Unterwegs von Madrid nach Santiago de Compostela
Tag 19 (So, 14.9.2025) - Von Las Medulas nach Vilamartin / 33,5 km
In unserem kleinen Hotel war es heute so leise, dass ich nach dem ersten Aufwachen um fünf nochmal eingeschlafen bin. Um halb sieben bin ich raus, Marco noch etwas später. Um viertel acht sind wir dann eine Etage tiefer in die Wohnküche der Wirtsleute, wo für uns ein etwas spartanisches Frühstück aufgebaut war.
Eine Kanne Kaffee stand zwar da, aber der war schon kalt. Mit heißer Milch haben wir den aber auf Trinktemperatur gebracht. Das Angebot an Brot war nicht so toll, da habe ich lieber auf die mit Olivenöl gebackenen, ganz leichten Brötchen aus meinem Rucksack zurück­gegriffen und Marco eins abgegeben. Auch von meinem Käse und dem Schinken hat er was abbekommen. So sind wir beide satt geworden.
Um acht sind wir aufgebrochen, da wurde es gerade hell. Auf dem Weg aus dem Dorf raus haben wir noch Häuser zu sehen bekommen, bei denen es bis in den Vorgarten gebrannt hat. An den Häusern ist kein Schaden zu erkennen, aber der Rasen ist bis an die Haustür schwarz. Das sieht gruselig aus.
Der Weg führte uns dann auch noch einige Kilometer durch abgebrannte Wälder. Von den ehemaligen Goldminen, in denen die Römer halbe Berge abgetragen haben, war leider nichts weiter zu sehen. Dazu hätte man zu einem der Aussichtspunkte laufen müssen. Allein hätte ich das sicher gemacht, aber da Marco, der viel schneller ist als ich, anfangs laufend auf mich gewartet hat, wollte ich ihn nicht noch zu Umwegen überreden. Irgendwann tat es mir leid, dass ich ihn so ausbremse und ich habe ihm geschrieben, dass er mal laufen soll und dass wir uns sicher in Santiago treffen werden.
Hinter Las Medulas ging es zunächst noch ein Stück bergauf und dann runter nach Puente de Domingos Flórez, wobei das „runter“ nur tendenziell gilt, denn es ging auch hier immer mal wieder ein Stück aufwärts, damit sich keine Langeweile breit macht.
Der oben genannte Ort geht ziemlich nahtlos in Quereño über. Beide Orte sind durch eine Brücke über den Rio Sil miteinander verbunden. Ich wusste nicht, dass der hier die Grenze zu Galicien bildet und habe mich nur gewundert, dass auf den allgegenwärtigen großen Schildern mit den Angaben zur Förderung eines bestimmten Projektes nunmehr „Xunta de Galicia“ stand. Als dann noch die altbekannten „Kilometersteine“, hier mit Entfernungs­angaben um 225 km, auftauchten, war mir klar, dass ich jetzt in Galicien bin, wo sich das Ziel aller Jakobswege befindet.
In Quereño bekommt man ein etwas eigenartiges Wasserkraftwerk zu sehen. Zwei kleine Flüsse münden in einem betonierten Becken, etwa 10 Meter über Straßenniveau. Da ist scheinbar Schluss, aber bei Bedarf stürzt da bestimmt Wasser in die Tiefe, um in dem Maschinen­haus, das auf der anderen Straßenseite einige Meter unter Straßenniveau liegt, Turbinen anzutreiben und sich in den Rio Sil zu ergießen, der ab hier einen kleinen Stausee bildet.
