Unterwegs von Madrid nach Santiago de Compostela
Tag 16 (Do, 11.9.2025) - Von Astorga nach El Acebo / 37,1 km
In der frommen Herberge in Astorga waren mal nicht die Bewegungsmelder das Problem. Im Gegenteil, hier musste man auf dem Flur ganzschön nach einem Lichtschalter suchen. Hier waren wie in vielen anderen Herbergen die knarrenden bzw. schlecht schließenden Türen das Problem. Bei letzteren musste man entweder kräftig drücken, oder die Tür mit Schwung zuschmeißen, was aber meist erfolglos blieb. Die koreanischen Mitpilger kannten leider nur die zweite Methode und haben diese nacheinander an allen drei Klotüren ausprobiert.
Aber da war es schon um sechs und eh Zeit, aufzustehen. Clement, der heute nur bis Rabanal del Camino will, hat sich noch ein bisschen im Bett gewälzt, während ich schon mal gepackt habe. Dann bin ich runter in den Speisesaal, um mir was zum Frühstück zu machen - nicht ohne mich vorher zu verabschieden, denn Clement wollte irgendwo in einer Bar frühstücken. Ich hatte mir gestern in einem Dia-Supermarkt außerhalb der Altstadt so viel eingekauft, dass ich mich ihm nicht anschließen konnte.
Bei mir gab es eine Mini-Tortilla, die ich im Kühlregal gefunden habe und die sich in der Mikrowelle warm machen ließ. Ein bisschen hat das Ding wirklich wie Tortilla geschmeckt. Aber auch in den Bars sind die nicht immer gleich lecker. Manchmal sind das nur gepresste Kartoffeln, ein anderes Mal ist da noch warmes, weiches Rührei dazwischen. Und der Preis korreliert nicht unbedingt mit dem Geschmack. Für ein klassisches Pilgergedeck, bestehend aus einem Café con leche, einem Stück Tortilla und einem kleinen Bier, schwankt der Preis hier zwischen 4 € und 6,40 €. Am preiswertesten und am besten war alles bei dem Mädel, das aus Bremen zurückgekommen ist.
Heute lagen knapp 26 km von Astorga nach Foncebadon an. Das ist nicht übermäßig weit, aber dabei geht es wieder 600 Meter hoch, von 900 auf 1500 Meter. Allerdings nicht wie vor Segovia auf einem kurzen Stück ganz steil nach oben, sondern über die ganze Strecke verteilt. Auf der ersten Hälfte ging es so allmählich bergauf, dass man das kaum gemerkt hat. Ab El Ganso wurde es etwas steiler und hinter Rabanal del Camino kamen auch mal ein paar kräftezehrende Abschnitte. Die genannten Orte bestehen fast ausschließlich aus Her­bergen, meist in Kombination mit einer Bar oder einem kleinen Kaufmannsladen. Mangels Alternativen langt man in den kleinen Läden schon mal richtig zu. In Rabanal will der Krämer zwei Euro für eine kleine Bierbüchse haben, die anderswo 1,30 € und in großen Super­märkten 87 Cent kostet. In den Gaststätten ist das sicher ähnlich. Da habe ich also keine großen Pausen mit Gelage gemacht, sondern bin zügig gelaufen, zumal ich nicht wusste, ob ich am angedachten Zielort wirklich unterkomme oder noch weiter laufen muss.
Hinter Rabanal, als klar war, dass ich bis Foncebadon laufen werde, habe ich dort bei einer Herberge angefragt, ob sie noch ein Bett haben, und eine Absage be­kommen. Daraufhin habe ich noch bei zwei anderen per SMS bzw. Email angefragt und keine Antwort be­kommen. Inzwischen hatte es zu nieseln angefangen und der Weg zog sich in die Länge. Als ich in Foncebadon ankam, habe ich gleich alles wiedererkannt. Nun musste ich also die Herbergen abklappern und fragen, ob was frei ist. Da war aber alles belegt oder reserviert. Die einzige Herberge, in der man nicht reservieren kann, nämlich die kirchliche Herberge im ehemaligen Kirchengebäude (in der ich vor drei Jahren war), ist vorübergehend geschlossen, genauso eine etwas größere Herberge, die noch auf dem Wegweiser dorthin damit wirbt, dass das Bett nur 15 € kostet, statt 20 € wie es im Pilgerführer steht. Das hatte ich alles irgendwie schon geahnt und befürchtet, denn vor drei Jahren hatte ich schon das letzte Bett in der Kirche bekommen und das Mädel, das mit mir den Berg hochgekeucht ist, hat gegenüber in der Herberge das letzte Bett bekommen.
