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Unterwegs von Madrid nach Santiago de Compostela | ![]() |
Tag 21 (Di, 16.9.2025) - Von Quiroga nach A Proba do Brollón / 23,1 km
Ich habe in der Herberge von Quiroga ganz herrlich geschlafen. Nachdem es zur Abendbrotzeit etwas laut herging, war bald Ruhe im Haus. Die Arbeiter wollten ja morgens zeitig raus. Da hier jedes Zimmer sein eigenes Bad hat, entfiel auch das Türenklappern und -quietschen beim nächtlichen Klogang. Ich bin erst aufgewacht, als auf dem Gang die ersten auf dem Weg zur Küche oder gleich zur Arbeit waren. Da war es viertel sieben.
Nach dem Packen bin ich auch runter in die Küche, hab‘ mir einen Kaffee gemacht und die noch im Rucksack befindlichen Burger-Brötchen mit Käsecreme beschmiert und durch Mortadella-Scheiben komplettiert. Ersteres war gar nicht so einfach, weil ich das Messer von meinem Plastikbesteck verbummelt habe und das Brötchenschmieren mit der Gabel doch einige Übung erfordert. Gut, dass ich wie eigentlich fast immer Burger-Brötchen genommen habe, die lange halten, gut schmecken und vor allem schon halbiert sind. Ein Brötchen mit der Gabel zu zerteilen oder damit gar eine Scheibe Brot abzuschneiden, hätte mich überfordert.
Als ich da so bei Kaffee und Brötchen sitze, kommt von Marco per WhatsApp die Frage, was ich mache: „Frühstück“. „Wo?“. „Herberge“. Er dann „Ich suche noch nach einer Bar, wo ich frühstücken kann.“ Der Schadenfreude zweiter Teil …
Was mir dann aber unverständlich geblieben ist: Statt wie „vorgeschrieben“ den kleinen Umweg durch den Nachbarort San Clodio zu nehmen und es dort zu versuchen, hat er, der sonst ganz penibel dem blauen Strich auf der Karte und den Wegweisern folgt, ausgerechnet dieses Stück abgekürzt. Als wir uns genau beim Zusammentreffen unserer Wege getroffen haben, konnte ich ihm berichten, dass ich in San Clodio an drei offenen Bars vorbeigekommen bin. Ich habe nämlich überall reingeschaut, weil ich mir sicher war, dass er da irgendwo sitzt und frühstückt.
Wir sind dann das Stück des Weges zusammen gegangen, das ganz offiziell auf der Landstraße verläuft. Da, wo der Camino abbiegt, habe ich ihm verkündet, dass ich auf der Straße weiterlaufen und nicht den ausgeschilderten Weg nehmen werde. Die Straße, die wie die gestrige gut asphaltiert und kaum benutzt ist, führt mehrmals in großen Schleifen bis auf 450 m hoch. Das ist mir hoch genug. Der holprige Weg macht das Gleiche, aber in bis zu 600 m Höhe. Das muss ich mir nicht antun. Zu sehen gibt es von da oben auch nicht mehr. Auch von der Straße hat man einen großartigen Blick ins Tal, den ich bei einigen Pausen genossen habe.
Heute ging es mal nicht nur durch abgebrannte Wälder, sondern auch durch sattes Grün. Wie schon gesagt, zog sich die Straße in weiten Schleifen den Berg hoch. Nach jeder Kurve war ich entsetzt, dass es noch höher geht. Irgendwann war dann aber der Pass erreicht und es ging sachte in ein dahinter liegendes Tal hinunter. Zum Glück nicht bis ganz nach unten, denn erfahrungsgemäß muss man alles, was man runter läuft, auch wieder hoch laufen.
Da es in dem Tal so viel zu sehen gab, habe ich mich an einer sonnigen Stelle auf die Leitplanke gesetzt und mit dem Blick ins Tal Pause gemacht. Ganz links zwängen sich Nationalstraße (N-120), Bahnlinie und das kleine Flüsschen Lor durch einen ganz schmalen Zugang zu dem unter mir liegenden, weiten Tal. Erst habe ich nur die hohe Bogenbrücke der Bahn gesehen, dann die Straße, die schräg durch den Mittelbogen der Brücke hindurchführt. Dass sich da auch noch der Fluss unter der Brücke durchzwängt, habe ich nur auf der Karte gesehen, weil sich der Fluss mit dichtem Grün an den Ufern vor Blicken schützt. Hinter dieser engen Stelle verteilen sich Bahn, Straße und Fluss über das Tal. Die Straße bekommt hier sogar für ein paar Kilometer getrennte Fahrbahnen und eine zweite Spur in jeder Fahrtrichtung.
