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Unterwegs von Madrid nach Santiago de Compostela | ![]() |
Tag 17 (Fr, 12.9.2025) - Von El Acebo nach Ponferrada / 16,8 km
Mangels Alternativen habe ich mich gestern zu einem 15-Euro-Menü in der zur Herberge gehörenden Gaststätte überreden lassen. Man konnte zwischen 7 Vorspeisen und 9 Hauptgerichten wählen. Zu den Vorspeisen gehörten auch Spaghetti mit Spiegelei. Das versprach wenigstens zu sättigen. Da ich nicht wusste, was „Geheimnis des Schweins“ ist, habe ich vorsorglich eine „Pilzrühre“ (Rührei mit Pilzen und Schinken) als Hauptgericht genommen. Dazu gab es wieder einen halben Liter Rotwein, sicher kein besonderer Jahrgang, aber trinkbar. Und zum Nachtisch wurde Eis serviert, Schoko/Vanille, was man bei uns als „Halbgefrorenes“ kennt.
Bei mir am Tisch saßen die beiden jungen, frisch verheirateten Amerikaner aus Tennessee, Jane (21) und Jack (24), die gerade reinkamen, als ich mich gesetzt hatte. Die haben eine andere Herberge genommen, in der aber keine Gaststätte ist. Wir haben viel geschwatzt und hatten so einen schönen Abend. Das ist ein wirklich sehr sympathisches Paar.
Als ich ins Zimmer kam, hatte sich die Zahl der Schläfer auf 10 erhöht, zwei Italiener und ein Paar unbekannter Herkunft sind noch dazu gekommen. Da ich ein Bett mit Steckdose in der Nähe haben wollte, musste ich mit dem Bett an der Klotür Vorlieb nehmen. Am Morgen konnte ich genau sagen, wer da Blasenschwäche hat und wer an Verstopfung leidet. Die Tür hatte nämlich einen quietschenden Knauf und bedurfte je nach Charakter des Klogängers gefühlvoller oder halt geräuschintensiver Nachhilfe, um richtig zu schließen. Eigentlich war es Blödsinn, die immer zu schließen. Das beim Betreten den Vorraums aufleuchtende Licht verlöschte schon, bevor man die Zahnpasta auf der Bürste hatte und beim Putzen musste man immer mit dem Arm weit ausholen, damit das Licht beim erneuten Erlöschen gleich wieder an geht.
Gegen sechs ging dann das Weckergebimmel los, vier oder fünf Wecker waren es, und nie ist jemand aufgestanden. Einer war so nett und hat die Schlummer-Taste gedrückt, damit die anderen zehn Minuten später die schöne Melodie nochmal hören können. Ich habe dann schon mal angefangen, meine Sachen zu packen, was immer etwas länger dauert, wenn ich auf die Smartphone-Lampe verzichte. Da packt man schon gern alles nochmal aus, weil nur noch eine Socke da liegt, wo mal zwei lagen.
In der Herberge gab es am Ausgang erfreulicherweise einen schmalen Tisch an der Wand und daneben einen Kaffeeautomaten. So bin ich vor dem Losgehen noch zu einem spartanischen Frühstück gekommen. Brot, Käse und Wurst hatte ich ja noch dabei.
Da das Tal, in dem ich mich nun befand, voller Wolken war, ist es dort nur ganz langsam hell geworden. So habe ich von dem hübschen kleinen Dorf El Acebo mit seinen dunklen Natursteinhäusern nicht so viel zu sehen bekommen. Die betonierte und gegen Sturzfluten mit schrägen Rinnen versehene Dorfstraße verläuft im leichten Zick-Zack, weil früher niemand auf die Idee gekommen ist, die Häuser in einer Flucht zu bauen. Damit da kein dicker Laster klemmen bleibt, stehen am Ortseingang Schilder, dass nur Fahrzeuge bis 3,50 Meter Breite und maximal 15 Meter Länge passieren dürfen.
Hinter dem Ort bin ich mangels Tageslicht noch eine Weile auf der Straße geblieben, statt den dicht daneben verlaufenden Weg zu benutzen. Später bin ich dann auf den Weg gewechselt, um nicht als Schummler zu erscheinen. Und der Weg war mindestens so schlimm, wie ich gedacht hatte: lauter Felsbuckel, auf denen man sehr vorsichtig daherschreiten musste. Zum Glück waren die Felsbuckel nicht nass, sonst wäre das eine ordentliche Rutschpartie geworden. Da der Weg gegenüber der Straße doch eine ziemliche Abkürzung darstellte, bin ich auch den Rest der Strecke bis Molinaseca auf dem Weg geblieben, wohlwissend, dass der doppelt so steil sein muss wie die Straße, wenn er nur halb so lang ist.