Der Camino verläuft zusammen mit einer Bahnlinie auf der rechten Seite des gen Westen fließenden bzw. im Stausee stehenden Rio Sil. Auf der linken Seite verläuft die National­straße. Im Streckenprofil sieht es so aus, als würde der Weg schön eben verlaufen. Weit gefehlt, denn es ging laufend auf und ab, mitunter ziemlich heftig. Da, wo die Bahn einen Tunnel nahm, weil nicht genug Platz war, ging der Weg so weit hoch, bis sich mal eine Traverse fand, mitunter 50…60 Meter über dem Fluss, was nicht viel klingt, aber erstens in die Beine geht und zweitens den Eindruck vermittelt, viel höher über dem mitunter recht munteren Fluss zu sein. An manchen Stellen ging der Hang fast senkrecht runter. Da hat man die am Weg stehenden Schieferfelsen mit Stahlseilen gesichert, damit sie nicht auf die Bahnschienen stürzen. Auf der eingleisigen Strecke verkehren nämlich auch die Hoch­ge­schwindigkeitszüge AVE, von denen ich aber den ganzen Tag über nur einen gesehen habe.
Immer wenn es wieder 20 oder 30 Meter im Zickzack am Berghang hoch ging, habe ich ganz neidisch auf die Nationalstraße am anderen Ufer geschaut. Die ist kaum länger, verläuft ziemlich geradeaus und bleibt immer auf einer Höhe von wenigen Metern über dem Fluss. Da heute Sonntag ist, war da fast nichts los. Da hätte man ohne große Mühen Kilometer machen können. Das wäre gerade heute sehr hilfreich gewesen, denn ich hatte mit Marco verabredet, dass wir nicht nur bis zum vorgeschlagenen Etappenziel O Barco in gut 27 km Entfernung, sondern noch etwa 7 km weiter bis Vilamartín laufen und die dortige Herberge nehmen. Die Etappe von O Barco de Valdeorras bis A Rua de Valdeorras ist nämlich nur etwa 13 km lang, also ziemlich kurz. Eine halbe Etappe ranzuhängen, ist aber praktisch nicht möglich, weil es auf der ganzen folgenden Etappe von 26,5 km keine Herberge gibt, von Start und Ziel abgesehen. Bei einer Übernachtung in Vilamartin ließen sich aber aus den drei Etappen zwei mit 34,4 und 32,2 km machen. Das ist zu schaffen, schlaucht aber ganz schön bei dem steten Auf und Ab und Temperaturen bis 27 Grad.
Später vom offiziellen Weg auf die Nationalstraße zu wechseln, machte keinen Sinn, da diese nun größere Kurven macht und der Camino jetzt nicht mehr so viel auf und ab geht.
In Sobradelo bin ich in die Bar eingekehrt, zu der auch eine Pilgerherberge gehört. Wäre gestern in Las Medulas kein Hotelzimmer verfügbar gewesen, hätte ich noch bis hier laufen müssen. Gar nicht auszudenken. Der Wirt in der Bar Mar in Sobradelo, der gut als pensio­nierter Hippie durchgehen würde, hat mich schon beim Betreten der Bar per Handzeichen befragt, ob ich ein kleines oder ein großes Bier will. Damit ihm nicht beim Zapfen der Arm lahm wird, habe ich gleich ein großes Bier genommen. Das ist auch innerlich sofort verdampft, denn inzwischen waren über 25 Grad. 27 sind es noch geworden.
Nach Sobradelo kam Entoma. Da hat mich Marco, mit dem ich per WhatsApp Informationen ausgetauscht habe, davor gewarnt, dem ausgeschilderten Weg zu folgen, der unnütz hoch in die Berge geht. Das hatte ich aber auch schon in der Karte gesehen und deshalb eh vorgehabt, auf der Straße zu bleiben. Hinter dem Ort gibt es eine große Baustelle. Da wird eine Straßenbrücke über den Rio Sil, die Eisenbahnlinie und die Landstraße gebaut. Die wird mal ziemlich steil nach oben führen, da sie auf dem rechten Ufer gleich auf Berge trifft, in die man extra eine Schneise gegraben hat. Wenn sich die Brückenbauer, die an drei Brücken­teilen gleichzeitig arbeiten, auch wirklich treffen, wird das eine Verbindung der N-120 und der N-530. Bei dem spärlichen Verkehr, der heute am Sonntag herrschte, ist kaum vorstellbar, dass eine solche Straße gebraucht wird. Aber die Brücke sieht später bestimmt sehr eindrucksvoll aus.