Auf meiner Seite des Tals gab es jede Menge Brandschäden jüngeren Datums. Hier waren gerade Arbeiter dabei, neue Telefonmasten zu setzen und die provisorisch neben der Straße liegenden neuen Leitungen daran zu befestigen. Auf der gegenüber liegenden Seite des Tals waren die Hänge auch fast vollständig abgebrannt, aber vermutlich nicht in diesem Jahr, sondern früher, denn da waren schon alle verbrannten Bäume gefällt und der Hang beräumt. Geradezu waren Bergkuppen zu sehen, die mit regelmäßig angeordneten kleinen Bäumen bestückt sind. Das war sicher auch eine Brandfläche, die inzwischen rekultiviert wurde. Die Leute sind es hier bestimmt längst gewöhnt, dass es immer mal brennt und wissen damit umzugehen. Trotzdem möchte ich nicht gern in einem der schönen Häuser unten im Tal wohnen. Die sind zwar alle von üppigem Grün umgeben, aber weit weg waren die Flammen jetzt bzw. in den Vorjahren nicht.
Die Bahnlinie, die hier durch das verbrannte Gebiet führt, ist übrigens nicht stillgelegt, sondern wird trotz der Brände noch oder schon wieder bedient. Während ich das Tal inspizierte, kam nämlich auf der eingleisigen Strecke ein Hochgeschwindigkeitszug AVE, vergleichbar mit unserem ICE, allerdings sehr, sehr langsam, weil offenbar Bauarbeiter an der Strecke tätig waren, was aber wohl nicht mit dem Brand, sondern mit einem Tunnelbau zu tun hatte. Bei uns hätte nach einem solchen Brand alles für Monate oder Jahre still gestanden. Erinnert sei da an den Triebwagenbrand in Ahrensfelde, bei dem ein paar Blechtafeln des Bahnsteigdachs verbeult wurden und Lampenkabel durchgeschmort sind. Da fuhr über Monate kein Zug.
Hätte es an der Straße am Rande dieses Tals eine Bank gegeben, so hätte ich mich langgelegt, die Sicht genossen und auch gleich ein Nickerchen gemacht. Aber so musste ich mich bald erheben, damit die Leitplanke keine Querkerbe im Gesäß hinterlässt. Weiter ging es, stets auf und ab, aber sehr moderat. Mal verlief die Straße über oder neben der N-120, dann mal weit unter dieser, nämlich als diese auf einer hohen Brücke ein Tal überspannt.
Die Sonne hatte zwar inzwischen an Strahlkraft zugelegt, aber an der von dichtem Bewuchs eingefassten Straße fand sich doch immer etwas Schatten, so dass ich gut vorwärts kam. Um zwei war ich an einer Stelle, wo ich mich entscheiden musste, ob ich nach rechts abbiege und wie geplant in der nur noch wenige Minuten entfernten Herberge von A Pobra de Brollón Quartier nehme, oder ob ich weiter in das auf der Straße nur noch 10 km entfernte Monforte de Lemos laufe. Das ist nämlich das morgige Etappenziel. Auf dem ausgeschilderten Weg ist das zwar etwas weiter entfernt, das sind aber auch nur knapp 13 km. Eigentlich wäre das zeitlich und auch kräftemäßig zu schaffen gewesen, aber es hätte nicht viel gebracht, außer dass ich damit einen Tag herausgearbeitet hätte, für den ich mir in Santiago Beschäftigung suchen müsste. Ich habe, den heutigen Tag eingerechnet, noch acht Tage Zeit, um in Santiago anzukommen. Und genau so viele Etappen sind es lt. Pilgerführer. Ich liege also absolut im Plan. Und zur Not gibt es noch zwei weitere kurze Etappen, womit immer noch etwas Puffer gegeben ist.
Ich habe mich also entschlossen, um halb drei für heute Schluss zu machen und in der kommunalen Herberge von A Proba Quartier zu nehmen. Die ist sehr gut ausgestattet und befindet sich im zweiten Stock eines neu gebauten, kommunalen Multifunktionsgebäudes, etwas außerhalb des Ortes. Ganz unten sind Büros und im ersten Stock ist die Musikschule. Ich hoffe, da ist nicht gerade heute Abend um zehn ein Trommelkurs.
