Unterwegs von Madrid nach Santiago de Compostela
Tag 22 (Mi, 17.9.2025) - Von A Proba do Brollón nach Monforte de Lemos / 12,6 km
Das gestrige Abendessen kann man gut in die Kategorie „danebengegriffen“ einordnen. Um viertel neun, als sich bei allen schon großer Hunger eingestellt hatte, kam die Hospitalera mit zwei Thermobeuteln, die für jeden zwei Tupperdosen enthielt, eine mit der Vorspeise und eine mit dem Hauptgericht. Das ist nicht sonderlich stilvoll, aber nicht anders zu machen, wenn das Essen von irgendwo her rangeschleppt wird. Und auf dem Pilgerweg ist das Essen direkt aus Dosen und Assietten ja durchaus übliche Esskultur.
Bei mir fing die Dosenverteilung gleich mit einer Entschuldigung an. Statt der bestellten Vorspeise, irgendwas mit Kroketten, hat man ihr eine Dose mit Wurstaufschnitt eingepackt: je zwei Scheiben von fünf verschiedenen Wurst- und Schinkensorten. Da habe ich mich nicht beschwert, wenn auch das zum Hauptgericht obligatorisch dazu gehörige Brot ziemlich hart und damit ohne Butter als Wurstuntergrund nicht sonderlich geeignet war.
Bei der vermeintlichen Schweinebacke habe ich mich gewundert, wie viele Knochen das Schwein im Gesicht hatte. Das muss zu Lebzeiten furchtbar ausgesehen haben! Marco, der das Gleiche bestellt und ohne zu kosten zur Tonne getragen hat, hat mich aufgeklärt, dass dies „Schweinefinger“ sind. Wir würden vielleicht Zehen oder Klauen sagen. Das ist nichts, was mich grundsätzlich stört, sofern die Nägel sauber und ordentlich geschnitten sind. Ärgerlich war nur, dass sich zwischen den Knochen und der dicken Pelle ringsum nur mikroskopisch kleine Fleischstückchen befanden, die man als Ungeübter kaum herauslösen konnte. Die großen Brocken nacheinander in den Mund zu stecken und abzukauen, war auch keine Option, weil man ja auch beim Essen auch noch atmen muss.
Die Zehen sind also nicht mit dem zu vergleichen, was von vorn gesehen beim Schwein dahinter kommt: das Eisbein, gegrillt auch „Haxe“ genannt. Hinzu kam, dass der Bauer dem armen Tier vermutlich mit dem Traktor über die Füße gefahren ist, denn in der Soße schwam­men lauter Knochenstückchen, die den Genuss der Fritten mit der „Fußsoße“ zu einer endlosen Spuckerei werden ließen.
Der Becher Schokoladen-Mouse hinterher hat dann etwas versöhnt. Der noch gar nicht so sehr aufgeblähte Becher hatte am 16.9. gerade erst sein Haltbarkeitsdatum erreicht. Sozusagen eine Punktlandung.
Das Frühstück ist uns gestern Abend schon hingestellt worden, für jeden eine kleine Plastikbox mit den bestellten Sachen. In der stecken üblicherweise ein Brötchen, 2x Butter, 2x Marmelade, eine Kaffeekapsel und ein Apfel oder eine Apfelsine. Bei mir war das wie vereinbart ein Salami-Brötchen, gut in Frischhaltefolie eingepackt. Das war auch wirklich groß und dicht mit Salami belegt. Aber, wie hier üblich, ohne Butter drunter. Da das einfach nicht rutschen wollte, habe ich den Kühlschrank abgesucht und dort eine vergessene Plastik-Drück-Flasche Mayonnaise gefunden. Das Haltbarkeitsdatum konnte ich ohne Brille nicht erkennen, aber da der Inhalt so aus der Flasche kam, wie man es gewöhnt ist, wird die wohl noch gut gewesen sein. Davon habe ich mir eine dicke Schicht auf die Salami gemacht und schon waren die Schluckbeschwerden verschwunden.
Heute stand nur eine sehr kurze Etappe auf dem Programm: 12,5 km von A Pobra de Brollón nach Monfonte de Lemos. Da habe ich natürlich recherchiert, ob man nicht einen Teil der morgigen Etappe dazuschlagen kann. Aber auf der nächsten, mit gut 30 km recht langen Etappe gibt es erst kurz vor dem Schluss die Möglichkeit, Quartier zu nehmen und damit die Etappe zu teilen. Aber da heute 32 Grad werden sollen, muss man nicht mehr laufen, als unbedingt erforderlich.
