Unterwegs von Madrid nach Santiago de Compostela
Tag 18 (Sa, 13.9.2025) - Von Ponferrada nach Las Medulas / 23,6 km
Heute früh habe ich mal im Zimmer den Ton angegeben. Da auf dem Flur schon reichlich Getrappel war, bin ich um sechs aufgestanden und habe mit der Wasch-, Einpack- und Früh­stücksprozedur begonnen. Ganz leise und ohne Lampe. Meine beiden spät angekommenen Mitbewohner haben sich dem trotzdem angeschlossen.
Um sieben war ich in der Spur und bin an der nächsten Kreuzung links abgebogen, während alle anderen geradeaus gelaufen sind. Hier gabelt sich nämlich der Weg. Der Camino de Inverno, auf dem ich nach Santiago laufen will, verläuft ab hier südwestlich, der Camino Francés hingegen nordwestlich. Egal, wohin man will, um den Talkessel rings um Ponferrada zu verlassen, muss man irgendwann mal in und über die Berge. Wer auf dem Camino Francés unterwegs ist, hat noch etwas Galgenfrist. Der kann bis Villafranca del Bierzo noch halbwegs auf gleicher Höhe laufen und muss erst dann hoch auf 1300 Meter, um in O Cebreiro über den Pass zu kommen.
Wer auf dem Camino de Inverno läuft, muss gleich hinter Ponferrada ein ganzes Stück hochstiefeln, weil im Tal des Rio Sil auf der linken Seite nicht genug Platz für einen Weg ist. Das ergibt aber schöne Blicke auf Ponferrada, das sich auf der anderen Seite des Flusses weit hin zieht.
Im weiteren Verlauf geht der Weg immer wieder hoch und runter. Nie richtig extrem, dafür aber permanent. Etwas abweichend von der Karte führt er dann ein ganzes Stück durch und über die Weinberge. Da ist gerade die Weinlese im Gange. Der Laie staunt, wie viel die Leute hier von den so verkrüppelt aussehenden Weinstöcken holen. Hier wachsen auf den Weinbergen dicht nebeneinander weiße und rote Trauben und die kommen auch alle in den gleichen Bottich. Das wird sicher ein Rosé. Ich habe immer mal eine Beere (nicht eine ganze Traube!) gekostet. Sehr aromatisch und auch nicht übermäßig süß. Zusammen mit den Brombeeren, die es natürlich auch hier am Wegesrand gibt, hat das den Zuckerspiegel trotzdem ordentlich angehoben. Wegen Unterzuckerung muss hier keiner draufgehen!
Dörfer gab es heute nicht viele zu sehen. Wenn, dann waren sie wieder ein Mix aus gut hergerichteten und halb verfallenen Häusern. Gaststätten und Läden gab es nirgendwo.
Etwa auf der Hälfte der heutigen Etappe galt es, entweder eine Furt über einen kleinen Gebirgsbach zu benutzen, oder einen Umweg von mehr als sieben Kilometern zu machen. Der offizielle Weg verschwindet kurz vor der Furt in die Berge und wendet hoch oben in Villavijera, wo sich eine kommunale Herberge befindet, wegen der vermutlich der Camino so komisch gelegt wurde. Da ich durch die Antwort auf meine Abfrage wusste, dass die Her­berge gerade wegen einer „Pause“ geschlossen hat, konnte ich mir diesen Umweg sparen, Ich habe mich stattdessen darauf vorbereitet, die Schuhe auszuziehen und die Hosen hochzuziehen, um den Fluss zu durchschreiten.
Das kleine Rinnsal, das ich dann vorgefunden habe, hat sich aber gar nicht die Mühe gemacht, über die Straße zu laufen, sondern ist durch irgendwelche Ritzen unter der Furt auf die andere Seite gewechselt. Es ging dann zwar ziemlich steil bergauf, aber diese, auch als Jakobsweg ausgewiesene Abkürzung hat mir mindestens fünf Kilometer Umweg und immer noch einige Höhenmeter erspart.
Auf der Straße ging es dann nach Borrenes hinein, wo alles verschlafen war. Auf dem Weg dorthin bin ich von einem anderen Pilger, dem einzigen, den ich zu sehen bekommen habe, eingeholt worden. Es ist wieder mal ein Italiener, Marco (69) aus der Nähe von Florenz. Er hat zuletzt in der Verwaltung eines Krankenhauses gearbeitet und ist jetzt berentet. Er hat Frau, Sohn, drei Enkeltöchter und etwa so viele Caminos wie ich hinter sich. Er spricht zwar noch schlechter Englisch als ich, kann sich aber als Italiener hier ganz gut verständigen. Die Sprachen sind wohl ziemlich ähnlich.
Marco war wie ich ganz froh, hier nicht allein laufen zu müssen und er hat auch immer ganz brav auf jedem Hügel gewartet, bis ich ran war. Er ist natürlich wie fast alle anderen viel schneller unterwegs als ich.
Als er erzählte, dass er in dem Hotel in Las Medulas reserviert hat, in dem ich gestern wegen Verständigungsproblemen ergebnislos angerufen habe, schwand die Sorge, dort nicht unter­zukommen. Entweder kann er mir bei der Buchung behilflich sein, oder ich kann mich bei ihm einquartieren, denn sicher sind das in dem Hotel alles Doppelzimmer. Wir haben dann die letzte Variante gewählt und zusammen ein Doppelzimmer genommen. Das spart nochmal: 25 € für jeden inklusive Frühstück. Das ist ok.