Zwischendurch gab es mal ein ganz nettes Dorf, Riego de Ambrós, das auch mit vielen schönen, aber auch halb verfallenen Häusern an der Dorfstraße aufwarten kann und reichlich Herbergen und Gaststätten zu bieten hat.
Molinaseca ist ein wirklich schönes Städtchen, in das man über eine alte Römerbrücke gelangt, die mit mehreren Bögen den Rio Meruelo überspannt. Auf der Suche nach einem guten Standort für ein Brückenfoto bin ich an einer Bar dicht am Fluss hängen geblieben, die mit Café und Tomatentoast für 4 € warb. Drinnen treffe ich doch prompt nochmal auf Jane und Jack, von denen ich mich eigentlich schon verabschiedet hatte, leider ohne ein Foto zu machen. Das konnte ich jetzt nachholen.
Die verkehrsberuhigte „Hauptstraße“, die sich durch den Ort zieht, ähnelt sehr den Straßen durch die gerade gesehenen Dörfer, nur dass es hier auch Nebenstraßen mit Herbergen, Gaststätten und Läden gibt.
An einer Stelle der engen Straße war für ein paar Minuten kein Weiterkommen, weil dort ein Transporter von „Jaco-Trans“ stand, der in einer Herberge die Gepäckstücke abholte, welche die Light-Pilger gern ins nächste Quartier gebracht haben wollten. Ich dachte, ich sehe nicht richtig. Da waren nicht nur kleine Rollkoffer dabei, sondern auch richtig große, mit denen eine ganze Familie zum Wintersport fahren könnte. Wahnsinn!
Hinter Molinaseca ging es ein ganzes Stück auf einem breiten Fußweg neben der Straße. Da konnte ich schon mal auf dem Smartphone schauen, wo ich heute und morgen unterkommen kann. Da abzusehen war, dass ich gegen Mittag in Ponferrada bin, wollte ich eigentlich durchstarten und noch eine halbe Etappe bis Villavieja laufen. Bei der dortigen Herberge ist im Pilgerführer vermerkt, dass man sich vorher anmelden muss. Auf „gut Glück“ dorthin zu laufen ist auch nicht klug, denn die Herberge liegt ein Stück ab vom Weg auf dem Berg und man wird darauf hingewiesen, dass man sich Essen und Trinken mitbringen muss, weil es dort nichts gibt. Also habe ich da eine SMS und vorsichtshalber auch noch eine Email hingeschickt, aber bis zum Mittag keine Antwort bekommen. Beim Anrufen kam nur eine automatische Ansage.
Also bin ich erst mal in das Castillo von Ponferrada, eine alte Templerburg mitten in der Stadt. Die hatte ich beim letzten Mal nur von außen bestaunt. Sie macht einen sehr großen und gut erhaltenen (oder gut restaurierten) Eindruck. Die Bewertungen im Internet gehen weit auseinander und reichen von „langweilig“ bis „höchst interessant“. Einer hat beanstandet, dass man für das Eintrittsgeld (6 € / Rentner+Pilger 4 €) nur die Mauern von innen zu sehen bekommt. Aber das allein wäre den Eintritt wert gewesen, denn da kann man überall auf den Wehrgängen entlanglaufen, die Türme besteigen und diverse ehemalige Wohnräume besichtigen, die prima hergerichtet, aber zugegebenermaßen ohne Inventar sind. In einem Gebäude auf dem Gelände gibt es eine Ausstellung und einen Film zu den Burgen in dieser Gegend und in Vitrinen wird die frühere Bekleidung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen gezeigt. In einem anderen Gebäude sind in zwei Sälen wunderbare Bücher ausgestellt, viele aus dem 15./16. Jahrhundert, aber auch einige aus dem 9./10. Jahrhundert. Das sind Schätze, für die man viel mehr Zeit haben müsste. In einem Saal waren es Bibeln, Gesangbücher usw., die ganz hervorragend koloriert und mit ganzseitigen Bildern versehen waren. Im andren Saal waren Atlanten, Pflanzenbücher und ähnliches ausgestellt. Auch ganz toll.
Und als krönenden Abschluss gab es auch noch eine Sonderausstellung mit Nachbauten aller möglichen Burgen und Kirchen aus kleinen Steinchen - nicht Lego, sondern kleine Marmorwürfel. Zumindest sahen die Steinchen so aus, anfassen durfte man ja nicht.