O Barco, das eigentliche Etappenziel, erwies sich als eine ziemlich große Stadt und ich habe recht lange gebraucht, sie zu durchqueren. Hier weitet sich das Tal des Rio Sil, aber die Bebauung reicht trotzdem auf beiden Seiten bis an die Berge heran. Die waren auch hier ziemlich verbrannt - links sehr großflächig und rechts fleckenhaft. Aber es sieht aus, als wäre hier das Feuer noch ein ganzes Stück von der Bebauung entfernt gestoppt worden.
Hinter O Barco ging es recht gemächlich an einer Landstraße und später auf der Service­straße der Nationalstraße voran. Marco, der trotz zwischenzeitlichem Essen in einer Gaststätte noch eine Stunde Vorsprung hatte, schrieb mir dann, dass die Herberge in Vilamartin geschlossen ist und dass er bis A Rúa de Valdeorras weiterlaufen wird. Das sind nochmal fast sechs Kilometer. Ich war da gerade in Arcos, drei Kilometer vor Vilamartin, wo ich um halb sieben sein könnte. In A Rua wäre ich, wenn ich das überhaupt schaffen sollte, frühestens um acht. Das erschien mir nicht als eine gute Option. Also habe ich die im Pilgerführer bei der Herberge vermerkte Nummer angerufen, was wohl auch Marco schon früher am Tag vergeblich versucht hat. Nach langem Warten ging endlich jemand ran und dann wurde der Telefonhörer durch die ganze Familie gereicht, bis sich jemand fand, der ein paar Worte Englisch versteht. Das war vermutlich die Enkeltochter, die in der Schule schon ein Jahr Englisch hat. Der habe ich erklärt, dass ich in einer halben Stunde an der Herberge sein werde, wo ich gern übernachten möchte. „Yes, yes“ war die Antwort. So ganz sicher war ich mir nicht, ob das nur „verstanden“ heißt, oder ob das „geht in Ordnung“ heißen soll. Vorsorglich habe ich noch eine SMS und eine WhatsApp mit meinem Anliegen geschickt, aber keine Antwort darauf erhalten.
Ich war also sehr gespannt, was mich erwartet und habe einen Schritt zugelegt, als der Routenplaner mir sagte, dass ich weit mehr als die angegebene halbe Stunde brauche. Als ich bei der Herberge um die Ecke bog und die Tür offen stehen gesehen habe, fiel mir ein großer Stein vom Herzen. Es war eine Dame extra mit dem Auto gekommen, um aufzuschließen, mir Bettwäsche zu geben und meine Personalien aufzunehmen.
In der 44-Betten-Herberge (ein Saal mit 16 und einer mit 28 Betten) bin ich also der Einzige. Die Sanitäranlagen sind sehr ordentlich und die Küche ist hinreichend bestückt. Etwas dürftig ist die Bestuhlung des Aufenthaltsraumes. Da stehen zwei Sofas und ein Couchtisch. Für mich ist das ja überdimensioniert, aber 44 Leute zum Essen um einen Couchtisch stelle ich mir problematisch vor. Allerdings ist die Herberge bisher sicher noch nie auch nur ansatz­weise voll gewesen. Abgesehen von Marco, der mir weggerannt ist, habe ich nur einen jungen Pilger unbekannter Herkunft auf dem Weg getroffen.
Da die 8-Euro-Herberge auch je zwei Waschmaschinen und Trockner zur kostenfreien Benutzung hat und sogar Waschmittel daneben steht, habe ich mich bis auf einen Schlüppi entblößt und alles, was am Leib oder im Rucksack war, in die Waschmaschine geschmissen. Ich hoffe, dass das 30-Grad-Programm heute noch fertig wird. So richtig ist nicht zu erkennen, wie lange es noch dauert.

Von Madrid nach Santiago de Compostela - Tag 19