Auf dem Weg haben wir immer mal in der Ferne abgebrannte Berghänge gesehen. Auf den letzten ca. 4 Kilometern waren wir nur von verbrannten Bäumen umgeben. Das sah ziemlich gespenstig aus. Das nur mannshohe Gehölz ist einfach verkohlt und wird sich wohl nicht wieder erholen. Aber nach nur drei Wochen kamen vielfach schon wieder neue, inzwischen 10…20 cm hohe Sprosse aus den Wurzeln. Spätestens im nächsten Jahr wird es hier schon wieder reichlich Grünzeug geben. Schlimmer sieht es mit den dicken, alten Bäumen aus. Die sind alle innen völlig ausgebrannt und es stehen nur noch Reste der Rinde in der Landschaft. Das ist wirklich arg, aber vermutlich kein wirtschaftlicher Schaden, weil das hier eine Art Reservat und keine landwirtschaftliche Nutzfläche ist.
Wirklich gruselig ist, dass das verbrannte Gehölz bis an die Ortschaften heran reicht, also die Flammen erst kurz vor den Häusern gestoppt werden konnten. In Carucedo, etwas abseits vom Weg, war das besonders deutlich zu sehen. Da hat man vom Weg aus über einen verbrannten Wald geschaut, hinter dem (offenbar unversehrte) Wohnhäuser zu sehen waren.
Unser Zielort, Las Medulas, war offenbar von drei Seiten von den Flammen eingeschlossen. Nur noch von einer Seite, zu der aber wegen der Berge kein Entrinnen ist, reicht noch Grün bis an den Ort heran. Am Ortseingang sind eine Freiluftgaststätte sowie ein archäologisches Museum völlig abgebrannt und auch mitten im Ort weisen einige Häuser und Gärten Brandschäden auf. Das muss vor ein paar Wochen mitten in den Flammen wirklich grausam und beängstigend gewesen sein.
Unser „Hotel“ haben die Flammen zum Glück nicht beschädigt, obwohl es ziemlich dicht am Ortsrand steht. Es ist ein neues und sehr ordentliches Einfamilienhaus, das im Ober­geschoss sechs Gästezimmer hat. Inhaber sind ältere Leute, was erklärt, dass die weder SMS lesen noch eine telefonisch auf Englisch vorgetragene Bestellung aufnehmen konnten.
Wir haben nur unsere Sachen abgestellt und uns frisch gemacht, dann sind wir zwecks Essens durchs Dorf gezogen. Von den drei nicht abgebrannten Gaststätten waren zwei geschlossen - für Samstagnachmittag in einem von Tagesurlaubern sehr gut besuchtem Ort einfach unverständlich. Im verbliebenen Restaurant war es entsprechend voll und wir mussten lange warten, bis sich die einzige Kellnerin um uns bemühte. Man konnte da eigentlich nur zwischen einem Tagesmenü und einem Spezialmenü wählen.
Als einziger Wirt am Platz kann der Inhaber natürlich die Preise diktieren und für ein Tagesmenü 18 € verlangen, statt der eigentlich üblichen 12 €. Uns blieb keine andre Wahl, sondern nur noch die Wahl von Vor- und Hauptgericht, wovon jeweils sechs zur Auswahl standen. Ich habe mal zwei bei uns übliche Gerichte gewählt, um zu sehen, was die hier darunter verstehen. Als ersten Gang hatte ich gefüllte Paprikaschoten. Die drei Paprika­schoten hat man in einem sehr frühen Wachstumsstadium geerntet. Da hätte jede problemlos auf einem Löffel Platz gehabt. Woraus die Füllung bestand, habe ich nicht rausbekommen. Es kann sein, dass Reis dabei war. Auf jeden Fall wurden auch kleine Zwiebeln und ganze Knoblauchzehen zum Verfüllen benutzt. Problematisch war das viele Fett, in dem die drei zärtlichen Schoten schwammen. Das hat man zwar mit reichlich Brot runterbekommen, aber eigentlich wäre danach ein richtiger Schnaps fällig gewesen. Als Hauptgericht hatte ich „Gegrilltes Knöchel vom Schwein“. Darunter habe ich eine Haxe verstanden und sowas kam dann auch. Das war wirklich gut und reichlich. Da kann man offenbar nicht viel falsch machen.
Nach dem Essen und einer Pause sind wir gegen sechs noch einen empfohlenen Weg zu einem See gelaufen, von dem man einen schönen Blick auf die kuriosen Berge ringsum hat. Hier haben einst die Römer Gold dadurch gefördert, dass sie die Hügel mittels Wasser scheibchenweise abgetragen und das Gestein dann ausgewaschen haben. So sieht man hier viele, meist bis auf die Hälfte abgetragene Berge und seltsam geformte und vom Wind verwehte Bergreste. Das sieht wirklich spektakulär aus und man könnte viele Abstecher von der Straße in die Berge machen und sich die ganze Szenerie auch verschiedenen Blickwinkeln anschauen. Das mache ich aber ein anderes Mal.

Von Madrid nach Santiago de Compostela - Tag 18