Ich habe deshalb heute keine großen Klimmzüge gemacht und bin einfach weitergelaufen, leider bei stärker werdendem Regen.
Es ging noch ein paar Meter bergauf bis zum Cruz de Ferro am Pass von Foncebadon in genau 1504 Metern Höhe. Das „Cruz de Ferro“ (Eisenkreuz) ist ein kleines eisernes Kreuz, dass auf einem hohen Holzmast inmitten eines Steinhaufens steht. Bei den Steinen handelt es sich um solche, welche die Pilger von zuhause mitgebracht (oder unterwegs aufgelesen) und hier abgelegt haben - als Zeichen dafür, dass sie eine Last losgeworden sind. Da der Weg für viele wirklich die Befreiung von irgendeiner physischen oder psychischen Last ist, hat auch das Ablegen eines Steins für viele eine ganz wichtige emotionale Bedeutung. Am Morgen, wenn die Übernachtungsgäste aus Rabanal oder Foncebadon hier vorbeikommen, trifft man da unzählige Leute und kann man sehr mitreißende Szenen erleben.
Am Nachmittag um vier, wenn alle schon ihre Herbergsbetten oder das Bier aus dem Hahn probieren, war ich da ganz allein. In einer Regenpause habe ich schon mal auf dem Smart­phone recherchiert, wo die nächste Möglichkeit ist, unterzukommen. Das ist El Acebo, gut 10 km hinter Foncebadon. Da gibt es mehrere Herbergen, von denen ich zwei angeschrieben habe, eine kleine im Dorf und eine 80-Betten-Herberge am Ortsrand. Da keine Antwort kam, habe ich bei ersterer angerufen und prompt ein 12 €-Bett reservieren können. Nun hatte ich also keinen Stress mehr, aber so richtig genießen konnte ich den Weg leider nicht.
So, wie wir es mal in der Schule gelernt haben, regnen sich die Wolken oft ab, bevor sie über die Berge ziehen. Ich war jetzt über den Kamm rüber und die Wolken kamen mir entgegen. Da fiel folglich reichlich Regen raus. Ich bin deshalb auf der kaum befahrenen Straße geblieben, statt den links oder rechts davon am Berghang verlaufenden, ausgeschilderten Jakobsweg zu nehmen. Als es noch nicht so stark regnete, hatte ich den genommen und gesehen, dass man da auf hoch stehenden und quer liegenden Steinplatten balancieren muss. Das ist was für den passionierten Plattentektoniker, aber nichts für jemand, der schnell vorankommen und seine Füße schonen will. Auf solchen Wegen bei Regen zu laufen, ist töricht, weil man da nicht einmal vorhersagen kann, im welche Richtung man rutscht, wenn man auf einen nassen Felsbrocken tritt.
Der Weg auf der Straße war natürlich ein Stück länger, weil sich die Straße in großen Bögen durch die Berge windet. Aber die großen Bögen hat man nicht gebaut, damit das auf der Landkarte besser aussieht, sondern um der Straße ein akzeptables Gefälle zu verleihen. Ein Schild habe ich nicht gesehen, aber ich schätze mal, dass es trotz der Windungen zehn Prozent waren.
Letztlich war es halb sieben, als ich an der „Albergue Mesón El Alcebo“ im gleichnamigen Ort war, der auf etwa 1100 Metern Höhe liegt, ankam. 400 Meter bin ich also schon wieder runter, 600 folgen morgen, denn vom Pass runter nach Ponferrada sind es insgesamt 1000 Höhenmeter. In der Herberge gibt es nur 16 Betten und davon sind mit meinem sogar nur 6 belegt. Einen Italiener und zwei ältere Däninnen habe ich schon kennen gelernt, auf die beiden anderen bin ich noch gespannt.

Von Madrid nach Santiago de Compostela - Tag 16