Einen kleinen Umweg zu den Resten eines römischen Castros habe ich allerdings gemacht. Das waren aber nur ein paar hundert Meter - und ein ganzes Stück aufwärts. Wie erwartet gab es da nicht viel zu sehen. Nur die bis in Kniehöhe aufgeschichteten Mauerreste. Ich würde als Laie sagen, dass es sich da um ein Einfamilienhaus mit Garage gehandelt hat, aber die Archäologen sind da vielleicht anderer Meinung.
Die heutige Etappe war nicht nur kurz, sondern in jeder Hinsicht sehr normal. Es ging nur anfangs mal über einen Hügel, ansonsten verlief der Weg sehr flach, zunächst entlang eines kleinen, sich durch die Landschaft windenden Flusses, später durch Felder und Gärten. Da es hier flach ist, wird richtige Feldwirtschaft betrieben. Auf den abgeernteten Feldern liegen die großen Strohballen herum und an den Wegen stehen Apfelbäume. Die Häuser sind größtenteils sehr ordentlich - viel Unterschied zu Dörfern in unserer Gegend kann man hier gar nicht ausmachen. Verschwunden sind auch die in den vergangenen Tagen immer wieder gesichteten Bäume mit exotischen Früchten wie Feigen, Kiwis und Granatäpfeln.
Ein paar Minuten vor zwölf war ich schon am Ziel, d.h. in der privaten Herberge „Lemavo“ in Monforte de Lemos. Die ist in einem alten, schmalen, aber gut hergerichteten „Reihenhaus“ gegenüber dem Bahnhof und wird von einer älteren Dame betrieben, die im Erdgeschoss oder in einem Nebengelass wohnt. Im Erdgeschoss gibt es mindestens ein zu vermietendes Doppelzimmer und im Obergeschoss ist die sehr ordentliche, kleine Herberge mit 14 Betten, zwei sehr modernen Bädern und einer kleinen Küche. Es gibt große Schließfächer, in die problemlos der ganze Rucksack passen würde, und richtige Bettwäsche. 15 € sind dafür nicht zu viel verlangt. Einige der Doppelstockbetten sind hier übrigens „Familienbetten“ mit einem breiten „Untergeschoss“ für zwei. Das kennt man noch aus Etap-Hotels.
Ich habe mittags in der Herberge nur meine Sachen abgestellt und bin dann mit Marco losgezogen. Er wie immer auf Restaurantsuche, ich, um mir die Burg anzusehen und anschließend was für eine Zwischenmahlzeit einzukaufen.
Der Ort umschließt praktisch die auf einem kegelförmigen Berg gelegene Burg, von der aber nur ein paar Mauern und ein zu besteigender Turm übrig sind. Da ich heute noch nicht so viele Höhenmeter hatte, bin ich nicht nur hoch zur Burg, sondern auch noch auf den Turm gestiegen. So richtig gelohnt hat sich das nicht, denn den wirklich tollen Rundumblick auf die Stadt hatte man auch vom Fuß des Turmes. In den Zwischengeschossen des Turms standen ein paar Blechmänner und wenige alte Möbel rum. An dem Wänden hingen einige Tafeln mit Erklärungen zur Geschichte von Stadt und Burg, sogar zweisprachig: Spanisch und Gallego (Galicisch). Da konnte ich nicht viel mit anfangen.
Neben dem Turm ist in einem ehemaligen Kloster ein 5-Sterne-Parador-Hotel. Da bin ich einfach mal rein. Reiche Amerikaner laufen hier mitunter genauso zerlumpt rum, da bin ich nicht aufgefallen. Wie es sich für ein Kloster gehört, gibt es einen Innenhof mit Kreuzgang, also einen Innenhof mit Arkaden auf allen vier Seiten. Da stehen riesige Sofas rum, auf denen man sich nach vollbrachtem Diner mit einem Glas Schampus niederlassen kann, sowie ein paar sicher wertvolle alte Möbel. Im Innenhof kann man an einem der kleinen Tische genüsslich an einer Limonade oder einem Aperol nippen. Man sieht da zwar nicht viel, aber man wird gesehen. Die dazugehörige Kirche habe ich wie die anderen Kirchen der Stadt leider nicht besichtigen können.