Als ich mir noch nicht ganz sicher war, ob ich bleibe oder weiterlaufe, hat ein von Marco aus der Herberge geschicktes Bild den Ausschlag gegeben. Da war in der Küche ein gläserner Kühlschrank zu sehen, in dem die mir bekannten rot-schwarzen Büchsen stehen …
Die kommunale Herberge in A Proba ist zwar mit 17,50 € ein ganzes Stück teurer als der Durchschnitt, dafür habe ich hier aber auch noch keinen Mangel gefunden. Alles ist sehr neu und sauber. Es gibt zwei Schlafsäle mit je 18 Betten. Da wir hier nur zu fünft sind, konnten wir uns gut in einem Schlafsaal verteilen: Marco; ein Spanier, der mich vor ein paar Tagen überholt hat; die beiden Spanierinnen, die ich gestern getroffen habe; und ich. Der Speisesaal würde auch bei voller Belegung für alle reichen und hat zudem eine gemütliche Sitzecke mit Fernseher. Die Küchenzeile hat zwei Mikrowellen, Kühlschrank, Kaffeemaschine, Wasserkocher, Toaster usw. sowie ausreichend Geschirr und Besteck. Alles sehr ordentlich und sauber. Es gibt mehrere Waschmaschinen, die man für einen schmalen Taler benutzen kann und im Garten sind Wäscheleinen - und Sitzbänke, falls man gleich auf das Trocknen der Wäsche warten will.
Auf dem Flur steht ein Getränke-/Snackautomat und in der Küche ein abschließbarer Kühlschrank, in dem Bier steht und Sachen, die nicht in den Automaten passen, wie z.B. die Mikrowellengerichte, die ich inzwischen lieben gelernt habe. Hier muss man nur zuschlagen, solange die Hospitalera da ist (heute war es bis fünf), da sie den Schlüssel hat. Bei ihr bekommt man auch Pflege- und Kosmetikprodukte, falls man Wert auf eine eigene Zahnbürste legt. Es ist also an alles gedacht. Und man kann hier auch essen: Mittag- und Abendessen für je 10 € und Frühstück für 3 €. Mittagessen gäbe es im Dorf in einer Gaststätte, das Abendessen (2 Gänge und Dessert) wird in die Herberge gebracht. Genauso das Frühstück. Ich habe mich wie die anderen gleich für das Abendessen angemeldet. Das kommt um acht. Was ich als ersten Gang gewählt habe, weiß ich schon nicht mehr, als Hauptgericht habe ich Schweinebacke. Die hatte ich schon mal auf einem Camino und das war sehr lecker.
Ich habe mir bei der Ankunft neben schwarz-roten Büchsen auch ein Mikrowellengericht geben lassen und gleich verspeist. Wie letztens war es Fideuá, das heißt kleine Nudeln mit Meerestieren. Das war wieder lecker und hat satt gemacht. Für 3 € eine tolle Sache. Nach dieser Erstversorgung habe ich es nicht mehr für nötig erachtet, die 700 m in den Ort zu laufen. Für heute muss ich nichts mehr einkaufen und für morgen früh habe ich mir statt dem üblichen Frühstück mit Marmeladen-Toast ein großes Schinkenbrötchen für 2 € bestellt. Kaffee habe ich selbst reichlich. Ich habe mir letztens eine Büchse löslichen Kaffee gekauft, die ich gar nicht mehr alle bekommen werde.
Als ich vorhin sinnierte, was man denn mit dem Rest eines solchen angebrochenen Tages machen kann, kam eine WhatsApp von Fernando, dem in Zürich lebenden Spanier, mit dem ich im vorigen Jahr einen Tag auf dem Camino von Vigo nach Pontevedra unterwegs war - wo es den ganzen Tag entlang eines kleinen Baches und vorbei an verfallenen Mühlen durch einen Urwald ging und wo Fernando rücklings ins Wasser fiel und danach lachend seine Schuhe ausgegossen hat. Jener Fernando ist gerade auf dem „Camino Vasco del Interieur“ von Irun nach Santo Domingo de la Calzada unterwegs, filmt dabei und stellt das Video noch am gleichen Tag bei Youtube ein, so dass man ihn fast live verfolgen kann. Das ist auch noch ein Camino, den ich noch nicht gelaufen bin …
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