt. Als ich den ganz schmucklosen, lehmfarbenen Bau am Ende einer Seitenstraße gesehen habe, war ich etwas schockiert. Aber hinter der Eingangstür war ich begeistert. Es ist ein uriges, altes Haus mit einer schrägen Durchfahrt, die verschiedene Ebenen miteinander verbindet. Da ist zunächst die Lobby mit einer gemütlichen Sitzecke, dann kommt ein Ebene mit zwei großen Tischen, weiter geht es vorbei an einem Schuhregal für die dreckigen Wanderschuhe in eine Art Wohnzimmer mit ganz verschiedenen Sitzgruppen. Dann kommt ein Kneipenraum, in dem es das Abendbrot gibt. Dahinter kommt man zu einer Tür raus in den Garten, wo man auf eine abends geöffnete Bar trifft. Überall ist rustikaler Steinfußboden, die Möbel übertreffen sich in ihrem Alter und jede freie Ecke ist mit alten Telefonen, Radios, Landwirtschaftsgeräten usw. vollgestellt. Wirklich toll. Wie im Museum.
Für die Gäste gibt es zwei parallele Trakte. In einem sind 10 Doppelzimmer und im anderen drei Schlafsäle mit zusammen 57 Betten, von denen man eins für 15 € bekommen kann. Die Hotelzimmer kosten natürlich mehr: 55 € als Einzel- und 68 € als Doppelzimmer, was sicher auch nicht überzogen ist. Als ich um halb fünf ankam, waren von den 57 Pilgerbetten erst zwei belegt. Nach mir kam noch ein älteres italienisches Paar, wir sind jetzt also zu fünft.
Leider hat man beim Ausstaffieren des Gebäudes mit diversem Krimskrams die Mikrowelle und den Kühlschrank verschwinden lassen, die bei Gronze noch auf den Bildern zu sehen waren. Meine Mikrowellengerichte aus dem „Dia“ habe ich also umsonst durch die Gegend geschleppt. Vermutlich soll so der Umsatz mit Tagesmenüs forciert werden. Ich habe mich also dazu überreden lassen, zum Abend auch ein Tagesmenü zu nehmen, zumal das eine gute Gelegenheit war, die anderen Gäste aus dem Herbergs- und dem Hotelteil der Unterkunft kennenzulernen. Serviert wurde pünktlich um sieben nach Anschlagen einer Glocke am großen Tisch im Kneipenraum. Mit mir saßen am Tisch: ein junges amerikanisches Paar aus Tennessee, das gerade geheiratet hat und praktisch die Hochzeitsreise auf dem Jakobsweg verbringt; dann ein recht altes italienisches Paar, dass mir gegenüber schläft und sich die Rucksäcke hat transportieren lassen, was in diesem Fall völlig ok ist; daneben eine nicht mehr ganz junge Australierin, die allein unterwegs ist; ein Belgier mit zwei Huskys, der üblicherweise im Zelt schläft, sich aber jetzt hier auskuriert, weil er sich den Fuß verstaucht hat; und letztlich eine weiterer Italiener und ein Marokkaner, die auch den Jakobsweg laufen.
Ich habe mich beim Abendessen neben den Marokkaner gesetzt, weil neben einem Moslem mehr vom Alkohol übrig bleibt. Das ist in diesem Fall Rotwein. Die beiden Amerikaner waren auch nicht sehr trinkfreudig, weshalb viel in der Flasche übrig blieb. Die Wirtin, offenbar auch eine gute Hausfrau, mag aber keine Reste und hat mir alles ins Glas geschüttet. Nun muss ich eigentlich noch ein paar Kapitel schreiben, bis das riesige Glas leer ist. Mir fällt aber nichts mehr ein.
Ach, da ist doch noch was: Wie man es aus französischen Pensionen kennt, gibt es auch hier eine Hauskatze. Ein riesiges, schwarz-braunes Exemplar. Die kam schon bei der Anmeldung aus dem Nichts auf den Tresen gesprungen und hat mir beim Ausfüllen des Formulars die Sicht genommen. Dann hat sie sich in der Hauseinfahrt postiert. Der Belgier mit den Huskys musste diese zum Gassi-Gehen fast raustragen, weil sie sich nicht an der Katze vorbei getraut haben. Das wäre was für Alf gewesen!
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