Mit zwei Mikrowellengerichten, eins für gleich und eins für abends, sowie Getränken aus einem extra dafür angesteuerten großen „Familia“-Supermarkt bin ich dann zurück in die Herberge. Dort habe ich „Spaghetti Carbonara“ in die Mikrowelle geschoben und genüsslich verzehrt. Danach war es fast drei und somit gar nicht mehr viel Zeit für einen Mittagsschlaf, denn ich wollte ja nachmittags ins Eisenbahnmuseum, das nach der Mittagspause um vier wieder aufmacht. Marco wollte eigentlich mitkommen, aber als ich mich kurz vor vier fertiggemacht habe und losgehen wollte, kam er nicht so richtig auf die Hufe. Wahrscheinlich war er von dem Gedanken gefangen, wie er es bis um acht aushalten soll, denn dann macht erst das Restaurant auf, dass er sich für das Abendessen ausgesucht hat.
Also bin ich allein raus in die Hitze (32 Grad) und ins gut zwanzig Minuten entfernte „Museo do Ferrocarril de Galicia“, also in das Galicische Eisenbahnmuseum. Das befindet sich in einer großen, ehemaligen Wartungshalle. Dort stehen auf mehreren Gleisen Lokomotiven und Eisenbahnwagen. Es sind nicht sehr viele, aber sie stellen eine gute Auswahl dar und sind wunderbar restauriert und gepflegt. Bei den Lokomotiven fasziniert eine riesige, blank polierte Dampflok, die 1952 in Glasgow gebaut wurde. Da konnte man auch in den Führer­stand, der sehr geräumig und gut aufgeräumt ist. Da habe ich sinniert, wie denn der Heizer die Kohle aus dem Tender bekommt, denn da war keine Klappe, in die er mit seiner Schaufel fahren könnte. Das hat mir keine Ruhe gelassen und nach erneutem Absuchen des Tenders habe ich mir jemand vom Museumspersonal geholt. Der junge Mann hat mir dann erklärt, dass die Lok mit „Fuel“, also flüssigem Kraftstoff betrieben wurde. Und tatsächlich kamen ja mehrere Rohre mit großen Hähnen aus dem Tender, die unter dem Boden des Führer­standes in die Brennkammer der Lok führten. Im Internet habe ich dann gelesen, dass die Mehrzahl der ca. 250 Loks dieses Typs, die gekauft bzw. in Lizenz gebaut wurden, mit Heizöl betrieben wurde, weil das nach dem Krieg besser verfügbar war als Kohle. Wieder was gelernt: es gibt auch Diesel-Dampfloks!
Unter den Waggons stachen zwei heraus, die dem Regimentsstab eines Eisenbahn­regiments dienten und sehr komfortabel mit Stilmöbeln ausgestattet waren. In einem Wagen stand ein Tisch, der fast die ganze Länge einnahm, der andere war wie ein Salonwagen mit kleinen Sitzgruppen ausgestattet. Sehr komfortabel, wie die Herren in den Krieg gezogen sind oder wären.
Apropos Krieg: Unter den Wagen war auch ein Plattenwagen mit einem Panzer oben drauf, ebenfalls sehr blank poliert. Außer den Fahrzeugen gab es noch große Schalttafeln, u.a. mit der ganzen Strecke Ourense-Santiago-Coruna, Signaltechnik, Elektro- und Telegrafen­anlagen, Eisenbahnmodelle und sogar eine Uhrenausstellung. Alles sehr nett arrangiert und mit passend gekleideten Schaufensterpuppen versehen. Auf dem Freigelände standen noch ein paar zu restaurierende Waggons rum. Ich bin extra bis ans Ende des Geländes gelaufen, weil ich dort den Lokschuppen entdeckt habe, den ich schon auf Fotos gesehen hatte. Aber der war leider nicht zugänglich.
Über das ganze Gelände fährt übrigens eine Gartenbahn, bei der man breitbeinig auf den Wagen Platz nehmen kann. Die mitunter etwas windschief verlaufenden Gleise haben die Spurweite 128 mm, das ist weniger, als mein Smartphone lang ist. Da müssen schon alle Fahrgäste sehr still sitzen. Da unter den wenigen Besuchern keine Kinder waren und die Erwachsenen sich den Spaß nicht gegönnt haben, habe ich die Bahn aber nicht fahren gesehen.
Auf dem Rückweg bei immer noch brütender Hitze habe ich noch Wasser für den nächsten Tag gekauft. Dann habe ich mir in der kleinen, gemütlichen Küche der Herberge ein Süppchen und in der Mikrowelle die mittags gekaufte Paella bereitet. Ein schöner Abschluss dieses Ruhetages.

Von Madrid nach Santiago de Compostela - Tag 22