Inzwischen war es fast um zwei und nun kam die Nachricht, dass die Herberge in Villavieja wegen einer „Pause“ bis zum 15. September geschlossen ist. Da habe ich mich entschlossen, in Ponferrada zu bleiben und morgen zeitig aufzubrechen, damit ich es wenigstens bis ans Etappenziel in Las Medulas schaffe und ggf. noch eine halbe Etappe mehr, denn von dem Hotel in Las Medulas, das ich angeschrieben habe, kam noch keine Antwort.
Obwohl es in Ponferrada eine Unmenge an Herbergen gibt, habe ich wieder die „Albergue parroquial San Nicolás de Flüe“ gewählt, die ich gut in Erinnerung hatte. Sie hat 186 Betten, was zunächst erschreckend klingt, aber die sind größtenteils in 4-Bett-Zimmern. Es gibt einen großen Speiseraum mit Kücheneinrichtung und diversen Waschmaschinen. Im überdachten Innenhof des U-förmigen Gebäudes sind weitere Tische und Stühle. Das Schönste ist der mit einer Mauer umgebene Garten, der sowohl Bänke zum Sonnen, als auch schattige Plätze auf einer mit Laub überdachten Terrasse zu bieten hat. Am Ende des Gartens ist eine auch von außerhalb zugängliche, recht große Kapelle. Daneben ist ein Waschhaus mit Toiletten und Duschen für jene, die vor der Öffnung der Herberge mittags um eins oder zwei eintreffen. Da ist auch ein sonniger Wäschetrockenplatz, auf dem das frisch Gewaschene ganz schnell trocken wird.
Etwas schockiert war ich allerdings, als bei meiner Ankunft kurz nach zwei eine Schlange an der Rezeption stand. Das lag aber daran, dass jene der drei Hospitaleras, welche die Daten vom Ausweis in den Computer übertragen hat und damit das Nadelöhr war, auch noch jeden einzeln fragte, ob er schon in der Burg war, ob er wissen will, wo der Supermarkt ist usw. Und natürlich ist sie auf jede Frage und jedes Problem sehr detailliert eingegangen. Das hätten sicher auch die anderen beiden Damen fragen und erklären können, aber sowas ist hier Chefsache. Irgendwann war ich dann auch an der Reihe. Auf die Bitte bezüglich eines „unteren“ Bettes gab es Getuschel mit der vierten, für die Bettenzuteilung zuständigen Hospitalera, und schon hatte ich ein solches in einem noch leeren 4-Bett-Zimmer. Erst in der Nacht um halb elf hat man mir da noch zwei Spanier einquartiert, für die wahrscheinlich das Zimmer reserviert war - obwohl angeblich in kommunalen und kirchlichen Herbergen keine Reservierungen möglich sind.
Besonders lobenswert ist, dass in dieser Herberge aus dem Getränkeautomaten, der ohne Angabe einer Marke „Cola“ und „Bier“ anbietet, für einen Euro eine Büchse richtig guten Bieres, ein 5-Sterne-Mahou, rauskommt, das man nur bei großen Supermarktketten günstiger bekommt. Man musste also gar nicht die Herberge verlassen, um einen schönen Abend zu haben.
Ich bin trotzdem abends nochmal raus und habe eine Runde durch die nicht sehr große Altstadt gedreht und im „Gadis“ eingekauft. Mal nicht Paella (Reis) mit Meeresfrüchten, sondern Fideuá (kleine Nudeln) mit Meeresgetier, das hier viel gehäufter enthalten war. Die kleinen Tintenfische taten mir zwar leid, aber da sie eh schon tot waren, habe ich sie skrupellos gegessen.
Eine schöne neue Bekanntschaft habe ich auch gemacht. Am Ortseingang von Ponferrada habe ich auf einer Bank vor dem kleinen Supermarkt einen in Leipzig lebenden Engländer kennen gelernt, der mit seinem sechsjährigen Sohn Trajan (wie der römische Kaiser) auf dem Jakobsweg unterwegs ist - von León nach Santiago, das ist mehr als ein Drittel des klassischen Weges. Sie haben 12 km am Tag geplant, aber auch schon 17 km geschafft. Bis zum Monatsende haben die noch Zeit und es sieht sehr danach aus, dass sie es bis dahin nach Santiago schaffen. Wie ich die Beiden beneide! Für Trajan, der mir gleich am nächsten Geländer seine Kletterkünste vorgeführt hat, ist das bestimmt (wie für den Vater) ein ewig in Erinnerung bleibendes Erlebnis.
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